Uwe Tellkamp: Reise zur blauen Stadt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Uwe Tellkamp: Reise zur blauen Stadt

Tellkamp-Reise zur blauen Stadt

ARGELANDER, DIPLOMAT AM SCHLOSS

Hier sind Beziehungen alles.
Schiffe auf blauem Parkett sind meine Tage,
unter den Verhandlungssachen Wind, Segel und
aaaaaFracht.

Ich verlösche im Zenit
und werde größer an den Rändern.

Meine Fragen sind Erinnerungen an Schuhe,
meine Antworten weisen heimwärts.

Er ist lang geworden, der Weg
des Wassers und des Brotes auf den Tisch,
und viele kennen ihn nicht mehr.
Sie sehen das Hafentor, die Buge,
die Speise und Trank bringen,
sehen die brennende Lampe
nicht den Atem, der verlosch:
Leben wird Tod wird Leben.

Ich bin im Winter geboren,
mein Schatten im Sommer.
Wir verhandeln die Kraft der Sonne
an der Landesgrenze zwischen Freund und Feind.

Nur in Eden braucht man keine Kleider.

In meiner Tasche habe ich den Spatz,
der den Schatten einer Taube wirft.

 

 

 

Inhalt

Nach seinem epochalen Dresden-Roman Der Turm führt uns Uwe Tellkamp nun auf die Reise in eine andere, eine namenlose Stadt. Eine Stadt mit Serapionstheater, Nautischer Akademie und Basar, eine Stadt, in der die Häuser empfindliche Wangen haben, die Walfänger im alten Getreidehafen rosten und die Menschen gegen den Uhrzeigersinn träumen.
Zart und schwebend, farbig und vielstimmig: Uwe Tellkamp legt mit Reise zur blauen Stadt ein Gedicht in vierzig Kapiteln vor, und alle zusammen ergeben sie das Bild eines magischen Ortes, dessen Bewohner nach dem „wirklichen Blau“ suchen.

Insel Verlag, Ankündigung

 

Spatz oder Taube

Hätte der Baron von Münchhausen heute eine Chance auf literarische Förderung? Offenbar nicht, will uns Uwe Tellkamp glauben machen. Die fiktive Ablehnung steht am Eingang seines Büchleins Reise zur blauen Stadt. Ein hübscher Einfall. Man kann eigentlich nicht umhin, zum geneigten Leser des Kommenden zu werden. Umso mehr, als den Leser ein märchenhaftes Capriccio erwartet, das kaum ein Leser von Tellkamps Zeitroman Der Turm erwartet haben dürfte.
Märchenhaftes verspricht schon der Titel Reise zur blauen Stadt. Er läßt ebenso an die Blaue Blume der Romantik denken wie an Malerei von Paul Klee oder Franz Marc. In vierzig lyrischen Sequenzen entwirft der Autor das Bild einer imaginären Stadt, die uns so fremd wie traumhaft vertraut anmuten soll.
Dem Leser mögen dabei Canalettos phantastische Veduten in den Sinn kommen, komponiert aus historischen und fiktiven Motiven. Ähnlich verfährt Tellkamp in seiner poetischen Collage, wenn er seine Stadt mit einem Serapionstheater, einem Basar und einer Nautischen Akademie ausstattet und in Veduten aus Venedig, Wien und Prag einfügt.
Das ist oft von großem Reiz. Vor allem die venezianischen Passagen fügen Realität und Erfindung anmutig zusammen. Tellkamp schneidet Snapshots, Epiphanien und Allegorien ineinander:

Der Löwe hat Zahnweh, die Lagune ist mit knisterndem
Damast gedeckt, Möwen schaukeln auf der Piazetta,
vor Europas großem Empfangssalon.

Er evoziert den Winterabend, „wenn die Kanäle / eingedickt sind zu Lötzinn, das die Gondolieri / mit langen Buchenholzlöffeln vorsichtig rühren“. Oder es gelingt die Synthese im Haiku:

Eine schwebende Stadt

Linien
ein Blütenzweig

Klarheit.

