Daniel Falb: die räumung dieser parks

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Daniel Falb: die räumung dieser parks

Falb-die räumung dieser parks

du hältst dich im beugungsbild auf, die
aaaaafehlerrechnung
aaaaaaaabelegt deinen arbeitsspeicher, unter pappeln
bist du und fälschst einen neuen countdown:
aaaaaaaaaa   aaanfangs glaubtest du, der kohlenstoff
könnte nicht singen…

aaaaaaaaaaaaaaaaaaadie intensitätsverteilung durfte
aaaaamit excel
grafisch ausgewertet werden, das dann doch.

aaaaaaaaaaaaaaaasichtbar wurde, was zum kalenderblatt taugt,
pappeln, ein ökologisch geführtes landwirtschaftsunternehmen.
eine junge frau steht an der koppel,
aaaaaaaaaaaaaaaasie gehen gemeinsam volksempfänger hören.

 

 

 

Dieses regionale Getreide

– Zu den Gedichten von Daniel Falb. –

Es gibt Gedichte, die man erst begreift, wenn man sie nicht ganz versteht. Das Begreifen greift weiter, denn das Verstehen endet immer beim Verständlichen, nicht aber die Poesie. Jedenfalls nicht notwendigerweise.
Das Begreifen umgreift den Sinn, zu dem etwas, das man nicht ganz versteht, in manchen Fällen wesentlich gehört.
In den Gedichten von Daniel Falb gibt es meist einen sehr straff kalkulierten und äußerst raschen Anspurt in den Eröffnungen:
„nächtelang zeigte die webcam / nur diesen aufenthaltsraum“ oder„die körpergrenzen sind mit den wänden dieses zimmers identisch“.
Solche Sätze entwickeln eine Ausstrahlung von kühler, nüchterner Sachlichkeit, wenn sie in eine Abfolge geraten.
Es entsteht ein hartes, laborartiges Licht, das auf die Beobachtungen fällt oder sogar von ihnen auszugehen scheint. Es sind Beobachtungen von minutiöser Zeitgenauigkeit, von poetischer Pünktlichkeit beim Eintreffen von Gegenwart oder an der persönlichen Unfallstelle.
Dann jedoch, bevor solche in Abfolge geratenen Aussagesätze drohen, fein aus dem Gedicht laufende Irritationen niederzumähen, entwickelt Falb eine Methode der poetischen Verblüffung, die sie im Gegenteil zum Ausblühen bringt.
Sie nähert sich nicht über die Eröffnungstableaus, ihre äußerst konzisen Aufrisse, sie konfrontiert sie einfach mit einer Gedankenführung, die Zwischenschritte überspringt und radikal andere, in anderen Komplexitätsverpflichtungen stehende Bezüge dagegenstellt.
Das Gedicht gerät dadurch in ruckartige Wechsel oder vollzieht diese vielmehr.
In diesen internen Spitzkehren werden unwillkürliche Ausblicke auf eine in gesetzmäßiger Schönheit daliegende Sprachlandschaft frei.
Knapp, eng und ernst reihen sich die Beobachtungen erst einmal, dann wird ein gegenläufiges Moment ausgespielt wie ein straight flush:
„die viren meiner nutztiere wie erspartes in der luft“.
Auch wenn das im ersten Moment vielleicht so klingt, sind sie aber keine surrealistischen Surrogate, wie wir sie etwa aus Bretons „Der weißhaarige Revolver“ kennen, es sind dekommunizierende Sequenzen, Bluffs, Beispiele einer Logik, die immer wieder aus jener Kausalität springt, die sie sich selbst erschlossen hat.
„du liegst ungleichzeitig da“, heißt es, aber gerade in dieser Diskontinuität, nicht nur von Zeit, bestätigt Falb einen „unglaublichen freispruch“.

