Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – «Tempel im Gehör» (Teil 4)

«Tempel im Gehör»
Rilkes Wiederkehr im Internet

Teil 3 siehe hier

Gefragt ist Rilke – laut Werbung: «im lärmenden Heute ein Star» – vorab als Dichter des Wunderbaren und immer auch als ein «wunderbarer Dichter». Nicht überraschend also, dass seine Texte durchweg in abgehobener, gefühliger, wenn nicht sentimentaler Intonation rezitiert werden, oft mit grosser Eindringlichkeit und in klarem Gegenzug zur Alltags- wie zur Bühnensprache. Schauspieler, Schauspielerinnen, deren oft flapsige Diktion man vom Theater, vom Film, vom Fernsehen kennt, bemühen sich hier merklich um perfekte hochdeutsche Aussprache, wodurch die Abgehobenheit oder eben das «Wunderbare» der so vorgetragenen Gedichte zusätzlich bekräftigt wird. Dass sich im Übrigen deutlich mehr Frauen als Männer hingebungsvoll der Rilke-Rezitation widmen, ist ebenso auffällig wie bedenkenswert.
Zu den Protagonistinnen gehören, nebst manch andern, Gudrun Landgrebe, Hannelore Elsner, Martina Gedeck, Désirée Nosbusch, Hanna Schygulla – ihnen gelingt es auf je eigene, bisweilen eigensinnige Weise, Rilkes Gedichte tatsächlich als «Tempel im Gehör» zur Geltung zu bringen, ohne an irgendeiner Stelle die vorgegebene Feierlichkeit und Intimität zu kompromittieren. Bei den männlichen Sprechern schaffen dies nur ganz Wenige, allen voran Ben Becker (der mit sonorer Raucherstimme den lyrischen Wohlklang konterkariert) sowie der verewigte Oskar Werner (der Rilkes harmonisches Parlando mit prosaischer Militanz unterläuft).

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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