Nicht immer operiert er so prägnant. Manches ist überbreit ausgeführt, und nicht jede Abschweifung vermag zu fesseln. Wenig glücklich ist auch die Idee, die vierzig Sequenzen mehr oder minder possierlichen Figurinen zuzuschreiben. Manche stiften literarische Bezüge, andere sind bloß kalauerhaft aufgeputzt. Da gibt es den „Monsieur Papillon, Souffleur des Serapionstheaters“ oder „Tulp, Anatom an der Universität“, aber auch „Nello Gaspecha, Coiffeur, Salon Pudelwohl“ oder einen „Dr. Dentales, Zahnarzt“.
Tellkamp Serapionstheater legt die Frage nahe, wie ernst die Figuren und Szenen zu nehmen sind und wie ernst das Ganze überhaupt. Lesen wir ein Divertimento à la E.T.A. Hoffmann oder einen romantischen Weltentwurf? Novalis jedenfalls erscheint in rapider Verkürzung. Wenn er einst als Programm formulierte, „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg“, so befindet Tellkamp lapidar:

Wir reisen nach innen.

Das meint eher den Komfort als die Anstrengung. Das Ziel, das „Innen“ ist offenbar nichts anderes als die Innenwelt der blauen Stadt. Die Suche nach dem „wirklichen Blau“ erscheint dabei als esoterisches Märchenmotiv, wenn nicht als Frage der Koloristik.
Ob das als Idee trägt, mag auch dem Autor zweifelhaft erschienen sein. Er stellt sich gleich zu Anfang eine Warnung in den Weg. Einen Zauberer, der ihm ein Schild vorweist:

Wenn du das wirkliche Blau suchst, wirst du bald in der Tinte sitzen.

Das hat den Schreiber nicht wirklich geschreckt. Seine Tinte fließt und mit ihr die Einfälle. Eben sie ist das „wirkliche Blau“, das Substitut der Blauen Blume.
So dürfte ihn auch jenes Verdikt nicht schrecken, das Walter Benjamin einst formuliert hat:

Es träumt sich nicht mehr recht von der blauen Blume. Wer als Heinrich von Ofterdingen erwacht, muß verschlafen haben.

Nein, Uwe Tellkamp hat nicht verschlafen. Er ist hellwach und weiß, daß man den Ofterdingen nicht noch einmal erfinden kann. Aber das postmoderne Spiel mit der Tradition ist möglich. Tellkamp gibt den Post-Romantiker. Er betreibt, was Levi-Strauss als bricolage, als Bastelei, beschrieben hat. Er versorgt sein Projekt mit den Überbleibseln aus früheren Konstruktionen oder Destruktionen.
So formuliert Tellkamp im Blick auf Venedig:

Alles Collage, von Brücken geklammert zu seltsamen Itineraren.

Und in Prag stößt er auf das Marionettentheater von Spejbl und Hurvinek und nennt es ein „Capriccio mechanico-philosophico“. Dessen Devise „es lebe der Schabernack“ läßt sich auf das eigene Unternehmen übertragen.
Tellkamp versteht es, den gebildeten Leser, den er im Blick hat, bei Laune zu halten. Er schüttelt seine Einfälle aus dem Ärmel und setzt voraus, daß uns auch die weniger gelungenen gefallen. So folgen wir seinem Satz:

In meiner Tasche habe ich den Spatz,
der den Schatten einer Taube wirft.

Man muß diese Formulierung schon ziemlich goutieren. Da scheint der Zauberer zu untertreiben, aber bei Licht besehen ist das wenige, das er uns verspricht, ein wahres Teufels-, ein rechtes Gustostück. Denn welcher Spatz wirft schon den Schatten einer Taube?

Harald Hartung, als: Taube oder Spatz?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.9.2009

Reise zur blauen Stadt von Uwe Tellkamp

Mein Geschäft sind die Arten der Angst,
mein Siegel ist die Windmühle,
Eigennutz, Verrat, Dummheit, Macht
steht auf den vier Flügeln geschrieben.
Meine Wohnung ist der Widerspruch, auf den Feldern der Morde
wachsen die Rosen.

