Heinz Piontek: Ich höre mich tief in das Lautlose ein

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heinz Piontek: Ich höre mich tief in das Lautlose ein

Piontek-Ich höre mich tief in das Lautlose ein

KEATS ZUM GEDÄCHTNIS

Die Wahrheit englisch.
In des Wassers Schrift
unüberwindlich schön, was doch erliegt:
Südwind, der Mädchen Blutfarb und Kristall
und gar des Herbstes Ruhm –.
Die Nachtigall
klagts dem Jahrtausend, das uns überfliegt.

 

 

 

Geleitwort

Dem Dichter Heinz Piontek heftete sich der Ruhm schon als jungem Menschen an die Fersen. Heute wird Piontek von einer breiten Bücher lesenden Allgemeinheit nicht mehr genannt. Er ist den meisten Jüngeren sogar unbekannt. Wie konnte es dahin kommen?
Die Bekanntheit hatte 1953 schlagartig mit den zwei ersten Gedichtbänden, deren einer, sein Debüt Die Furt, noch dazu ein bloßes Heft war, eingesetzt, und nach den frühen Erfolgen war Piontek allmählich zu dem im gesamten deutschen Sprachraum meistprämiierten Schriftsteller avanciert. Er wurde schließlich mit dem überhaupt wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreis bedacht, dem Georg-Büchner-Preis. Da aber, im gleichen Augenblick, begann sein Fall. Latent vorbereitet wurde der Absturz etwa acht Jahre lang dadurch, dass Piontek von den Vertretern der 68er-Generation nicht zur Kenntnis genommen wurde. Schon dies nagte denn auch an ihm. Ausgelöst durch die Ankündigung, dass ihm der Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zuerkannt werden würde, folgte die beispiellose Demontage. Sie wurde vorangetrieben vor allem von einem der wichtigen Kritiker, Heinz Ludwig Arnold, im Sommer 1976. Die harschen, schrillen Töne haben sich zwar in späteren Jahren nicht mehr fortgesetzt und das gilt es bereits als bemerkenswert festzuhalten. Zu konstatieren bleibt aber doch: Es ist um Piontek still geworden. Man kann das nicht ignorieren.
Und gleichwohl: Jene demontierenden Kritiker hatten sich auf die galoppierenden Pferde der Studentenbewegung oder genauer der sich schon stark auflösenden Studentenbewegung geschwungen, ein bisschen spät noch. Was hat es mit den so unterschiedlichen Urteilen auf sich? Wie weit ist der herbe Bruch in der Einschätzung Pionteks wirklich gerechtfertigt? Hier sich nun selber ein Bild zu machen; dafür ist der vorliegende Auswahlband hervorragend geeignet, und das sogar, obwohl der Band nur Pionteks Frühwerk heranzieht. Gerade am Anfang seiner literarischen Entwicklung hat er sprachlich Inventur gemacht und setzte sich ab von einer als Kalligraphie missbrauchten Sprache. Ich stehe nicht an zu behaupten, für uns Heutige gilt es einiges neu zu sehen. Und auf uns Heutige wartet hier eine in mehrfacher Weise ergiebige, eine bildhaft-lebendige und manchmal in den Formulierungen hinreißende Lektüre.
Dass dieser Dichter sich nicht hyperdrastischer Klamaukthemen angenommen hat, könnte sich gerade als sein Überlebens-Elixier, als Grund seines Weiterlebens erweisen. Denn über die platte Spannung ist man nach einer Lektüre – nachdem man weiß, was vorfiel – für alle Zeiten hinaus, die Spannung stellt sich kein zweites Mal ein. Und dass Piontek, der über viele Jahre unpolitisch gewesen war, dann ein 64-seitiges Long-Poem über globale Friedensnotwendigkeiten erarbeitete und vorlegte, eine Zeitbefragung von hohen Qualitäten inhaltlich-argumentativ wie sprachlich, den Band Vorkriegszeit, ist von den Achtundsechzigern überhaupt nicht mehr wahrgenommen worden. Sie hatten längst einfach den Stab über ihn gebrochen. Mir ist dieser Band Vorkriegszeit von 1981 auch mit Einzelheiten noch dreißig Jahre nachher präsent geblieben. Piontek beeindruckt dabei durch die „Stärke sanfter Bedeutung“, mit der Markierung des Augenblicks, „der über die Erde hinausreicht“, durch die Abwesenheit von Leichtfertigkeit. Sein Ausdrucksreichtum ist – sogar noch farbiger, in noch konkreterer Dinghaftigkeit – schon in den frühen Texten des vorliegenden Auswahlbandes angelegt. Mich beeindrucken die Reichweite und die Bandbreite der Sprache dieses Mannes. Piontek hat das Desinteresse einer nächsten Generation nicht verdient. Der vorliegende Band braucht sich dabei auch keineswegs in einer nur für Philologen relevanten Ecke zu verstecken. Und der Frontalangriff von 1976 – dieser Knacks – kann sich im Abstand von 35 Jahren vielleicht als Stimulans erweisen, einen eben nicht ad acta zu legenden Dichter, einen Mann, der durch das Fegefeuer komplett konträrer Einstufungen hindurchzugehen hatte, nun jenseits von Verurteilungen und Galligkeiten nachgerade lieb zu gewinnen und zu entdecken.

