Robert Creeley: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Robert Creeley: Gedichte

Creeley-Gedichte

BITTE
für James Broughton

O gott, gehn wir.
Dies ist ein gedicht für Kenneth Patchen.
Überall werden leute erschossen.
Leute leute leute leute.
Dies ist ein gedicht für Allen Ginsberg.
Ich will anderswo sein, anderswo.
Dies ist ein gedicht über ein pferd das müde wurde.
Arm. Alt. Müde. Das pferd.
Ich will nach hause gehn.
Ich will daß du nach hause gehst.
Dies ist ein gedicht was die geschichte erzählt,
was die geschichte ist.
Ich weiß nicht. Ich verliere mich.
Wenn sie nur still stehn würden und mich ließen.
Bist du froh, traurig, nicht froh, komm nur her.
Dies ist ein gedicht für viele mehr.

 

 

 

Nachwort

I

War es ein Mißverständnis, daß Robert Creeley im Zusammenhang der Beat Generation ins öffentliche Bewußtsein getreten ist? Daß die Anthologien, die seit den Fünfzigerjahren bis heute, hüben wie drüben, der neuen amerikanischen Literatur gewidmet sind, ihn hinter Burroughs und Corso verzeichnen, vor Duncan, Ferlinghetti, Ginsberg und Kerouac, in der Kontinuität ein und desselben Alphabets?
Das Trennende ist allzu auffällig: da ist die sehr leise, sehr persönliche, knappe, sanft ironische, offenbar nie ,engagierte‘ Lyrik Creeleys, da sind, andererseits, die meist breiten, schrillen, häufig exhibitionistischen, eigentlich immer konkret auf die Gesellschaft, den American way of life, bezogenen, sich an ihr reibenden, sich an ihr inspirierenden, Gedichte fast aller übrigen, dem Beat zugezählten Autoren. Es gibt andere Trennungen, solche der Herkunft: Creeley gehört, mit Olson, Duncan, Levertov, zur Black Mountain-Gruppe, dem sozusagen legislativen Flügel der Bewegung, der sich von den anderen Zentren – San Francisco, New York – durch Intellektualismus, durch Betonung der formalen Fragen der Dichtung unterschied. Aber was hat Creeley selbst mit denen, die ihm am nächsten stehen, auf die er sich immer wieder beruft, gemein? Was mit Olson, der, in ,allen‘ Sprachen bewandert, unter Berufung auf die historisch-topographische Präsenz eines Ortes, Gloucester/Mass., an einem neuen human universe baut? Was mit dem in mystischen Traditionen denkenden Robert Duncan? Creeley selber hat die so einflußreiche Black Mountain Review ediert, in der viele der neuen, inzwischen etablierten, Talente vorgestellt wurden. Sie schrieben unter Creeleys Anleitung. Unter seinem Einfluß? Sicher. Doch nirgends läßt sich der ablesen. Creeley war immer, ist immer, wie es in typischem Understatement heißt, ,available‘. Ich glaube nicht, daß er jemals einen Brief eines ratsuchenden Poeten unbeantwortet gelassen hat. (Was auch damit zusammenhängt, daß das Geschäft des Dichtens in den Staaten in viel geringerem Maße als in Jurop gesellschaftsfähig ist und die wenigen, die ihm nachgehen, auf die Unterstützung, oder doch die Sympathie, den Respons der Mitverschworenen angewiesen sind – ein Umstand, der übrigens in die Thematik gerade der Creeleyschen Lyrik eingegangen ist: sie ist nicht zu denken ohne ein Gegenüber, ist fortgesetzte Anrede.) Aber es gibt keinen, der ,wie Creeley‘ schreibt. Olson hat seine Nachfolger gefunden, Ginsberg und Ferlinghetti haben die ihren. Doch niemand schreibt so kurze Zeilen wie Creeley, niemand ist so lautlos wie er, und dabei so mühelos-selbstverständlich und insistent. (Olson sagte mir einmal, es wundere ihn immer, wenn er ein neues Gedicht von Creeley lese, daß er es nicht längst gekannt habe, daß einer es noch habe schreiben müssen – so selbstverständlich sei es da: wie Lieder von Shakespeare, Campion, Donne.) Niemand sonst – außer Olson, doch bei ihm ist es enzyklopädisch – hat sich wie Creeley, amphibisch die Gattungen wechselnd, im Gedicht, in der Story, im Roman, vollkommen eingeschworen auf die jeweils verschiedenen Bedingungen, in ein Thema verbissen, das er wie die Mücke die Glühbirne umkreist. Dieses Thema ist die Reduktion auf gewisse Grundprobleme (von pro-ballein) des Lebens, das heißt, es benennt Modi der Reaktion, probiert unter je anderen Situationen sich einzustellen auf die elementaren Konfrontationen der Welt: gehen, sitzen, liegen, berühren, essen, trinken, lieben, hassen, davon ist die Rede, von Verbalem, solchem, das Bewegung und Agieren impliziert, auch wenn es, unserer kuriosen grammatikalischen Nomenklatur nach, unter die anderen Redeteile fällt. Seltener figurieren relationale Begriffe (Vater, Mutter, Tochter, Freund), kaum gibt es Fixes (Stein, Haus, Mädchen): in jedem Fall wird das eine wie das andere dem verbalen Prozeß, dem systaltischen Muskel, nie nicht einbezogen. Fürs Elementare, ja Rudimentäre, steht das Vokabular ein, das den Umfang eines Basic English nicht sprengen dürfte. Hier redet einer, der immer wieder zum erstenmal die Welt sieht, der sich seinen Vers darauf nie anders als zögernd machen kann (hinter jeder dieser kürzesten Zeilen ist eine Zäsur, die mitzulesen ist), der die einfachsten Dinge nicht versteht, die Dinge, von denen Olson sagt, er habe sie zuletzt lernen müssen. Die Dinge, denen William Carlos Williams’ oft zitierter Vers alle Authentizität zugesprochen hatte:

No ideas but in things.

Doch weniger die Dinge als Faktum, das auch, vielmehr als action auslösende, herausfordernde Kraft: Dinge verbal. Solche Einstellung zu den Dingen ist spezifisch amerikanisch. Die Amerikaner – Olson hat sie ,die letzten ersten Menschen‘ genannt – sind geprägt von der steten Provokation durch das, was sie umgibt, was sofortigen Respons verlangt. Die Wirklichkeit ist nie vorgegeben, muß vielmehr immer neu ,realisiert‘ werden – Creeley sagt ,vergegenständlicht‘. Die Wirklichkeit verstehen, heißt, sie befragen, was sie leistet: was kann ich mit ihr anfangen. Das ist puritanische Tradition: die Pilgerväter im Osten, die Pioniere im Westen. Gold hat in Europa die Alchimisten interessiert, in Amerika kurzstirnige Rundschädel mit Pickel und Sieb. Ständig erneuert sich die Ausgangsposition: durch die Immigranten, von denen Williams so fasziniert war. An ihnen ließ sich vor allem auch die Verbindung zwischen Dingen als Widerstand und Sprache als Widerstand studieren. Denn nicht nur sind die Dinge als neue, ursprüngliche, von keinem Vorverständnis geprägte wahrzunehmen, sie sind zugleich zu benennen in einer neuen, ,unbekannten‘, diesen speziellen Dingen adäquaten Sprache. Die Immigranten sind sozusagen die lebendige amerikanische Tradition, ihr Modell. Als es für Williams darum ging, ein amerikanisches Idiom zu finden, das nicht mehr im Kielwasser europäischer Bezugssysteme trudelte, hat er sich an ihnen orientiert. Von dem, wofür die Immigranten stehen, bezieht Creeley seine Legitimation; seine ,einfachen Dinge‘, seine ,leichten Wörter‘ bekommen von hier historische Dimension.
Wir befinden uns, beim Versuch Creeley zu verstehen, mitten in einer Diskussion der Voraussetzungen heutigen amerikanischen Dichtens überhaupt, eines Dichtens, das mit der unmittelbaren Vergangenheit, dem, was im Umkreis der New Critics ein letztes Mal europäische Positionen glaubte verteidigen zu können, gebrochen hat und auf die ignorierte und verschüttete, aber authentische Tradition der Moderne zurückgreift, auf Williams, Pound – und Whitman. Wie sehr sich also Creeley, was die oberflächliche Gestalt seiner Gedichte betrifft, die Tonlage, die Intention, die spezielle Thematik, von denen unterscheidet, die gleichzeitig heute in den Staaten schreiben, Klima und Impetus und der Grund, auf dem sie alle stehen, sind identisch. Creeleys Kurzzeilen, seine Reduktion des Vokabulars, stellen das eine Extrem heutigen amerikanischen Dichtens vor, Olsons Langzeilen, die es wieder möglich machen, viel Material zu transportieren, das andere. Zwischen beiden bewegt sich, was heute amerikanische Lyrik heißt.
Pound. Creeley kommt immer wieder auf ihn zu sprechen.

Pound allein hat in seinem Werk so viele Möglichkeiten gezeigt, daß es wahrlich lange Zeit dauern wird, bis sie erschöpft sind.