(aus dem sechsundzwanzigsten Kapitel, Zenobia Quichotte, Versicherungsmaklerin)

Nachdem ich ein wenig in dem Büchlein herumgeblättert hatte, war ich einigermaßen überrascht – das hatte ich nicht erwartet. Was ich erwartet hatte, weiß ich selbst nicht genau – vielleicht etwa in der Art von Bruno Schulz’ Die Zimtläden oder Mircea Cărtărescus Die Wissenden. Doch bevor es mit der Intertextualität weitergeht, erst einmal ein Blick auf das, was man tatsächlich bekommt, geworfen.
Reise zur blauen Stadt ist ein Gedicht in vierunddreißig Kapiteln – oder ein Versroman, der aus ebenso vielen Gedichten besteht. Als Ganzes gelesen, beschreibt der Versroman die Bewohner und deren Leben in einer namenlosen deutschen Küstenstadt an der Ostsee. Es gibt ein Serapionstheater, einen Uhrenturm mit Philosophen, einen Dom, das Schloss, in dem die Bürokratie sitzt, und natürlich den groß ausgebauten Hafen mit den daran hängenden Betrieben sowie einen Basar. Überhaupt besitzt diese Ostseestadt ein deutlich orientalisches Flair. Doch keinen dieser Orte lernt der Leser unmittelbar kennen – denn es gibt keine Erzählerrede. Man lernt sie nur sehr facettiert durch die kleinen sehr subjektiven Versberichte der Bewohner kennen. Eine Handlung gibt es nicht, wenn man also den Text als Versroman begreifen will, muss man darin ein äußerst situatives Sittengemälde sehen.
Doch zu den einzelnen Kapiteln bzw. Gedichten. Die sind so unterschiedlich wie ihre ,Dichter‘, sowohl was die Form als auch was den Inhalt angeht. Allerdings gehen sie von einer ,Metagemeinsamkeit‘ aus: In jedem der Kapitel sinniert ein anderer Bewohner über sein Leben und seine Sehnsüchte nach. Und dieses Leben und diese Sehnsüchte sind eben an der materiellen Grundlage, ihrer Existenz gebunden – daher lassen sich die Sehnsüchte nie ganz von der Stadt lösen. Wobei es neben sehr bodenständigen Menschen natürlich auch sehr vergeistigte Träumer gibt, die nur wenig mit dem Materiellen zu schaffen haben: Der Admiral a.D. spricht von seiner Sehnsucht zur See, der Friseur denkt nur an seine Kunden, die Mutter an die gemeinsamen Stunden mit dem Sohn und den nächsten Lohn. Es gibt dabei allerdings einen Hang zum Surrealen und Grotesken – und stets spielt die Farbe Blau eine Rolle.
Formal zeigt Tellkamp, was sich mit der Sprache anstellen lässt – die Verse sind üblicherweise reimlos (nur einmal gibt es auch ganz klassisch gepaarte Endreime), allerdings stets von einer wunderbaren Sprachmelodie geformt; harsch bei der alleinerziehenden Mutter, verspielter beim Clown. Überhaupt ist alles recht formlos – es gibt sehr lange Verse, sehr kurze Verse, Kapitel mit etwa gleichlangen Versen, Kapitel mit sehr unterschiedlich langen Versen, Kapitel mit nur einem langen Vers; manches erinnert an trockene Beamtensprache, manches an quecksilbrige Gedankenströme. Die gebotene Vielfalt ist beeindruckend.
Neben diesen Aspekten besticht der Text auch mit seiner enormen Intertextualität: Das beginnt mit (Gottfried August Bürgers) Münchhausen (dessen Antrag leider vom Kuratorium abgelehnt werden muss) und endet weder mit dem doppelten Verweis auf Tausendundeine Nacht – der Tausendsassa Kapitän Burton (dessen Geschichte der Bordelle Sumatras gelobt wird) ist natürlich der illustre britische Übersetzer der Textsammlung und Scheherezade schreibt Briefe und Tagebuch –, noch mit Dresden. Schließlich sei noch der Hauch von Kafka, der vom Schlosse herab weht, erwähnt. Ich vermute, in jedem Kapitel lassen sich neue Anspielungen entdecken.
Meistenteils ist man vergrätzt, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. Es ist, wie wenn man sich in einer Stadt verirrt. Man landet in einer Straße, die genauso aussieht wie die Straße, in die man eigentlich wollte, nur dass die Freunde, die man besuchen will, dort nicht wohnen. Man ärgert sich über die verlorene Zeit. Doch manchmal landet man auch an einer Stelle, die man noch nicht kannte, obwohl man meinte, das Viertel gut zu kennen. Man entdeckt vielleicht einen urigen kleinen Park und mit diesem eine neue Perspektive auf die Stadt – mit dieser Entdeckung fühlt man sich reicher. So kann es auch mit Reise zur blauen Stadt gehen.