Trotz ihrer schlanken Auslegung sind die Gedichte hoch dosiert und hoch konzentriert, mit gigs, mit gezielt verschmutzten Passagen, schnoddrig auch oder ironisch und immer geprägt durch ein eigenwilliges und autosarkastisches Agieren ihrer Grammatik.

waldwege zur
entscheidungsfindung, keine böschung, das zwitschern
des ressentiments war ohrenbetäubend, für ornithologen

Eine immer wieder aneinander geratende, textinnere Antagonistik, in der die erregenden und die erregten Kräfte ineinander laufen.
Dem menschlichen Körper, inauguriert als biologischer Palast, begegnet der, die oder das Geliebte als sezierender Eros.
Manchmal dringt aus den Gedichten, wenn es nicht der Tonfall der wissenschaftlichen Reportage ist, der Tonfall des politischen Kommentars. Die Zeilen scheinen mit dem Klang einer Radikalität imprägniert, die sich nicht an Aktualität, Verbindlichkeit und Folgerichtigkeit abnutzt, aber gerade dadurch wird poetische Sprache dimensioniert für ein Sprechen vorbei an der Kommunikationsschablone, ohne den Aberwitz sich permanent annullierender Information.
Durch diesen Kunstgriff entsteht der immer etwas undurchschaubare poetische Knick, diese Klippe auf das Unverständliche hinaus, denen echte Poesie ihre seltsam berauschende Wirkung verdankt.

diese legalität wirkte auf den ersten blick
wie die normandie, vom meer aus gesehen

Obwohl es sich bei weitgehender Beibehaltung der „Rechtschreibung“ in diesen Gedichten grammatikalisch und architektonisch um experimentelles Schreiben handelt, ist hier nichts von der landläufig verbreiteten schematischen Verkrampftheit oder der lästigen Urtümlichkeit des Wortbaus eben dieses Genres zu spüren.
Daniel Falb ist nah dran, aber wie er das ausdrückt, ist weit genug entfernt, um mit Altbekanntem verwechselt zu werden.

Gerhard Falkner, Nachwort, August 2003

 

Gedichte schürfen an der Haut

unserer Wahrnehmungen. Indem wir uns an ihnen reiben, lassen sie uns verändert zurück, mit geschärften Sinnen. Fast wie nebenbei gelingt es ihnen auf engstem Raum, komplexe Vorgänge ins Licht zu setzen.
Wie dicht dran Gedichte damit sein können, zeigt Daniel Falbs Debütband die räumung dieser parks. Präzise schnoddrig, selbstironisch und mit jener Spröde begabt, die Konfliktpotenziale nicht übergeht und das Zärtliche benennen kann, ohne Betretenheit zu erzeugen, loten sie den Grat aus, auf dem sich poetisches Sprechen heute bewegt. Im Fokus haben sie ein Panorama aus Alltagswelten unserer Mediengesellschaft, das von Party-, Arzt- oder Mallbesuchen über Diskurse aus Bioethik und Genderforschung bis zur inneren Sicherheit reicht.
Mit Daniel Falb hat das deutsche Gedicht eine Stimme gewonnen, die wir nicht mehr missen möchten.

kookbooks, Klappentext, 2003

 

Ein Meilenstein

Daniel Falb hat mit diesem Gedichtband vor mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt den wohl einflussreichsten Gedichtband seiner Generation vorgelegt, ohne dass das geneigte Publikum dies mitbekommen hätte (von den üblichen 300 Verdächtigen und den obligaten 100 Kollegen abgesehen).
In diesem Band, seinem Erstling, probiert Falb völlig neue Lyrikverfahren aus, ins Besondere was den Gebrauch von spröder, teils technischer Sprache anbelangt. Und es gelingt ihm: die Gedichte sind nicht nur kühl gehalten, sie liegen zeitweilig im Eisfach. Und kommen dann schockgefrostet und bretthart auf den Tisch.
Wenn man Gedichtbände anderer zeitgenössischer AutorInnen liest, die nach diesem Band erschienen sind, fällt einen die Ähnlichkeit in Duktus und Haltung oft geradezu an.
Dieser Band ist am Beginn einer neuen poetischen Epoche maßgeblich beteiligt gewesen. Deshalb sollten Sie ihn lesen.