Für Creeley ist Pound der neue Chaucer: der, der für die Folgezeit den technischen Verlauf der Dichtung bestimmt hat. Was Chaucers jambischer Pentameter auf Jahrhunderte für die englische Dichtung war, wird Pounds nach den Gesetzen des Ohrs, nicht des Metronoms, komponierter Vers für die amerikanische sein. „Nur die Emotion hat Dauer“, hatte Pound geschrieben, und:

Einzig die Qualität der Emotion zählt.

Der Sinn des Gedichts, hieß das, liegt jenseits des Semantischen, des Deskriptiven und nur ,Bedeutenden‘, und bemißt sich nach dem emotionalen Anteil dessen, der schreibt. Auch fremdes Material, das ja gerade für Pound eine so wichtige Rolle spielt, erhält erst von hier seinen Sinn. Denn Emotion ist alles, was nicht mehr in irgendeinem Sinn referentiell ist, das, was aus sich heraus lebt, aus sich und in sich aktiv ist. (So etwas war einmal revolutionär; mehr: es wurde fünfzig Jahre lang ignoriert.) Pound hat, mit dem Yankee-Blick für Brauchbares, immer nur solches verschrieben, das nützen konnte, mit dem sich arbeiten ließ. Die genannten Pickel und Siebe also, und Retorten und Bunsenbrenner kamen ins Pfandhaus. (Auch Pounds häufig beschimpftes Verhältnis zur Tradition versteht sich von hier: Tradition ist, was heute noch lebt, nicht, was einmal lebte.) So muß man vorsichtig sein, Pounds Begriffe einfach lexikalisch zu übertragen: ,Emotion‘ ist nicht ,Gefühl‘, wenn man unter ,Gefühl‘ – und darum sind derlei Wörter ja mit Recht tabuiert bei uns – versteht, was beliebig von Kontext zu Kontext transferierbar ist, mithin von einem nicht mehr überprüften und vielleicht kaum noch überprüfbaren Bezugssystem determiniert ist. ,Emotion‘ zeigt an, welche Wirkung die Wörter auf den Schreibenden ausgeübt haben, wie er sie benutzt, welchen Sinn er sie haben läßt (den sie ohne ihn nicht hätten). Individualität als Garant der Qualität. Wobei zu ergänzen ist, daß die Wörter selber sprechen und nicht jemand mit ihnen oder durch sie hindurch. Doch zum Sprechen müssen sie gebracht werden.
Die notwendige Ergänzung stammt von Williams. Im Vorwort zu seinem Gedichtband The Wedge (1944), der aus der Entwicklung Creeleys nicht fortzudenken ist, heißt es:

Nicht was der Dichter sagt, zählt als Kunstwerk, sondern was er macht, und zwar mit einer derartigen Intensität der Wahrnehmung, daß es mit einer selbstverständlichen Eigenbewegung lebt, um die eigne Authentizität zu erfüllen und zu bestätigen.

Vorher war vom Gedicht als einer Art Maschine die Rede gewesen, auch in dem Sinn, daß kein Teil in ihm, genausowenig wie in der Maschine, redundant sein könne. Das Gedicht wurde nicht literarisch, sondern physikalisch verstanden. Und dies, scheint es, ist der Angelpunkt, um den sich amerikanische Gedichte heute drehen. So wenig wie die Maschine die Natur kopiert, darf das Gedicht sie kopieren. So wenig die Maschine auf Exteriores bezogen ist, wenn sie auf dieses auch einwirken mag, so wenig darf das Gedicht es sein. Wenngleich die Maschine, wie das Gedicht, von außen den Anstoß bekommt. Die Maschine, weiter, agiert, sonst wäre sie keine, oder sagen wir es unzweideutiger, sie ist potentiell, in Aktion: damit sind wir einem Begriff näher, der für die Methodik der amerikanischen – nur der amerikanischen? – Künste von entscheidender Bedeutung ist: action. Man kennt die Implikationen des Begriffs, seit man ihn mit einer bestimmten Technik des Malens verbindet. Keineswegs ist er allein auf die Malerei beschränkt: auf Black Mountain College, wo die drei Künste ja interfakultativ befördert werden sollten, hatten Pollock, Franz Kline und de Kooning direkten Einfluß, die beiden letzten als Lehrer. Action poetry? Man denke an Olsons Begriff vom projektiven Vers. Man vergleiche Olsons ,Atemausstoß‘ – eben jenen Vers – mit einem ,Muskelstoß‘ Pollocks. Der ,Muskelstoß‘ als die Einheit – wie die Zeile. Wie dieser ist sie eine Energieentladung, die sich auch dadurch bestimmt, daß sie an keiner Stelle eine Zäsur verträgt; Interpunktion in der Zeile stoppt nie den prosodischen Lauf. Man könnte, was man im Anschluß an Olson heute in Amerika unter der Zeile versteht, das Poundsche Doceat benutzend, emotional unit nennen. Das träfe Ginsbergs Worttrauben, die sich aus Gründen der räumlichen Beschränkung der Seite über mehrere ,Zeilen‘ erstrecken können, genauso wie Creeleys Zwei-Wort-Zeilen. Das ,Werk‘ wäre ein Komplex aus emotional units, der im übrigen offen ist zum Leser oder Hörer hin. Das Gedicht will nicht beschreiben, nicht definieren, nicht konstatieren, es soll sich auf keine Energie beziehen, die dann gesehen, wenn man will evoziert, werden mag, vielmehr soll es Energie verkörpern, so daß man sie spüren kann. Der Leser oder Hörer soll verstrickt werden ins Gedicht. (Dies ist übrigens einer der Punkte, wo die Umgangssprache ins Spiel kommt: sie hilft die Kluft schließen zwischen Leser/Hörer und Autor.) Die Verstrickung des Konsumenten ist das summum bonum der Massenmedien action, activity sind der Puls des Business. Die Dichter, diese „Antennen der Rasse“ (Pound), bedienen sich der Mittel der Herrschaft. Anders hätten sie keine Chance, gehört und verstanden zu werden. So sind sie eine ständig wachsende Bedrohung für den fröhlich mordenden American way of life. 