Fazit:
Reise zur blauen Stadt erzählt von den zum Surrealen neigenden Leben und Sehnsüchten der Bewohner einer namenlosen Ostseestadt, in der das Blau von großer Bedeutung ist. In den vierunddreißig Kapiteln des Versromans zeigt Uwe Tellkamp mit viel feinem Witz, aber auch mancher Bitterkeit, wie unterschiedlich schöne Sprachmelodien klingen können.

Oliver Kotowski, fantasyguide.de

Uwe Tellkamps lyrische Reise

Reise zur blauen Stadt ist ein Gedicht in vierzig Kapiteln. –

Mit seinem großen Roman Der Turm über Dresdner Bildungsbürger in einer schwindenden DDR landete Uwe Tellkamp in den Bestsellerlisten. Das wird ihm mit dem amüsanten kleinen Gedicht-Bändchen Reise zur blauen Stadt wohl kaum passieren. Und doch, wer Der Turm gelesen hat, der wird sich in der blauen Stadt heimisch fühlen, die im Irgendwo von Fantasie- und Traumbildern zwischen Dresden und Venedig schwingt.
Die Bewohner stellt Tellkamp in 40 Kapiteln vor, die Aquarell-Miniaturen gleichen, wie sanfte Skizzen für das festere Bauwerk des Turmes. „Ich kenne Dresden. Das ist auch eine von unseren Städten am Meer“, sagt Libussa Federspiel, Lehrerin an der Nautischen Akademie, zu dem Besucher, den sie zu Kaffee und Mohnkuchen eingeladen hat. Magister Grundtvig, Philosoph im Uhrenturm, nimmt den Gast mit auf einen Rundgang. „Der Turm ruht auf antiken Fundamenten“, erklärt er.
Die Fundamente reichen tief – bis zu Gilgamesch, dem Helden des ältesten bekannten Epos der Menschheit. Und von da ab ist in der blauen Stadt wohl ein Stein aus jeder Epoche der Dichtung dabei. Sogar Reime gibt es. Sie werden von der Putzfrau produziert. Und Dr. Spiro Spero erzählt im Kaffeehaus eine gereimte Moritat von der unglücklich endenden Liebe zwischen Selim und der schönen Sharareh.

Uwe Tellkamp, 1968 in Dresden geboren, leistete seinen Wehrdienst in der NVA, verlor seinen Medizinstudienplatz wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ und wurde zur Wendezeit 1989 inhaftiert. Später setzte er sein Studium in Leipzig, New York und Dresden fort und arbeitete nach dem Examen als Arzt in einer unfallchirurgischen Klinik seiner Heimatstadt.
In seinem Roman, der 2008 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde und der Anfang November den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung bekommt, beschrieb Tellkamp eine bildungsbürgerliche Schicht, die es in der DDR eigentlich gar nicht geben sollte. Das Gedicht in 40 Kapiteln schließt nun noch enger an Vorbilder einer bildungsbürgerlichen Literatur an. Die Textbilder lassen an Gottfried Benn denken, an Hugo v. Hofmannsthal, E.T.A. Hoffmann oder an Rainer-Maria Rilke, das Übermaß an Blau führt zwangsweise auch zu Romantikern wie Novalis.
Doch blau ist nicht nur die Blume der Romantik, sondern auch die Melancholie. Gegen die trübe Stimmung treibt Tellkamp sprachlichen Unfug. Nervend ist das Übermaß an Spontisprüchen wie „Die Librettisten? Manche scheitern fort von Tag zu Tag“ im Kapitel der Sobeide Kuckuck, der möglicherweise blonden Primadonna des Serapionstheaters.
Wie dicht die blaue Stadt an der alten DDR liegt, beweist Jensen, der Kommissar der Hafenquästur. Er beobachtet zwar die Bewohner, legt Dossiers an und berichtet von einer Geheimabteilung, in der Dinge liegen, „die so geheim sind, dass niemand weiß, ob man überhaupt wissen darf, dass man das gar nicht wissen darf“. Doch eine gestohlene Uhr kann er nicht wiederbeschaffen.
Identifizieren kann sich Tellkamp wohl am besten mit Münchhausen, der mit seinem Tagebuch in der Mitte der Sammlung zu Wort kommt und sein Leben mit originellen Metaphern beschreibt. Münchhausen ist bei der Obrigkeit nicht wohlgelitten. Ein paar Seiten vorher ist sein Antrag auf Förderung abgelehnt worden. Doch ihn wird sicher Tellkamps Überzeugung retten, die bei Jensen allerdings zur Warnung wird:

Aber nicht nur die Dummen, auch die Klugen sterben nicht aus.

Katrin Börner, Die Berliner Literaturkritik, 7.10.2009

Wundersame Abenteuer

Wer sich mit Uwe Tellkamp auf die Reise zur blauen Stadt begibt, wird sein blaues Wunder erleben. Dieses lyrische Logbuch, aus dem man auch erfährt, dass neben Böhmen nun auch Dresden am Meer liegt, versteht sich als eine Einübung in die Welt des Wunderbaren.
Tellkamp erweist sich in diesem Reiseepos als Ingenieur, der es versteht, eine Brücke aus der Welt des Realen in die des Fantastischen zu schlagen. Auf ihr wandelt der Autor als Nachfahre des Baron von Münchhausen, der die blaue Blume der Romantik im Knopfloch trägt, und erzählt die wundersamsten Reiseabenteuer. Sie handeln vom Kapitän eines Schiffes, das die Segel der Fantasie gesetzt hat. Tellkamp ist nicht auf Zephyr, den Gott der Winde angewiesen.
Ihm genügt Imagination, um die Weltmeere befahren zu können und in Dresden, Venedig, Prag und Wien vor Anker zu gehen. Bei den Besuchen dieser Metropolen wird man allerdings nicht damit konfrontiert, was sich in jedem Reiseführer nachlesen lässt. Überhaupt ist in diesem Buch das Wirkliche eher Staffage.
Sehr viel mehr interessiert sich der Abenteurer dafür, was sich in den unendlichen Weiten der Fantasielandschaften entdecken lässt. Tellkamp erweist sich in diesem Buch als Spezialist für Reisen ins Blaue. Die nehmen ihren Anfang, wenn im Zimmer das Licht schrumpft und die „Finsternis von ihren Schätzen“ zeigt.
In 33 Porträts stellt Tellkamp seine mitreisenden Passagiere vor. Mit an Bord sind u.a. Admiral von Krusenstern, Rätin Wrangel, Dr. Larrios und Dagobert Duck. Die Liste der Berufe, denen seine Reisegefährten nachgehen, reicht vom Philosophen über den Antiquar bis hin zum Anatom. Auch ein Coiffeur ist dabei, ebenso wie eine Versicherungsmaklerin und eine Arbeiterin aus einer Fischfabrik. Die verschiedensten Personen, die die Lebendigkeit der blauen Stadt garantieren, sind vertreten.
Ihre Lebensgeschichten werden erzählt, wobei diese seltsamen Gestalten Einblick hinter die Fassaden gewähren. Am Schluss des Personenregisters findet sich in Kursivdruck der Satz: Hinter die Fassaden wird man selten geladen. In jene Räume aber hat sich Tellkamp aufgemacht.
Zusammen mit seinen Protagonisten bereist er die geheimen Innenwelten und lässt sich erzählen, was sie erlebt haben. Das ist „Seemannsgarn“, aber dieses „meerblaue“ Seemannsgarn bereitet Vergnügen beim Lesen, weil es in jene geheimen Bereiche des Innen führt, die hinter den wohl gehüteten Fassaden einer korrekt ausgestellten Fassade liegen.
Uwe Tellkamp hat in seinem erfolgreichen Roman Der Turm sehr viel Wert darauf gelegt, keine der Realien zu vergessen, die zum Alltag der DDR gehörten. Jede Kleinigkeit war ihm wichtig, um sie im Erzählkosmos der in Dresden angesiedelten Geschichte aufzuheben.
In Die Reise zur blauen Stadt lässt der Autor nun der Fantasie, die er im Turm an die Zügel legen musste, freien Lauf. Auf dem Weg, den sie sich ins Blaue bahnt, ist ihr der Autor ganz offensichtlich mit großer Lust gefolgt. Man spürt sie noch beim Lesen dieses wunderbar unterhaltsamen Insel-Buches.

