Ben Okri: Wild

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ben Okri: Wild

Okri-Wild

ZEICHEN

So schlägt das Pentagramm
Über die Menschenmacht
Den magischen Bann,
Erlöst darin die Nacht

Und wandelt die Zeit in Gold.
Salomons Siegel, Merlins Stern:
Immer reimen sich Symbole
Auf der Traumwelten Kern.

Glaube ruhe wohl in Wissen.
Die Saat aus ruhiger Hand
Lässt uns davon nichts missen.
Die Wahrheit hält allem stand.

So sprechen die Sterne
Und wird alles gehalten im Kreis.
Symbole steigen aus der Ferne.
Wir fallen nicht aus ewigem Gleis.

 

 

 

Über dieses Buch

In den Nachbildern von Löwen, Flüssen, Kriegern rufen sie antike Stimmen auf wie Homer, Heraklit und Vergil, aber sie reflektieren die postkoloniale, postmoderne Welt des 21. Jahrhunderts. Die älteste und die jüngste Geschichte begegnen sich in machtvollen Assoziationen. Während diese Gedichte sich in ihrem oratorischen Gestus oft an ein leibhaft anwesendes Publikum richten, sind ihr jüngstes Medium auch Twitter und iTunes.

Verlag Das Wunderhorn, Ankündigung

 

 

Im Sternenlicht

– Einfache Melodien in C: Der nigerianisch-britische Autor Ben Okri versucht sich als Lyriker. –

Afrikanische Lyrik wird oft in Europa geschrieben. So auch die Gedichte des Nigerianers Ben Okri, der 1959, kurz vor der Unabhängigkeit in Nigeria, geboren wurde und seit seinem neunzehnten Lebensjahr in London lebt. Er wuchs teilweise in England auf, wo sein Vater Jura studierte. 1966 ging die Familie, kurz vor Ausbruch des Biafra-Bürgerkriegs, wieder nach Nigeria. Als Student kehrte Okri nach London zurück und blieb. 1991 wurde der damals erst 32-Jährige mit dem Booker-Prize ausgezeichnet. Die Reihe AfrikAWunderhorn stellt den Romancier, der in England schon drei Gedichtbände veröffentlich hat, nun auch hier als Dichter vor. Neue Weltlyrik?
„If for a poet I sound / Prosaic, then you miss my beat“, warnt Okri vorausschauend. Einfach wie eine „Melodie in C“ will er klingen. Das gelingt gut: „Seid die besten Freunde füreinander“ – so oder so ähnlich lauten die politischen Botschaften der überwiegend freien Verse des inzwischen 55-Jährigen. Unter dem seltsam unpassenden Titel Wild versammelt Okri nachdenkliche Gedichte über seine nigerianische Herkunft, engagierte Gesänge zur Weltlage, aber auch schwärmerische Verklärungen der irdischen Schönheit sowie Gelegenheits- und Widmungsgedichte an Größen der europäischen Kultur von Vergil über Dante bis Brian Eno.
Die europäische Literaturkritik verglich Okri mit magischen Realisten wie Salman Rushdie oder Gabriel García Márquez, weil er die Mythen der nigerianischen Kulturen mit Gegenwartserzählungen verschränkt. Sein Erfolgsroman Die hungrige Straße etwa wird von einem „Geisterkind“ erzählt, einer Figur aus den Legenden des Yoruba-Volkes. Okri, so sagte er in einem Interview, will sich mit der Weltliteratur messen, zugleich aber in die Fußstapfen großer Vorgänger der afrikanischen Literaturen treten: der Nigerianer Chinua Achebe und Wole Soyinka oder des Kenianers Ngũgĩ wa Thiong’o.
Das ist ein schwieriger Anspruch, den man seinen Gedichten anhört: 

Ich singe von einer neuen Freiheit
In den Tagen des Feuers.
Freiheit und Notwendigkeit.
Wir brauchen Freiheit, um aufzusteigen,
Treu zu bleiben unserem wahren Selbst
In den überreichen Torheiten unserer Zeit.
Werde die Kraft, die du bist,
In dieser Ära der Wirtschaftsverbrechen.
Nur wer frei bleibt in seinem Geist
Findet seinen Weg aus dem Dickicht.
Denn wir sind die Kinder des Sternenlichts,
Und wir sollten ihnen entsprechen.

Okri ruft mystische Bilder auf, die an europäische Klischees afrikanischer Naturverbundenheit erinnern. Oder ist das schon der eurozentrische Blick? Andererseits: Kann der überhaupt einen Autor treffen, der zwei Drittel seines Lebens in London verbracht hat? Die esoterische Note vieler Gedichte jedenfalls wirkt eher „Made in Europe“. Im Englischen entwickeln einige der Verse eine Kraft, die sich aus dem Pathos der ausladenden Bilder, aus Adjektiv-Vernarrtheit und einfachen Rhythmen speist: 

Someone said begin with a leap.
And so I lept over the great
Sleep, with a heavy stone
In my head. But I was light
As a song, or an African
Bird, one you might
See in the safari of dreams.
So when I leapt over
Where did I land?
These are questions fort the sand.