2
Robert Creeley wurde am 21. Mai 1926 in Arlington, Massachusetts, als Sohn eines Arztes geboren, in einem der Neu-England-Staaten also, im Puritanerland. „Das Leben war wirklich und das Leben war ernst, und damit hatte man genug zu tun“, hat er, Longfellow halb zitierend, halb paraphrasierend, diesen Hintergrund genannt. Das war kein Boden für Dichtung. Anfang der Vierzigerjahre begann er in Harvard Literatur zu studieren, mußte aber 1944 aufhören, weil ihn der American Field Service erst nach Indien, dann nach Burma holte. Das 1945 wieder aufgenommene Studium wurde zwei Jahre später abgebrochen. Die Universität konnte ihn nichts lehren, nicht das zumindest, was für ihn brauchbar gewesen wäre: die Literatur wurde von den New Critics nach längst nicht mehr praktikablen Gesetzen kodifiziert; Lyrik wurde fast zu einer akademischen Qualifikation. In diese Zeit fällt der Beginn der Freundschaft Creeleys mit Charles Olson. Beide hatten eine gemeinsame Basis in ihrer Wertschätzung des geschmähten Pound und des ignorierten Williams, deren Theorien sie in fast täglichem Gedankenaustausch – mündlich, brieflich – weiterdachten, ausbauten, den eigenen Möglichkeiten adaptierten. Gewöhnlich nennt man nur Olson als den Gesetzgeber der neuen amerikanischen Lyrik. Gewiß hat Creeley sich offiziell nur spärlich zur Theorie geäußert. Dennoch dürfte manches bei Olson zumindest angeregt sein von Creeley, seinem pausenlosen Monologisieren – „If Creeley’s in town, nobody goes to bed“, hat Ginsberg gesagt –, seinen sanft korrigierenden Briefen. Immerhin soll man wissen, daß Olsons berühmter Essay Projective Verse, die Poetik der neuen amerikanischen Lyrik, die 1950 in Poetry erschien, in den Teilen, die von der Zeile und der Silbe handeln, aus Briefen an Creeley zusammengesetzt ist. Wenn natürlich auch keine Rede von einer Kollaboration Creeleys sein kann, so bleibt doch die Möglichkeit der Anregung – und sicher die Maieutik. Äußerlich dokumentiert sich die wechselseitige Abhängigkeit durch die Widmungen: die Maximus Poems sind Creeley, the Figure of Outward, gewidmet, und Creeley hat Olson seinen bisher einzigen Roman, The Island, dediziert, dazu mehrere Gedichte, so „Le Fou“, mit dem die vorliegende Auswahl beginnt, ein Gedicht über Olson, über die Zeile, über den Atem.
Anfang der Fünfzigerjahre ging Creeley mit Frau und Kindern nach Europa. Er lebte zunächst, etwa anderthalb Jahre lang, in der Nähe von Aix-en-Provence. Schon von Amerika aus hatten sich Kontakte zu Rainer M. Gerhardt hergestellt, die jetzt, durch die persönliche Begegnung, intensiviert werden konnten. Gerhardt gab in Freiburg eine Zeitschrift heraus, fragmente, internationale revue für moderne dichtung, von der E.R. Curtius gesagt hatte, sie sei „das hoffnungsvollste Zeichen, das bis jetzt aus dem Nachkriegsdeutschland gekommen“ sei. Gerhardt war der erste junge Literat, der nach dem Krieg die Brücke zur Neuen Welt wieder schlug, der erste, der Pound, Williams, Olson, Creeley übersetzte und umgekehrt den Amerikanern die neuere deutsche Lyrik – das hieß vor allem Expressionismus, Trakl, Benn – vermittelte. Berühmt geworden ist Gerhardts langes Montagegedicht „Brief an Creeley und Olson“, auf das Olson so scharf replizierte, mit seinem viermal so langen Gedicht „To Gerhardt, There, Among Europe’s Things of Which He Ras Written Us in His ,Brief an Creeley und Olson‘“. Beide Gedichte markieren die Differenz zwischen amerikanischer und europäischer Lyrik – doch zugleich die Möglichkeiten einer Verständigung: durch die Technik der Zeilensetzung. Creeley hat für Gerhardts fragmente zeitweilig als ,associate editor‘ fungiert. Man kann nur mutmaßen, welchen Verlauf die neuere deutsche Lyrik genommen hätte, wenn Creeley länger auf ,undone business‘ hingezeigt hätte, wenn Gerhardt nicht 1954 gestorben wäre.
Von Frankreich zog Creeley nach Banalbufar auf Mallorca, wo er einen kleinen Verlag gründete, The Divers Press. Einen eigenen Gedichtband hat er hier veröffentlicht, The Kind of Act of (1953), Olsons Mayan Letters (1953), Gedichte von Blackburn und Duncan, und vor allem einen Band eigener Stories, The Gold Diggers (1954; die erweiterte, definitive Ausgabe der Geschichten erschien zuerst deutsch, 1964, unter dem Titel Mister Blue; die amerikanische Ausgabe folgte 1965). Das Leben auf Mallorca hat Creeley in dem Roman The Island (1963) beschrieben. Fast jedes Motiv der Geschichten findet sich hier in neuer Konstellation. Das, was vorher in Momentbildern mehr an- als ausgesprochen war, muß sich der Kontinuität der großen Form fügen. So erhält ein und dasselbe einen neuen Aspekt. Wie sich kein Satz Creeleys isoliert lesen läßt, sondern erst aus der Textur des ganzen Gedichts, der ganzen Erzählung, seinen Sinn erhält, so läßt sich vielleicht auch sagen, daß sich keine Geschichte ohne die andere lesen läßt, daß sie alle – zusammen mit den Gedichten und dem Roman – sich wechselseitig erhellen. Creeley schreibt im Kreis, wechselt nur das Medium und folgt den sprachlichen Veränderungen, im jeweils veränderten Kontext (der sich durch den ersten Satz setzt). Im Vorwort zu den Gold Diggers hatte gestanden:

Ich beginne, wo ich beginnen kann und höre auf, wo ich alles von vorn anfangen sehe.

Der Roman trägt ein Motto aus Parmenides:

Es ist alles eins, wovon ich auch den Ausgang nehme, denn dorthin werde ich zurückkehren.

An solcher Gegenüberstellung zeigt sich die Kontinuität der Entwicklung.
1954 kehrte Creeley in die Staaten zurück: Olson, der Rektor, hatte ihn ans Black Mountain College berufen. Creeley unterrichtete dort ,Schreiben‘ bis zur Auflösung des College im Jahr 1956, gab aber vor allem Black Mountain Review heraus, das Treibhaus für die jungen Talente. 1957 erschien sein Gedichtband The Whip, der die bisherigen fünf, bei winzigen Privatpressen verstreuten Gedichtbücher zusammenfaßte. Eine neue Sammlung der Gedichte, For Love, Poems 1950–1960, brachten 1962 Charles Scribner’s Sons in New York heraus, die seither Creeleys Verlag geblieben sind. Die Gedichte aus den letzten sechs Jahren erschienen unter dem Titel Words im Januar 1967.
Seit der Schließung von Black Mountain College hat Creeley an den verschiedensten Schulen und Universitäten Amerikas unterrichtet, in Guatemala, Vancouver, New Mexico. Seit 1966 ist er Professor für neuere amerikanische Literatur an der University of Buffalo.
In einer Notiz über Gedichte hat Creeley geschrieben:

Ein Gedicht ist ein Sonderfall der Verwendungszwecke der Sprache und geht weit über den, der es schreibt, hinaus – bis zur Anonymität irgendeines Liedes am Ende. In dieser Hinsicht könnte es sein, daß der Dichter auf die endgültige Auslöschung seiner selbst hinarbeitet, genau dies zum Lied macht – endlich frei von seiner eigenen Zeit, seinem Ort.

Diese mythische Anonymität läßt sich, scheint es Creeley, nur durch die gewissenhafteste Lokalisierung einholen. Nur das Detail, der geronnene Moment, hat die Chance, zeitlos zu werden, da er durch die Transformation in Sprache zugleich im Fluß gehalten wird und immer neu ,realisiert‘ werden kann. Lyrik setzt allerdings nicht Vorgegebenes in Sprache um: sie verwandelt es, in Sprache. Das heißt aber, daß Creeleys ,Details‘, um ihre Kontemporaneität einzuspielen, aus einem Stoff gemacht sein müssen, der diese garantiert: hier drängt sich die Verwendung gesprochener Sprache (speech) geradezu auf.
Die Schwierigkeiten für die Übersetzung werden dadurch fast unübersteigbar. Denn nicht nur fehlt im Deutschen gesprochene oder Umgangssprache als Literatursprache; die läßt sich erfinden. Schlimmer ist, daß diese Gedichte von ihren Einheiten her übersetzt werden müssen, den Zeilen (so wie Prosa ,Satz für Satz‘ zu übersetzen ist), daß diese Mikro-Einheiten zu größeren Einheiten gruppiert sind, vorwiegend Vierzeilern, und daß gleichzeitig das ganze Gedicht (wiederum als Einheit) sich im natürlichen Fluß gesprochener Sprache lesen oder hören lassen muß. Mehrere linguistische Strukturen liegen also übereinander. Die Syntax des Deutschen sperrt sich automatisch gegen eine adäquate Übersetzung. Gerade die Mehrdeutigkeit des syntaktischen Bezugs, die sich im Englischen durch die Verlaufsform etwa oder die Eliminierung der Relativpronomen erreichen läßt – Möglichkeiten, die Creeley radikal ausnutzt –, muß im Deutschen häufig unterschlagen werden – wenn es nicht gelingt, sie durch einen Trick einzuspielen. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, daß Anfang und Ende, besonders das Ende, der Zeile betont sind. Daraus folgt, daß die für den Sinn, den Klang, den Rhythmus wichtigen Wörter an diese Stellen plaziert werden müssen, zugleich aber den meist ,natürlichen‘, mühelosen Gang der Rede nicht unterbrechen dürfen.
Ein Satz noch zur Wortsemantik. Vom Herzen, zum Beispiel, ist oft die Rede: es hat physische Dimension, keine metaphysische, die wir Europäer automatisch mitdenken. Unsere Literaturen sind ein Bezugssystem aus relativ fixen Symbolen unsere Wörter haben – Literaturgeschichte. Die Amerikaner hingegen wollen in den Wörtern lediglich Zeichen sehen, solches, das Relevanz und Bezug nicht ein für allemal erschöpft hat, sondern sie, von Kontext zu Kontext, ständig erneuert. (Das, was bei uns die Konkreten tun, wäre in der Intention vergleichbar.) ,Herz‘, ,Liebe‘, ,Freude‘, ,Zorn‘, ,Gefühl‘ sind außerdem in einer Sprache möglich, die erst 60 Jahre alt ist, in einer Sprache zumal, die mit dem Sprechen nicht gebrochen hat. Vergessen wir nicht, daß ja die Umgangssprache sich viel häufiger der Abstrakta bedient als der konkreten, mit dem Convenu der Eindeutigkeit befrachteten Wörter. Die Forderung nach Präzisierung hat in der europäischen Lyrik beinah zwangsläufig zu einer Metaphysizierung, mindestens ,Animierung‘, der Dinge geführt; was mit den Dingen gemeint war, dafür interessierte man sich, nicht für diese selbst, mithin für etwas, das das Gedicht vorstellte, ohne es sein zu können. Creeleys Abstrakta sind der Versuch, so konkret zu bleiben, wie die Sprache es erlaubt. Bei allem Raffinement, einem Raffinement, das sich nicht zuletzt in einer Sensibilität gegenüber den kleinsten Abweichungen der Wörter, phonemischen, morphemischen, zeigt, sprechen seine Sätze wie man spricht, nicht wie man schreibt. 

