Translator’s Choice. Übersetzen als poetische Utopie

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Translator’s Choice. Übersetzen als poetische Utopie

Translator’s Choice. Übersetzen als poetische Utopie

SALCHIPAPA

Pound drehte durch, als er unter den Kredithaien
aaaaanach so etwas wie Ethik suchte
Eliot war beim Anblick von Gladiolen immer ganz bei
aaaaasich
Luchito Hernández war stoned wie eine Insel mit
aaaaaFlügeln
Kafka noch dünner als Girondos Vogelscheuche
Lezama Lima setzte sich einen Blumentopf aufs
aaaaaHaupt
Dylan Tomas isst gleich dort an der Straßenecke Ceviche
Verástegui war verrückt nach Pflaumen
Jaime Sabines rühmte sich, als einziger Dichter einen Job
länger als fünf Jahre auszuhalten
José Pelaez war besessen davon, die besten Lyrikbände des Jahres 2018 aufzulisten
Federico Nuñez’ Obsession waren seine unterhaltsam
hartnäckigen psychotropischen Sehnsüchte
D.W.F beging Selbstmord – wie Hemingway und Arguedas

10:28 Ein Floh hat mich gebissen. Ich habe ihn vorsichtig rausgezogen und zerdrückte ihn auf dem Holztisch. Ich dachte an Millionen und Abermillionen junger Dichter, die sich an einem Gedicht versuchen.

(…)

Julio Barco
Übersetzung: José F.A. Oliver

 

Latinale 2021 – Eröffnung mit Uljana Wolf und Carlos Soto Román im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – Eröffnung mit Uljana Wolf und Carlos Soto Román am 17.11.2021  im Instituto Cervantes Berlin

 

 

Latinale 2021 – Tania Favela und Silke Kleemann am 18.11.2021 im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – Jamila Medina Ríos und Nora Zapf am 18.11.2021 im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – Caro García Vautier und Léonce W. Lupette am 19.11.2021 im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – Ana Martins Marques und Michael Kegler am 19.11.2021 im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – Julio Barco am 19.11.2021 im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – „Die Utopie poetisch ergründet / La utopía indagada por la poesía“ am 21.11.2021 im Instituto Cervantes Berlin

 

Latinale 2021 – Matinee-Lesung aus dem Instituto Cervantes Berlin

 

 

Julio César Barco Ávalos

Seine poetologische Kompassnadel schlägt gleich(zeitig) mehrfach aus. In reale und surreale Schreibpole und zeigt in ihren Ausrichtungen sowohl auf offensichtliche wie auch auf verborgene poeto-lyrische Geographien der Literatur; auf ausfransende Menschenlandschaften am Rand des sozialen Gefüges; auf entlegene Landschaften schriftstellerischer Verortung aus jüngeren und älteren literarischen Traditionen (und deren Konstellationen wie Konditionen); auf „Kanonisches“ der 20.-Jahrhundert-Moderne; auf Sprech-Neues unserer Zeit; auf Bild-Unerwartetes und Denk-Dialogisches aktueller Kommunikationsformen. Alle zur Verfügung stehenden Medien nutzend und aus der vielseitigen Schreibhand Barcos entworfen. Im Grunde ein dichterisches Kaleidoskop ständiger Sprach- und Sprech-Kompositionen. Sein Kompass erwuchs aus geistigen Patenschaften, derjenigen, die vor ihm schrieben, aus poesía und ensayo, aus Philosophie und Soziologischem, aus Geschichtenkunst und Feuilletonistischem; Literaturseminaren, Radiobeiträgen, Videos, Netz-Auftritten; aus literaturhistorisch prägenden Erzählungen und Romanen seiner engeren und nachbar-weiteren Sprachregion(en), indes nicht minder aus seiner schon in sehr jungen Jahren gelebten Zeugenschaft eines unmittelbaren „metropolitanen“ Erlebens – urbe, wie er selbst sagen würde – einer „Heutigkeit“ in all ihren sozialen Widersprüchen, deren Wahrnehmungsradien, einem Mit- und Nach-Empfinden, manchmal Voraus-Empfinden s:einer ganzen Generation. Da sind in der einen (imaginierten und nachlesbaren) Himmelsrichtung, die ein peruanisches Zentrum ausdeutet, Namen wie César Vallejo und Enrique Verástegui, und im selben Atemzug buchstabieren sich die Lebensränder der wundstädtischen Realität Limas ein – „Por otro lado, mi poesía nace desde los márgenes de la Urbe, la periferia de la ciudad, donde el tráfico, la delincuencia y otros factores determinan la violencia y frontalidad de mi lenguaje.“1 Sein Schreiben trägt deshalb die Mutklänge und Dissonanzen ausfransender Verhältnisse, aber auch den überlieferten „Welt“-Klang eines grenzüberschreitenden Literaturvermächtnisses. Ein spannendes Gewebe, das ihn, wie er selbst ausführt, irgendwo zwischen neovanguardismo2 und neocoloquialismo3 ent:ortet und damit verortet.

