Sarah Kirsch: Zu Christoph Wilhelm Aigners „Frösche in Wiepersborough‟

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Christoph Wilhelm Aigners „Frösche in Wiepersborough“ aus dem Gedichtband Sarah Kirsch entdeckt Christoph Wilhelm Aigner. −

 

 

 

 

CHRISTOPH WILHELM AIGNER

Frösche in Wiepersborough

Nach Mitternacht und die Luft keinen Daumensprung
kühler als zu Mittag am Feldrand in
der Stille die aufgekocht wurde vom Fliegensurren

Umständlich schwarz wars um den Teich. Die Schritte
am Kies unhörbar im Froschgeknatter
und Rüpel sind unter den Fröschen die imitieren
Menschen wenn sie Speichel tief aus dem Hals ziehn

Sie schwirren obenauf im brackigen Wasser
rutschen von den pirolgelben Fenstern aufs Dach
des kopfunter stehenden Schlosses und in die Kronen
der Eichen und drüber hinaus wo der Mond in durchscheinender
Schale am Grund liegt dem hohen Blätterbett

 

„Ein Sommernachtstraum“

Ein magisches Stückchen springt in die Augen. Die erste Strophe läßt drei, die zweite vier, die dritte fünf Zeilen verweilen. Mit dem Titel sind es dreizehn. Und der glitzert wie eine nördliche Fata Morgana, es könnte sich um Wiepersdorf handeln, den literarisch fixierten, oft beschworenen Ort, wo die Amphibien rudern. Heut geht es also um Frösche. Ein Stück Natur, etwas Feuchtes aus der berühmten märkischen Streusandbüchse, nicht dem Gefäß der Pandora. Der Mitteilende, welcher von weit her kam aus Salzburg, mittags am Feldrand stand, jetzt in der Nacht einen Daumensprung weiter. In der Nähe des Schlosses – Sie erinnern, was ein Daumensprung ist? Landvermessung nach Art der Maler und Dichter. Ausgestreckter Arm, der Daumen über der Faust nach oben gerichtet, mit dem Schloß zur Deckung gebracht, von einem Aug nur fixiert, dem rechten. Nun schließt der Betrachter dieses und öffnet das linke, und siehe, das Schloß ist nach links gehüpft, und der Daumen bedeckt nun das Feld.
Wir empfinden, es ist im nächtlichen Schatten der Eichen am Teich noch ebenso heiß wie mittags am Feldrand, Sandboden, der einem schier die Sohlen verbrannte. In einer Stille, die aufgekocht wurde vom Fliegensurren. Das klingt wie aus der Hexenküche und läßt an Urzeugung denken. Das war der Mittag. Jetzt herrscht wie gesagt Nacht. Umständlich schwarz war’s um den Teich. Eine aufgespaltene Finsternis. Welch schöner Ausdruck für etwas. So viel, was durch die beiden Wörter vorstellbar wird. Viele Anblicke, Abstufungen von Dunkelheiten, das ist verrückt. So gibt es im Schwarzen schwarze stochernde Äste, denen wir ausweichen müssen, unsere Augen zu schützen. Zweige, die uns das Haar ausreißen. Und gleichzeitig stoßen die Füße in schwarzen Schuhen in schwarzer Nacht an sicher dunkle Steine, während nicht erkennbar ist, wo der Teich gleich beginnt. Es ist nicht länger möglich, sich an Geräuschen zu orientieren, denen des Fußes auf knirschendem Kies, denn Froschgeknatter – was ein treffender Ausdruck! – ist, was alles nun übertönt. Während man die Ohren bemüht, wird man lachen. Weil die maßlosen Frösche nicht nur Weltmeister im Knattern sind, sondern auch noch – unanständige Geräusche hätte man vorgestern gesagt, aus der Lamäng auf uns zukommen lassen. Ein abgrundtiefes Hochziehen von Rotz. Bis die Verwandten rufen, hast denn kein Schneuztuch. Geschrei sondergleichen, daß dem Lesenden die Ohren gleich dröhnen und sausen.
In der dritten Strophe gerät das chorische Stück auf den Höhepunkt. Sie schwirren obenauf, heißt es von Fröschen, und damit vertauschen sich akustisch Himmel und Erde, denn eigentlich schwirren Vögel, Tiere der Luft. Aber im Finsteren waltet viel Sinnestäuschung, die Elemente sind durcheinandergeraten. Oje! – die Frösche rutschen von den pirolgelben Fenstern des Schlosses auf das zwiefache Dach, bis wir finden, daß wir uns im Spiegelbild abmühn. Kopfüber kopfunter im spiegelnden Spiegelbild, uns wird bleumourant vor den Augen. Noch weiter gelangen die Frösche in Wiepersborough, bis in die Kronen der Eichen. Drüber hinaus, hin wo der Mond in durchscheinender Schale am Grund liegt, dem hohen Blätterbett. Letzteres ist ein wirklich weiches, der Teichgrund befindet sich ja voller nur langsam verrottender Eichenblätter, daß Schlamm von großer Sanftheit entsteht und das leuchtende Ei aufnahm, den Mond. Wie meschugge das macht, selbstverständlich auch Frösche dicht auf dem Leib und zaubrisch wie Vollmond das letzte schöne Wort des Gedichts: Blätterbett. Rhythmisch und sanft, endlich knallt der Mond dort hinein, federt ein wenig – ’ne süße Verwirrung breitet sich weiterhin aus, so man die Worte laut las, kann einer die Noten gleich schreiben.
Alles ist Teil der Natur, und das Schloß ist ein Bau, eine Höhle, ein Vogelnest für den, der aus dem Wald kommt. Unseren Dichter. Es ist seine Verwandlung, wir verwandeln uns mit, es ist ein Spiel von allem mit allem, ein Stück Sommernachtstraum. Der Froschlärm bleibt in den Ohren hängen, und seine eigenen Hervorbringungen, so sagt der Dichter an anderem Ort, seien Stücke von seinem Leib. Wären Frösche in Wiepersborough, wenn wir ihm folgen, wie Magenknurren. Viel Lärm auch um nichts dort an Ort und Stelle, kann einem schwarz vor Augen werden vor so viel Bemühn. Schaut aus, als wüchsen die Kleinkünstler da über sich raus bis in den Himmel, während sie doch ins Trübe nur fallen.

Sarah Kirsch

Die Texte wurden entnommen aus: Sarah Kirsch entdeckt Christoph Wilhelm Aigner, Europa Verlag, 2001

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