Klaus Reichert, Nachwort

 

Creeleys Gedichte zählen –

neben denen von Charles Olson und Allan Ginsberg – zu den bedeutendsten Zeugnissen der neuen amerikanischen Poesie. Seine Verse sind knapp, pointiert und von einer raffinierten Einfachheit, die sie in die Nähe anonymer Lieder rückt. Bis zu einem gewissen Grad sind sie nur Gesten, aber solche, an denen sich die Möglichkeiten des Überlebens, zu zweit, allein, im Staat, entscheiden. 

Vielleicht wird man, wenn die akademisch vorgesehene Frist abgelaufen ist, auch in Deutschland anerkennen, daß es sich bei Creeley um einen Autor handelt, der entscheidend für die Entwicklung, für die Möglichkeiten der heutigen Literatur ist.
Helmut Heißenbüttel

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1967

 

Pieces of Continuity 

– Zum Werk Robert Creeleys. –

… knowing there is a construct.
Charles Olson, Maximus Poems

We believe a world or have none.
Robert Creeley, Autobiography

1
Im Jahre 1990 erschien Robert Creeleys Autobiographie, gleichzeitig in zwei Ausgaben. Als Band 10 der Reihe Contemporary Authors Autobiography Series der Gale Research Publications und bei Hanuman Books. Letztere ist sozusagen eine Liebhaberausgabe, etwas mehr als hundert Seiten im seltenen Format von 7 x 10 cm, bequem in der Hosentasche unterzubringen. Auf dem Einband ein von Ginsberg aufgenommenes Photo: Creeley blickt betont einäugig und etwas skeptisch – um ein Haar ironisch – über den Rand seiner Brille, die Hände verschränkt auf dem Tisch vor der leeren Schüssel, dieses kleine amerikanische Geschirr, das für die cereals benötigt wird. Das Bild stammt vom Juli 1984, Ginsberg hat es „Creeley patient with me“ betitelt. So verdienstvoll es vom Residenz Verlag war, die Autobiographie auf Deutsch zugänglich zu machen – der Ausstattung zufolge ist sie für einen anderen Liebhaber bestimmt. Kein Bild, 62 großzügig gesetzte Seiten Text, blendend weißes Papier, in himmelblaues Leinen gebunden, augenscheinlich teuer. Trotzdem ein Verlust: Nicht nur, daß sich dieses Buch nicht zur ständigen Begleitung eignet, es läßt auch jene um ein Haar ironische Schlichtheit vermissen, die der Titel bewirkt: Autobiography. Zweifellos ein Echo, William Carlos Williams, „der Doktor“, wie Creeley ihn nennt, hat seine Erinnerungen ebenso unaufwendig betitelt. 

Die Autobiographie ist der letzte in einer langen Reihe von Essays, nicht nur des Umfangs wegen. Alle wichtigen Themen und Motive finden sich wieder; Creeley ist, auch hier, der Autor des unausgesetzten Nachdenkens. Zwischen seinen biographischen und poetologischen Schriften trennen zu wollen ist ebenso unsinnig wie eine einfache Geschichte zu erwarten. 

But it would be truly a fool who presumed any life to be simple consequence, or earned, or understood. It is the pleasure and authority of writing that it invents a life to live in the first place.

schreibt Creeley gleich zu Beginn. Konsequenzen durchaus, aber keine einfachen; eine Trennung von Leben und Schreiben durchaus, aber keine einfache – so, wie sich Creeley mit einfachem Lesen nie begnügt hat. Und wie die Autobiographie bestätigt, hat er sein ganzes Leben mit denselben Zitaten und Gedichten verbracht, in deren Begleitung, um seine Worte zu gebrauchen, in Gesellschaft von Freunden.
Er hat sie unablässig gelesen, alle werden nun noch einmal bedacht. Insofern ist die Autobiographie eine Fortsetzung der Essays, des Nachdenkens. Dessen berühmtestes Ergebnis ist ein Satz aus einem Brief vom Juni 1950, an Charles Olson gerichtet, der ihn, im selben Jahr, in seinem Schule machenden „Manifest Projectiue Verse“, zum Prinzip der „composition by field“ erklärt hat: FORM IS NEVER MORE THAN AN EXTENSION OF CONTENT. Neun Jahre später rechtfertigt Olson in einem Brief an Elaine Feinstein noch einmal die Großbuchstaben; er nennt den Satz die grundlegende Idee seines Programms.
Vierzig Jahre später schreibt Creeley in seiner Autobiographie: 

When young I’d written to Olson with almost pious exclamation: „Form is never more than an extension of content.“ Now I might say equally, „Content is never more than an extension of form.“ It depends, as they say in New England. Back of it all I hear Williams again, saying all those years ago, „why don’t we tell them that it’s fun…“

Das macht die Autobiographie zum Endpunkt der Essays. Die scheinbar schulterzuckende Zurücknahme des mit seinem Namen verbundenen Programms provoziert die Frage nach der Kontinuität in Creeleys Werk. 

Die erstaunliche Relativierung steht am Ende der Autobiographie, was noch folgt ist ein Blick auf die Kinder, die in einer ihm schon nicht mehr erreichbaren Welt leben, und eine Episode aus den letzten Tagen Olsons, auf dem Weg in eine noch weiter entfernte Welt. Robert Duncan besucht Olson im Krankenhaus, in der altmodischen Hoffnung, ihm beim Sterben beistehen zu können. Creeley zitiert Berrigan, um ihr gemeinsames Gefühl zu beschreiben: „I’d like to take the whole trip“. – Das Leben als Reise, das ist eins der wichtigsten Motive nicht nur der Autobiographie, sondern der Lyrik Creeleys überhaupt.
Rückblickend auf Prosa und Essays, all die Gedichte (auch ein Theaterstück) und inzwischen zehn Bände Briefwechsel zu Lebzeiten, liegt die These nahe, daß jene erstaunliche Passage nichts anderes ist als das folgerichtige Ergebnis dieses langen Nachdenkens. Und somit weder als Rücknahme noch als Relativierung, sondern als Ergänzung, als Vervollständigung gelesen werden muß. Ein spätes Gedicht, das auf Robert Frosts „The Road Not Taken“ reagiert, endet mit den Zeilen: 

Had he walked
another way,
would he be here,
like they say.

It depends, as they say: kein einfacher Zusammenhang. Frost blickt auf die Kreuzung in der Gewißheit, nur einen der Wege gehen zu können. Und da nicht auszumachen ist, wohin der nicht begangene führt, bedeutet die Kreuzung das Ende nicht absehbarer Möglichkeiten. Was die beiden Gedichte trennt, ist der Zeitpunkt des Sprechens. Frost nimmt, noch vor der Entscheidung über den Weg, die Ankunft vorweg. Creeley blickt zurück und auf Frost, er eröffnet sein Gedicht mit den Versen: 

He comes here
by whatever way he can…

(…)

3.
Williams’ „Why don’t we tell them that it’s fun“ steht für eine Realität, die von außen, von den Lesern, so nicht wahrgenommen wird. Das Vergnügen der letzten Umkehrung, das Vertauschen von Form und Inhalt in einem Satz, der die Sicht auf die Welt in ein ästhetisches Programm transformiert, ergibt sich aus der Möglichkeit, auf diese Weise noch eine Welt zu gewinnen. Die Möglichkeit ist zuerst auf den einzelnen beschränkt, denn sie resultiert aus „words moving in mind’s recognition with hody’s weight and measure“. Eigene Erlebnisse derartig wichtig nehmen zu können, ist ein Privileg; Creeley hat sich oft genug gewundert, daß es den Dichtern gelingt, ihr Dasein zu betrachten, als ob etwas davon abhängen würde, das über ihr eigenes Dasein hinausgeht – und daß sie auf diese Weise auch noch versuchen, ihre Nutzlosigkeit zu rechtfertigen. Noch in der Autobiographie heißt es „unsere Nutzlosigkeit“. 

Das Festhalten an dieser Ansicht läßt sich leicht dem Stichwort „puritanisch“ zuordnen, eine Kategorie, die im Umgang mit dem in Massachusetts geborenen Creeley häufig gebraucht wird. Aber das Mißtrauen sitzt tiefer (wenn das geht, angesichts dieser Vokabel), und Creeley selbst hat es wohl am besten ausgedrückt, im Titel eines seiner Essays: 

Was That a Real Poem or Did You Just Make It Up Yourself? 

Auch dort läßt sich, in leicht variierter Form, jener Ausspruch vom Williams nachlesen. Er bestätigt das Beharren auf vereinzeltem Vergnügen, das sich in manchen Fällen dem Verständnis anderer vollständig entzieht. (Aus einer solchen Episode ist der Titel des Essays hervorgegangen.)
Gedichte werden als Instrumente persönlicher Wahrnehmung beschrieben; „the poet thinks with his poem, in that lies his thought“, wird ein weiteres Mal Williams zitiert. Die ursprünglich vereinzelten Texte bilden eine Spur des Denkens, Beweise für „feelings and thoughts otherwise inaccessible“. – Aus alldem könnte man leicht eine privat-esoterische Poetik konstruieren, wäre da nicht der beharrlich zweifelnde Ton – und wären da nicht die Gedichte. 