 4.8.2016

Balance des bösen Blicks

Jähe Wendungen, doppelte Böden, Abgründe – im Gelände dieser Gedichte ist Orientierungsgabe gefragt. Hat sich die Wahrnehmung aber mit der Montagetechnik vertraut gemacht und ist beim Wechseln der Blickwinkel und Bezugsrahmen geschmeidig geworden, wird allerhand sichtbar: Zumutungen der Medienmaschinerie, Praktiken der Forschung oder der inneren Sicherheit, Kindheits- und Jugenderinnerungen. Was befremdet, ist oft zugleich vertraut, denn so mancher Gesichtspunkt unseres Alltags wird in seinen finsteren oder grotesken Zügen beleuchtet:

das telefon
ist in dieses gehirn irgendwie als nervenende hineingesteckt

Gespiegelt werden Schwierigkeiten, zwischen Wirklichkeit und Simulation zu unterscheiden. Entferntes zeigt sich in unvermuteten Zusammenhängen. Zwar gibt es Passagen, die dergestalt verschlüsselt sind, dass man dahinter Privatgemächer des Autors vermutet. Doch die meisten Konstellationen lassen aufhorchen, etwa wenn Mathias Rusts Landung in Moskau mit einem Zoobesuch überblendet wird.
Die Tonfälle sind distanziert. Die Gedichte wirken zuweilen wie Rapporte. Ein Feldforscher scheint da am Werk, der auch sich selbst als Objekt sieht. Anklänge von Betroffenheit werden allenfalls zitiert. Ein feiner, am ehesten sarkastisch zu nennender Humor, der sich manchmal nur in einem Füllwort ausdrückt, verleiht vielen Zeilen allerdings eine besondere Färbung. Indem sich Falb im Vokabular und in den Sprachgesten raffiniert an die Inhalte anlehnt, legt sich das Geflecht von Manipulation und Selbstmanipulation, das unser Leben bestimmt, wie von selbst bloß:

wenn in den gruppenszenen manche abwesend wirkten,
war das ein verbesserungsvorschlag, kein feierabend.

Dass diese Lyrik weitgehend auf der Kippe bleibt, weder zynisch wird noch anklagt, stärkt ihre verstörende Wirkung.
Trotz des „harten, laborartigen Lichts“, so Gerhard Falkner im Nachwort, und trotz gelegentlicher Effekte gröberen Zuschnitts wie Vulgarismen oder Kalauer – in den Schlusszeilen vieler Gedichte findet eine Hinwendung zu den Subjekten statt, die anrührt. Plötzlich wird klar, wie hilflos und ausgeliefert sie sind, auch wenn sie scheinbar fröhlich mittun:

du lächelst
in die kamera und gehst schwimmen, die strömung erfasst dich sofort.

Niemand ist sich hier seiner gewiss, seines Ortes nicht und auch nicht seines Körpers. Den einen droht mediale Bearbeitung, den anderen Abschiebung. Daniel Falb kultiviert einen Blick, der ebenso böse ist wie der Zeitgeist, dessen Wirken er betrachtet.

Rainer Stolz, tip, Heft 8, 2004

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Ron Winkler: Autosarkastisches Agieren
literaturkritik.de, Oktober 2003

Henrik Jackson: schlagzeile: hilfe mein gesicht leuchtet im dunklen
lyrikkritik.de

Am 7. März 2005

habe ich ihn im Theater o.N. Kollwitzstr. 53, Berlin, vorgestellt mit einigen Texten aus seinem ersten Bändchen und diesen einleitenden Worten:

Geboren 1977 in Kassel, seit 1998 in Berlin. Von den kommenden Literaturpreisen ist der erste bereits vorhanden: Prenzlauer Berg Preis 2001.
Die Texte/Prosagedichte lassen in ihrer Bevorzugung von Begriffen aus der modernen Zivilisation auf einen, verglichen mit meinem zumindest, hohen Bildungsstandard dieser Art schließen, von dem ich annehme, daß er für Jüngere Allgemeinbildung ist.
Er gebraucht sie nicht demonstrativ und nicht mit einem anklagendem Unterton, sondern bescheiden konstruktiv, als konstitutive Teile des jeweiligen Textes, einer umsichtig aufgebauten Textstruktur, die mit den fixen Teilen der verwalteten Welt auch die Standards aufnimmt, nach denen sie verjährt und sich bewegt.
So komme ich zu dem Eindruck, einer Lebenserfahrung zu begegnen, die ohne diese Einsätze Falbs weiter unnennbar durchliefe, tonlos, nicht in einen persönlichen Atem aufnehmbar.
Das Persönliche dieses Atems wird in einer leichthändig, d.i. unangestrengt, geführten, vornehmlich berichthaften Fügung erst hervorgebracht. Sein Schicksal ist im Effekt der Zwilling, scheint mir, des poetischen Effekts und seines Schicksals. Der Autor bevormundet nicht. Die Abläufe sind offen, bisweilen trifft man in ihren Gelenken unverkennbar auf pure Intelligenz.

