Kajetan Kovič: Sommer

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Kajetan Kovič: Sommer

Kovič-Sommer

EIN GRAN WAHN

Viele Wörter,
die in diesem Buch stehen,
wären wohl in einem Gesetz- oder Chemiebuch
besser aufgehoben
als in einem Gedicht.
Und doch stehen sie hier,
weder aus Versehen
noch aus Nachlässigkeit,
sondern um das Muster
einer dürftigen Zeit
zu zeichnen
und um durch einen bewußt
unbeteiligten Stil
auch an der Kippe zum Schweigen
einen glaubwürdigen Ton
zu bewahren.
Vielleicht
beneiden sie manchmal
in einsamen Nächten die anderen,
die im Dienste des Sommers
mit leichterem Schritt unterwegs sind,
während sie selbst
schwer sind wie Eichenportale
und öd wie lange,
nach Sauerkraut riechende
Internatsgänge.
Sind ihnen auch Werktage
vertrauter als Feste,
so durchzuckt sie doch manchmal
der süße Geschmack eines Sonntags,
und zu unverhoffter Stunde
benetzen Tränen ihre Augen.
Nur flüchtig, nur kurz,
und bald schon
marschieren sie wieder
im Gleichschritt der Karawanen,
in vereiste Nächte
und weißglühende Tage,
in die gültige Wahrheit
der Welt.
Mit deren Tempo
hielten sie nicht mit
und blieben abgeschlagen zurück
im Wettlauf mit den Rechnern,
hülfe ihnen
beim Überleben nicht
ein Gran Wahn.

 

 

 

Kindheit, Liebe, Arbeit,

Beginn und Abschied, Anfang und Ende sind die fundamentalen Themen dieses Gedichtbandes.
Kajetan Kovičs freie Verse bezeugen in ihrer Schlichtheit die hohe Meisterschaft dieses Lyrikers aus Slowenien, der über die gebundenen Reimformen zur Freiheit der ungebundenen Form gefunden hat. Die Souveränität dieser Gedichte eröffnet auch Leserinnen und Lesern, die der Lyrik ferner stehen, einen Zugang zum lyrischen Schaffen.

Wieser Verlag, Klappentext, 1999

 

Ortssuche

(…)

Die herbe Lakonie dieser Verszeilen aus dem Jahre 1969 dürfte für den 1931 in Maribor geborenen Kajetan Kovič vorbildlich gewesen sein. Kovič, einer der subtilsten Lyriker seiner Generation, meisterhafter Übersetzer (etwa von Rilke und Trakl), mit der deutschen Sprache so vertraut, daß er mitunter seine eigenen Gedichte ins Deutsche überträgt, brachte als einer der ersten den Parlando-Ton in die slowenische Poesie. Ohne Reim und Pathos widmet er sich Alltagssujets. Seine Gedichte heißen schlicht: „Der Hund“, „Der Sommer“, „Nur so“ oder „Anleitung zum Schlafen“ und sind feine Stenogramme subjektiver Wahrnehmung und Befindlichkeit. Ebenso unprätentiös wie illusionslos artikuliert darin das lyrische Ich sein In-der-Welt-Sein, den prekären Status zwischen Ankunft und Abschied.
Im Einfangen des Flüchtigen liegt die Kunst – weshalb Kovič zu einer „Verteidigung der Dichter“ anhebt, die als dezidierte Absage an jeden Staatsdienst und Ewigkeitskult zu verstehen ist:

Für die Wasserversorgung,
den Generalstreik
und die Verläßlichkeit des Fahrplans
sind die Dichter nicht zuständig.
[…]
Zwingt sie nicht,
Oden an Machthaber
oder die Marseillaisen
lokaler Revolutionen zu verfassen.
[…]
Die Dichter sind weder
die Diensthabenden eines Bataillons
schlafender Armeen
noch die Nachtportiere
schlafender Völker.
Ihnen liegt nichts daran,
im Gleichschritt zu marschieren
und sich an Rednerpulten Lorbeeren zu verdienen.
Ihnen liegt nichts an Denkmälern,
weder zu Lebzeiten,
noch nach ihrem Tod.
Ihr ganzer Besitz
ist Wasser und Luft, flüchtig
und unnütz,
und dauerhafter
als Bronze, die schmilzt.

Die paradoxe Wendung vom Unsterblichkeits- zum Bescheidenheitstopos kennzeichnet Kovičs wohltuend lakonischen Pragmatismus. Nur schade, daß in dem von Fabjan Hafner betreuten hübschen Auswahlband jedwede Quellenangaben zu den Gedichten fehlen. Auch vermißt man ein Vor- oder Nachwort, welches das poetische Itinerar des produktiven Lyrikers nachzeichnet. – Wer Kovič als Prosaisten kennenlernen möchte, greife zum Roman Professor der Phantasie, der Ende des letzten Jahrhunderts in Ljubljana spielt, bevor die Stadt von einem starken Erdbeben heimgesucht wurde. Wie Vorahnung und Mutmaßung sich zu einem Endzeitgefühl verdichten, macht Kovičs originelle Nachforschung in einunddreißig Kurzkapiteln glaubhaft.

Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 5.2.2000

 

 

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shi 詩 yan 言 kou 口

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Kajetan Kovič

 

Kajetan Kovič liest sein Gedicht „Bela pravljica“.

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