Martin Jankowski: Indonesisches Sekundenbuch

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Martin Jankowski: Indonesisches Sekundenbuch

Jankowski-Indonesisches Sekundenbuch

MALARIA

zuerst kommen die kleinen durchsichtigen
geister weben einen kokon aus geduld
schützender zeit und wispernden geschichten
und dann tanzen sie mit den träumen durch
dein blut

und dein blut beginnt ganz neu dich zu zeichnen
plötzlich erkennst du die vielfalt der wege in deinem
innern begreifst all deine farben und gewinnst an
gestalt und beginnst zu pulsieren und nicht mehr
es dich

und das einverständnis im puls erhöht die
bewegung es beginnt das aufundabfest mit gästen
in deinen adern mit besuchern die neugierig
nach interessanten gelegenheiten ausschau halten
in dir

und dann bricht schon im süden der krakatau dein
herz und im norden stürmen die wogen die sterne
insekten schwärmen aus im grellen licht des bluts
milliarden wesen sehn dich an und schweigen laut

das auf und ab von liebe überdruß und schmerz
raubt dir den sinn für fragen des geschmacks
und deine prall gefüllten adern tanzplatz der äonen
umarmen dich im übermut es mangelt nicht

dies ist ein dies ist ein dies ist ein über
fluß an leben

 

 

 

In den Jahren 2002 und 2003

reiste ich (anfangs auf Einladung des großen indonesischen Dichters W.S. Rendra) durch den – drei biologische Zonen und vier Zeitzonen weiten – Inselstaat am Äquator. Ich lebte in Metropolen und Dschungeldörfern, sah Slums und Luxushotels, endlose Reisfelder, schmutzige Traumstrände und rauchende Vulkane. Ich traf ungewöhnliche Menschen und stieß auf Sprachen und Kulturen, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Ich war begeistert, entsetzt und fasziniert – und fand Freunde fürs Leben. Statt Fotos zu machen, fotografierte ich, wenn es die Hitze zuließ, mit Worten. Aus meinen Reisebüchern extrahierte ich über hundert Texte, von denen vierzig ausgewählt und übersetzt von Katrin Bandel aus Yogyakarta und bearbeitet in indonesischer Nachdichtung von Dorothea Rosa Herliany aus Magelang erscheinen. Zum ersten Mal erscheint das Buch eines deutschen Autors im Original und zugleich zweisprachig in einem indonesischen Verlag.

Martin Jankowski

 

Lyrik und Reise

sind oft eng miteinander verbunden. Lyrik ist, weil sie frei und offen allem Unvermuteten gegenüber ist, selbst eine Reise, ein Abenteuer sogar, und manchmal ein Aufbegehren gegen Festgefahrenes. Ein lyrischer Prosatext von Amir Hamzah aus den 1930er Jahren weist auf diesen Zusammenhang hin: Er beschreibt die Reise an einen Ort, der „von allen heiligen Schriften der Welt verflucht wird“, aber er schert sich nicht um den Fluch: „du, mein Herz, hast deine eigenen Schriften“.
Es erstaunt nicht, wenn aus einer Reise an einen ungewöhnlichen Ort reizvolle Lyrik entsteht. Die Gedichte von Sitor Situmorang über Paris in Surat Kertas Hijau sind ein Beispiel dafür. Obwohl die Titel (Sacré Coeur, Pont Neuf,…) heute wie eine Aufzählung der touristischen Sehenswürdigkeiten dieser Stadt anmuten, ist jedes Gedicht das Ergebnis einer Begegnung mit Gefühlen der Einsamkeit, der stillen Betrachtung und Meditation, vielleicht auch der Verzückung – etwas ganz Normales bei einer Reise in ein fernes, fremdes Land.
Die Gedichte Martin Jankowskis stehen in dieser Tradition. Nur ist der Grundton hier nicht die Meditation, sondern der bezauberte, vielleicht gar ungläubig staunende Blick – und so gewinnen Orte und Ereignisse, die er in Indonesien besucht und erlebt hat, ihre Bedeutung. Wie Sitors Gedichte sind auch die lyrischen Notizen Jankowskis kein Reisetagebuch. Mit Leidenschaft, Ergriffenheit und Humor sprechen sie uns auf eine warme Art und Weise an.
Jedes Gedicht wird aus dem Ereignis einer Begegnung geboren. So ist es auch bei diesen Gedichten, deren Übersetzung uns in Indonesien einen neuen Blick um uns ermöglicht: In allem Vertrauten ist etwas Fremdes, das wir selbst nicht erkennen können.