Elke Erb, Ostragehege, Heft 40, 2005

 

Attraktoren im Genpol

– Gespräch über die Gedichte des zu Besprechenden. –

Ron Winkler: Wenn ich deine Gedichte lese, vermittelt sich mir der Eindruck einer alles erfassenden syndromatischen Unruhe, die man weder mit Sprache benennen noch rational fassen oder überhaupt lebenstechnisch bewältigen kann. Die Gegenwart erscheint wie eine ins Endlose gedehnte Sequelsituation, ein Patt zwischen Nachkriegsabsonderlichkeiten, deutschen Herbsten und den noch unscharfen Effekten der grassierenden Globalisierung. Augenscheinlich basiert dieses System auf der Abweichung von dem, was wir die menschliche Vernunft nennen. Erfüllung gibt es oft nur über Schein- und Ersatzsignifikanzen. Darin blüht beinahe einzig die Blume einer diese und eigene Abweichungen gewissermaßen kultivierenden Stimme, die mit ihrer vielleicht klinischen Ironie innerhalb des eigentlich Fatalen noch den größten Halt bietet. Diese Art, Realitäten literarisch zu projizieren, ist bei dir von Beginn an sehr konsequent durchgeführt. Vielleicht könntest du etwas über die Kalküle oder Unausweichlichkeiten sagen, die dir diesen Modus erschlossen.

Daniel Falb: Du hast einige Punke angesprochen, die recht genau gewisse, vielleicht zentrale Merkmale der Texte erfassen. Dazu würde ich Folgendes sagen, Erstens. Mir gefällt gut, wenn du sagst, es gebe hierin eine Unruhe, die sich nicht sprachlich benennen lasse. Tatsächlich geht es mir in der Lyrik nicht oder nicht wesentlich darum, über bestimmte Gegenstände zu sprechen, sie zu repräsentieren, sie zu verhandeln, sondern darum, wie es gelingen könnte, dass bestimmte Gedankenfiguren, Motive, Emotionalitäten etc. sich den Texten eindrücken. Die Texte sind in diesem Sinne als Medien zu begreifen, nicht als Beobachtungsposten oder Subjektpositionen. Zweitens. Was sich den Texten eindrückt, sind dann aber, wie ich meine, nur in erster Instanz allgemeinere Parameter wie Unruhe, Haltungen, Stimmungen. Vielmehr gilt es, den mehr oder weniger klaren Entwurf oder das Konzept, das jeweils als Arbeitsgrundlage eines Textes dient, in dessen Struktur zu realisieren bzw. zur Geltung zu bringen, und zwar im Ganzen dieser Struktur. Entsprechend besteht der Arbeitsprozess auch weniger im Finden der Übergänge oder Schnitte zwischen den Sätzen, sondern im Zielen auf dieses Ganze. Diesem Zugang verdankt sich vielleicht auch der Eindruck, die Texte gründeten auf einer „Abweichung“ von der „menschlichen Vernunft“. Meinem Verständnis nach tun sie das aber nicht. Denn einerseits ist die Irrationalität der instrumentellen Vernunft inzwischen lange bekannt; rational-choice-Theorien können denn auch jeden beliebigen Wahnsinn im Effekt als Rationalitätskalkül modellieren. Der Vernunftbegriff ist also sehr weitläufig anzusetzen. Andererseits liegt die Konsistenz und insofern: die Vernünftigkeit der Texte bloß im Ganzen ihres Gefüges, nicht im einzelnen Satz und Übergang. Drittens. Vielleicht korrespondiert diese auf das Textganze gelegte Betonung auch mit der Endlosigkeit der Sequelsituation, von der du sprichst. Deren unendliche Gegenwart führt nämlich im Prinzip auf die Gleichzeitigkeit der Textelemente; das Modell ist hier nicht die Musik, sondern die Architektur. Sie führt aber auch, zumindest wünsche ich mir das, auf eine Enthierarchisierung der Sprachebenen. Das komplette Fernsehprogramm läuft gleichzeitig, auf einem Bildschirm. Durch die somit entstehenden Muster hindurch werden dreidimensionale Bilder, Architekturen sichtbar. Viertens, Rückfragen. Warum meinst du, die in den Texten womöglich aufscheinende Unruhe müsse lebenstechnisch bewältigt werden? Kommunizieren die Texte für dich tatsächlich wesentlich Fatalität, also Schicksalsmacht? (Steht die Ironie nicht bereits auf einem ganz anderen Boden?) Und schließlich: was, denkst du, ist die Funktion des Halts beim Lesen von Texten? Zugänglichkeit? Haltung? Trost?

