Werner Riegel & Peter Rühmkorf: Heisse Lyrik

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Werner Riegel & Peter Rühmkorf: Heisse Lyrik

Riegel & Rühmkorf-Heisse Lyrik

Läuse und Trauer, Haschisch und DDT −
Die Fahrt geht weiter, die leidige Odyssee;
Südliche Winde, östliche, vier bis zwo,
Und ein Lächeln in London, ein Lauschen gen
aaaaaJericho.

Aber steht wieder auf und verschleudert euren Besitz;
Wie ein Schuß in den Hals, der brennende Slibowitz.
Morgen tut man euch Galle ins Trinkgefäß,
Ach, unser schmelzendes Hirn, some of these days.

Körniger Ocker des Herbstes, die schrumpfende Kruste,
Wenn sich die Landschaft aufgibt bei vierzig Grad Fahrenheit.
Wenig Erkenntnis, das bleibende Unbewußte,
Unsre Zerfallskonstante, unsere Halbwertzeit.

Ich bin, du bist, wir sind, unsre dunkle Visage,
Die auf dem Waschwasser schwankt, sich in der Scherbe sah −
Die Fahrt geht weiter, Mystik und Montage
Zwischen Himmel und Erde, Alpha und Omega.

Peter Rühmkorf 

 

Rauch, Himmel und Licht,
Das herbstliche Quartal.
Wer faßt das Sinngedicht
Unsere Schwingungszahl!
Wem strömt es wider Willen
Durch Larynx und Schlung,
Ehe sie ihn killen
In Kühle und Dämmerung!

Noch ein Mond wie Mohn,
Wie Haschisch eine Hand.
Und welche Variation
Hat hier Bestand!
Im Schilf der großen Syrten,
Unter Lunas Geleucht:
Wir sind die Angeschmierten,
Vom Schluß überzeugt.

Wir sind in Dorn und Schleh
Wo sich der Himmel staut.
Der Schnaps des Litaipe
Rinnt hinter die Haut.
Es treibt der Wind bisweilen
Fetzen von Leid
Durch unsere Memnonsäulen
In die Unsterblichkeit.

Werner Riegel

 

 

 

Heiße Lyrik zwischen den Kriegen

Seitdem Gottfried Benn mit den Destillationen unter die Rhythmenbetreuer und zu Boden bis neun ging – Aprèslude bestätigte ja nur: They never come back −, seitdem finden sich jetzt zum erstenmal wieder einige Gebilde, die in der strömenden Lyrikproduktion der deutschen Gegenwart nach langen Wellentälern einen kleinen Kamm sichtbar werden lassen. Die Versuche Peter Rühmkorfs und Werner Riegels sind von der Art, daß auch ihr Kritiker erlöst den unkontrollierbar-assoziierenden Stil verlassen darf, den die Holthusen, Piontek, Celan, Gwerder, de Haas ihm aufzwingen, und zu sachbezogenen Kategorien zurückkehren kann. Die einfache Beschreibung des lyrischen Inventars nach Gehalt und Gestalt, Vorwurf und lyrischem Stil, Metaphorik und sprachlicher Form: sie versagt sich diesen Gedichten nicht als zu eng oder zu weit; sie erschließt ihre Struktur dem kritischen Nachvollzug, ermöglicht eine erste Wertung, die sich auch ihrerseits wiederum der Kontrolle nicht entzieht. Daß moderne Gedichte die Anwendung dieser, wenn man will positivistischen Methodik erlauben: alle Welt hält es heute für ein schlagendes Kennzeichen der Unmodernität solcher Lyrik; die konkrete Anwendung der Methode erweist lediglich das Gegenteil.
Es sind die tradierten Bestände des lyrischen Ich, denen das Interesse Rühmkorfs wie Riegels gilt: Hiob und Bacchus, Klage und Rausch. Resignation und Fortschritt verschränken sich zu jener Ambivalenz, die das moderne Gedicht konstituiert, indem das resignative Element in der Gestimmtheit des lyrischen Gebildes selbst manifest wird, das progressive dagegen sich in den theoretischen Essayismus rettet. Der moralische Imperativ, dem beide Autoren sich als Herausgeber der literarisch-politischen Zeitschrift Zwischen den Kriegen verpflichtet wußten, ist zur puren Formgebärde erhärtet: „Auf dem Gewissen, unserer Wasserscheide, / Wuchert das Epitaph.“ (Riegel) Vom Rauch von Lublin, den Lynchern von Babel bis Belsen zu sprechen, zeugt von gutem Willen; erst die artistische Unterkühlung, der formale Gefrierprozeß bringt es ins lyrische Vokabular ein. Hier gelang es erstaunlich oft. Die „tiefen menschlichen Bestände“, sie erscheinen als jener „schüttere Bestand“ des „Einmal noch…“, des „Bis daß wir abtreten müssen…“. Die Berufung auf die Sterblichkeit, von Rühmkorf postuliert, von Riegel unterstrichen, ist Affekt und Effekt einer Dichtung, die in der Unmöglichkeit, dem Wirklichen ein Äquivalent in der Sprache setzen zu können, tapfer verharrt und die Sprache selber als letzte Realität akzentuiert. Rühmkorf spricht in einem hier fehlenden – Gedicht von jenem Mann, der, „ohne Hoffnung zu Pfingsten“, die Welt zu „magischem Protokoll“ gibt.
Der tradierten Motivik des Lyrikers seit der Sappho: Natur, Sexus und Mythos, dem ewigen Verzicht zwischen Eifersucht und Atemnot, der unsterblichen Leier der Euterpe werden einige betörende neue Akkorde entlockt. Hinzu kommen die Motive aus City und Technik, Jabos und physikalische Formeln; das ist nicht sonderlich neu, neu ist das Wie der Mischung, die Art der Montage.

