Gunnar Decker zu Erich Arendts Gedicht „Ins Offene“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Erich Arendts Gedicht „Ins Offene“ aus Erich Arendt: entgrenzen. –

 

 

 

 

ERICH ARENDT

Ins Offene

aaaaaaaaaaein Lichtverhaften

aaaaaaaaaadie zum Auggrund
aaaaaaaaaaHelle trug
aaaaaaaaaa(steh auf und
aaaaaaaaaawandle) du hältst
aaaaaaaaaadie bergher schwimmende
aaaaaaaaaaWolke nicht

wie des Felsen
Geist
graniten im Meeresbranden
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadu trägst
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaden deinen
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaazeitgebunden
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaim alt-
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaumtriebenen Blut

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaund
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaawipfelhinauf
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadurchs bittre Herz
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaader Zypresse
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaavom Verwesungsgrund schwarz
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadie Säfte steigen
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaasich nährend wie dich

kindalten Blicks
antraf ein Singender
in Stein und sterblich
seine Blöße          und
aaaaaaaaaaaaaaaaaawie Morgenatem
aaaaaaaaaaaaaaaaaa(wer könnte
aaaaaaaaaaaaaaaaaadie Unsterblichkeit
aaaaaaaaaaaaaaaaaawohl töten)

die große Leere Gott

 

Die Mehrräumigkeit des Wortes

Entgrenzen ist ein anderes Wort für verabschieden. Einsicht, daß dasselbe, das uns aus dem einen Unglück erlöst, schon das nächste heranbringt. Dasselbe ist niemals dasselbe. Das ist die andere, die ketzerische Seite der Aufklärung. Entgrenzen nennt Erich Arendt 1981 auch sein dichterisches Vermächtnis, das tief in die Sprache eintaucht, sie bündelt zu scharfen Splittern der Substanz, die sich dem Nacheinander des Sprechens sperrt. Denn Wirklichkeit heißt, angesprochen, immer schon anders. Aber gibt es einen schöneren Omnipotenz-Beweis von Gegenständlichkeit als ihre Selbstverwandlung, Selbstverzauberung, Selbstanschauung? „Ins Offne / ein Lichtverhaften“ ist gleichsam des schmalen Bandes Schlußstein, der seine eigene Unmöglichkeit bezeugt. Das im Grunde Offene rundet sich nicht. Solch Einsicht, wo sie schmerzhafte Welterfahrung, nicht Koketterie mit dem bloß Nonkonformen – ist kein Fortschritt? Für den Dichter gibt es das fraglose Faktum nicht. Die Mehrräumigkeit des Wortes wächst hier.

In jedem Wort kehrt Anfang wieder und das Bewußtsein seiner Entfernung, ja seines illusionären Daseins. Das ausgesprochene Wort abenteuert durch unbekannte Gegenden. Die Wegverhältnisse jedoch zu verschiedenen Zeiten sind kaum vergleichbar. Darum sind die Bilder, die das Wort von seinem Gang mitbringt, nicht wiederholbar. Jedes Wort, das wir so auf den Weg schicken, fehlt uns, macht uns die Sache schwieriger. Und weil Schreiben letztlich immer auf dieses große Verabschieden hinaus läuft, gewinnt es in seinem Schlußteil etwas über sich hinaustreibend Prosaisches, fast Anekdotisches, liest man Endler über Arendt.

Warum fehlt uns das ausgesprochene Wort? Zeugt es so sich nicht wieder neu? Sicher, doch geht Sprache eigene Wege, nicht wir verabschieden uns von ihr, sie sich von uns. Michel Foucault beschreibt in Die Ordnung der Dinge dieses Zurücklassen. Das Bildnis des „Hoffräuleins“ an der Wand beobachtet den Beobachter gleichsam zurück. Die Gegenstände erwachen zu einem eigenen Leben, geraten in ein universelles Gespräch. Die Selbstauslegung auch des Textes, der ein Leser bloß noch als Objekt beiwohnt? Günter Blöcker nennt „Eigenschaftslosigkeit“ den befreienden Abschied von dem „Schein von Eigenschaft“, der im Einzelfall erstarrten Möglichkeiten des Menschen. Auch Rimbaud hatte ja sein Dichten bereits in diesem Sinne verstanden – nicht er sage, es sage ihn. Ein surreales Weltbewußtsein, das Außen- und Innenwelt weitet. Erich Arendt über den tief verehrten Vicente Aleixandre:

In allen Etappen seines Schaffens war er überzeugt, daß es in der Dichtung keine Frage der Häßlichkeit oder der Schönheit gibt, einzig die eines Verstummens oder der Mitteilung.