Harald Gröhler, Vorwort

Einleitung

Heinz Piontek lebte zwischen 1947 und Juli 1955 in Lauingen und anschließend bis März 1961 im benachbarten Dillingen. Hier, in den beiden kleinen Städten im Donauried, entstand sein Frühwerk: Erzählungen, Gedichte und Essays, die schon früh die Aufmerksamkeit überregionaler Zeitungen und ihrer Kritiker fanden. 2009 wurde eine bio- und bibliographische Dokumentation über die nahezu anderthalb Jahrzehnte umfassende Zeit Pionteks am „Wasserstrom“ vorgelegt.1 Sie vermittelt ein anschauliches Bild der Lebens- und Arbeitsumstände des jungen Autors, dem es schon bald gelang, national, aber auch international (vergl. nur die große Zahl von Übersetzungen) beachtet zu werden. Bedeutende Blätter wie die Neue Zeitung, die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche und die Neue Zürcher Zeitung brachten schon in den frühen 50er Jahren Arbeiten von Heinz Piontek. Als Vertreter einer Generation,2 die erst nach Kriegsende mit dem Schreiben begann und ab 1950 mit ersten Veröffentlichungen hervortrat, findet man seinen Namen in einer Reihe mit Walter Höllerer, Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Walter Helmut Fritz, Gerhard Neumann und anderen in Literaturzeitschriften wie Welt und Wort, Akzente, Neue Deutsche Hefte und schon bald auch in ersten germanistischen Studien. Literarische Gesellschaften (z.B. Tukan) und Rundfunkanstalten luden den jungen Schriftsteller zu Lesungen ein. In der damals viel beachteten (und noch heute zitierten) SPIEGEL-Titelgeschichte über Ingeborg Bachmann wird Heinz Piontek besonders erwähnt und ein Photo von ihm abgedruckt.3
Bereits 1954 setzte sich der damals einflussreiche Kritiker und Essayist Hans Egon Holthusen (1913–1997) im Rahmen seiner Sammelrezension „Fünf junge Lyriker“ mit den ersten beiden Gedichtbänden Heinz Pionteks auseinander. Sie erschien in der 1947 gegründeten (damals von Hans Paeschke und Joachim Moras herausgegebenen) Monatszeitschrift Merkur. Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken (Jg. 8, Heft 3), einem für das kulturelle und literarische Leben der Nachkriegszeit und der jungen Bundesrepublik besonders wichtigen Periodikum. Es diente auch Heinz Piontek als Forum für Erstveröffentlichungen: Zwischen 1951 und 1961 brachte der Merkur von ihm 31 Gedichte. Ende der 50er Jahre wurde Pionteks erst drei Gedichtbände umfassendes lyrisches Werk durch Christopher Middleton (*1926) – Lyriker, Übersetzer (u.a. von Heinz Pionteks Erzählgedicht „Die Verstreuten“) und damals Dozent für Deutsch am King’s College der Universität London – in prägnanter Kürze dem englischen und französischen Sprachraum vorgestellt. So gesehen ist es verwunderlich, dass dem Werk und insbesondere auch dem Frühwerk von Heinz Piontek heute nicht ein ihm gebührender Platz zuerkannt wird. Er ist zwar nicht wie manche seiner Weggefährten, man denke nur an Carl Guesmer, Helmuth de Haas und Albert Arnold Scholl, ein eher vergessener – Gedichte und Kurzgeschichten von ihm finden sich immer noch in Anthologien und Lesebüchern –, wohl aber ein ins Abseits geratener Autor. Es ist zu hoffen, dass eine jüngst erschienene Studie der Freiburger Germanistin Hanna Klessinger4 daran etwas ändern wird.
Mit dem hier vorgelegten Band soll ein Anstoß gegeben werden, das eine Zeitspanne von rund zehn Jahren umfassende Frühwerk von Heinz Piontek neu zu entdecken. Seine erste Schaffensperiode endete nach einem längeren Aufenthalt in Rom als Stipendiat der Deutschen Akademie Villa Massimo (1960), den er, wie aus einem bis jetzt noch nicht veröffentlichten Briefwechsel hervorgeht, deutlich als Wendemarke in seiner inneren Biographie verstanden hat. Nach seiner Rückkehr aus Italien entschloss er sich, nach München überzusiedeln, gewiss auch, um vom Kultur- und Literaturleben der bayerischen Hauptstadt Anregungen zu erhalten. In einem wenige Jahre nach dem „Donauübergang“ geschriebenen Gedicht – es verarbeitet u.a. Wortmaterial aus dem schwäbischen Lied „Es wollt ein Schneider wandern“5 – lässt sich jedoch auch eine tiefer liegende Motivschicht für den Fortgang aus Dillingen erkennen:

In Dillingen, da pflegten wir zu hocken
in manchem schönen Eck.
Schlaftrunken kam der helle Morgen an.

Wir gingen wie die Schneider durch den Klee
Und tauschten Noten ein um Küsse,
bis auch zu uns kam an den Wasserstrom

Geschrei vom unerhörten Aufstand in der Welt,

Da dachten wir, es gehe wie es wöll
Und wagten blind den Donauübergang.

Die Herausgeber setzen das Ende des Frühwerks mit 1961/62 an.6 Für diese Markierung spricht, dass in den Gedichten und Erzählungen, die nach dem italienischen Aufenthalt entstehen, deutliche Veränderungen zu beobachten sind: Das Naturgedicht wird zurückgedrängt und die Liedstrophe kaum noch verwendet; die lyrische Sprache raut auf und zeigt sich zunehmend lakonischer. Die Kurzgeschichten werden stärker psychologisch grundiert, um dann später zu Gunsten der Romanprosa aus dem Repertoire Heinz Pionteks ganz zu verschwinden.
Das Werk Heinz Pionteks aus den 50er und den frühen 60er Jahren enthält in vielem bereits sein späteres. In einem Interview mit Martin Gregor Dellin hat Piontek 1975 auf die Frage, ob er gegenüber seinen lyrischen Anfängen einen „Bruch“ empfinde, geantwortet (und seine Antwort gilt ebenso für seine erzählende Prosa):

Das, was ich heute mache, ist schon in den frühen Gedichten in Ansätzen, Vorformen [und] Bruchstücken vorhanden.7