Wenig Erkenntnis, das bleibende Unbewußte,
Unsre Zerfallskonstante, unsere Halbwertzeit.

(Rühmkorf)

Da liefert das moderne Vokabular die formal positive Aussage.

Siege der hirnenen Sonde,
Würfe ins Meer, und dann die Hechte, der Fraß
Im Lächeln der Gioconde,
In den Zöpfen Nausikaas.
(Riegel)

Die Negation stützt sich dagegen gern auf die Archaismen. Das dürfte die erste eigenständige und damit die einzig legitime Verarbeitung der Bennschen Erweiterung des lyrischen Terrains sein. Für Benn ist der Mythos der „dunkle Grund“, auf den er angewiesen, in den er sich dichtend zurückzieht aus der aktuellen Existenz. Bei Rühmkorf und Riegel wird gerade die mythische Welt demaskiert und deformiert durch die moderne.
Ein Beispiel mag das metaphorische Sprechen Rühmkorfs verdeutlichen. „Im Auge ein Blütenatoll […]“: das scheint Agression durch Blödsinn à la Dada, das leistet überhaupt nichts mehr, entschwimmt in die unendliche Austauschbarkeit surrealistischer Bildersprache. Aber die folgende Zeile integriert das Bild auf verblüffend einfache Weise: „Im Auge ein Blütenatoll, / Die paar rosa Erinnerungen […]“. Das dichterische Bild ragt immer weit über den Vergleich hinaus. Vergleichbar ist alles mit allem; Metaphorik ist ursprünglicheres Sprechen, autonomer Ausdruck des Subjekts.
Vor allem Rühmkorf arbeitet gern mit eigentümlichen syntaktischen Verkürzungen:

Wir mit dem Geigergerät,
Wir mit dem Schorf am Mund…
Wir mit Pomade im Haar,
Lebend und lächerlich…
Wir in Jasmin und Jod,
Bis uns der Splitter trifft…