Und jede Mitteilung verschiebt die Balance in Dichtung zuungunsten des Verstummens, gefährdet – derart veräußerlicht – die Authentizität der Wahrnehmung. So ist jedes Wort eine Last, ja Bedrohung der dichterischen Substanz? Sebastian Franck 1534 in den „paradoxa“ voll Mißtrauen in das Verkündbare und vehement gegen Luther gewandt:

Demnach weil der Buchstab der Schrift gespalten und mit ihm selbst uneins ist, kommen alle Sekten daraus. Der sticht den toten Buchstaben da an, dieser dort.

Arendt macht das Schweigen in Sprache hörbar. Fluchtwege des Humanen. Imaginäre Wort-Landschaften. Das Bild verwandelt sich hier sofort in ein Zeichen, das man wissen muß, um zu sehen. In seiner „Skizze zu einem Porträt Erich Arendt“ benennt Gerhard Wolf den treibenden Widerspruch der Dichtung und ihres Dichters:

Man sieht nur, was man weiß… Man weiß nur, was man sieht.

Sehen, das radikal an die Wurzel geht, das Ganze im einzelnen anschaubar macht, wird wesentlich. Sprache, die um ihre Ankunftslosigkeit weiß, konzentriert. Jenseits der euphorischen Geste angespannten Weltveränderns die Wandlung. Kommt im Ausbleiben des Erwarteten zu sich, erfährt so ihren Sinn. Das spricht geahnte Dunkelheit aus, verdunkelt nicht künstlich. Hoffnung auf Erhellendes in den tiefsten mythischen Sprachschichten noch, bewahrt Arendts mühsames Sprechen vor neuerlicher Gefangenschaft: dem bloßen Raunen. Das karg-präzise Abtasten des per se Undeutlichen gibt sich eine glaubhafte Gestalt – Zweifel, der voller Erwartung ist.
Dichten nimmt Arendt ganz wörtlich als ein Verdichten, Verknappen bis zur geschliffenen Metapher – Wort, das ein Bild verbirgt. Es scheint im Atmosphärischen zwischen Buchstabe und Auge auf, je nach der Beleuchtung. Im Akt des Sehens bleiben beide, was sie waren, und schöpfen doch augenblickhaft ein Drittes – das Bild. Aber eines, das aus der Kargheit der Reflexion kommt – nicht aus einer Überfülle des Geschauten, ermüdend wie ein Reisekatalog, den man von der ersten bis zur letzten Zeile zu lesen gezwungen; die Situation des bildüberschwemmten Konsumbürgers. Diesem erzählen die Bilder keine Geschichten mehr, es sei denn als synchrone Bebilderung. Die Geschichten sind beliebig geworden, inflationär belanglos. Doch Askese, Bilderverbot als einzige noch denkbare Rettung des Bildes, seine Ent-Instrumentalisierung?