Macht man sich diese Perspektive des Autors zu eigen, so lässt sich die in diesem Auswahlband vorgenommene Beschränkung auf das Frühwerk mit guten Gründen rechtfertigen.
Heinz Piontek selbst hat seinem Frühwerk große Bedeutung beigemessen. 1982 gab er Die Rauchfahne innerhalb der von ihm edierten Münchner Reihe wieder heraus. 1990 stellte er eine neue Fassung seines Erstlings Die Furt zusammen, die dann aber nicht erschien. In Früh im September entfallen nahezu die Hälfte der dort von ihm selbst angeordneten Gedichte auf das Frühwerk. Von nur ganz wenigen Stücken hat sich Heinz Piontek distanziert. Ähnliches gilt für die Kurzgeschichten und Erzählungen, die Heinz Piontek in Vor Augen und Kastanien aus dem Feuer herausgebracht hatte. Auch sie sind in nennenswertem Umfang in die Werkausgabe übernommen worden.
Am Anfang dieses Auswahlbands finden sich einige frühe, zum Verständnis seines Werks wichtige Prosatexte, die über ihn selbst, seine Lebensorte und seine poetische Praxis Auskunft geben. Den Beginn macht eine autobiographische Skizze aus dem Jahr 1954, veröffentlicht in der Zeitschrift Welt und Wort, zu deren ständigen Mitarbeitern der junge Schriftsteller mit vielen Beiträgen (darunter auch, als Brotarbeit, unzählige Buchrezensionen) gehörte. Ihr folgen zwei thematisch zusammengehörige Stücke. Sie gelten den „Orten“, die in Gedichten und Erzählungen Heinz Pionteks immer erneut aufscheinen. „Ich habe in diesen Jahren erfahren, dass man seine Heimat verlieren und eine neue finden kann“, heißt es in einer Rede zur Entgegennahme des Werner-Egk-Preises 1981.8 „Oberschlesische Prosa“ beschwört Kreuzburg, die verlorene Heimat rechts der Oder, in „Einen alten Stich betrachtend“ wird Lauingen betrachtet, die neue Nachkriegsheimat an der Donau. Die abschließenden Texte sprechen von der Poesie und dem poetischen Handwerk. In einem hier zum ersten Mal veröffentlichten Brief an den englischen Germanisten Jethro Bithell (1878–1962), langjähriger Head des renommierten German Department des Birkbeck College der University of London,9 äußert der junge Schriftsteller anlässlich des Erscheinens des zweiten Gedichtbands Die Rauchfahne in sehr persönlicher Schreibweise Gedanken, die zum besseren Verständnis seiner Lyrik führen können. Der für Hans Benders Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten 1955 geschriebene Beitrag über die Entstehung des Gedichts „Die Verstreuten“ mit dem Titel „Von der lyrischen Praxis“, gibt detaillierte Einblicke in die Werkstatt des Dichters.
Lyrik und erzählende Prosa bilden das Zentrum des Bandes. Die Herausgeber haben sich dabei um eine repräsentative Auswahl der in Lauingen und Dillingen entstandenen Arbeiten Heinz Pionteks bemüht. Mustert man die hier ausgewählten Gedichte, so springt trotz der großen Zahl besonders überzeugender Verse, die sich mit Natur und Landschaft auseinandersetzen, ins Auge, wie falsch es ist, den jungen Heinz Piontek ausschließlich als Naturlyriker zu sehen. Von Anfang an stellte er sich „seiner“ Zeit, Krieg und Vertreibung, stellvertretend seien nur „Untergang der Scharnhorst“ und das schon bei seinem Erscheinen besonders beachtete narrative Poem „Die Verstreuten“ genannt. Er schrieb die ersten Verse in deutscher Sprache, in denen das „zerschossene Blätterdach Vietnams“ aufgerufen wird („Vergängliche Psalme“). Schon früh hat Hans Egon Holthusen (s. die oben genannte Sammelrezension) herausgestellt, dass Heinz Pionteks Lyrik von einer „dialektischen Spannung zwischen Natur und Geschichte oder Sein und Zeit beherrscht“ sei, die „im Motivischen, im Metrischen und Rhythmischen eine Kontrapunktik zwischen Idylle und Elegie“ einschließe. Viele Gedichte, gerade auch solche, die auf den ersten Blick „traditionell“ wirken, lassen mit Wörtern wie „Strohsackkoje“, „Eisentüllen“ oder „Sparren“ das Bemühen des jungen Autors erkennen, seine Lyrik neuen Wahrnehmbarkeiten zu öffnen. In diesem Zusammenhang stehen etwa „Die Landmesser“ exemplarisch für den Versuch, die Arbeitswelt im Gedicht zur Sprache zu bringen – und das weit vor der Zeit, als eine solche Literatur im größeren Umfang initiiert wurde. Die „Vergängliche Psalmen“, mit denen der zweite Versband Die Rauchfahne schließt, sind ein Beispiel für die nicht geringe Zahl von Gedichten religiöser und metaphysischer Thematik, die im Werk des evangelischen Christen Heinz Piontek schon früh eine Rolle gespielt hat. Er war dabei alles andere als ein „naiver“ Dichter: „Unablässiges Gedicht“ und „Wunde der Wahrheit“ zeugen von Skepsis gegenüber Sprache und poetischem Schaffen.
Heinz Piontek hat immer wieder den Stellenwert der narrativen Prosa innerhalb seines Werks betont und sich stets dagegen gewehrt, ausschließlich als Lyriker bezeichnet zu werden. Seine frühsten Einzelveröffentlichungen waren nicht Gedichte, sondern Erzählungen. Die Zahl der in den frühen 50er Jahren publizierten short stories ist hoch, zwischen 1951 und 1954 erschienen allein in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über zehn solcher Arbeiten. In dem bereits erwähnten Interview mit Martin Gregor-Dellin antwortete Heinz Piontek auf die Frage, warum er Geschichten verfasse: „[…] Vielleicht, weil man hinter Menschen und ihren Begebenheiten etwas aufleuchten sieht, was man nur dadurch sichtbar machen kann, dass man eben von diesen Menschen und Begebenheiten erzählt“ und betonte, dass er auch Geschichten schreibe, „in denen ich mich mit aktuellen Zeiterscheinungen auseinandersetze.“10 Die hier präsentierten fünf Erzählungen versuchen beide Aspekte deutlich zu machen. Einige seiner frühen Geschichten wurden von Heinz Piontek nicht in seine Werkausgabe übernommen. Die Herausgeber haben sich in diesem Punkt von den Vorstellungen des Autors gelöst und bringen erstmals mit „Das Ende ist immer anders“ eine solche seit ihrer Publikation in dem Band Vor Augen nicht mehr veröffentlichte Erzählung wieder zum Abdruck, auch um den Entwicklungsweg Heinz Pionteks zu dokumentieren.
Als Beispiel für die frühe Auseinandersetzung mit der Lyrik Heinz Pionteks legt dieser Auswahlband den bereits erwähnten Beitrag von Christopher Middleton vor, der hier zum ersten Mal vollständig in deutscher Sprache erscheint. Welche kritische Aufmerksamkeit auch dem Erzähler schon früh entgegengebracht wurde, zeigt die Rezension Hans Egon Holthusens zu Vor Augen. Holthusen hat sich stets im besonderen Maße für Heinz Piontek eingesetzt und den jungen Schriftsteller stark gefördert. Es existieren von ihm zwölf Rezensionen zu Büchern Pionteks.
Die Textgestalt der Gedichte und Prosaarbeiten folgt (von wenigen, genau bezeichneten Ausnahmen abgesehen) der zwischen 1981 und 1985 in München erschienenen sechsbändigen Werkausgabe. Obwohl der hier vorgelegte Band eine Leseausgabe ohne einen nach editionsphilologischen Gesichtspunkten erstellten textkritischen Apparat ist, werden für einige Gedichte Varianten vorgelegt, um auf diese Weise die unaufhörliche Arbeit Pionteks an seinen Versen zu dokumentieren.
Wie Heinz Piontek in seinem autobiographischen Roman Stunde der Überlebenden berichtet, begann er schon früh zu zeichnen und aquarellieren. Die Herausgeber haben für diesen Band vier seiner Aquarelle ausgewählt, die auch Bezüge zu einzelnen Gedichten aufweisen. Beigegeben ist zudem das Aquarell „Lucera“ des Malers Emil Kiess (*1930), Mitstipendiat in der Villa Massimo und Begleiter Heinz Pionteks auf einer Reise durch Apulien.
Die Gedichte und Prosaarbeiten des hier vorgelegten Bandes zeigen, dass Heinz Piontek bereits in seinem Frühwerk den „Raum“, in dem es entstanden ist, überschritten hat. So wenig sich seine frühe Lyrik trotz häufiger Beschwörung von Natur und Landschaft als bloße „Naturlyrik“ qualifizieren lässt, so falsch wäre es, das Frühwerk mit dem Etikett der Provinzialität zu versehen.