Die Überwindung der verbalen Kinetik, der durchgehaltene Nominalstil führt zu dem von Benn propagierten statischen Charakter des modernen Gedichtes. Natürlich wird das nicht immer erreicht, besonders dann nicht, wenn die Verkürzungstechnik auf die kleinste Einheit, das einzelne Wort, übergreift. Wenn Riegel etwa schreibt: „Auch diese Stund’, Euterpe […]“, dann wird aus einem progressiven Stilmittel ein bloßes Hilfsmittel zur Vermeidung des Hiats. Das scheint nur erlaubt im Slang, die Verse „Noch dein letztes Erbe / Hatte was los […]“ (Riegel) schalten von der Sprachebene bereits den peinlichen Eindruck des Dilettantischen aus, obwohl hier genau dasselbe Stilmittel wie im ersten Vers benutzt wird. – Beide Autoren haben im Anschluß an Brecht und wiederum Benn dem Slang neue lyrische Möglichkeiten abgewonnen. Freilich sind sie auch gerade hier einer Erweichung der Aussage nicht immer entgangen, der Slang als solcher verführt leicht zum Verzicht auf Genauigkeit und Schärfe der Aussage.
Sämtliche Gedichte Rühmkorfs wie Riegels sind gereimt, das ist durchaus Programm. Der seltene, überraschende, provozierende Reim – immer Signum einer Endzeit – wird gesucht und häufig auch gefunden: Sehne – Endmoräne, DDT – Odyssee (Rühmkorf); Rumänien – Nänien, Selene – Obszöne (Riegel). Da wird das verbrauchte Material mit neuen Energien aufgeladen. Da wird allerdings manchmal auch gemogelt, eine Formverantwortung vorgetäuscht, die nicht vorhanden ist. Im Ganzen entsteht der Eindruck, als hätten Riegel wie Rühmkorf sich bei der Problematik der Form zu früh zur Ruhe gesetzt, als seien formale Probleme jenseits des Endreims überhaupt noch nicht in ihr Gesichtsfeld gekommen.
Eine gewisse Gefahr dieser beiden Lyriker schien in der Tatsache verborgen zu sein, daß man sie noch fast gemeinsam behandeln kann, wie es hier geschehen ist. Das Sympoetisieren war eine Sache der Romantik. Einige Unterschiede wurden natürlich sichtbar, ließen auch eine künftig getrennte Entwicklung erwarten: Rühmkorf ist der naivere, die Struktur seiner Gedichte ist eine wesentlich organische; Riegel war durch und durch intellektuell, der geschicktere „Macher“ im höchsten Sinne. Der unerwartete Tod Riegels mit 31 Jahren läßt erschütternd deutlich werden, was mit ihm dahinging: eine in unseren Tagen unvergleichliche poetische Substanz. Wenn man mich fragt: beide haben wie niemand sonst – ich nehme höchstens die ganz andere Ingeborg Bachmann aus – auf sich aufmerksam zu machen verstanden. Ihr „new sound“ ist jetzt da, er wird wahrscheinlich bleiben. Von dem 27jährigen Rühmkorf erwarte ich die Fortentwicklung, Weiterbildung dieses Erbes.

Rolf Tiedemann, Gekürzte Fassung in: Die andere Zeitung, 26.7.1956

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Bke: Generation zwischen den Kriegen. Heiße Lyrik von Peter Rühmkorf und Werner Riegel
Das Echo, 23.3.1957

Rudolf Braun: Heiße Lyrik
Studentenkurier, Juni 1956

Karl-Heinz Drochner/Reinhard Opitz: Über die Lyrik Peter Rühmkorfs. Kritischer Dialog
Lyrische Blätter, Heft 5, 1956

Johannes Fischer: Finistische Lyrik
Lyrische Blätter, Heft 5, 1956

Karl Krolow: Chancen für junge Lyriker. Heiße Lyrik
Neue Deutsche Hefte, Heft 6, 1955

Reimar Lenz: Heiße Lyrik
Profil. Bayerische Studentenzeitung, Heft 19, 1956

Alfred Nemeczek: Der Zorn der jungen Männer
Hessische Nachrichten, 25.6.1958

Gottfried Pfeffer: Die Lyrik der Nomaden
Lyrische Blätter, Heft 5, 1956

Wolfgang Weyrauch: Die neue deutsche Lyrik
Neue Zürcher Zeitung, 24.8.1957

 