Goenawan Mohamad, Indonesiatera, Klappentext, 2005

 

Der ausgesetzte Text

− Der 40 Gedichte umfassende Band von Martin Jankowski enthält spannende, meditative Momentaufnahmen einer langen Reise durch die Inselwelten Indonesiens. Jan Valk hat das Buch gelesen. −

In seinen Gedichten über Indonesien erweist sich Jankowski als Meister des Spiels mit dissonanten Klängen.
Ganz unabhängig von seiner jeweiligen Machart und Tendenz beschreibt jeder Reisebericht zunächst eine Geste der Aneignung: Ein Erlebnis der Fremde wird in die eigene Sprache übersetzt.
Als Erzähler wird der Reisende zum Kundschafter, der – gewissermaßen stellvertretend für die Daheimgebliebenen – seine Begegnung mit dem Fremden protokolliert. In dieser Hinsicht gleicht das Reisebuch einem Spionagebericht: Es holt das andere ins eigene, um es verfügbar – und damit verwertbar zu machen.

Literarischer Dialog mit der Fremde
Martin Jankowskis Indonesisches Sekundenbuch bricht auf eigentümliche Weise mit einer solchen Ökonomie der erzählerischen Aneignung – und das bereits in seiner materiellen Erscheinungsform: Der schmale, kaum 40 Gedichte umfassende Band ist das erste Reisebuch eines deutschen Schriftstellers, das ausschließlich in einem indonesischen Verlag erscheint. Auf diese Weise verkehrt sich die übliche Ausrichtung von Reiseberichterstattung: Der Text adressiert nicht in erster Hinsicht die Angehörigen der eigenen Sprach- und Lebenswelt, sondern sucht von vornherein den Dialog mit eben jener Fremde, die für seine Entstehung verantwortlich gewesen ist.
In den vergangen Jahren hatte Jankowski bereits in unterschiedlichen Kontexten die literarische Auseinandersetzung mit dem indonesischen Sprach- und Kulturraum gesucht.
Aus der Begegnung mit dem Dichter Agus R. Sarjono, der zu den bekanntesten Literaturschaffenden im Südostpazifik gehört, entwickelte sich eine intensives poetisches Gespräch über die Erfahrung des Fremden und ihrer literarischen Verarbeitung, das bis heute andauert (Lennart Lehmann berichtete für Qantara.de).

Detik-detik-Indonesia – Logbuch einer langen Reise
2003 verbrachte der in Berlin lebende Autor auf Einladung der Universitas Indonesia acht Wochen in Jakarta, wo er Gastvorträge über zeitgenössische deutsche Literatur hielt. Im Anschluss an diesen Aufenthalt bereiste er mehrere Monate die indonesischen Inseln. Die Texte, welche Detik-detik-Indonesia versammelt, sind eine Auswahl aus den Notizbüchern dieser Zeit; das schmale Logbuch einer langen Reise.
Jankowski selbst vergleicht seine lyrische Strategie mit fotografischen Schnappschüssen: „Statt Fotos zu machen, fotografierte ich, wenn es die Hitze zuließ, mit Worten.“ Und tatsächlich wirken viele der Texte wie flüchtige Momentaufnahmen, in denen das sprechende Ich fast ganz hinter der Sinnlichkeit der beschriebenen Eindrücke zurücktritt.
Trotz der sprachlichen Dichte und einer zum Teil überbordenden Fülle an Farb-, Klang- und Geruchsbildern entfalten die Texte auf diese Weise eine fast dokumentarische Perspektive, die gleichberechtigt das Unauffällige neben das Grelle, das Banale neben das Sakrale treten lässt: „kleine opfergaben aus weihrauch und blüten / auf dem weg zum supermarkt vor dem haus…“
Feine, fast meditative Landschaftsbeschreibungen treten jäh neben die Rede von Korruption, Armut, die Zerstörung intakter Natur oder den Verlust alter Traditionen.
Immer wieder beschwört Jankowski bunte und exotische Welten um sie nur wenige Verse später mit einer Realität kollidieren zu lassen, die alles andere als paradiesisch anmutet:

…wenn du ein Problem hast, frag
lieber die Gangster, die haben manchmal
noch Ehre im Leib.

Keine Ausstellung exotischer Welten
Und doch ist es weder Zynismus von melancholische Verlustklage, die den Ton dieser Texte bestimmen. Detik-detik-Indonesia betreibt keine Archäologie einer besseren, natürlicheren Lebensform in der Fremde.
In seinen Gedichten erweist sich Jankowski vielmehr als Meister des Spiels mit dissonanten Klängen, indem er sowohl der eigenen Sehnsucht eine Stimme gibt, als auch der Fremde eine Gegenrede erlaubt: „Hier gibt es die Strände, von denen du träumst“ – spricht der Reisende in einem Gedicht. „Deutschland muss schön sein“, sagt die Einheimische. „Dort ist es kühl, gibt freie Busspuren, Fahrradwege, Bürgersteige, / und wenn es mal Stau gibt, (…) fährt man mit der Straßenbahn.“
„Die Poesie zwing sich nicht auf, sie setzt sich aus“, hat Paul Celan einmal geschrieben. Einer ähnlichen Weisung scheint Jankowski in seinen lyrischen Skizzen zu folgen.
Das Indonesische Sekundenbuch ist alles andere als eine literarische Völkerschau, keine unterhaltsame ‚Ausstellung‘ exotischer Welten. Vielmehr beweist sein Autor den Mut, seine Gedichte dem Urteil dieser Fremde auszusetzen. Und es bleibt zu hoffen, dass Detik-detik Indonesia nur ein Auftakt ist, zu einem langen, nicht abreißenden Dialog.