In solchen Versen, die zur Vertonung einladen, klingt politisches Engagement mit, wie man es in der deutschsprachigen Lyrik in den 1960er-Jahren zelebriert hat. Heute wirkt es so naiv wie der Glaube, Kaiser und Diktatoren könnten der Literatur gegenüber den Kürzeren ziehen, weil in eines „Dichters Genie / Eine unsterbliche Welt sich erhob ohnegleichen“. Es stellt sich die Frage: Verlangt die Misere der Welt, wie diejenige Nigerias, die durch die Terrororganisation Boko Haram ins Schlaglicht gerückt wurde, nach so einfachen Tönen?
Problematisch sind außerdem Nachlässigkeiten, wie sie Okri in dem langen Gedicht „Die Schreiende“ unterlaufen. Ein so umstrittenes historisches Ereignis wie das „Massaker von Jenin“, also der Angriff israelischer Streitkräfte auf ein palästinensisches Flüchtlingslager im Jahr 2002, wird hier für effektvolle Formulierungen instrumentalisiert. Solche „Legenden“ aus „bloßen Gerüchten und Schmerz“ hinterlassen einen schalen Nachgeschmack. Die Stärken des Bandes zeigen sich in den weniger plakativen Texten wie dem Gedicht „Die Ruine und der Wald“. Konzentriert arbeitet Okri hier mit Wiederholung und Variation, um das Drama des Kolonialismus oder eben auch einfach nur das Dilemma der Generationenfolge zu beschreiben.
Dass Okri am Schluss dennoch ins Esoterische abgleitet, wird durch die Übersetzerin, die Dichterin Brigitte Oleschinski, eher verstärkt als gemildert. Merkwürdigerweise hat sie sich allzu oft dafür entschieden, Okris Pathos durch elliptische Syntax und slanghafte Wortwahl zu dämpfen. Neutrale Formulierungen wie „so much fun“ verwandelt sie in den „totalen Spaß“ und unterstellt Okri so einen Ton, der weder zum Ernst seiner politischen Themen passt noch zu seinem Anspruch, als Poeta doctus aufzutreten. Unabhängig davon: Ein großer Dichter schlummert wohl nicht in diesem Romancier. Als Songwriter könnte Ben Okri allerdings der heutigen Sehnsucht nach Schlichtheit durchaus den richtigen Sound liefern.

Insa Wilke, Süddeutsche Zeitung, 7.4.2015

Wie uns die Alten sungen

– Grenzgänger zwischen Großbritannien und Afrika: Mit dem Band Wild sind nun erstmals die Gedichte des nigerianischen Schriftstellers Ben Okri in einer zweisprachigen Ausgabe zu entdecken. –

Die Poesie, schreibt er in seinem Essayband A Time For New Dreams (Rider 2011), „steht uns näher als die Politik, und sie ist uns so wesenhaft wie Gehen oder Essen“. Für Ben Okri ist sie „die unerhörte Melodie eines Lebens, das in unermessliches Schweigen zurückkehrt“, ein Klang, den Dichter zwischen dem Empfinden innerer Ewigkeit und dem Wissen um die äußere Vergänglichkeit nur hörbar machen.
In Wild, seinem ersten auf Deutsch erschienenen Lyrikband, reicht diese Melodie vom Gesang der Vögel bis zum großen Wehklagen über Kriege und Katastrophen. Sie schlägt den Bogen vom Privatesten ins Historische, und sie verkehrt mühelos zwischen belebter und unbelebter Natur.
Ben Okri, 1959 in Minna, der Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaats Niger geboren und von Kind an ein Grenzgänger zwischen Großbritannien und Afrika, pflegt ein durchaus altmodisches – oder vielmehr: archaisches – Verständnis von Poesie. Und zugleich sind seine Verse von schmerzhafter Gegenwärtigkeit, gerade weil sie den Dialog mit Homer, Horaz, Vergil, Dante oder Heraklit im Bewusstsein anschwellender Migrationsströme und ökonomischer Ungerechtigkeiten suchen.
Okris Gedichte leben dabei von unsichtbaren Übergängen zwischen altem Europa und mythischem Afrika, Traum und Wirklichkeit – und bei alledem von einer Berufung zum Höheren, vor der nur der Einzelne immer wieder versagt. „Towards the Sublime“ („Dem Erhabenen entgegen“) heißt eines der Gedichte. Es gibt die Richtung aller Wandlungen und Verwandlungen vor, die sich in diesem Buch ereignen.
Den Anfang macht ein Gedicht über die tote Mutter, den Schluss eines über den toten Vater. Dazwischen in schlichtem, kraftvollem, meist freirhythmischem Ton mit gelegentlichen Reimanwandlungen der Versuch, alles mit allem in Verbindung zu bringen. Denn „die Alten sahen / Die Welt, wie sie ist, / Ein System des Zusammenspiels, / In dem die Dinge sowohl sie selbst sind / Als auch Symbole und Bezüge.“ Halluzinatorisch leuchtend „Der blaue Schal“, mit dem inmitten einer Flutkatastrophe in Mosambik eine Mutter ihre Kinder rettet – „mächtiger / Als die mächtigen Nationen, / Die zuschauen und nichts tun.“ Beklemmend „Die Schreiende“, deren Umnachtungsausbrüche das lyrische Ich mit dem israelischen Angriff aufs palästinensische Jenin 2002 (hier fälschlicherweise noch als Massaker bezeichnet) zusammenspannt – und zwar an einer ganz anderen Stelle der Welt. Brigitte Oleschinskis Übersetzungen taugen als solide Handreichung zur Lektüre der Originale. An deren elementare Wucht reichen sie leider nicht heran.

Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel, 3.8.2014

 

 

 

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