Es gibt von Gerhard Altenbourg ein Porträt Erich Arendts. Es zeigt die Intensität, mit der der Dichter die eigene Zerrissenheit lebt. Bandagiertes Schweigen.
Wie energische Durchstreichungen fahren Altenbourgs Horizontalen von Ohr zu Ohr. Der Mund bleibt nicht eindeutig lokalisierbar. Die Unterhälfte des Gesichts gleicht den weichgeschliffenen Konturen eines Kiesels am Meeresboden. Einzig die Augen blicken auf das eigene Bild. Das Beobachten also hat sich im Reduzieren gesteigert.
Ohne diese Augen wäre das Gesicht bloß Landschaft. Aber eine des Gedankens, präzise ausgemessen. Die unähnliche Ähnlichkeit ist die sinnlich gewordene Abstraktion. „Je freier das Abstrakte der Form liegt, desto reiner und auch primitiver klingt es“, schreibt Kandinsky. Erich Arendts Dichtungen lesen sich wie die Einlösung dieses auf seinen geistigen Grundkonflikt gebrachten und damit auch schon wieder zurückgelassenen Expressionismusprogramms. Die Steigerung des Ausdrucks mündet nur da nicht in das Grell von Werbedrastik, wo es Verinnerlichung ist, aus der solch starker Impuls kommt.
Der gewaltige Eindruck des Zusammenbruchs eines traditional-hierarchischen Weltbildes im ersten Weltkrieg und der Versuch, diese Revolution des Alltagsbewußtseins auszudrücken, besitzen ganz ohne Zweifel eine religiöse Dimension. Arendt, der in seinem Spätwerk wieder bei den Anfängen anlangt, spricht also nicht zufällig von der „großen Leere Gott“. Gemeint ist die Möglichkeit des Wandels, aber nicht heilsgeschichtlich, als zukunftssüchtige Utopie gedacht, sondern im Sinne eines Insistierens auf dem „anderen“, dem Gedicht etwa. Gemeint ist die Beobachtung des Zugleich von Abstraktem und Ursprünglichem, das ein geschichtlich Gewordenes ist. Arendt folgt hier Kandinskys gegen den Historismus und die gedankenträge Vielwisserei gerichteten Programmschrift „Über das Geistige in der Kunst“, die nicht müde wird zu zeigen, daß jedes Mittel heilig sei, insofern es „innerlich notwendig“. Das meint keineswegs Beliebigkeit, denn das Einmünden aller überkommenen Gesetze in die „innere Notwendigkeit“ steckt den Ambivalenzen von Freiheit und Ordnung in der Kunst das Spielfeld genauestens ab. „Jede Formt ist so empfindlich wie ein Rauchwölkchen, das unmerklichste geringste Verrücken jedes ihrer Teile verändert sie wesentlich.

Bild und Zeichen sind gleichzeitig. Anfang und Anfangslosigkeit ebenfalls. Selbst endlich ist, der da von unendlichen Dingen spricht. Vom Nachsinnen dem Unendlichen, was bleibt hängen am Sterblichen? Versuche des Magischen, des Beschwörenden, vage Hoffnungen auf das: Was ich erkenne, darin verwandle ich mich, was mich erkennt, das bin ich. Ist Anfang mehr als begonnenes Erinnern, auch das des „Weltgeistes“, ein subjektives Anheben, Autobiographie, Recht der ersten Person Singular? Auch diese Kontinuität existiert nur durch ihren vielfältigen Bruch, Gedächtnisverlust und Erinnerungsverschiebung. Den Anfang hellt das Wissen nicht auf, ja Anfang gibt es nicht, er ist Bild, „horror vacui“ der historischen Geburt. Davon löst sich kein Ich, das ist die eigentlich geistige Macht der Historie, jenseits von Traditionalismus und politischer Legitimationstheorie. Die Ketzer, die aus dem Hauptstrom von Kultur Ausgeschlossenen, erinnern den Anfang anders.

Jede religio wendet sich zu einem Ursprung. Das Beschwören eines Anfangszustands. Die Frage ist, wie existiert der Ursprung fort? In Traumparadoxa vielleicht. Arendts „große Leere Gott“, aus der alles kommt und in die alles zurückläuft, hält das Gedicht zusammen. Es ist die Rede von Gott nach dessen Tode. Oder auch vom Transzendieren ohne Transzendenz, der Entäußerung, die wieder dahin zurückfindet, woher sie kam – als verwandelte, Blochs „Prinzip Hoffnung“ gründet auf einer derartigen „Leere Gottes“ – einem kulturellen Raum, der offen ist für Wandlung. Nicht mehr Dingontologien oder deren bloß positivierende Kehrseite, sondern ein Geschichts-Prozeß, der wesentlich wird.
Tatsächlich schöpft jeder wahre Fortschritt aus dem erinnerten Ursprung. Aber dieser Ursprung ist in sich gespalten, der wahre Ursprung muß den wirklichen Ursprung negieren, soll Fortschritt nicht wieder in die Gebundenheit des Seins, sondern in ein freies Werden münden:

Unser Schicksal ist, daß unser Reflexionsstand uns unwiderruflich von einer ursprünglichen Sprache fernhält. (Michel Foucault, „Die Geburt der Klinik“)

Eine fatale Konsequenz? Was soll die „ursprüngliche Sprache“ anderes sein als das augenblickhafte Aufscheinen des Bildes im Zeichen selbst? Und solcher „Ursprünglichkeit“ steht die Reflexion nicht im Wege, sie fordert sie sogar in höchster Intensität.

