EUGEN ROTH
Nur
Ein Mensch, der, sagen wir, als Christ,
streng gegen Mord und Totschlag ist,
hält einen Krieg, wenn überhaupt,
nur gegen Heiden für erlaubt.
Die allerdings sind auszurotten,
weil sie des wahren Glaubens spotten!
Ein andrer Mensch, ein frommer Heide,
tut keinem Menschen was zuleide.
Nur gegenüber Christenhunden
wär jedes Mitleid falsch empfunden.
Der ewigen Kriege blutige Spur
kommt nur von diesem kleinen „Nur“…
nach 1933
aus: Eugen Roth: Sämtliche Werke. Bd. 2: Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1977
Der oft als Verfasser harmloser Denksprüche und niedlicher Belehrungspoeme bespöttelte Eugen Roth (1895–1976) hat hier ein ganz lakonisches Gedicht über Fundamentalismus und Intoleranz geschrieben. Ein halbes Jahrhundert vor der großen Debatte über den „clash of civilizations“ ironisiert Roth den religiösen Alleinvertretungsanspruch auf beiden Seiten der kulturellen Frontlinie.
In diesem so unscheinbar daherkommenden Gedicht hat Roth eine ganze Menge religionskritischer Pointen untergebracht – der Text ließe sich auch als Motto einer Kriminalgeschichte der Kreuzzüge voranstellen. Immer dann, wenn sich die Proklamation der Nächstenliebe Ausnahmen gestattet und sich mit einer missionarischen Ethik verbündet, ist das Massaker schon absehbar. Die aktuelle Konfrontation zwischen westlicher und islamischer Welt hat Roths Prognose bestätigt.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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