Paul Scheerbarts Gedicht „Die große Sehnsucht“

PAUL SCHEERBART

Die große Sehnsucht

Wenn die große Sehnsucht wieder kommt,
Wird mein ganzes Wesen wieder weich.
Und ich möchte weinend niedersinken –
Und dann möcht ich wieder maßlos trinken.

1905

 

Konnotation

Paul Scheerbart (1863–1915), der wunderliche „Kosmo-Komiker“, Vorfahr des Dadaismus und Fast-Erfinder des Perpetuum mobile, hat in seinen vitalistischen Gelegenheitsgedichten häufig eine gewisse Neigung zum Alkoholrausch bekundet. Für seinen Kritiker, den Literaturpuristen Arno Schmidt (1917–1985), war er daher nur ein „kosmischer Schwadroneur mit beschränkter Haftung“.
In Kreisen der Berliner Bohème zirkulierten um 1910 allerlei Gerüchte über Scheerbarts Lebensführung. Er habe sich ausschließlich von „geschabten Heringen auf Brot“ ernährt, behauptete sein erster Verleger Ernst Rowohlt. Ähnliche Geschichten, die den Autor als auf Pump lebenden trinkfreudigen Philosophen darstellen, hat Scheerbarts Freund Erich Mühsam (1878–1934) erzählt. Seine „große Sehnsucht“ hat der phantastische Poet Scheerbart alkoholisch stabilisieren wollen – dazu passt, dass er sein einziges Erfolgsbuch Katerpoesie (1905) nannte.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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