Jan Valk, qantara.de, 13.4.2006

Auf- und anregend

ist allein schon der Kreis derjenigen, die an diesem Buch mitgewirkt haben, ebenso wie die Umstände der Veröffentlichung:
Da hat Martin Jankowski, ein Schriftsteller aus Berlin,  vor Jahren Indonesien für sich entdeckt, freundet sich mit Agus Sarjono aus Bandung an, der als Gast der Heinrich-Böll-Stiftung in Deutschland war. Jankowski wird von Rendra nach Indonesien eingeladen und ist später auch einmal als Gastdozent dort tätig. Dann trifft er u.a. auf  Dorothea Rosa Herliany, Goenawan Mohamad, Elisabeth Soeprapto-Hastrich (übrigens sind alle diese Zeitgenossen dem aufmerksamen und interessierten Teilnehmer an Veranstaltungen der DIG ein Begriff, weil sie in verschiedenen Programmen aufgetreten sind).
Jankowski ist durch Indonesien gereist und hat seine Eindrücke in Gedichten festgehalten. Dorothea Rosa Herliany ist die Herausgeberin des Bändchens mit 31 lyrischen Interpretationen; Katrin Bandel, eine in Yogyakarta lehrende Dozentin aus Hamburg, besorgt die Übersetzungen ins Indonesische und Goenawan Mohamad – selbst Verfasser vieler Eindrücke und Momentaufnahmen von Reisen und Begegnungen (Catatan Pingir, Am Rande bemerkt; Horlemann-Verlag) – steuert ein Nachwort bei, in dem er Jankowskis Beobachtungen und Darstellungen mit Werken von Sitor Situmorang vergleicht. Das Buch ist in einem indonesischen Verlag erschienen, die Texte werden direkt zweisprachig vorgelegt; das Nachwort von Goenawan ist allerdings nicht übersetzt. Ein angehängtes Glossar erläutert einige Begriffe und Namen.
Und was bekommen wir zu lesen? In formal sehr unterschiedlicher Gestalt nimmt Jankowski uns mit auf die Reise. Mal ist es ein Dialog, mal eine Ballade, meist jedoch sind es sprachliche Assoziationen, die auf jede Interpunktion verzichten, durch die der Dichter seine Eindrücke vermittelt. Einigen Texten ist ein Leitwort eines deutschen oder eines indonesischen Dichters vorangestellt.
Für Jankowski erschließt sich erkennbar ein neuer Kosmos: Die Begegnung mit den Menschen, die Beobachtung der Natur, die Organisation des Alltags sind so faszinierend, dass er in den unterschiedlichen Momentaufnahmen bemerkenswerte Eindrücke zusammenfasst. Einiges ist flüchtig festgehalten („auf dem surrenden moped / die straßen entlang schlängeln / endlos über die hügel / vorbei an träumenden rindern / hühnerküken und lastenträgern / unter den bäumen in der dämmerung / …“ Heimweg von Wonosari), anderes hintergründig interpretiert („zuerst kommen die kleinen durchsichtigen / geister weben einen kokon aus geduld / schützender zeit und wispernden geschichten / und dann tanzen sie mit den träumen durch / dein blut / …“ Malaria).
Es gelingt ihm, seine höchst persönlichen Wahrnehmungen und Gefühle wort- und sozusagen bildgewaltig umzusetzen. Der Leser kann sich ausmalen, in welcher Situation der Dichter was erlebt hat. Die Texte vermögen es, die Reise durch den Archipel mit Interesse nachzuvollziehen.
Interessant ist auch die Titelwahl, nämlich ein Sekundenbuch vorzulegen. Uns ist der Begriff des Stundenbuchs vertraut, einer Zusammenstellung von Gebeten oder meditativen Texten, die eben zu bestimmten Stunden gelesen werden sollten. Aus dem europäischen Mittelalter sind solche Textsammlungen bekannt. Doch Jankowski kennt offenbar auch seinen Rilke, denn der hat vor gut hundert Jahren ebenfalls Stundenbücher verfasst, in denen er sich nicht nur mit dem Jenseitigen, sondern sehr wohl auch mit dem Gegenwärtigen befasste. Gewiss ist, dass die Sekunden aus Jankowskis Gedichtsammlung zu Stunden gerinnen können, wenn man nämlich seinen eigenen Gedanken nachhängt, zu all dem, was uns Jankowski da an Eindrücken und Anregungen mit auf den Weg gibt …

Karl Mertes, KITA – Das Magazin, Deutsch-Indonesische Gesellschaft e.V.

Weitere fremdsprachige Rezensionen: Jakarta Post

 

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