Die Reihe der Freunde und Kritiker, die Creeley eine eigene, eigenwillige, unverkennbar persönliche lyrische Sprache bescheinigt haben, ist lang. Williams Urteil, „the subtlest feeling for measure that I encounter anywhere except in the verses of Ezra Pound“, und Ashberys „as basic and necessary as the air we breathe“ sind die Spitze des Eisbergs.
In einer ausführlichen Studie über Intraspection and Contemparary Poetry hat Alan Williamson die These formuliert, daß der hohe Grad des individuellen Sprechens den Leser zwingt, die Grenzen der Interpretation zu überschreiten und am Ende auch Schlußfolgerungen zu ziehen, die im weitesten Sinne die Moral betreffen, die Grundlagen des Zusammenlebens. Kompromißloser Narzißmus, so Williamson, sei notwendig, um Shakespeares „I am that I am“ von einer Tautologie in den Umriß einer Persönlichkeit zu verwandeln. Es liegt an dieser Voraussetzung, daß Creeley, zu Recht, in Williamsons Buch keine Rolle spielt.
Creeleys individualistische Poetik ist eher das Ergebnis von Selbstzweifeln, von nur zögerndem, momentanem Vertrauen zu sich, noch viel weniger zur Welt. Eine Entgegensetzung, die in seinem Falle ohnehin nur sinnvoll erscheint, wenn das Ich als Teil der Welt (auf keineswegs einfache Weise) vorausgesetzt wird. 

4
Das bestimmende formale Moment der frühen Lyrik Creeleys ist das Zögern. Die bestimmenden Themen sind durch die Titel der beiden wichtigsten frühen Bände bezeichnet, For Love (1962) und Words (1967). „The struggle into love and the struggle with love“, zu Recht ist Lawrenc’ Satz über Hardy, auch auf Creeley angewandt worden. Creeley trägt seine Übungen im genauen Sehen mit mitunter schmerzhafter Gründlichkeit vor; Ginsberg hat „The Operation“ als Beispiel für eine Poetik angeführt, die aufrichtiger Genauigkeit verpflichtet ist. Ein Gedicht über den Versuch, am Krankenbett entgegen allen Anzeichen eine Ermutigung zu sein.
Die beiden letzten Zeilen lauten: „Cruel, cruel to describe / what there is no reason to describe“ – und sie scheinen das Gedicht nachträglich überflüssig zu machen. Es hält aber, durch diesen Schluß, den Augenblick der Erkenntnis fest: alle Anstrengung ist ohne Einfluß auf das Geschehen.
„The Business“, ein sehr frühes Gedicht, hat Modellcharakter. 

THE BUSINESS

To be in love is like going out-
side to see what kind of day 

it is. Do not
mistake me. If you love 

her how prove she
loves also, except that it 

occurs, a remote chance on
which you stake 

yourself? But barter for
the Indian was a means of sustenance. 

There are records. 

Jede neue Wendung der Worte, durch die wirkungsvollen Zeilenbrüche verursacht, erweitert das Thema, fügt ihm einen weiteren Aspekt hinzu, der sich zwingend aus dem Vorangegangenen ergibt. (Es ist kaum möglich, nur zwei Zeilen aus diesem Text zu zitieren. Sie belegen immer zu wenig, und der Erklärungsaufwand für das Ausgelassene ist in jedem Fall zu groß.)
Während die erste Zeile noch als optimistische These gelesen werden kann, endet die dritte schon mit einer bedenklichen Warnung: unmißverständlich ausgesprochen im folgenden Vers, liest man ihn für sich. Trotz dieser Warnung erfordert der Satzanfang im vierten Vers das Weiterlesen, es wird syntaktische Spannung erzeugt. Eine schwache Chance wird dem Zufall eingeräumt: daß Liebe mit Liebe erwidert wird, kommt vor. Die Regel aber besagt etwas anderes. Mehr noch, die Ausnahme scheint gegen die Natur gerichtet. Der Tausch, so die Belege, ermöglichte das Überleben.
Bei all den Deutungsmöglichkeiten, die der Schluß zuläßt, ist das Bemühen um eine allgemeine Aussage doch nicht zu übersehen. Insofern entspricht die Schlußwendung dem ersten Vers. Andererseits stehen sich Anfang und Ende zwar als streng aufeinander bezogen, aber kaum vermittelbar gegenüber, so wie jede neue Hoffnung auf erwiderte Liebe konfrontiert wird mit den Beweisen der Unmöglichkeit. 

Creeley ist, wie in der Prosa, gerade um jene Momente bemüht, in denen das Wunder sichtbar wird: Er ist bemüht um die Beschreibung des Augenblicks, in dem der Alltag durchbrochen wird. Der Versuch, sich Gewißheit über ein Wunder zu verschaffen, das ist nicht nur in diesem Gedicht nachzulesen, ist mit einem übergroßen Risiko verbunden, Creeleys frühe Lyrik ist immer dann unerreicht, wenn sie Spuren der Gewißheit festhält, und sei es nur ein Beleg dafür, daß das Wunder vergangen ist. „Something“ ist ein Beispiel dafür, die Beobachtung der Entfernung voneinander, da permanente Nähe unmöglich ist; „For Rainer Gerhardt“ ist ein solches Gedicht, das die Suche nach Worten vorführt, die das Gefühl der Gewißheit nicht beschädigen: 

Impossible, rightly, to define these
conditions of
friendship, the wandering & inexhaustible wish to
be of use, somehow
to be helpful 

when it isn’t simple, – wish
otherwise, convulsed, and leading
nowhere I can go.

Die Form des Gedichts ist ganz von dem nachdenklichen Stottern bestimmt, das der Versuch einer Definition hervorruft. Aber es ist alles andere als die allmähliche Verfertigung eines Gedankens beim Sprechen. Es ist die Angst, den komplexen Gedanken durch das Aussprechen bis zur Unkenntlichkeit zu vereinfachen, und der Vereinfachung so Gültigkeit zu verleihen: nicht Kleist, sondern Benjamin. Selbst die Feststellung der Unmöglichkeit verursacht noch Schwierigkeiten.
Am Ende des Gedichts wird der Freund angesprochen, mit dem Eingeständnis, es könne vielleicht ein gegenseitiges und gemeinsames Widerstreben sein, ein Mißtrauen den eigenen Gefühlen gegenüber, das das klare Aussprechen verhindert – und gerade so verbindet. Gewißheit wird nicht erreicht, wodurch das beschriebene Gefühl noch glaubwürdiger wird, überzeugend in seiner Aufrichtigkeit. „Nothing counts save the quality of the emotion“, wie Creeley zu schreiben pflegt. 

5
„Nothing matters but the quality of affection“, heißt der Vers in Ezra Pounds Cantos, und daß Creeley ihn mehrmals scheinbar falsch zitiert, belegt den hohen Grad der Vertrautheit. Creeley hat die Zeile mit einem anderen Satz Pounds verbunden, „Only emotion endures“, und zitiert mit offensichtlichem Selbstvertrauen auswendig. Daß an solchen Stellen kein Zögern zu bemerken ist, signalisiert Gewißheit als Ergebnis von Besitzergreifung. Diese Art von Aneignung gehört zu den faszinierendsten Eigenarten des Werks, sie erstreckt sich auf alle Bereiche. Creeley beerbt seine Freunde und Vorbilder auf eigenwillige und sehr produktive Weise. (Produktiv steht hier auch für den Aufwand an abtastender, nach-denklicher, kritischer Prüfung, der in dem Briefwechsel mit Olson am deutlichsten sichtbar wird, an manchen Tagen drei Briefe, die Fragen der Metrik, des Atems, der Versform gewidmet sind.)
Trotz des Studiums in Harvard hat sich Creeley in Bibliotheken nie wohlgefühlt: Vor allem die Ergebnisse des eigenen Nachdenkens erscheinen ihm immer wieder überprüfungsbedürftig, immer wieder kehrt er zu den Ausgangspunkten zurück, entfernt sich von den sicher geglaubten Thesen und Grundsätzen, um sie aus neuer Perspektive zu betrachten. Pound gibt für diesen Vorgang das Motto ab: „What thou lovest well remains, / the rest is dross…“: Creeley hat es seinen Gesammelten Essays vorangestellt.
Die beiden bedeutendsten Bezugspunkte neben Pound sind William Carlos Williams und Charles Olson. Besonders die Beschäftigung mit Williams ist durchgängig in der Lyrik zu verfolgen. Im Lichte neuer Lektüre und Erfahrungen wird auch das Verhältnis zu seinen Gedichten ständig neu bestimmt (vermutlich, um zumindest diese Sicherheit zu erhalten).
In dem vom Rückblick bestimmten Band Later (1979) wird der Vorgang besonders deutlich. Sein Titel, das fast elegische Motto aus Kavanaghs Prelude, „Count then your blessings, hold in mind / All that has loved you or been kind…“, und das erste Gedicht, Myself, geben die Stimmung für alles folgende vor: 

What, younger, felt
was possible, now knows
is not – but still
not changed enough –

Das Selbstbildnis des eröffnenden Gedichts balanciert zwischen den uneingelösten Möglichkeiten und dem, was über die Jahre verläßlich geblieben ist. Der Rückblick wird durch datierte Gedichte und exakte Benennung von Orten und Personen ergänzt, Stationen einer auch poetologischen Reise. In Thinking of Walter Benjamin ist die letzte Strophe kursiv abgesetzt, Creeley spricht seine Zuschreibung an den scheinbar entfernten Denker auch für sich selbst aus: 

I know
a story
I can tell
and will. 

