Athena Farrokhzad: Bleiweiß

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Athena Farrokhzad: Bleiweiß

Farrokhzad-Bleiweiß

MEINE FAMILIE WAR BEI IHRER ANKUNFT MARXISTISCH GEPRÄGT

Meine Mutter verteilte die Weihnachtsmäner im
aaaaaHaus und wog
die Vor- und Nachteile eines künstlichen
aaaaaWeihnachtsbaums gegeneinander ab
als sei es ihr Problem

Tagsüber unterschied sie lange und kurze Vokale
als könnten die Laute die aus ihrem Mund kamen
das Olivenöl aus der Haut waschen

Meine Mutter ließ Bleichmittel durch ihre Syntax laufen
Auf der anderen Seite des Satzzeichens wurden ihre Buchstaben weißer
als ein Winter in Norrland

Meine Mutter baute uns eine Zukunft aus Lebensqualität
im Vorstadtkeller stapelte sie die Konserven
als stünde ein Krieg bevor

Am Abend suchte sie nach Rezepten und schälte Kartoffeln
als wäre ihre Geschichte
in Janssons Versuchung chiffriert

Sich vorzustellen dass ich an diesen Brüsten gesogen habe
Sich vorzustellen dass sie mir ihre Barbarei in den Mund gestopft hat

Meine Mutter sagte: Es scheint als sei dir nie aufgefallen
dass die Zivilisation von deinem Namen abstammt

Meine Mutter sagte: Die Dunkelheit in meinem Bauch
ist die einzige Dunkelheit die du beherrschst

 

 

 

„Ich wollte auf keinen Fall als Weiße für jemanden sprechen“

– Clara Sondermann, 29 Jahre, ist seit drei Jahren freie Übersetzerin. Nun hat sie Athena Farrokhzads Debüt Bleiweiß aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragen. Auf der Frankfurter Buchmesse erzählt sie von den Eigenheiten der Übersetzung eines feinsinnigen Gedichtes.

Marie Hecht: Das Gedicht Bleiweiß beschreibt die Erfahrungen einer aus dem Iran emigrierten Familie, die in Schweden auf eine weiße Mehrheitsgesellschaft trifft. Was ist dein persönlicher Zugang als deutsche Übersetzerin?

Clara Sondermann: Ich habe es vor ein paar Jahren auf Schwedisch gelesen und dachte sofort: Das mag ich. Weil es diese vielen Stimmen gibt, die ich sofort höre. Ich habe das einfach so in einem Rutsch weggelesen, was ungewöhnlich ist, weil ich Lyrik eigentlich nur in ganz kleinen Mengen lesen kann. Aber dieses Gedicht ist so, als wäre man bei einem Gespräch dabei, was sich immer weiter hochschaukelt.

Hecht: War es für dich eine Herausforderung, den Rhythmus des Gedichts aus dem Schwedischen ins Deutsche zu übertragen?

Sondermann: Ja, Lyrik ist ja auch ein Format, in dem man nichts erklären kann. Der Verlag, die Autorin und ich haben gemeinsam versucht, für das Deutsche einen eigenen Rhythmus zu finden, der ähnlich interessant ist wie das Original. Es sollte ein bisschen wütend sein. So wie: Ich habe so viel zu sagen. Es sollte auch etwas Schnelles haben und etwas Grobes.

Hecht: Ihr habt euch also eher rhythmische Charaktereigenschaften aus dem schwedischen Text gesucht und versucht, sie zu übertragen?

Sondermann: Genau. Dafür haben wir auch viel mit der englischen Übersetzung gearbeitet.

Hecht: Wie sehr ist der Text dabei zu deinem eigenen geworden?

Sondermann: Ich sehe es immer noch als Athenas Gedicht an. Bei anderen Übersetzungen würde ich eher sagen: Das ist meine. Aber bei dieser hatte ich so oft das Gefühl, dass ich mich lieber an das Original halten sollte. Ich habe sehr viel Respekt vor dem Thema und keine Erfahrung mit Rassismus und Migration, deswegen fiel es mir schwer, eigene Bilder zu finden. Ich habe also alle Kraft in die Übertragung von Athenas Bilder gesteckt. Ich hoffe auch, dass die Besonderheit des Langgedichts sich überträgt, denn dadurch, dass alles zusammenhängt, entsteht ein Dialog, der auf viele Familien zutreffen könnte.

Hecht: Hast du ein Beispiel dafür?

Sondermann: Ja, zum Beispiel dieses:

Mein Bruder sagte: Wir sind nichts als die Summe der Verletzungen die Sprache uns zufügt
Die Summe der Verletzungen die wir zufügen

Das ist eine Stelle, von der ich denke, dass ich die Übersetzung gemacht habe. Dort bin ich vom Original abgewichen und habe es mit meinen Erfahrungen abgeglichen.