Winkler: Ich wollte darauf hinaus, den von dir verfremdend replizierten Sozialräumen eine Kafka-Physik zu attestieren. Stichwort: die vielleicht schon per se zynische, selbstzerstörerische Qualität des Seins. Nicht nur wegen der bizarren Mühen der Ebenen, die du so wunderbar metaphorisierst, sondern auch wegen der sardonischen Präsenz von Ämtern, Naturkatastrophen und Waffen in deinen Gedichten, überschminkt von einem oft gegenwärtigen „hollwood“ (of life).
Vielleicht hätte ich nicht von Vernunft, sondern von deformiertem Humanismus sprechen sollen. Ich nehme an deinen Texten eine post-chiliastische Atmosphäre wahr. Es gibt im Prinzip keinen (vernünftigen) Telos mehr. Trotzdem bricht sich nicht Pessimismus Bahn, sondern eine Art sich jeweils ad hoc ausrichtender Zweckoptimismus. Auch das meine ich nicht auf dich, sondern auf deine Figuration bezogen. Das Lebensglück deiner Akteure ist zumeist Surrogat für etwas Eigentlicheres, das im Moment aber nicht lieferbar ist. Und man ist sich dessen sehr bewusst. Daher das Fatale. Die reflektierende, lakonische Distanz zu den Verhältnissen – so hatte ich es gemeint – ermöglicht erst, sich mit ihnen zu arrangieren. Das ist der Halt, von dem ich sprach. Gleichzeitig Korsage.

Für den Leser ist das natürlich keine Kategorie. Gerhard Falkner sagte ja im Hinblick auf deine Gedichte, dass man in und mit ihnen begreifen könne, ohne im Einzelnen zu verstehen. Mir geht es entsprechend so, dass mir die Grundsituation der Texte fremdartig vertraut ist. Unterschwellig. Es schäumt und schäumt und dennoch ergibt sich in metaphysischer Hinsicht kaum Konsistenz. Der Überdruck an Ereignissen, die Hypergleichzeitigkeit von ganz verschiedenen Krankheitsbildern und Heilsprogrammen, medial proliferiert – das ist doch unser fantastischer Alltag.
Die vagen Charaktere, die du etablierst, versuchen diesen Meta-Monitor zu lesen, indem sie sich permanent ihrer Umgebung vergewissern, wenn sie diese nicht sogar ständig vermessen. Ich könnte sogar soweit gehen zu behaupten, dieses laborhafte Verhalten sei die Hauptfunktion ihrer Existenz.
Alle Daten müssen immer wieder neu gewonnen werden, weil sich die Wahrnehmung ansonsten verfälscht. Dass diese Überkompensation, diese Überdimensionierung des eigenen Handelns die Psyche angreift, liegt auf der Hand. Sinnloses Expertentum ist nur eine der Folgen. Ein Beispiel:

wir erkannten typen von pfandflaschen an ihrer form, wenn es sie gab

Andererseits ist das ein wichtiges Energiezentrum für Kreativität, und man stößt nur so auf Notausgänge. Das Suchen dämmt die Unruhe ein, lebenstechnisch.
Eine Frage noch einmal anders, bevor ich dir das Mikro wieder reiche: Lässt es sich in diesem Rahmen hier sagen, wie du zu deiner poetischen Architektur fandest? Dein eigener Ton ist ja bereits in deinem Debüt ungeheuer ausgeprägt, und die Konstellation wirkt äußerst homogen. Gibt es Vorläufergedichte, Schwellentexte hin zu diesem Entwurf oder war dieser Modus sofort da, als einzig plausible Art zu schreiben?