Da ist Williams’ Erwähnung unvermeidlich. Und in diesem Fall wird sogar der Titel des Bandes an ein Williams-Zitat gekoppelt, um die Bedeutung zu unterstreichen.
„This is just to say“ ist eines seiner bekanntesten Gedichte, und kann – auch seiner Vollendung wegen – stellvertretend stehen für die Liebe zu den substantiellen Objekten, für Creeley ganz sicher das wichtigste Kennzeichen der Poetik des Vorbilds.
In dem Gedicht „Peace“ heißt es: 

… I wrote

a book once, and was
in love with
substantial objects.
No more, I can 

get out of here
or come here
or go there
or here, in five minutes. 

Later. This
is just to say I was
something or other, and you dig it,
that’s it, brother.

Der so Angesprochene taucht schon zu Beginn des Gedichts auf, man wäre andernfalls leicht versucht, den beiden letzten Zeilen ausschließlich autobiographische Bedeutung zuzuschreiben. Es war Williams, der Creeley entscheidend ermutigt – und ihn mit Olson bekannt gemacht hat. Later – das Wort im Gedicht und der Band im Kontext des Werkes – markiert den Rückblick. Die Erinnerung (das Bild in der Vergangenheit) ist deutlich erkennbar, aber die Bestimmung ihrer Bedeutung wird dem Leser überantwortet. (Creeley beteiligt sich daran mit den Gedichten.) Einige feste Punkte sind aber zweifelsfrei auszumachen, in diesem Fall: wieviel der (poetische) Umgang mit den Dingen Williams verdankt.
Sicherlich waren die Ermutigungen des deutlich älteren Williams’ für Creeley ein wichtiger moralischer Halt, eine dringend benötigte Rechtfertigung für die Durchführung eines poetischen Unternehmens. Zum anderen war Williams den thematischen Vorlieben Creeleys wesentlich näher als Pound oder Olson. Vor allem aber war seine Lyrik ein Maßstab, der immer wieder zur Überprüfung herangezogen werden konnte.
Creeley hat das vor der Literaturwissenschaft entdeckt, und ehe er Williams zum ersten Mal schrieb. Hier war ein Vorbild, das die Dinge des Alltags in der Sprache des Alltags beschrieb, das sich von den alten Formen befreit hatte, ohne formlos zu sein. „All verse must be governed by some measure“, kann als der Ausgangspunkt für Creeleys Überlegungen gelten. 

6
Creeley knüpft an das alltagsnahe und dennoch rhythmische Sprechen Williams’ an. Beeinflußt durch den Jazz (Creeley hebt Charlie Parkers Technik, die Pause als gleichberechtigten Ton zu verwenden, hervor) entwickelt er eine Betonung gegen den erwarteten Sprechrhythmus, deren auffälligstes Kennzeichen die starke Akzentuierung von gewöhnlich unbetonten Partikeln am Versende ist. Ein Mittel, das auch Williams häufig genutzt hat: Creeley erweitert diese Arbeit gegen die Erwartung auf ganze Verse und Gedichte. Ergänzt durch die Zeilenbrüche entsteht so jene Spannung zwischen Text und Betonung, die den Eindruck ständigen Zögerns hervorruft.
Das Verfahren wird (theoretisch) ergänzt durch Olsons Definition der Kinetik der Sache: 

the kinetics of the thing. A poem is energy transferred from where the poet got it.

Wenn also kein Grund für das Zögern vorhanden ist, zögert Creeley auch nicht. Wie in der Eröffnung eines seiner durch Ehrlichkeit beeindruckenden Liebesgedichte zu beobachten ist, „The Crisis“: 

Let me say (in anger) that since the day we were married
we have never had a towel
where anyone could find it,
the fact. 

Notwithstanding that I am not
simple to live with, not
my own judgement, but no
matter.

In der ersten Zeile werden naheliegende Brüche übergangen, der Vers verlangt, in einem Atemzug gesprochen – vorgebracht zu werden. Die Sprachmelodie der drei folgenden Zeilen ist strikt an die klare Argumentation gebunden; die Unordnung im Badezimmer ist damit eindeutig belegt. Der Vorgang des Energietransfers ist kaum schöner zu illustrieren: Sobald es an die Andeutung der Selbstkritik geht, ist das Zögern da. Das verhaltene Eingeständnis soll die Kritik mildern, ohne den eigenen Standpunkt zu schwächen. Man kann das hören. 

„It is all a rhythm“, heißt es programmtisch in „The Rhythm“, dem Gedicht, das Words eröffnet. Der Band enthält, wie sein Titel vermuten läßt, etliche poetologische Gedichte. In For W.C.W. wird Reim als „repeated / insistence“ definiert, in „The Language“ steht die hintersinnige Leseanweisung „Locate I / love you some- / where“, die im folgenden Gedicht ergänzt wird durch „Position is where you / put it“, und das reichlich abstrakte „The Pattern“ endet mit den Zeilen: „It / was an idea / of mine“.
Doch gerade diese Gedichte sind nicht typisch für Creeley, denn bei aller theoretischen Bewußtheit ist sein poetisches Interesse nicht auf die Theorie gerichtet. Sie entsprechen allerdings seinem ständigen Bemühen um einen sicheren Standpunkt, um Gewißheit. Die Vergewisserung ist hier ausgedehnt auf das eigene Dichten.
Das geradezu spannende Moment liegt aber in Gedichten wie „The Measure“, in dem es heißt: 

I cannot
move backward
or forward.
I am caught 

in the time
as measure.

Dieses Gefangensein in der Zeit definiert den Moment als das Maß der Dinge – und damit des Gedichts. Die Welt wird in Einzelteilen wahrgenommen, in kleinen Ausschnitten, in Stücken. Pieces ist eine häufig gebrauchte Vokabel in Words, ein Gedicht ist so überschrieben, ein anderes heißt „A Piece“, das letzte Gedicht des Bandes heißt „Fragments“.
Es vereint drei scheinbar unzusammenhängende Momente; tatsächlich werden sie durch einen überraschend engen gedanklichen Bogen zusammengehalten. (Ein Kompositionsprinzip seit der frühen Prosa, das vermutlich auf die Lektüre von Flauberts Trois contes zurückgeht.) Das Gedicht erscheint (im Gedicht) als vergebliche Anstrengung, einst begangene Fehler wiedergutzumachen: wenn überhaupt, dann ist dies nur durch einen glücklichen Moment möglich. „Fragments“ ist das (ungeschriebene) Vorwort zu Creeleys nächstem Band. Er trägt den Titel Pieces. 

7
Die Periode zwischen Pieces (1969) und Hello (1978) muß, zumindest aus der Sicht der Literaturhistoriker, als umstritten bezeichnet werden. Erstaunliche Einigkeit besteht allerdings bei der Feststellung, Pieces kennzeichne einen Bruch im Schaffen Creeleys. Kaum ein Kritiker wollte sich der Anstrengung aussetzen, immer wieder mit Creeleys Alltag konfrontiert zu sein, mit dem Gedanken, daß weder die Dinge noch die Ereignisse eine Bedeutung an sich haben.
Viele der Gedichte sind minimalistische Aufschreibungen, gänzlich vereinzelte Beobachtungen, Gedankensplitter, die nur der Widerstand der Sprache vor dem Vergessen bewahrt: plötzliche Zweideutigkeiten der Beschreibung, überraschend abstrakte Bezüge, hinterhältiges Festhalten am Zufall, manches Mal enthüllend. 

Lynn Keller spricht von der „sorglosen Offenheit“ des Werks, die dem Leser weder eine formale Herausforderung noch eine Möglichkeit zur Identifikation biete. Die Schärfe ihrer Kritik, Creeley wisse nichts mit der beobachteten Banalität anzufangen, und die Wiederholung des Banalen verursache Stumpfsinn, ergibt sich aus dem hohen poetischen Wert, den sie dem Frühwerk zumißt: die Sorgfalt ihrer Studie macht die Auseinandersetzung lohnend.
Creeley hält die Angst vor dem Verlust der Kohärenz für ein Kennzeichen der Moderne. Die Kehrseite dieser Angst ist das Bemühen um Abgeschlossenheit, die Anstrengung, zu einem Ende zu kommen, die er einmal als grundlegendes Muster der Moderne bezeichnet hat. Aus dieser Sicht markiert der 1969 erschienene Band Pieces tatsächlich eine Wende. Sie scheint so offensichtlich, daß die kontinuierliche Fortsetzung der Bemühungen nur zu leicht übersehen wird.
Eine argumentative, das Denken nachzeichnende Struktur, wie sie sich in etlichen der frühen Gedichte findet, ist in den Bänden nach Pieces kaum noch anzutreffen. In einigen Abschnitten werden keine Überschriften verwendet, stattdessen trennen größere Freiräume oder Punkte die Texte voneinander. Die Beobachtungen erscheinen nicht reflektiert, die Intensität eines Eindrucks wird zum Auslöser des unmittelbaren Aufschreibens, wenige Zeilen nur. Dazwischen finden sich kleinere Prosatexte, Notizen beim Lesen, Notizen zum Schreiben, Anmerkungen zum Alltag. Dennoch ergibt jeder Band am Ende ein Ganzes, Creeley ist sich dessen zweifellos bewußt gewesen. 