Heiße Lyrik und Irdisches Vergnügen

Um es gleich mal vorweg zu sagen: „Mein erstes Buch“, eine wirklich interessante und an einen selten aktivierten Nostalgienerv rührende Frage, obwohl das meine „Erste“ genaugenommen das Gemeinschaftsprodukt zweier seit Jahren miteinander verbandelter literarischer Dioskuren gewesen war und insofern keine ausgesprochene Einzeldarbietung. Ich spreche von meinem Freund Werner Riegel und mir, die seit Anfang 1952 gemeinsam die Zeitschrift Zwischen den Kriegen herausgegeben hatten und die sich in eiserner Zweieinigkeit für das Reimgedicht stark machten, was zugleich eine poetologisch bedeutsame Frontlinie gegenüber jenen Pseudoavantgarden aufzog, die sich unter Titelparolen wie „Konstellationen“, „Kombinationen“ oder „Konkretionen“ an der Spitze der zeitgenössischen Lyrik wähnten. Daß wir uns auch auf der Suche nach einem geeigneten Buchverlag als Doppelgespann ins Gespräch zu bringen suchten, gehörte gewissermaßen mit zum Programm, bis sich eines Tages der Limes Verlag für unsere Gedichte zu interessieren begann, der unter dem Reihentitel „Dichtung unserer Zeit“ eine kleine feine Debütantenbühne unterhielt, was neben dem gemeinsam genossenen Triumph zugleich ein so nie bedachtes Problem nach sich zog. Auf die eigentlich unvermeidliche Frage nach der Reihenfolge der Erscheinungstermine schien zum ersten Mal so etwas wie ein latenter Konkurrenznerv geweckt, sehr unschön für unser bis hin ungetrübtes Genossenschaftsdenken, weil letzten Endes doch keiner gern vor dem andern zurückstehen wollte. Und wer konnte schon sagen, ob sich der Geschmack an solchen Gedichten wie den unsren in der Zwischenzeit nicht völlig verlieren oder ein Mißerfolg des Vorgängers nicht zwangsläufig auf die Fortuna des Nachfolgers auswirken würde.
Nun verrate ich nicht unbedingt ein Betriebsgeheimnis, wenn ich erwähne, daß die Rolle des Begünstigten zunächst an mich fiel, weil die etwas verschlungenen Verlagsverhandlungen jederzeit im Marbacher Literaturarchiv einzusehen sind. Zu ergänzen wäre allenfalls, daß mir die Bevorzugung meiner Person bei allem Stolz doch auch wieder zu schaffen machte, weil sie nolens volens den Älteren von uns beiden auf den zweiten Platz verwies und ein bishin logenbrüderlich behauptetes Zwei-Mann-gegen-alle-anderen in seinen moralischen Grundfesten erschütterte. Um der fatalen Zerteilung einer gewissermaßen naturwüchsigen Gemination zu entgehen, ohne freilich die Publikation als ganze zu gefährden, einigten wir uns in zahllosen nächtlichen Debatten schließlich auf ein immerhin zu erwägendes Zwei-in-eins, was im Verlag allerdings mitnichten auf die von uns erhoffte Gegenliebe stieß. Solch ein Doppelmoppel verstoße im Grunde gegen das Konzept der Reihe. Es entwerte die erwünschte Einzelvorstellung zumal im Hinblick auf die Solodarbietungen unserer Vorgänger. Es könne – Übelstes der Übel – sogar die Kritik in die Verlegenheit bringen, statt sich mit einer Personalsignatur mit einem Gruppenidiom auseinanderzusetzen. Kurz: an Einwänden war kein Mangel, bis der Verleger Max Niedermayer sich schließlich doch erweichen ließ, den Zweifelsfall noch einmal zu Überdenken und uns in Aussicht stellte, ihn einem befugten Fachmann des Metiers zur Begutachtung vorzulegen.
Wer das etwa sein könne, war uns damals absolut schleierhaft, und der Schleier lüftete sich mir auch erst viele Jahre später, als ich mich mit dem ebenfalls heftig von uns befehdeten Walter Höllerer mittlerweile innig befreundet hatte und er mir folgendes lustiges Capriccio zum besten gab. Auf seiner ständigen Suche nach interessanten jungen Autoren für die Zeitschrift Akzente, aber eben auch nach großen Alten, war er eines Tages im Limes Verlag aufgekreuzt, um dem absoluten „Phänotyp der Stunde“ Gottfried Benn ein paar noch unveröffentlichte Gedichte zu entlocken, nur daß dieser just im Augenblick gar nicht recht ansprechbar schien, weil er sich gerade höchst angeregt mit unserem Eingesandten beschäftigte und offenbar gar nicht davon lassen mochte. Mal schien er wohlwollend zu nicken. Mal sogar von dem Nachklang seiner eigenen Flöten entzückt und sich selbst in der Rolle des Tonangebers zu genießen. Bis er am Ende – „Teils-teils, das Ganze!“ – das entscheidende Machtwort sprach und dem bis hin zögerlichen Verlag genau die von uns erwünschte Doppellösung empfahl. Das Büchlein kam denn auch im Frühjahr 56 unter dem Titel Heiße Lyrik und in einer Auflage von 300 Exemplaren auf den Markt, und wer es heute im Antiquariatsbuchhandel erwerben möchte, muß statt dem seinerzeitigen Stückpreis von 1,90 Mark schon seine – lassen Sie mich nachsehen doch, hier 500, dort sogar 600 Euros auf den Tisch legen.
Wen zudem die Lust ankommen sollte, noch einmal hineinzugucken, wird dann vielleicht sogar bemerken, daß die oft behauptete Abhängigkeit von dem großen Anreger Benn so erheblich eigentlich gar nicht war und das poetologische Grundprogramm einer „Heißen Lyrik“ schon vom Ansatz her der Forderung widersprach, daß ein zeitgenössischer Dichter zunächst einmal „sein Material kalthalten“ müsse. Bzw. um es noch einmal im Medium der Poesie zu demonstrieren:

Wildernd im Ungewissen,
Im Abflußrohr der Zeit,

Etwas Größe unter den Nagel gerissen,
Etwas Vollkommenheit.

Als kleines P.S. vielleicht dies noch. Daß mein erstes eigenes und vom Umschlagentwurf bis zur typographischen Gestaltung selbstbestimmtes Buch erst im Herbst 59 im Rowohlt Verlag erschien und unter dem Titel Irdisches Vergnügen in g doch einigen Wirbel machte. Das mag daran gelegen haben, daß das literarische Vexierrätsel prompt an den Bildungsstolz gewisser Großrezensenten appellierte, aber seine eigene weltliche Glückseligkeitslehre doch allgemein Übersehen oder unterschätzt wurde. Gewiß, daß es sich hier um eine literarische Parodie handelte – eine ironische Anspielung auf den nachbarocken Naturdichter Barthold Heinrich Brockes und sein teleologisch argumentierendes Riesenwerk Irdisches Vergnügen in Gott −, mochte damals noch zum allgemeinen Kulturwissen zählen. Und daß der bis ins Kleinste planende Schöpfergott des glaubensstarken Vorgängers hier reichlich frivol durch das physikalische Symbol der Erdanziehung/Fallbeschleunigung ersetzt worden war, ließ sich ohnehin im Klappentext nachlesen. Aber ob das nun bloß eine oberflächliche ästhetische Dollerei war oder doch vielleicht ein eigenes philosophisches System dahinterstand, pfiff doch einigermaßen unbegriffen an dem Verstand der seinerzeit amtierenden Kulturbeutel der Lit-Kritik vorbei.
Was ich später – sehr viel später – öfter mal als weltliche Heilslehre eines „humanistischen Hedonismus“ ausposaunt habe, hatte sich mithin bereits in frühen Aufbruchszeiten poetisch vorformuliert, aber gut Ding will schon eine Weile haben, und wer zu Lebzeiten überhaupt noch eine kleine Gesinnungsgemeinde um sich versammeln kann, soll nicht meckern. Und im späten Rückblick war auch damals dazu gar kein Anlaß, weil ein wirklich kluger Dichterkollege – ich spreche von Karl Krolow – das Büchlein sofort auf den höchsten Parnaß versetzte und ein weniger geschätzter Kikerikritiker des Kulturbetriebs den Verfasser gerade mal als „lustigen Gesellen“ gelten lassen mochte. Immerhin hieß der Gemeinte Friedrich Sieburg. Und die Zeitschrift, in der seine Rezension groß aufgemacht zu lesen stand, war die FAZ, und erst das wurde letzten Endes zu meinem Gewinner. Ein Verriß an so hoher Stelle, und in einem gewissen ironischen Tonfall gehalten, der allenthalben die latenten ideologischen Vorbehalte durchschimmern ließ, das war schon etwas, und da an Sieburg praktisch weder Freund noch Feind vorbeikam, begannen das öffentliche Vergnügen an meinem Büchlein und das Mißvergnügen an seinem Abbürster sich irgendwo auf einem erfreulichen Mittelwert einzupendeln. Also ein absolut glücklicher Start, obwohl der Herdentrieb des Rezensionswesens zur Zeit des Kalten Krieges schon von erheblichen Opportunitätserwägungen gelenkt war und eine Fülle von Kleingeistern dem ideologischen Stabstrompeter des Restauratoriums nahezu blindlings folgte. Aber das hatten die Gedichte eigentlich bereits von sich aus vorausgesehen bzw. stichelnd provozieren wollen, selbst in der Form von heute fast harmlos anmutenden „Schäferliedern“.

