Georg Leß: Die Hohlhandmusikalität

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Georg Leß: Die Hohlhandmusikalität

Leß-Die Hohlhandmusikalität

FORTE ET DURE

keine gerechte Reportage, eine letzte, Arche, der
aaaaaAlbtraum
ihm wurde die neueste TECHNOLOGIE
UND DAS UNHEIMLICHE, sein Freizeitpfeiler, die
aaaaaBunkerausgabe
entwendet von, guten Tag, abgerichteter
aaaaaFahnennachtschwalbe
zwang ihn um Baracken, bog, dass beinah er barst wie Obsidian
dass immerhin Interesse bestand
lebendiges Interesse

ihr wurden, ihm wurden seit Steinzeiten die gleichen
unbewohnbaren Verbindlichkeiten, guten Tag, gute Nacht
seit Brettern, all diesem aufsässigen Werkstoff und Kollaps

eilt Exemplar 2 beschwerend heim, glaubt an Flammen, betet
zum Löschschaum, fand riesenwüchsige Molluske, guten Tag, in seine drei
Zimmer gezogen statt Sicherheit und Sorgen, Visier Wohnungstür, Barackenglück
aus Kalkrelikt im Hinterhof, die neusten Gebote im Überblick, suche, biete nichts

ihm wurden, ihr wurden Kreuzrippengewölbe, ausschließlich und zugig
Kreuzrippengewölbe, Kreuzrippengewölbe, Kreuzrippengewölbe
das ist doch auch wo, singt die feierliche Provision
aaaaadoch auch wann, singt’s unter der Platte
im Hohlkreuz singt die Hölle, Federn fallen, füllen die Schleifspuren auf 

 

Georg Leß liest „fünfter Wirbel / wir belagerten“

 

 

Das Buch

Ein Missgeschick regt zum nächsten an. Ein Gedanke stößt gegen die Stirn, ein Finger gegen Tasten, eine Zunge gegen Schneidezähne, die Stirn gegen eine gut gereinigte Glastür oder Scheibe eines Aquariums. Auch so entstehen Klänge, helle und dunkle. Viele der Gedichte in die Hohlhandmusikalität, insbesondere die Reihe der Wirbel, widmen sich Fehlleistungen, Unannehmlichkeiten, vom Haushaltsunfall bis zum Weltende, und wurden fallweise angestoßen von authentischen Erfahrungen mit Körper und Lebenswelt sowie der Schnittstelle Unheil. Sie entsprechen Schadensprotokollen, aber auch Trostpflastern – ja, hier entsteht ein blauer Fleck, abgesehen davon ein Gedicht.

Georg Leß

kookbooks verlag, Ankündigung

 

Gerade Strecken sind uns nicht gegeben

– Der Berliner Dichter Georg Leß entwickelt in seinem Band Die Hohlhandmusikalität einen Sinn für sprachliche Wirbel. –

Der markante grauschwarze Handschuh, der als Bleistiftzeichnung das Cover dieses Gedichtbands ziert, ist ein geheimnisvolles Objekt. Ist es ein deformierter Fehdehandschuh, den der Berliner Dichter Georg Leß hier der alten Ordnung der Lyrik hinwirft oder ein poetisches Wahrzeichen, das Schutz verheißt?

Die „Erkundung des Handschuhs“, die im Titelgedicht und einigen weiteren Texten des Bandes vorgenommen wird, gibt darüber keine klare Auskunft. Sicher ist zunächst nur, dass hier ein Dichter mit allen Kräften an der Dekonstruktion der altvertrauten poetischen Bildfügungen arbeitet. Als erstes Wort des Buches wählt Leß nicht zufällig die Präposition „gegen“. Insgesamt sind ein Dutzend Gedichte nach dieser teilweise paradoxalen „Gegen“-Struktur komponiert (beispielsweise „gegen die Anatomie“, „gegen das Geständnis“ oder „gegen die Ferne“).
In seinem zweiten Gedichtband Die Hohlhandmusikalität (Kookbooks, 96 Seiten, 19,90 €.) – er debütierte 2013 mit Schlachtgewicht in der Parasitenpresse – sucht Georg Leß nach solchen konsequenten poetischen Gegen-Bewegungen, mit einer Kombinatorik assoziativ sprungbereiter Bilder und im eigenwilligen Spiel mit klangverwandten Wörtern. Töne und Topiken, Melodien und Motive der poetischen Tradition werden von ihm in ihre Einzelteile zerlegt und dann, angereichert mit dicht gefügtem Gegenwartsstoff, zu spannungsreichen Konstellationen neu angeordnet.

Ein „Hochzeitslied“ zersprengt hier das Begehren der Liebenden und lässt es in der Dysfunktionalität digitaler Geräte zergehen. In den „Seefahrtsliedern“ kollidiert das Versprechen der unendlichen Fahrt mit der Wirklichkeit der Grenzbefestigungen und „legalem Stacheldraht“.
Die größte poetische Anziehungskraft in den sieben Kapiteln des Bandes entwickelt ein Zyklus poetischer „Wirbel“. Sie erinnern an die Bewegung des „Vortizismus“ (nach dem lateinischen „vortex“, das Wirbel bedeutet), die ab 1914/15 in den USA unter der Federführung von Wyndham Lewis und Ezra Pound für die Autonomie der Kunst und gegen einen dürren Realismus eintrat. So erklärt sich auch die Selbstpositionierung als „Wortizist“, die der Autor an einer Stelle einschmuggelt. Einige wenige Gedichte legen eine biografische Spur ins Sauerland, die Herkunftswelt des unter Pseudonym schreibenden Dichters, der im Hauptberuf als Psychologe arbeitet, und zu seiner großen Passion, die er bereits in einem großen Essay thematisiert hat: dem Horrorfilm. „Gerade Strecken sind uns nicht gegeben“, heißt es programmatisch im Schlussvers des „fünften Wirbels“.
Diese Vorliebe für „krumme Läufe“ und kalkulierte Bildbrüche sorgt immer wieder für produktive Unruhe. Bis sich jene Verwandlung vollzieht, die substanziellen Dichtern eigen ist:

mit jeder Silbe
ein anderer werden.

Michael Braun, Der Tagesspiegel, 18.7.2019

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Armin Steigenberger: Erkundung des Handschuhs
signaturen-magazin.de

Nora Bossong: Georg Leß: Die Hohlhandmusikalität
lyrikempfehlungen.de, 2020

Matthias Ubl: Schmerzgedächtnis
fixpoetry.de, 27.8.2019

meinolfthomas: Georg Leß,Die Hohlhandmusikalität
imdickicht.blog, 31.12.2019

 

Christian Metz stellt fünf Lyrikempfehlungen 2020 vor; u.a. Georg Leß: die Hohlhandmusikalität ab Minute 26:38.

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Facebook
Porträtgalerie: Dirk Skiba Autorenporträts
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Georg Leß & Lara Rüter lesen am 23.6.2015 in der Lettrétage.

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