Friedrich Gottlieb Klopstocks Gedicht „Die frühen Gräber“

FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK

Die frühen Gräber

Willkommen, o silberner Mond,
aaaSchöner, stiller Gefährt der Nacht!
aaaaaaDu entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!
aaaaaaaaaSehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.

Des Maies Erwachen ist nur
aaaSchöner noch, wie die Sommernacht,
aaaaaaWenn ihm Tau, hell wie Licht, aus der Locke träuft,
aaaaaaaaaUnd zu dem Hügel herauf rötlich er kömmt.

Ihr Edleren, ach es bewächst
aaaEure Male schon ernstes Moos!
aaaaaaO wie war glücklich ich, als ich noch mit euch
aaaaaaaaaSahe sich röten den Tag, schimmern die Nacht.

1764

 

Konnotation

Den literarischen Zeitgenossen galt die Oden-Kunst des Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) als unüberbietbar. Göttinger Studenten waren 1774 von dem Dichter der Empfindsamkeit, der sich selbst als Erlöser der deutschen Dichtung betrachtete, geradezu berauscht: „Gott hat uns gesegnet! Unter uns Klopstock!“ Der hohe Ton seiner Hymnen und Oden, seine antikischen Gebärden haben aber auch immer zum Widerspruch gereizt.
Zunächst scheint es sich bei dem 1764 entstandenen Gedicht um ein Musterstück aus dem Repertoire naturfrommer Mond- und Nacht-Anbetung zu handeln. Die erste Strophe evoziert den Erdtrabanten als Verbündeten des Dichters. Zugleich wendet sie sich gegen die Naivität der Naturschwärmerei und verweist in fast naturwissenschaftlicher Nüchternheit auf die Subjektivität des Beobachters: Nicht der Mond „entflieht“, sondern die „wallenden“ Wolken. In der dritten Strophe folgt schließlich ein harter Bruch. Nicht mehr der Glanz der Natur-Szene wird aufgerufen, sondern die toten, zu früh gestorbenen Gefährten. So triumphiert nicht Naturzauber, sondern die Vergänglichkeit.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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