Sich seiner Zung zu freun
nach Flut und Ararat!
Die Erde, die uns noch ermöglicht hat,
soll heut nicht ungepriesen sein.

Lies mir das Glück aus der gedunsenen Hand;
auch pfleg der fetten Ruh.
Schon gut – ich habe Pankow anerkannt;
der Wind bläst ab und zu.

Das Wesen, das zergeht.
So wendet man das Heu in seinem Kopf −
Ob Meister Gockel von der Krise kräht,
er muß doch in den Topf!

Peter Rühmkorfs und Werner Riegels Gedichtband Heiße Lyrik erschien 1956 im Limes Verlag in Wiesbaden. Peter Rühmkorfs Gedichtband Irdisches Vergnügen in g erschien 1959 im Rowohlt Verlag in Reinbek.

Peter Rühmkorf, aus: Renatus Deckert (Hrsg.): Das erste Buch, Suhrkamp Verlag, 2007

Werner Riegel – „beladen mit Sendung, Dichter

und armes Schwein“

Als Arno Schmidt seinen Romanen noch versifizierte Widmungen vorausschickte, konnte man in der Erstausgabe des Steinernen Herzens folgende erstaunliche Gedichtzeilen lesen:

Wehe die wankenden Reihen des Geistes! :
Brecht stirbt; Benn ist tot; macht ein Kreuz hinter Riegel.