Falb: Bevor ich die letzteren Fragen zu beantworten versuche, noch ein paar kurze Bemerkungen zu deinen Diagnosen. Tatsächlich mag in den Texten kein Telos aufscheinen, aber das ist kein Problem. Kants ewiger Friede war im Grunde immer nur als Verschwinden und Aufgehen des Militärischen in Polizei und Entwicklungsarbeit denkbar. Hegels Geschichte ist, er sagt es selbst, wesentlich als Schlachtbank zu begreifen. Die Verabschiedung des Telos fällt demnach sehr leicht.
Weiterhin nimmst Du eine „zynische“ Ontologie der Gedichte wahr, an welcher du das Moment reflektierender Distanznahme sowie das Moment der Übereinstimmung mit „unserem fantastischen Alltag im Sinne der fremdartigen Vertrautheit betonst. Das Zusammenfallen dieser Momente wäre mir dabei wichtiger für die textuelle Ontologie, wenn man denn davon sprechen will, als ihr zynischer Charakter. Diese würde sich dann dadurch auszeichnen, dass es in ihr keine Einzeldinge, also keine konkreten Dinge gibt. Zum Beispiel ist die Statistik konkreter als das, was sie summiert und kombiniert. Die Versicherung konkreter als der Unglücksfall, dessen Kosten sie antizipiert. Insgesamt versuche ich ziemlich genau so zu schreiben, wie Bruegel d.Ä. in seiner Visualisierung niederländischer Sprichwörter gemalt hat.
Vor diesem Hintergrund wird auch die Rede vom gerade nicht lieferbaren Eigentlichen problematisch. Meinem Empfinden nach beziehen sich lyrische Texte auf nichts anderes als mögliche Weisen ihres Gebrauchs. Demnach ist das „Lebensglück“ des Gedichts vor allem die Erfahrbarkeit seiner Ästhetik: im besten Fall verspricht es nichts (formuliert keine Kritik und postuliert keinen Mangel), sondern erfüllt nur (bildet selbst ein faszinierendes Objekt).
Zur Genese meines „Stils“. Über das, was vor der räumung massenhaft entstanden ist, kann ich nicht viel sagen; da mischen sich Celan und Bachmann, Pop und depressives Notat. Ein gewisser kühler Ton und vokabelmäßige Vorlieben mögen hier schon angelegt sein. Das Konstruktionsprinzip der meisten Texte des ersten Bands scheint mir dann die Szene zu sein; die Rückbindung an die (eine) Szene erlaubt erhebliche Weitläufigkeiten ohne Verlust der Konsistenz. Von diesem Prinzip habe ich danach versucht mich etwas zu lösen; Szenisches ist weiterhin ein wichtiges Element, aber nicht mehr Konstituens der Textur. Die Konsistenz ist jetzt eher eine des Entwurfs und seiner Evolution im Arbeitsprozess, wenigstens dem Anspruch nach (siehe oben). Sonnenklar, dass das nicht die einzig plausible Art ist zu schreiben. Reicht das dazu?