Creeleys Pieces sind eine Sammlung von Belegen fürs Dasein. Daß dem Sammeln ein Plan unterliegt, verfälscht die Wahrnehmung. Aber ist es nicht unvermeidlich, daß die einzelnen Teile, lange genug gesammelt, ein Bild ergeben, wie unvollständig auch immer?
Das Verfahren der frühen Bände, das Denken vorzuführen und sich dabei zu beobachten, wird nun verwandelt in den Versuch, vom Denken abzusehen und sich zu sehen wie man ist: das Interesse ist dasselbe, aber das Nach-Denken wird verschoben. Weder wird eine Wahrnehmung präformiert, noch wird sie hinterher über den aktuellen Kontext hinaus gedeutet. (Die Deutung ergänzt die Beobachtung nicht, wiewohl sie dem Leser als mögliche Interpretation zur Verfügung steht.) Occasion wird zur zentralen Kategorie, die wohl radikalste Umsetzung des Energietransfers, von dem Olson gesprochen hat.
Bedenkt man Creeleys Unterscheidung zwischen Roman und Story, ist die weitere Fragmentierung seiner Gedichte nichts anderes als konsequent. Das Unternehmen ist die poetische Antwort auf Heisenbergs Unschärferelation: die Versuchsanordnung beeinflußt unausweichlich die Ergebnisse.
Noch in größerem Maße als zuvor ist die Form vom Inhalt abhängig, unter diesen Umständen kann kein Muster vorgegeben sein. Und auch der (inhaltliche) Rückgriff auf mythische Muster, der noch Eliots Weltentwurf mit Ordnung und Bedeutung versah, verbietet sich von selbst. Denn solche Muster sind vorgefertigt, und die Erscheinungen der Welt werden ihnen zugeordnet: was mehr als ausreichend Ursache für Unschärfe ist.
Creeleys Vorstellung ist in dem Gedicht „p.s.“, ganze zwei Zeilen lang, angedeutet: 

P.S.

Thinking of Olson – „we are
as we find out we are.

Das leicht veränderte Zitat aus den Maximus Poems zeigt, daß die Definitionsversuche vom Auf- und damit Festschreiben abgelöst worden sind. Das schriftliche „so ist es gewesen“ liefert den Beweis fürs „So-sein“, weniger tautologisch als es den Anschein hat.
Schon sehr früh spielt bei Creeley der Gedanke eine Rolle, ein vergangenes Ich in den Gedichten erkennen zu können – was zumindest Gewißheit verschafft über den, der er nicht mehr ist. Im Vorwort zu The Charm (1967) heißt es über die Gedichte: 

Selfishly enough, I can often discover myself here in ways I can now enjoy having been

Die Sammlungen werden zu Tagebüchern. 

Die formalen Implikationen des Vorhabens sind weitreichend. Die Konzentration auf den Moment soll einer reflexiven Verfälschung der Wahrnehmung vorbeugen. Der häufige Gebrauch der „einsilbigen Zeile“ ist ein Zeichen dafür, ebenso, auf einer anderen Ebene, das Fehlen der Seitenzahlen in A Day Book (1972).
Die tagebuchartige Sammlung ist in zwei Kalenderblätter gebunden, 1968, November 19, Tuesday–1971, June 11, Friday. Der erste Teil besteht aus Prosa, der zweite, mit einem Motto von W.C. Williams überschrieben, aus Gedichten. Der Verzicht auf Seitenzahlen ist der Versuch, Gleichberechtigung zu erzeugen, die Folge bis zur Ununterscheidbarkeit kontinuierlich zu gestalten. Der Moment des Lesens im aufgeschlagenen Buch ist ganz gegenwärtig, ohne vorgegebene präzise Orientierung, die Bedeutung des Hier und Jetzt wird betont. Die Chronologie der Tage ist für das Buch so bedeutungslos, wie sie es im Augenblick der Beobachtung, des Aufschreibens war.
Es ist diesem Umstand geschuldet, daß A Day Book später in zwei Sammlungen aufgeht. Der erste Teil steht, unter dem ursprünglichen Titel in der Gesammelten Prosa, der zweite unter dem ursprünglichen Untertitel „In London“ in den Gesammelten Gedichten. (Die Überlegung ist, zugegeben, so romantisch wie fragil: Durch dieser Art von Konsequenz entschädigt sich Creeley für das Vorhandensein von Seitenzahlen.)
Das auch logische Ende der Reihe bildet der Band Hello: A Journal, February 29–May 3, 1976, das Ergebnis einer Reise durch neun Länder, die Creeley in dieser Zeit unternommen hat: ein amerikanisches Unternehmen, wie er sagt, „there is a sense, I think, in which Americans still presume the world as something to look at and use, rather than to live in“. Der jeweilige Aufenthaltsort ist angegeben, alle Texte sind datiert. So entsteht ein im Grunde narratives Gerüst, das die Momente verbindet. Weiter läßt sich das Konzept occasion nicht führen, es stößt hier an das erzählende lange Gedicht. 

8
Wenn in den kurzen Pieces das Zögern fehlt, so liegt es daran, daß der Moment ihm keinen Raum bietet. Robert Hass hat über den Band Pieces gesagt, er sei eine Meditation über die Zeit. Das gilt für die zugrunde liegende Idee wie für das scheinbar von allen Ideen unabhängige Ergebnis. In der Autobiographie schreibt Creeley, es sei ihm darum gegangen, das (Aus-)Maß und den Ort des gewöhnlichen Lebens zu erkennen. „I say time, to mean space“, hieß es in einer seiner ersten Erzählungen.
Zwischen diesen beiden Größen: Zeit und Ort (nicht: Raum) hält sich das gesamte Werk Creeleys auf. Sie sind durch das Motiv des Echos miteinander verbunden, das sich von den ersten Gedichten bis in die Autobiographie kaum verändert hat. Sein Wert liegt in der Universalität, das Echo verbindet und überbrückt Orte ebenso wie Zeiten.
Am eindringlichsten hat Creeley diesen Zusammenhang in seinem Berliner Vortrag „I’m given to write poems“ (1967) dargestellt. Die Feststellung „I used books as a very real place to be“ findet sich in mehreren seiner Essays; der Berliner Vortrag besticht durch die Vielzahl der Belege, Creeley zitiert ein Gedicht Robert Duncans, das ein Echo seiner eigenen Vorstellungen sei: 

Often I am permitted to return to a meadow 

as if it were a scene made-up by the mind
that is not mine, but is a made place,

that is mine… 

Sowohl die Möglichkeit der Rückkehr zu diesem Ort als auch der Umstand, daß er „gemacht“, künstlich hergestellt ist, faszinieren Creeley. Die Intensität der poetischen Anstrengung ist so groß, daß das Ergebnis real wird, dauerhaft und erreichbar als Ort. Das ist ein Maßstab des Gelingens. (Bei Duncan deutlich angesprochen, aber von Creeley hier nicht aufgegriffen, ist das Aneignen der fremden – nicht eigenen – Welt. Dieser Aspekt ist jedoch in Creeley wiederholtem Insistieren auf company aufgehoben: Dichter, die dem Dichter erreichbar sind, weil ihre Welt der seinen gleicht.)
In Creeleys Vorstellung vom Gedicht als Wunder physischer Präsenz. Wenn aus den Worten Dinge geworden sind, finden sich diese Überlegungen wieder: 

It is equal wonder when the rhythms which words can embody move to like echo and congruence. It is a place, in short, one has come to, where words dance truly in an information of one another, drawing in the attention, provoking feelings to participate.

Creeley hat sich den Zugang zu seinen Orten sehr früh durch eine unverkennbar eigene Stimme gesichert. Sie ist nie laut, aber immer verläßlich. Verläßlich auch in ihrer Unsicherheit. Es wird nichts in Metaphern verkleidet, nichts hinter Symbolen versteckt; das Sprechen ist so direkt wie möglich. So direkt der Gedanke das Gefühl erreichen kann. Die Sprache ist schmucklos, schlicht, was nicht bedeutet, Creeley sei der Verfasser einfacher Gedichte. Dazu sind seine Sätze zu lang oder zu kurz, dazu kommt er zu oft mit zu wenig Verben aus, dazu unterbricht er sich zu häufig.
Die Poesie der manches Mal so formlos scheinenden Gebilde verdankt sich dem Klang. „Listen to the sound that it makes!“ So, wie sich die Wirkung einer Stimme gerade aus der kaum beschreibbaren Eigenschaft Klang ergibt, gründet sich Creeleys poetische Meisterschaft vor allem auf den Rhythmus des Sprechens, auf seine natürliche Musikalität. Natürlich, weil ihr Maß der Atem ist, der die Länge einer Zeile bestimmt. Mit der Rückkehr zu längeren – „offensichtlicheren“ – Gedichten wird das unüberhörbar: 

I take the world and lose it,
miss it, misplace it,
put it back or try to, can’t 

find it, fool it, even feel it.
The snow from a high sky,
grey, floats down on me softly. 

