Kerstin Hensel: Zu Kerstin Hensels Gedicht „Der Soldat“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Kerstin Hensels Gedicht „Der Soldat“ aus Herbert Kästner (Hrsg.): Neue Totentänze.

 

 

 

 

KERSTIN HENSEL

Der Soldat

Das ist das Feld.
Da gehörst du hin, sagt der Feld-
Webel. Hier ist dein Platz, wo
Dem Feind die Kugel durch’s Hirn
In’s All, verstanden? Verstanden.

Die Schläfenblume geht auf
Der Stahlknarre Mündung.

 

Holzstich von Karl-Georg Hirsch

Holzstich von Karl-Georg Hirsch

 

Zuerst war der Holzstich.

Der Künstler Karl-Georg Hirsch schuf ihn als „Totentanz“.
Hirsch und ich trafen uns vor knapp zwanzig Jahren in Leipzig und erkannten, unter manch anderen Gemeinsamkeiten, die Gemeinsamkeit unserer Weltsicht: sie war vor allem antisoldatisch, vom Ekel vor allen dumm-zerstörerischen Mächten geprägt.
Das Gedicht beginnt zunächst harmlos: „Das ist das Feld“. Das Wort Feld schlägt Assoziationsbögen vom agrarischen über den sportlichen, poetischen, Forschungs- bis zum militärischen Begriff: auf dem Ackerland wächst das zum Leben notwendige Getreide / das Spielfeld ist bereitet / das Gefilde fordert die Phantasie / das Arbeitsgebiet ist bestimmt / und der Platz des Soldaten wird der Kriegsschauplatz sein. Der Feldwebel (der Teilungsstrich am Versende läßt den „Kehrt-Marsch!“-Ton des Militärs erkennen) gibt Befehle. Sein Ton ist wie an einen gerichtet, der nicht weiß, was er auf dem Schlachtfeld soll. Im Enjambement von Vers 3 wird die Sprache des Feldwebels als die eines Militäridioten entlarvt: der Kerl weiß selber nicht, wo sein Platz ist. Sein (Un)Verstand ist aufs globale Morden ausgerichtet. In Vers 5 folgt die Frage an den Soldaten, ob er den Schwachsinn seiner Orts- und Handlungsbestimmung verstanden habe. Der Soldat antwortet, wie er es gelernt hat, und der Leser erwartet seinen gehorsamen Gang in die Schlacht. Die beiden Schlußverse aber lassen vermuten, daß etwas mit dem Soldaten geschehen ist, das eine andere als die erwartete Richtung nimmt: das oszillierende Bild der Schläfenblume läßt an die verletzliche, über der Wange gelegene Stelle denken, hinter der das „Blut pocht“. Ein Schuß durch die Schläfe bedeutet den sicheren Tod, aber die Schläfe steht hier im Zusammenhang mit Blume. Blumen, die Soldaten beim Einzug in den Krieg auf ihren Gewehren getragen haben. Blume und Stahlknarre als Gegensatzpaar assoziieren auch den Sieg des Lebens über den Krieg. Das Gedicht freilich ist, wie Hirschs Holzstich, fern jeder Idylle.
Grafik und Gedicht illustrieren einander nicht. Sie bedingen sich in der Aussage und arbeiten aneinander, so wie der Betrachter/Leser daran zu arbeiten hat.

Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00