Julio César Barco Ávalos, der 1991 in Lima geboren wurde, offenbart in seinem für sein Alter beeindruckend umfangreichen Werk ein ungemeines, sich stetig weiterentwickelndes Spektrum literarischer Möglichkeiten, das sein „poetisches Gehör“ zu Papier und „zu Ohren“ bringt.

José F.A. Oliver

 

Poetische Übersetzung als Utopie –

Übersetzung als poetische Utopie

Utopie entsteht dort, wo von einem Topos, von einem Ort zu einem anderen gewechselt, oder der gegebene Ort transmutiert wird. Utopie ist Neu-Belebung und Neu-Bedeutung. Der plötzlich von Vögeln bevölkerte Fenstersims, den Maricela Guerrero in ihrem vorangestellten Grußwort beschreibt, ist eine solche Utopie – oder, besser noch, ein schon existierender Ort, der auf neue Weise wirksam wird und so sein Publikum findet: die Dichterin, die Katze der Dichterin, und womöglich Kinder, die die Vögel (und die Katze) in ihren neuen Begegnungsbereichen beobachten. Das Setting kristallisiert zu einem Begriff – dem der Begegnung – und Guerrero überträgt ihn auf den Gegenstand ihres Textes: das internationale Poesiefestival Latinale, dessen Schlaglicht im Jahr 2021 die Utopie ist. Die Dichterin ist darin geübt zu transformieren, was sie benennt, und so wird die Latinale im Handumdrehen zu einer Plattform, auf der sich Vögel, Fenster und vogelfressende Hausraubtiere zum Feiern zusammenfinden. Gegenstand der Feier: Poesie. Genauere Kennzeichen: Poesie einer komplexen Provenienz. Ausgangsorte: Lateinamerika und die Karibik. Zielorte: Berlin und andere deutsche Städte.

Um seinen 15. Geburtstag zu begehen, hat das Berliner Poesiefestival Latinale mit dem Schwerpunkt Translator’s Choice einen Fokus gewählt, dem es treuer nicht sein könnte: die poetische Übersetzung. Mit der Idee, diesen für das Festival essenziellen Akt der Übertragung ins Zentrum zu rücken und die Übersetzung als Kunst zu feiern, wurden für die Latinale 2021 renommierte deutsche Übersetzer:innen selbst als Kurator:innen tätig. Die Texte der von ihnen für die diesjährige Edition des Festivals ausgewählten Dichter:innen übertrugen sie anschließend in einem mehrmonatigen Werkstattprozess, in dem sie sich untereinander und mit der Festivalleitung austauschten. Das Resultat dieser spannenden Kooperation ist in unterschiedlichen Formaten auf den Festivalbühnen zu hören und in dem vorliegenden Buch nachzulesen.

Zusätzlich vereint die Anthologie Gedichte und ihre Übersetzungen von den vier Dichter:innen, die vergangenes Jahr aufgrund der Pandemie nur virtuell am Festival teilgenommen haben – mit dem Versprechen, 2021 noch einmal in Präsenz dabei zu sein. Dazu kommen aus dem Projekt Translator’s Choice Statements¹, die von Dichter:innen wie Übersetzer:innen unabhängig voneinander und doch zu ihrer gemeinsamen Arbeit angefertigt wurden und uns an dem fruchtbaren Dialog zwischen Autor:in und Übersetzer:in teilhaben lassen – immer im Bestreben, Sprachgrenzen zu überwinden, eine Brücke zwischen Welten zu bauen, mit Poesie einen Ort der Begegnung zu schaffen.