Anton Hirner und Hartwig Wiedow, Vorwort

 

Heinz Piontek (1925–2003)

begab sich mit seinem literarischen Schaffen auf die Suche nach dem Schönen, Naturmagischen, Tiefen. Schon in jungem Alter reüssierte er mit seinen Texten, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1976 den Georg-Büchner-Preis. Sein unterschiedliche Erzähltechniken umfassendes Werk wurde in 24 Sprachen übersetzt. Doch in den politisierten 60er und 70er Jahren sah man in dem ruhigen Literaten einen unengagierten Außenseiter und andere Autoren übernahmen bis heute die Rolle der repräsentativen deutschen „Nachkriegsautoren“. Umso stärker und originärer wirken Pionteks frühe Kurzgeschichten und Gedichte, mit denen er internationale Aufmerksamkeit erreichte. Seine Zeilen und Verse fühlen sich in ihren traditionellen Formen stärker in die sprechende wie lautlose Existenz ein als manch anderer plakative oder experimentelle Versuch gleicher Zeit.
Dieses Buch versammelt eine Auswahl dieser frühen Werke (darunter auch unbekanntere Stücke), die durch Selbstzeugnisse und Dokumente jener Jahre ergänzt wurden. Entstanden sind sie zwischen 1947 bis 1961 in den Donaustädten Lauingen und Dillingen, wohin der Sohn eines oberschlesischen Bauers nach zweijährigem Militäreinsatz, Kriegsgefangenschaft und Wanderleben gezogen war, bevor er seinen Wohnsitz in München nahm. Bisher nicht bekannte Aquarelle aus seiner eigenen Hand sowie unveröffentlichte Fotografien illustrieren das Buch. Die fruchtbare Schaffensperiode Pionteks wird somit ebenso literarisch wie historisch beredt dokumentiert und zugänglich gemacht. Es gilt, einen deutschen Autor ganz eigener Tiefe und Stärke wiederzuentdecken.

