Walter Hinck: Zu Erich Arendts Gedicht „García Lorca“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Erich Arendts Gedicht „García Lorca“ aus Erich Arendt: Kritische Werkausgabe. Band I: Gedichte 1925–1959. 

 

 

 

 

ERICH ARENDT

García Lorca

Du grüner Wind! Sang heißblütiger Gitarren!
Du Mondlicht still, am Munde der Zigeunerin! –
Mit einem Mal verweht – nun knarrt der Schinderkarren
hart durch Granadas Traum, den du besungen, hin…

Die Schüsse fliegen, und es falln wie Vogelschatten
die Menschen rings. Unkenntlich liegt im Sand der Nacht
die schöne Stirn: Die Mörder deines Lebens hatten
dein Lied gehaßt, von Sternensturm und Glanz entfacht.

Durch Andalusiens Gärten tobt der feige Mord.
Mit stummen Fäusten kämpft dein Volk. – Doch wenn es wieder
froh deine Strophen singt im großen Schlußakkord,

dann, Männer, stimmt die langvergessenen Gitarren,
dann brause, Sierrawind, daß die Nevada glüh!
Zigeunerinnen lächeln von Balkonen nieder:
Hell brennt in Flammen auf dem Platz der Schinderkarren!

 

Weder volkstümlich noch optimistisch, sondern melancholisch

Das „Goldene Zeitalter“ ist ein schöner Wunschtraum der Dichter, eine Fiktion, die sie wohlweislich in die ferne Vergangenheit verlegen. Und doch war im Mittelalter, trotz der Gewalttaten Fanatisierter, das maurische Andalusien eine Zeitlang das Land wechselseitiger Duldung der drei monotheistischen Religionen. In Córdoba erzogen wurde der große jüdische Philosoph Maimonides, der später in Kairo als Leibarzt des Sultans von Ägypten zugleich Rabbiner der jüdischen Gemeinde sein konnte. Der bedeutendste hebräische Dichter der nachbiblischen Zeit, Jehuda ben Samuel Halevi, wirkte um 1100 als Arzt in Sevilla und Córdoba. Eine beispiellose mittelalterliche Kultur des Zusammenlebens bescherte Andalusien einmal wenigstens den Vorschein eines „Goldenen Zeitalters“.
Der aus der Nähe Granadas stammende Dramatiker und Lyriker Federico García Lorca war ganz von andalusischem Geblüt, lebensfroh, der Volkssprache verbunden, vielseitig begabt: als Zeichner, Rezitator, Bühnenleiter und Musiker. In seiner Lyrik, in der Musikalität der Sprache klingt der Zauber andalusischer Gitarren nach. Aber er wurde in eine Zeit hineingeboren, die einem „Goldenen Zeitalter“ ferner stand als die Zeiten zuvor. Der Kampf der Weltanschauungen, der Parteien zerriß Spanien. Und als am 18. Juni 1936 mit General Francos Militärputsch der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, wurde nach wenigen Wochen García Lorca sein Opfer. Am 19. August ermordeten ihn hinterrücks Falangisten. Als sich die Nachricht von der Meucheltat in der Welt verbreitete, befand sich der Neuruppiner Erich Arendt schon mehrere Jahre in der Emigration. Nach seiner Teilnahme am Kampf für die spanische Republik, nach dem Sieg Francos, floh er über Frankreich nach Kolumbien und kehrte erst 1950 aus dem Exil zurück. In der DDR war er als Spanienkämpfer politisch willkommen, als Lyriker geduldet. Seine Übersetzungen hispanoamerikanischer Dichtung (etwa Pablo Nerudas) wurden als kongenial gepriesen, aber die eigene Lyrik, die ihre avantgardistischen Anfänge nie ganz verleugnete und in freien Rhythmen, in hohem oder elegischem Ton ihre poetischen Bilder bis zur absoluten Metapher vortrieb, verweigerte sich dem Dogma der „Volkstümlichkeit“ und dem verordneten Optimismus. In der lyrischen Einkreisung von Situationen der Einsamkeit überwiegt eher Melancholie.
Das Gedicht „García Lorca“ fängt zunächst noch einmal Momente des Friedens und der Feste ein. Der zweite Vers spielt auf Lorcas poetische Beschwörung der Zigeunerwelt, zumal im „Romancero Gitano“, an. Hart schneidet das Bild des Schinderkarrens, das Symbol des Hinschleifens Schuldiger und Unschuldiger zum Hinrichtungsplatz, in die Szenerie der Lebensfreude ein. Haß und Krieg setzen die Regeln des Humanen außer Kraft.
Nicht vom genauen Tathergang der Ermordung Lorcas spricht das Gedicht, sondern von ihrer Gleichnishaftigkeit für die über Andalusien hereinbrechende Gewalt. Und nicht mit der Beklagung der Toten endet es, sondern mit dem Ausblick auf die Befreiung (die allerdings nur in Etappen kommen sollte). Den Wechsel in die Zukunftsperspektive bekräftigt in der veränderten lyrischen Form und Reimanordnung die dritte Strophe, die so zum Gelenk des Gedichtes wird. Die Bildsprache des Schlusses antwortet als Echo auf den Anfang des Gedichts, aber als sieghaftes Echo. Die Geschichte Spaniens läßt dem ermordeten Dichter Gerechtigkeit und Genugtuung widerfahren.
Heinrich Heine hat eine seiner schönsten Romanzen im „Romanzero“ dem letzten maurischen König von Granada gewidmet („Der Mohrenkönig“). Es scheint heute, als hätte er zum Schluß dieser Romanze schon an den andalusischen Dichter García Lorca mitgedacht:

Nimmer wird sein Ruhm verhallen,
Ehe nicht die letzte Saite
Schnarrend losspringt von der letzten
Andalusischen Gitarre.

Walter Hinckaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Achtundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2005

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