Winkler: Wie du merkst, betone ich an deinen Texten vor allem die ,diagnostische‘ Perspektive. Weil sie mir als zentral erscheint. Sie ist gewissermaßen die Raffinesse hinter der ästhetischen Finesse. An mich sendet dein poetischer Entwurf, salopp gesagt, eine Art Befund, vermittels einer weit schweifenden psycho-sozialen Inventur.
Spannend ist für mich dabei, wer mir das alles (an der Oberfläche) letztlich mitteilt. Oft ist es ein „wir“, das sich dann und wann aufspaltet, in das aber auch nicht selten von weiter außen hineinoperiert wird Ich nenne es einfach mal „das protagonistische Zentrum“. Es ist eigentlich permanent on the road und dabei erstaunlich passiv bzw. nur reaktiv. Die Ambitionen verpuffen im anything Irgendwo, alle Volten schlagen ins Ungefähre. In meinen Notizen steht etwas von „ph-Wert-neutralem Heldentum“ und „Annalen distinguierter Enttäuschung“.
Den sich entfaltenden Gestus finde ich so interessant, weil er höchst ambivalent ist: man weiß nicht (und ich denke deine Gedichte hier wieder als Epos), protokollieren sie nun Positionen von Opfern, Zeugen oder Tätern?
Unschuld in der Entsprechung von Uninvolviertheit gibt es jedenfalls keine. Nur die Teilnahme als schon Leistung. Nur verhindertes Partisanentum („wir kontrollierten die, die uns beobachteten, indem wir genau das machten, was sie sahen.“) Nur die fast masochistischen Fügungsfantasien des Citoyens. Die Freiheit des Zivilisationskranken. Flankiert von säkularen Beichten – um sich, absurd genug, in die Konkretion der Statistik einzubringen.
Wie gesagt, es gibt hier keine Unschuld, sondern nur ein Substitut davon. Ähnliches gilt auch für das Wissen, das davon überlagert ist, Bescheid zu wissen. Insofern, als deine Gedichte die vielfältige „Determiniertheit des Individuums“ (Hendrik Jackson) zeigen, sind sie ja politisch. Bevor du dich gegen diese Zuweisung sträubst, möchte ich einräumen, dass die Poetik sehr darüber hinaus weist, dass das Material jedoch zumindest mittelbar politische Implikationen aufwirft. Nicht weil du wie Platon „Über das Gerechte“ schreibst, sondern weil du mit dem Dissonanten arbeitest. Was politische Theorie und reale Ereignisse betrifft, dienen sie bei dir ganz offensichtlich keiner Argumentation, sondern werden als weitere Bezugsquellen in den Mahlstrom eingespeist, an dem sich dann gewissermaßen zeitgenössische Mentalität ablesen lässt.
Ein Freund hat mir gegenüber einmal bezweifelt, dass es sich bei deinen Texten im eigentlichen Sinne um Gedichte handelt. Dabei sind sie es absolut: extrem durchzuckt von einer konvulsivischen Metaphorik, die ihren Reiz weit jenseits des formal Richtigen entfaltet – auf einem Tableau von mit Wahnsinn verschmierten Wahrnehmungen.

Könntest du skizzieren, worin für dich die Reize bestehen, die zu diesem Schreiben führen? Deine erste Antwort war da noch etwas allgemein gehalten. Was ist deiner Meinung nach das so genannte Poetische, in Bezug auf dich und vielleicht auch allgemein gedacht? Wie lautet der ,Auftrag‘? Was hält den Prozess am Laufen?