In diesem Sinn feiert die Latinale 2021 auch den Relaunch ihrer Website (www.latinale.org). Dort werden nicht nur die diesjährigen, sondern in einem stetig anwachsenden Archiv alle teilnehmenden Autor:innen und Übersetzer:innen vorgestellt sowie die für das Festival übertragenen Gedichte in ihrer Originalsprache und auf Deutsch nachzulesen sein. Es handelt sich um ein beachtliches Volumen an übersetzerischer Arbeit, die nun erstmals zugänglich wird. Sichtbar wird so auch eine Leidenschaft für die Literaturvermittlung zwischen Deutschland und Lateinamerika, der Karibik und der nordamerikanischen Diaspora sowie den spanisch- und portugiesischsprachigen Poesie-Gemeinschaften in Europa.

Das internationale Poesiefestival Latinale besteht also, wie die Dichtung, für die es sich einsetzt, aus überaus wirksamen Orten – und wird nicht müde, die Frage nach der (poetischen) Übersetzung auf immer wieder neue Weise zu beleuchten.

Wir danken den Übersetzer:innen und Dichter:innen, die sich auf das spannende Projekt Translator’s Choice eingelassen haben und freuen uns über die tollen Ergebnisse.

Rike Bolte, Timo Berger und Alina Neumeyer, Vorwort

 

 

Translator’s Choice. Übersetzen als poetische Utopie

ist der Reader zur 15. Latinale 2021, dem mobilen lateinamerikanischen Poesiefestival aus Berlin. Utopie entsteht dort, wo von einem Topos, von einem Ort zu einem anderen gewechselt, oder der gegebene Ort transmutiert wird. Utopie ist Neu-Belebung und Neu-Bedeutung. Der plötzlich von Vögeln bevölkerte Fenstersims, den Maricela Guerrero in ihrem vorangestellten Grußwort beschreibt, ist eine solche Utopie – oder, besser noch, ein schon existierender Ort, der auf neue Weise wirksam wird und so sein Publikum findet: die Dichterin, die Katze der Dichterin, und womöglich Kinder, die die Vögel (und die Katze) in ihren neuen Begegnungsbereichen beobachten. Das Setting kristallisiert zu einem Begriff – dem der Begegnung – und Guerrero überträgt ihn auf den Gegenstand ihres Textes: das internationale Poesiefestival Latinale, dessen Schlaglicht im Jahr 2021 die Utopie ist. Die Dichterin ist darin geübt zu transformieren, was sie benennt, und so wird die Latinale im Handumdrehen zu einer Plattform, auf der sich Vögel, Fenster und vogelfressende Hausraubtiere zum Feiern zusammenfinden. Gegenstand der Feier: Poesie. Genauere Kennzeichen: Poesie einer komplexen Provenienz. Ausgangsorte: Lateinamerika und die Karibik. Zielorte: Berlin und andere deutsche Städte.

Herausgegeben von Timo Berger, Rike Bolte und Alina Neumeyer versammelt der Band Beiträge von Julio Barco, Tania Favela, Caro García Vautier, Ana Martins Marques, Jamila Medina Ríos, Beatriz Rgb, Jimena González, Milton López, Xitlalitl Rodríguez Mendoza, Carlos Soto Román, Romy Brühwiler und Marcela Guerrero sowie Übersetzungen von José F.A. Oliver, Léonce W. Lupette, Michael Kegler, Nora Zapf, Christian Filips, Birgit Kirberg, Silke Kleemann, Johanna Schwering, Lisa Calmbach, Thomas Schultz und Lisa Spöri.

Die Latinale findet dieses Jahr vom 17.–24. November in Berlin, Osnabrück und Frankfurt statt. Das Programm findet sich hier und hier die Anthologie der Latinale 2021 zum nachlesen.

parasitenpresse, Ankündigung

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