Dem Fremden in uns begegnen wir plötzlich, wenn es verschmilzt mit Altvertrautem. Alfred Kubin hat in Die andere Seite das sumpfig-modrig alte Europa und den am Horizont heraufziehenden amerikanischen Machbarkeitskult ineinandergespiegelt. Der Traum, einmal begonnen, wächst, steigert seine Kräfte gigantisch. Aber wie Fasold und Fafner, die hilfreichen Wagner-Riesen, fordert er auch Lohn – zielt auf den Lebensnerv. Kein Ausweg? Jenseits der Heilsbotschaften das, was aus unserem Innern aufsteigt, ohne uns jemals ganz zu gehören: Heinrich von Ofterdingens Sehnsucht nach der blauen Blume. Die unabschließbare Verwandlung von Gegenständlichkeit in Poesie. Ohne das Überreale, das phantastische Ferment in Wirklichkeit, wäre diese ausrechenbar wie ein Behördenkorridor, mit Türschildern, die immer gleichen Alltag zu auswechselbaren Namen ordnen.

1950 ist Erich Arendt aus dem kolumbianischen Exil zurückgekehrt, nach Ost-Berlin. Glücklich ist er hier nicht geworden. Das wäre jemand wie er auch unter Adenauer nicht. In der DDR meinte er sich wenigstens sinnvoll unglücklich. Ein verhängnisvoller Irrtum, den nur die Gedichte überdauerten. Von der Wahrheit dieses Irrtums schweigen die Gedichte beredt.
Mit seiner Frau Katja bringt er den spanischen und südamerikanisch gesteigerten Surrealismus in eine DDR, die gerade zwischen „Traktorenlyrik“ der fünfziger und dem „Bitterfelder Weg“ der sechziger Jahre steckt. Entgrenzen ist so immer das Anschreiben gegen die Dummheit der Provinz, die nichts weiß, weil sie nichts sieht, und nichts sieht, weil sie nichts weiß. 1956 veröffentlicht er Tolú – Gedichte aus Kolumbien. In der Folge eine Vielzahl von Nachdichtungen: Rafael Alberti, Miguel Hernández und vor allem Vicente Aleixandre. Auch an letzterem fasziniert ihn zuallererst das Mythische, das Seherhafte, das sich zum unvergänglichen Ursprung wendet. Weil der immer unwirklich bleibt, ein bewußt überzeichnetes Bild, degradiert Traum sich nie zum Handlanger plakativer Polit-Losungen, weiß um seine ureigenste Würde. Den Kulturpolitikern der DDR waren es zunehmend gefährliche Nebelbänke auf ihren Zensurschiffen von Parteitag zu Parteitag. Als Arendt in einem Essay über Aleixandre gar begeistert schreibt, dieser lebe eine „pantheistische moderne Mystik, selbstverständlich, naturhaft“, gerät der am Anfang als Spanienkämpfer und Exilant noch Hofierte immer mehr ins Abseits.

Ein Irren durch Labyrinthe der Skepsis und negativen Theologie. Schattenriß, der die wahre Gestalt so gut offenbart wie er sie verbirgt. Ein Transzendierendes sicher, aber ohne das Jenseits von der Leine des Diesseits zu lassen. Letztlich eine Metapher für das metaphysisch Offene als Denknotwendigkeit: Gott ist leer. Alles Schreiben ist hier ein großes Trotzdem. Das Fragment die adäquate Gestalt.

kindalten Blicks
antraf ein Singender
in Stein und sterblich
seine Blöße.