Falb: Eines der wichtigsten Probleme lyrischen Sprechens scheint mir die Konstruktion einer komplexen Sprechhaltung zu sein. Der Begriff des protagonistischen Zentrums gefällt mir in diesem Zusammenhang sehr gut, auch wenn dieses Zentrum nicht als Punkt (Individuum) gedacht werden kann, sondern nur als Bereich (Kollektivität). Triviale Sprechhaltungen sind meinem Verständnis nach: das lyrische Ich und Du, die kleinen Phänomenologien und Narrativen, die ewigen Avantgarden etc. Es gibt nichts Langweiligeres als attribuierbares Sprechen. Ich habe eine Zeit lang den Ausweg des „wir“ gesucht, im Anklang an den antiken Chorus und dabei in der Hoffnung, er werde nicht allzu formiert, sondern disparater, zerstreuter wirken können. Inzwischen tauchen auch wieder Subjekte im Singular auf („ich kontrollierte meinen lippenstift“), aber eher als grammatikalische Tricks in der Bedeutung von: diese Satztypen gibt es auch noch.
Du verortest den Eindruck des Politischen der Texte in der Arbeit mit dem Dissonanten, Das mag stimmen. Da aber die großen und kleinen Politiken selbst mit dem Dissonanten und Hybriden arbeiten, hat man damit noch keine besondere Qualifikation gewonnen. Der Eindruck verdankt sich, meine ich, auch den von mir bevorzugten Sprachfeldern. Sich im Medium der politischen, wissenschaftlichen, sozialen, ökonomischen, medialen etc. Sprachen zu bewegen, ist aber allererst ein ästhetischer Imperativ. Es gibt, anders gesagt, eine Ästhetik des Thematischen. Das Ästhetische an den genannten thematischen Sprachen besteht insbesondere darin, dass sie sich häufig auf Aggregate beziehen, auf nicht einfach lokalisierbare Phänomene, d.h. auf Phänomene mit großer raumzeitlicher Erstreckung. Phänomenologie hat absolut nichts mit Mikroskopie zu tun. Allerdings ist eines der lächerlichen Klischees die Lyrik betreffend weiterhin das ihrer „Genauigkeit“. Damit habe ich nichts zu schaffen.
Ich verstehe Sprache auf allgemeinster Ebene als Affektion von Körpern und Sprachfähigkeit als Fähigkeit zur Affektion; ihr Wirken stellt also nicht in erster Linie auf Kommunikation ab, sondern auf Organisation. Organisation von Körpern in Raum und Zeit, zu deren materialer Konfiguration sie selbst gehört. Weiterhin hänge ich der problematischen Vorstellung an, Gesellschaften seien überhaupt identisch mit ihrer Logistik, ihren Maschinenräumen („die routinen waren verlegt worden wie kabel“). Der lyrische Text wäre dann eine Operation unmittelbar in dieser logistischen Basis, in dieser Matrix. Dies etwa in dem Sinne, in dem gewisse Parasiten Verhaltensänderungen in ihren Wirten oder Zwischenwirten hervorrufen. Oder in dem Sinne, in dem eine neue Technologie gleichsam Attraktoren in das soziale Feld einbringt. Wenigstens träume ich ein solches Szenario.
Ansonsten muss festgehalten werden, dass es keine inhärenten Qualifikationen des Poetischen gibt, sowenig wie der Kunst überhaupt. Für mich sind, wie gesagt, die Momente der komplexen Sprechhaltung und der materialen Operation wichtig. Die einem Text zugeschriebene Gattungsbezeichnung Gedicht birgt allerdings den unschätzbaren Vorteil, die Tür zum Resonanzraum der lyrischen Gattung offen zu halten; auf dieses Mehr an Resonanz, an Tiefe zu verzichten wäre töricht.

Winkler: Bei einem zeitgenössischen Rezensenten war dieser Tage die eigentlich zeitlose Bemerkung zu lesen, die zeitgenössische Lyrik „flirtet mit der Tradition“. Abgesehen davon, dass man auch unbewusst flirten kann oder aggressiv – was elektrisiert dich, wenn du als Leser den großen Resonanzraum der Poesie betrittst? Welche Konzepte flirten dich an? Ganz egal, ob sie dann direkt den Dichter aktivieren.

Falb: In der Tat ist es nicht möglich, nicht mit der Tradition zu „flirten“, auch wenn ich den Ausdruck in diesem Zusammenhang unpassend finde. Ohne Tradition sein ist wie ohne Gene sein. Allerdings scheint ja der Begriff der Tradition selbst zum Singular zu tendieren: die Tradition. Leider habe ich vom kanonischen Gehalt der lyrischen Tradition, wenn es so etwas gibt, nicht sehr viel mitbekommen, daher mein zweifelhafter Genpool. Punktuell elektrisierende Lektüre-Erfahrungen verdanken sich: Dickinson, Thomas, Hölderlin, Trakl. (Wichtiger sind aber fast diejenigen, die man wieder losgeworden ist: Hesse, Celan, Jandl, Fried.) Der Rest ist zeitgenössisches Wiener und Berliner Milieu, du kennst es.

Ostragehege, Heft 46, 2007

 

Berliner Manuskripte 2021: Daniel Falb im Gespräch mit Knut Elstermann

 

 

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Porträtgalerie: Foto Gezett
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Daniel Falb liest aus seinem Band Bancor im Literarischen Zentrum Göttingen am 5.2.2011.

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