Hecht: Mit welchen Erfahrungen?

Sondermann: Ich glaube, dass Sprache uns alle extrem verletzen kann, aber sie kann uns auch zu großen Sachen antreiben. Ich habe in meinem Leben öfter erlebt, dass Sprache eine große Macht hat, so dass ich glaube, wenn es in Gedichten um Sprache generell geht, kann ich mich aufgrund eigener Erfahrungen dazu verhalten. Insofern ist dieser Bruder im Gedicht mir immer auch ganz nah, weil er die Macht der Sprache anerkennt, würdigt und respektiert.

Hecht: Du kannst dich also auch selbst in dem Gedicht wiederfinden?

Sondermann: Ja, ich glaube am ehesten in der Autorin selbst. Das interessante ist ja, dass die Autorin selber nicht spricht im Gedicht und dass alles so auf sie einprasselt. Diese ganzen Vorwürfe, Anschuldigungen und auch Ansprüche. Damit kann ich sehr viel anfangen. Das kenne ich als Tochter. Jeder trägt Erwartungen und Ansprüche an einen heran und man hat das Gefühl, man will eigentlich gar nichts mehr sagen, dass alles irgendwie falsch ist. Da habe ich mich erkannt.

Hecht: Und das, obwohl ihr aus ganz unterschiedlichen Kontexten kommt.

Sondermann: Ich habe Athena, als ich sie das erste Mal getroffen habe, auch gefragt, ob es okay ist, dass ich als Weiße das Gedicht einer Frau mit Rassismuserfahrungen übersetze. Sie hat sich angeschaut, was ich übersetzt habe und meinte:

Ja, du hast den Ton gut getroffen, so als würdest du mich verstehen.

Das war ganz wichtig für mich. Gerade in den letzten Jahren ist es noch wichtiger geworden, wer welche Texte übersetzt und wer für jemanden spricht. Ich wollte auf keinen Fall das Gefühl vermitteln, dass ich als Weiße für jemanden spreche. Die Angst hat sie mir genommen.

Hecht: Ist eine so enge Zusammenarbeit zwischen Übersetzerin und Autorin üblich?

Sondermann: Es kommt darauf an. Ich glaube, dass ihr der Text extrem wichtig ist und auch, dass das Buch in jeder Sprache so erscheint, wie sie das beabsichtigt. Sie ist da sehr hinterher. Ich glaube, viele andere Autor*innen geben das eher ab.

Hecht: Wie lange hast du an der Übersetzung gearbeitet?

Sondermann: Die begleitet mich bestimmt schon über ein Jahr.

Hecht: Und hast du auf Apps, wie „pons“, „deepl“ oder „google translator“ zurückgegriffen?

Sondermann: Nein. Ich benutze noch nicht mal die guten digitalen Übersetzungsprogramme im Verlag, weil solche Apps den Kontext gar nicht kennen. Dann schaue ich eher noch einmal im Wörterbuch nach oder frage schwedische Freund*innen und Kolleg*innen.

Hecht: Bist du jetzt, da das Buch erschienen ist, zufrieden mit deiner Übersetzung?

Sondermann: Ich glaube, ich werde mit keiner Übersetzung je ganz zufrieden sein, nachdem sie erschienen ist; mein Verhältnis zu einem Text ist nicht statisch und er entwickelt mit der Zeit fast eine unüberschaubare Tiefe und Komplexität. Irgendwann beendet man dann trotzdem die Arbeit. Und ich merke beim Durchblättern der deutschen Übersetzung, dass es schön ist, dass der Text jetzt in einer weiteren Sprache zugänglich ist. Weil ich ihn und die Autorin so respektiere und das Thema so wichtig ist.

Frankfurter Rundschau, 20.10.2019

 

Sauerstoff für die Leblosen

– Athena Farrokhzads Langgedicht Bleiweiß. –

Athena Farrokhzads Langgedicht Bleiweiß beginnt mit einem schlichten Satz:

Meine Familie war bei ihrer Ankunft marxistisch geprägt.

Sofort ist klar, dass es in diesem Gedicht, soeben im Lyrikverlag Kookbooks erschienen, um Fragen von Emigration, Identität und Assimilierung geht – aber nicht nur. Weil da im ersten Satz das Stich- und Reizwort Marxismus fällt, lassen sich einige der darauffolgenden Verse nicht nur als eine Konfrontation kultureller Gegensätze lesen, sondern auch als politische Auseinandersetzung. So heißt es ein paar Zeilen weiter:

Meine Mutter verteilte die Weihnachtsmänner im Haus und wog
die Vor- und Nachteile eines künstlichen Weihnachtsbaums gegeneinander ab
als sei es ihr Problem.