Welch schmerzhafte Verwandlung ereignet sich im Sehen? Sehend schmilzt der Abstand des Geschauten zum Schauenden. Wie Meister Eckhart in der Predigt „Vom einen im Werke“ über das Holz spricht, auf das im Sehen das Auge fällt: Holzauge dann. Doch es bleibt das Auge Auge, das Holz Holz. Die Nähe, der Augenblick der Verwandlung, macht auch die Illusion gewiß. Der Schmerz des Getrennt-bleiben-Müssens ist das Moment von Einheit. Zeiteinschmelzend: „kindalten Blicks“. Plötzlicher Einbruch der Erfahrung. Die kommt aus dem Sehen selbst, das nicht aufgeht in dem, was ich sehe. Oder sage. Die Sprache spricht mich, während ich spreche. Unauflösbar:

Wie des Felsen
Geist
graniten im Meeresbranden
du trägst
den deinen
zeitgebunden
im alt-
umtriebenen Blut

Der Stachel, in größter Nähe größte Fremdheit zu gewärtigen und noch in der kältesten Fremdheit ein Vertrautes zu wissen – trotz oder gerade wegen aller diesseitigen Autonomie nie ganz von dieser Welt zu sein.
Heidegger hat diese Bewegung vom Ort zum Nicht-mehr-Ort des Denkens, diese befreiende Wendung von Sprache gegen ihre Gebrauchsabsicht, die Entdinglichung des dichterischen Wortes in ein fließendes  Gedankenbild gebracht:

Der Ruf ruft zwar her. So bringt er das Anwesen des vordem Ungerufenen in eine Nähe. Allein indem der Ruf herruft, hat er dem Gerufenen schon zugerufen. Wohin? In die Ferne, in der Gerufenes weilt als noch Abwesendes. Das Herrufen ruft in eine Nähe. Aber der Ruf entreißt gleichwohl das Gerufene nicht der Ferne, in der es durch das Hinrufen gehalten bleibt. Das Rufen ruft in sich und darum stets hin und her: her: ins Anwesen; hin: ins Abwesen. (Heidegger, „Die Sprache“)

Musikalisch entspricht dem die Sonatenform, ein offenes, dialektisches Verhältnis, das Gegenteil des geschlossenen Ordo der Fuge. An dieser Dialektik wird Mystik als Moment des Übergangs, Grenze und zugleich ihre Überschreitung, offenbar. Beethovens Streichquartett in F-Dur, Op. 59, macht das hörbar. Die Klangwirkung des Allegros speist sich aus kleinsten Abweichungen, Verschiebungen eines halben Taktes.

Erich Arendts Gedichte atmen Griechenland. Aber die ideale Einheit von Schönem, Gutem und Wahrem, wie sie einen geschichtlichen Augenblick die griechische Polis verkörpert, ist unwiderruflich dahin.
In Erich Arendts Starrend vor Zeit und Helle – Gedichte der Ägäis (1980) kontrastieren Paul Eliasbergs labyrinthische Graphiken die karge Sprache. Gemeinsam ist ihnen eine verborgene Ordnung, die der Oberfläche als Chaos erscheint. Der hier enthaltene Essay „Säule Kubus Gedicht“ zeigt den verlorenen Griechenlandliebhaber, der nur zu gut weiß, daß seine Gedichte nicht vom Anschauen der Landschaft leben, sondern von ihrer angeschauten Geschichte, dem gewordenen Gesicht dieser Landschaft. Erinnert auf Hiddensee oder anderswo. Darum zeitlos in die Zeit verwoben. Realistisch in seiner Naturferne, ähnlich in seiner Unähnlichkeit.
Die Geschichte von ihrer Leidseite her schreiben, sie im Schreiben nochmals erleiden. Aber so auch das überwindende Bild finden, das weiß, es muß Bild bleiben, wenn es Fluchtweg sein will. Absage an die falschen Heilsversprechen. In ihrem Schatten das Andauernde, Mythos, der das Humanum ist, weil er keine Macht mehr hat, außer der, Bilder in Worte zu verwandeln, die sie bewahren.

„Ins Offne / ein Lichtverhaften“ läuft stetig auf die Schlußzeilen zu:

Und
wie Morgenatem
(wer könnte
die Unsterblichkeit
wohl töten)
die große Leere Gott

Ein Punkt, aus dem zu schöpfen ist, der aber selbst erst im Schöpfen wird?

neue deutsche literatur, Heft 504, November/Dezember 1995

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