Michael Braun: Zu Els Moors Gedicht „Menschen, abgemattet wie Maschinen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Els Moors Gedicht „Menschen, abgemattet wie Maschinen“ aus Els Moors: Lieder vom Pferd über Bord. –

 

 

 

 

ELS MOORS

Menschen, abgemattet wie Maschinen

Menschen, abgemattet wie Maschinen
Gähnen Bittebitte bis sie winseln
Vor Schläfrigkeit Du fällst hinein

so wie ich immer stapfen muss
in Schnee Gefangne einer Karawane
unter hohen moosgrünen Bäumen

und ein tiefer Geist im Wassertiegel
verlangt nach tiefer Erde
wie ein Quell

hebe ich auf, was ich berge
zwischen den Leisten, da folg ich
nur meiner Tränen Spur

ich will ihn hungrig packen
diesen Stoff auf meinen Wangen
Aber aller Samen ist am Arsch

und in Gedanken bei mir
bleib ich stehen

 

Gelegentlich ist man nicht verwundert,

dass die Seiten der Gedichtbände von Els Moors verklebt sind. Die auf Flämisch schreibende Belgierin (*1976) inszeniert in ihren Gedichten häufig das, was man wohl „the beast with two backs“ nennt – oder, wie hier: die autonome Lustbewältigung der Onanie. Gekleidet ist in ihrem Gedicht allerdings der frivole Furor „zwischen den Leisten“ in einem melancholischen Noir-Stil, „abgemattet wie Maschinen“, „Gefangene einer Karawane“, „meiner Tränen Spur“. Ist es – ganz nebenbei gesagt – nicht seltsam, dass Jean Améry sein Elaborat zum Freitod mit dem Titel Hand an sich legen versah? Denn Autoerotiker sind eine ernste Spezies, eine textuelle Sodalität, die „die hungrig packen“, was „verlangt nach tiefer Erde“. Man erinnere sich an Anne Sextons „The Ballad of the Lonely Masturbator“:

Ich breche so aus meinem Leib heraus
das lästige Wunder
[annoying miracle]

Sind also im Blick auf Els Moors Gedicht in Belgien Amor und Saturn Geschwister? Der lapidare Ton in Els Moors Gedichten jedoch verschiebt diese Konstellation gleichwohl in den Bereich der Ironie, sodass man vielleicht eher auch daran denken könnte, was Cäsar während seines Feldzugs am Niederrhein und der Schelde vor Einsamkeit zur Onanie notierte:

Von Zeit zu Zeit ziehe ich es der Sodomie vor.

Michael Braun, Volltext, Heft 4, 2016

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