Michael Opitz, Deutschlandradio Kultur, 7.1.2010

Aus der lyrischen Hausapotheke

Mit Reise zur blauen Stadt liefert der bisher als Romancier bekannte und gefeierte Schriftsteller Uwe Tellkamp (Der Turm) „Hoffmannstropfen aus der lyrischen Hausapotheke“. Was er in diesem kleine Buch zusammengetragen hat, sind wunderbare Capriccis, höchst amüsante und brillante, wenn man so will ungebundene Langgedichte mit einer Fülle von Anspielungen.
Zum Beispiel an E.T.A. Hoffmanns Serapionsbrüder, an die Blaue Blume der Romantik und die bildungsbürgerliche Literatur überhaupt. Und Tellkamp treibt damit eine höchst intelligenten Unfug. Er erfindet die „blaue Stadt“, ein mixtum compositum aus Dresden (auch eine Stadt am Meer) und Venedig. Die Traumbilder, die er poetisch malt, sind dem Leser wohlvertraut und doch wiederum überraschend neu.
Und so liest man sich fest. Trifft Libussa Federspiel, den Souffleur Papillon, die Primadonna des Serapionstheaters Sobeide Kuckuck, Vicomte Venosta und viele mehr. Man wird belehrt, dass man „im Ersatzkaffee nicht segeln sollte“, dass „Die Töne auf Pariser Zehenspitzen“ gehen, „als wollten sie die scheuen Echos küssen“.

Oder dies:

Oper… Seelen in der Bel-Etage, die Parteien
Gunst und Haß, im Staccato Liebe flüstern,
im Legato Dolche zücken, Tränen,
wenn Mimi im Sterben liegt…

Lust auf mehr? Auf Der Reise zu blauen Stadt ist es zu finden.

Günter Nawe, amazon.de, 8.10.2009 

Reise zur blauen Stadt

Hier hat zusammengefunden was zusammengehört. Leser vom Turm werden sich erinnern, welche Rolle dem lyrischen Element in Tellkamps Schreibstil, und welche Bedeutung die Insel-Bücherei im Roman als Kennzeichen bürgerlichen Lebens zukam. – Und nun ist Uwe Tellkamp selbst Autor in der Insel-Bücherei geworden! Mit einem ganz entzückenden und phantasievoll verspieltem Kranz von Geschichten, die allesamt um die Bewohner der „Blauen Stadt“ kreisen. Die gibt es natürlich nicht in der Wirklichkeit, sie ist irgendwo zwischen Venedig und Istanbul angesiedelt, und ein Sehnsuchtsort wie er nur in unseren Köpfen existiert, jenseits von Zeit und Raum. – Es ist schön zu sehen und sehr unterhaltsam zu lesen, wenn jemand so mit Sprache umgehen kann wie Uwe Tellkamp es kann.
(Das „Blaue“ in der Blauen Stadt“ ist übrigens eine Art Suchspiel. – Viel Vergnügen auch dabei!)

Karlshorst, amazon.de, 16.4.2012

Momentaufnahme

Ich kann das Buch sehr weiter empfehlen, es ist wie Klopstocks Lyrik in Blankversen, aber eher eine politisch-kreative Momentaufnahme der DDR-Zeit.

La Verité, amazon.de, 4.11.2013

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Michael Wüstefeld: Das Blaue vom Himmel herunter
poetenladen.de, 24.2.2010

 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLGIMDb
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