This must be the edge
of being before the thought of it
blurs it, can only try to recall it. 

Das Unternehmen der vorangegangen Bände ist im Spätwerk nicht aufgegeben. Es scheint unmöglich, eine Erfahrung festzuhalten ehe die Reflexion von ihr Besitz ergreift. Creeley hält das Dilemma bewußt und versucht dennoch, Gefühle zu beschreiben, sie in der Sprache zu erfassen.
Schon die Titel der vier letzten größeren Bände, Mirrors, Memory Gardens, Later und Windows legen die Vokabel Spätwerk nahe, eine Standortbestimmung im Rückblick. Windows wäre, mit kritischem Blick aufs Wörterbuch, wohl am besten mit Ausblicke übersetzt: der Blick hinaus erfaßt das Gewesene, Geschriebene, und geht darüber hinaus. Die Stimmung dieser Bände ist – wenn nicht programmatisch, so keinesfalls zufällig – in einem Gedicht zusammengefaßt, das einen Moment beschreibt, in dem die Wirkung der Worte sich mit der der Musik vermischt. 

ON A THEME BY LAWRENCE,
HEARING PURCELL 

Knowing what
knowing is, 

think less
of your life as labor. 

Pain’s increase,
thought’s random torture, 

grow with intent.
Simply live. 

Das liest sich leicht als Ratschlag, und verliert auf diese Weise. Zuallererst spricht der Dichter zu sich. Viel eher als um eine Altersweisheit handelt es sich um das, was zu hören ist, wenn – kein einfacher Zusammenhang – Lawrence von Purcell aufgegriffen wird. Kontemplativer Impetus und didaktische Geste halten sich die Waage. 

9
Die zunehmende Sicherheit des Sprechens in den letzten Bänden ergibt sich aus der Verläßlichkeit der Ungewißheiten ebenso wie aus der Gewißheit der Unausweichlichkeiten. Der einzelne Moment wird nun zusammen mit anderen wahrgenommen, was immerhin die Möglichkeit einschließt, ihn zu bewahren:

RETROSPECT

Thanks for
what will be
the memory
if it is.

Die Bedeutung der Gegenwart ist unergründlich wie je, aber nun, da all die Einzelteile gesammelt sind, stellt sich ein Bild des Vergangenen ein: aus dem Creeley zuerst den Umstand hervorhebt, daß lange nicht alles in Erinnerung verwandelt worden ist. Dem Gefühl von Ankunft, wenn das nicht schon zu viel gesagt ist, haftet nur deshalb nichts Gespenstisches an, weil Creeley an schon altmodischer Redlichkeit festhält, weder Gefühl noch Intellekt betrügen will. Und so kann er unter der Überschrift „Funny“ mit einer unerlaubten Frage beginnen, „Why isn’t it funny when you die“, und mit einer unterdrückten Beobachtung enden:

You’re waiting, watching them go,
know there’s an end to it

Kein beschaulicher Betrug. Die Finnen, berichtet er gegen Ende der Autobiographie, behaupten, Tschernobyl habe keine Auswirkungen auf ihr Land gehabt, weil es an jenem Tag nicht geregnet habe. Als Variante erzählt er von Briefen, die Jane Harrison dem sterbenskranken Jaime d’Angulo gesandt habe: Bald wirst Du bei ihnen sein, Homer, Hesiod… – „We believe a world or have none“, lautet der Kommentar.
Creeley spricht, nun da es vorhanden ist, ein klares Empfinden klar aus, unsentimental, nicht unempfindlich. Die Differenz ist ihm durchaus bewußt; er kann es nicht lassen, das Geständnis, er liebe Ginsbergs Zeile „And the sky above, an old blue place“ durch den Hinweis auf Zukofsky zu ergänzen, der Bedenken gehabt hätte gegen ein Schreiben wie dieses, „because it fouls up the gauges, makes them stick“. Die Kinder, auf die er am Ende seines Lebensberichts blickt. erreichen Orte, zu denen „wir ihnen nicht wirklich folgen können“.
Es ist diese Einsicht, die einem seiner schönsten (und kürzesten) Gedichte unterliegt: 

FOR THE WORLD THAT EXISTS 

No safer place to live than with children
for the world tha t exists.

Vermutlich erhöht sich die Wirkung dieser Zeilen, wenn man um den Lebenslauf Creeleys und den späten Zeitpunkt der Entstehung (und auch noch um die Parallele in der Autobiographie) weiß. Aber allein der Verlockung widerstanden zu haben, „for the world to come“ zu schreiben. und stattdessen das „exist“ zu verdoppeln – die beiden Zeilen entsprechen ja nur wörtlich einander – zeigt, daß Creeley es versteht, so aufrichtig wie genau zu sein.
Nichts von der frühen Verwunderung über das Dasein ist verschwunden, viele der späten Gedichte lassen sich in direktem Anschluß zu den frühen Erzählungen lesen. Aber es ist eine Gewißheit hinzugekommen, die sowohl vom Rückblick auf das Werk und die Freunde als auch vom Ausblick auf die Kinder bestätigt wird.

… What wonder

more than

to be where you are,
and to know it?
All’s here.

In einer Notiz kurz vor seinem Tod hält Olson fest: 

the Figure of Outward means way out way out
there the
,World‘

„The Figure of Outward“ ist Hobert Creeley, so bezeichnet in der Widmung der Maximus Poems. Und tatsächlich hat Creeley rückblickend selbst befunden, er hätte viel seßhafter sein sollen:

I should have stayed put much more than Lever managed to.

Dennoch ist es erstaunlich, daß ausgerechnet Olson ausgerechnet diesen Befund notiert. Denn im Gegensatz zu Olson hat sich Creeley in seinen Gedichten zumeist auf das Naheliegende, ja Nächstliegende beschränkt. Und selbst wenn er in der Welt war, galt sein Interesse den Details, dem unpoetisch scheinenden Alltag. Creeley wird zum Außenstehenden gerade durch seine Konzentration auf den Moment, ganz gleich, wo er sich befindet:

Here, here
the only form

I’ve known

In diesem Sinne hat seine Lyrik privaten Charakter, ist sie an den konkreten Ort gebunden; „all art ist local“, hatte William Carlos Williams befunden. Und wenn das Etikett puritanisch für Creeley eine poetische Berechtigung hat, dann ergibt sie sich zuerst aus dem, was Spanos „domesticity“ genannt hat: dem Schreiben aus einer kleinen, begrenzten Welt heraus. „Bringing all the world to one instant of otherwise meaningless time“, so hatte Creeley seinen Versuch, Gedichte zu schreiben, definiert. Wenn Olson anerkennt, Creeley habe ihm eine Welt zur Verfügung gestellt, bescheinigt er ihm Gelingen. Creeleys „here“ ist Olsons „there“.
Aber erst mit der Umkehrung jenes Satzes, den Olson berühmt gemacht hat, findet Creeley ganz zu sich, erreicht er eine Art des vollständigen Ich-Sagens, die er all die Jahre angestrebt hat. Von nun an ist er kein puritanischer Dichter mehr. Wiewohl theoretisch nie minimalistisch, ist das Werk Creeleys doch wesentlich geprägt durch das Festhalten an wenigen poetischen Prämissen und den Versuch, ihren Geltungsbereich zu ergründen. Der Endpunkt dieser Entwicklung stellt seine erschriebene Welt gleichberechtigt neben andere: und erst damit in die Welt. Das Anerkennen anderer Möglichkeiten bedeutet keine Zurücknahme. Es ist die poetologische Variante von Berrigans „I’d like to take the whole trip“. Dem Rückblick folgt die Erkenntnis, daß es andere Wege gibt, die zum selben Ort führen, aber nicht jeder Weg ist jedem begehbar. Es hat etwas von Notwendigkeit, stellt Creeley fest, „that there was someone to begin with, and that something therefore followed“: „What cannot be objectified is oneself“. Damit wird ausgesprochen, was in den Gedichten schon immer Programm war: sich für die Bestimmung der Welt dem eigenen Körper anzuvertrauen, body’s weight and measure. 

Holger Helbig, die horen, Heft 186, 2. Quartal 1997

 

Frauke Hamann: „Wörter, ihr seid immer bei mir“. Lesung von Robert Creeley am 30.1.1995 in Hamburg.

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + IMDbKLfG + PennSound +
Internet Archive + Poets.org + Kalliope
Porträtgalerie
Nachrufe auf Robert Creeley: Tagesspiegel ✝︎ NZZ

 

Robert Creeley liest sein Gedicht „After Lorca“.

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