Wolff Verlag, Ankündigung

 

Sehr schöner Lyrik- und Prosaband des Büchner-Preisträgers

Heinz Piontek, der 1976 den Georg-Büchner-Preis erhielt, wurde leider von seinen Zeitgenossen als unengagiert oder unpolitisch wahrgenommen und obwohl sein Werk in 24 Sprachen übersetzt wurde, sind es andere Autoren, an die wir bei dem Begriff „Nachkriegsautoren“ denken.
Dieser Band versammelt frühe Gedichte und Erzählungen und einen Teil, der als „Selbstzeugnisse“ betitelt ist, der bisher unveröffentlichte Dokumente enthält. Zusätzlich finden sich unveröffentlichte Photos und Aquarelle Pionteks.
Besonders interessant finde ich den Text mit dem Titel „Von der lyrischen Praxis“. Hier beschreibt Piontek die Schwierigkeiten der Lyrikproduktion. Sein Ziel ist das „offene, das mitteilsame, das durchscheinende Gedicht.“ Piontek versucht in seinen Gedichten eine „bildliche Klarheit“, die „sparsame“, „unaufdringliche Geste“ zu finden. Die hier versammelten Gedichte dokumentieren genau diesen Versuch. Sie sind Zeugnis einer unaufdringlichen Schönheit der Natur oder aber auch einer Melancholie, die in fast allen Gedichten spürbar wird. Durch die klare, dennoch nicht unpoetische Sprache werden Bilder großer Tiefe erzeugt.
Durch die Einleitung von Hirner und Wiedow wird uns Pionteks Leben und Schreiben nähergebracht.
Ein lesenswertes Buch, nicht zuletzt wegen seiner schönen Gestaltung, das ich gerne wieder in die Hand nehme um einzelne Gedichte nochmals zu lesen.

Kunde, amazon.de, 16.1.2012

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Herbert Fuchs: Fünfziger Jahre – Poesie
literaturkritik.de, September 2012

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Alexander von Bormann: Amsel und Vollmond
Die Zeit, 29.11.1985

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Manfred Moschner: Das Gedicht ist ein Fernrohr
Rheinischer Merkur / Christ und Welt, 9.11.1990

Curt Hohoff: Wenn die Schönheit zur Partisanin wird
Die Welt, 10.11.1990

Peter Mohr: Zu Lebzeiten ein Klassiker
General-Anzeiger, Bonn, 15.11.1990

Wolfgang Schirmacher: Der Einzelgänger
Rheinische Post, 15.11.1990

Thomas Cornelius Becker: Die Schönheit der Stille
der literat, Heft 3, 1991

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Wolfgang Ignée: Siegen in der Niederlage
Stuttgarter Zeitung, 15.11.1995

Eckart Klessmann: Stunde der Überlebenden
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.1995

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Ludwig Steinherr: „Das All nur eine schmale Tür“
Stimmen der Zeit, Heft 11, 2000

Peter Mohr: Überzeugter Traditionalist: Heinz Piontek wird 75
General-Anzeiger, 15.11.2000

Dietz-Rüdiger Moser / Marianne Sammer (Hrsg.): Heinz Piontek zum 75. Geburtstag
Sonderausgabe Literatur in Bayern, 2000

Nachrufe auf Heinz Piontek:

Harald Hartung: Keine Bürgen für einen besseren Tag
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.10.2003
Auch in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 2003, Wallstein Verlag, 2004

Kristina Maidt-Zinke: Die Kälte der Mitwelt
Süddeutsche Zeitung, 29.10.2003

Neu: Gedichte der Gegenwart
Stuttgarter Zeitung, 29.10.2003

Peter Härtling: Adieu, Piontek
Die Zeit, 30.10.2003

Peter Dittmar: Ich lernte, dass man vor seinem Gedächtnis nie sicher ist
Die Welt, 29.10.2003

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Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Schollenpiontek“.

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