Warum sind Weihnachtsbäume nicht ihr Problem? Weil sie – vielleicht – Muslima ist? Weil sie Marxistin ist? Oder weil man, egal „wer“ oder „was“ man ist, in einem fremden Land ganz andere Probleme hat?
Über die genaueren Umstände der Familie erfährt man nicht viel. Ihre Wohnung wird genauso wenig beschrieben wie das Land, in dem sie leben (vermutlich Schweden), oder das Land ihrer Herkunft (vermutlich Iran), oder die Berufe der Eltern. Es wird auch nicht ganz klar, wie sich die Erzählerin, die Tochter, selbst innerhalb der Familie situiert. Während die Ratschläge, Meinungen, Mahnungen von Vater, Mutter, Großmutter, Onkel und Bruder auf sie hereinprasseln – das Gedicht besteht in der Tat aus nichts anderem als Gesprächsfetzen –, bleibt sie selbst still.
Athena Farrokhzad wurde 1983 in Teheran, Iran, geboren und wuchs in Schweden auf. Bleiweiß, auf Schwedisch Vitsvit (2013), war ihr lyrisches Debüt und wurde bislang in fünfzehn Sprachen übersetzt. Für die sehr gelungene deutsche Übersetzung ist Clara Sondermann verantwortlich.
Mit seinen fast 70 Seiten ist Bleiweiß ein Langgedicht. Großzügig sind die Verse auf die Seiten verteilt. Die einfachen, klaren Worte sitzen in weißer Schrift auf schwarz gedruckten Balken. Das verleiht ihnen eine gewisse Schwere, dem Buch insgesamt aber eine eigentümliche Eleganz. Auch die Sprache oszilliert zwischen lyrischer Schwermut und einer flapsigen Alltäglichkeit. Dieser Spagat zeigt sich schon in der Form, denn die Gesprächsfetzen wirken wie gesetzte, überzeitliche Weisheiten, eingeführt durch die stete Eröffnungsformel „Mein Vater/Mutter/Onkel sagte“, gefolgt von einem Doppelpunkt. Bleiweiß lässt sich als Chiffre für den zu überwindenden Rassismus lesen. Das schon in der Antike gebräuchliche Farbpigment wird seit langem nicht mehr verwendet, da es schädlich für Gesundheit und Umwelt ist.
Was gesagt wird, ist mehr Monolog als Dialog. Und manche dieser kurzen Monologe wirken absurd – „meine Mutter reichte ihrer Mutter das Glas und sagte: Jetzt sind wir quitt / Hier hast du die Milch zurück“. Als würde sich die, die all dies aufschreibt, selbst über die familiären Seltsamkeiten amüsieren.
Oder handelt es sich um Sprichworte, die es in der einen Sprache gibt, aber in der anderen nicht? Diesen Eindruck bekommt man, wenn die Großmutter folgende so schöne wie rätselhafte Weisheit zum Besten gibt:

Was du auf der Schaukel verlierst, holst du dir später im Karussell zurück.

Verlieren, Zurückholen, Geben und Nehmen. Das Stimmengewirr steigert sich zu einer machtvoll hämmernden Wutrede, die nicht bloß anklagt, sondern mit offenen Armen und großer Vorstellungskraft austeilt:

Meine Großmutter sagte: Pistazien für die Zahnlosen
Rosenkränze für die Gottlosen
Teppiche für die Obdachlosen
und eine Mutter für dich

(…)

Meine Mutter sagte: Sauerstoff für die Leblosen
Vitamine für die Kraftlosen
Prothesen für die Beinlosen
und eine Sprache für dich

Schade fast, dass Farrokhzad dem Zusammenhang zwischen Familie und Politik nicht noch weiter auffächert. Stattdessen geht es gegen Ende des Gedichtes immer mehr um Sprachlichkeit – ein Thema, das zur Emigrationserfahrung so wesentlich dazugehört, wie zur Dichtkunst. Manchmal kommt diese abstrakte Problematik etwas kraftlos daher. „Sprachlos bist du gekommen sprachlos sollst du gehen“ – zweifellos wahr, aber das eigentlich Spannende passiert doch dazwischen, zwischen dem Kommen und dem Gehen.

Birthe Mühlhoff, Süddeutsche Zeitung, 19.12.2019

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Christian Metz: Lyrikempfehlung 2020
lyrik-empfehlung.de

Gerrit Wustmann: Bleichmittel in der Syntax
fixpoetry.com, 16.11.2019

 

Vorstellungsfilm von Athena Farrokhzads Buch: Vitsvit zum schwedischen August-Preis 2013.

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + Facebook
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Athena Farrokhzad liest am 4.11.2013 beim Projekt Klyftan im Backa Teater.

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