Das bemerkenswerte Memento – ein junger Unbekannter Seite an Seite mit den großen Hingeschiedenen des Jahres 1956 – ergänzt sich uns durch eine nicht minder bewegende Stelle in Kurt Hillers Memoirenband Leben gegen die Zeit von 1969. „Am häufigsten schrieb ich zwischen 1949 und 1955 im Vorwärts, dem damals von Gerhard Gleißberg geleiteten Zentralorgan der Sozialdemokratie. In den frühen bis mittleren fünfziger Jahren auch an der (hektographierten) sehr geistgeladenen und tapferen Zeitschrift Zwischen den Kriegen, die der junge Danziger Werner Riegel herausgab, ein Talent nicht nur, sondern vor allem ein Charakter; schrecklicherweise starb er ganz jung, 1956 mit 31 Jahren.“ Das sind immerhin erstaunliche Zeugenaussagen. Ein rasanter politischer Publizist (auch ehemals Wortführer und Promotor der expressionistischen Bewegung) und der bedeutendste Prosaautor der deutschen Nachkriegsliteratur einigen sich auf einen Namen, der Mitte der Fünfziger gerade hundert oder zweihundert Leuten etwas sagte, den Lesern der Zeitschrift Zwischen den Kriegen, und dessen mittlerweile ziemlich verdunkeltes Bild vielleicht am besten durch ein paar persönliche Erinnerungen aufzulichten ist.
Als ich Riegel kennenlernte – 1951 und insofern in der Gründerphase unseres ersten Restauratoriums −, war er ein junger Mann von 26 Jahren, Schreiber von Bänkelliedern und Gelegenheitsfeuilletons aus Neigung, Bürobote von Beruf und aus Not, und was uns dann für eine ganze Weile zusammenband wie ein literarisches Dioskurenpaar, war das gemeinsame Verlangen nach einer eigenständigen und durch keine weltliche Macht genierten Zeitschrift. Sie sollte der Publikation von Gedichten dienen, zumal unserer eigenen aus dem seinerzeitigen Rahmen fallenden, aber auch der Verbreitung von politischem Widerstandsgeist. Sie war als Tribüne für junge unerhörte Talente gedacht, aber auch als poetologisches Leitorgan für die zahlreich und ziellos zwischen unterschiedlichsten Literaturtheorien herumirrenden Einzelgänger. Sie formulierte sich aktivistisch und verbesserungsbesessen, wo es um den immerwährenden Kampf für den ewigen Frieden (und den aktuellen gegen die bundesdeutsche Wiederaufrüstung) ging, und konnte die verhängnisvolle Entwicklung der deutschen Dinge doch nicht einfach mit dem Aufklärwedel aus dem Bewußtsein scheuchen, weshalb sie sich schließlich, halb fatalistisch und halb überlebenswütig, Zwischen den Kriegen – Blätter gegen die Zeit nannte. Was ihr an vaterländischer Gesinnung scheinbar abging, wurde durch ein erklärtes literaturpatriotisches Engagement sicher mehr als wettgemacht. „Deutscher Expressionismus“, das war für uns immer auch eine heimatliche Erkennungsmelodie, in der wir uns nach den Längs- und Querverwerfungen der deutschen Nationalgeschichte ungebrochen wiederfinden konnten. Das heißt, so naht- und bruchlos natürlich auch wieder nicht, denn wenn wir es statt mit den neuen Erfolgsautoren lieber mit den Vergessenen und Verfolgten hielten, war die Dissonanz zur bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft gewissermaßen programmatisch vorgegeben.
Wo junge Außenseiter unterschiedlicher Herkunft sich unter einem gemeinsamen Götterhimmel wiederfinden, weht im erbaulichsten Fall ein Geist der wettbewerblichen Konspiration. Während Riegel, und das noch im Kriege, die Bekanntschaft zu Kasimir Edschmid gesucht hatte (er hatte einen Fronturlaub genutzt, dem Idol in seiner Darmstädter Wohnung zu huldigen), konnte ich ihm immerhin mit ersten Publikationen in Döblins Goldenem Tor imponieren. Während ich auf ziemlich frühe und, nach einigen Mißverständnissen, durchaus herzliche Verbindungen zum Hause Hans Henny Jahnn verweisen konnte, gebot Riegel über eine damals absolut unvergleichliche Bücherwand mit den kostbarsten expressionistischen Erstausgaben und fast schon jenseitigen Exklusivdrucken. Die für mittellose Verrückte damals gerade noch eben erschwingliche Kurt-Wolff-Reihe mit den aufgepappten Titeletiketten so lückenlos vorhanden wie die Serienpublikation Der rote Hahn mit des Jakob van Hoddis’ Weltende oder Otto Freundlichs Aktive Kunst. Die großen Anthologien des Aufbruchs (Von Kurt Hillers Condor über Rubiners Kameraden der Menschheit und Wolfensteins Erhebung bis zu Pinthus’ Menschheitsdämmerung) so selbstverständlich zur Hand wie Kasimir Edschmids Tribüne der Kunst und der Zeit oder Schickeles Weiße Blätter oder Alfred Richard Meyers Lyrische Flugblätter oder Die Silbergäule aus dem Paul Stegemann Verlag, Hannover. Aber natürlich war damit nicht Schluß, sondern reihte sich fort und zog sich wie das Spektralband einer imaginären Genossenschaft durch die Regale hin: Das Verbotene und Verbrannte von damals, das in unseren neuen Gründerjahren dann noch einmal verdrängt und vergessen wurde; und das schlagende Argument, mit dem Riegel einem Besucher einmal sein Sammelprinzip erklärte, ist mir auch heute noch nicht aus dem Sinn:

Da haben die Nazis schon genau die richtige Vorauswahl für uns getroffen.

Ein Jäger, Sammler und glücklicher Finder war auch ich mein Leben lang gewesen, aber Riegel war doch entschieden der Mann mit dem schärferen Objektiv und einem unvergleichlich feinen Nerv für das antiquarische Beschaffungswesen. Auf seinen Botengängen durch die Hamburger Innenstadt setzte er sich oft mehrmals täglich in die Asservatenkammern der Buchhandlungen Hennings, Thiergard, Simon, Frensche und Laatzen ab, immer auf der Suche nach verschollenen Logenbrüdern und heimlichen Geistesverwandten. Sein Verhältnis zu Büchern war dabei kein eigentlich bibliophiles, das heißt nostalgisch unfruchtbares. Bücher entfalteten sich ihm unter der Hand wie wahrhaftige Lebewesen, Flügelwesen, die erfreut schienen, gerade von ihm entdeckt und erobert worden zu sein. Selbst im empfehlenden Weitervermitteln – wenn ein Text sich ihm beim Vorlesen zusehends beatmete – spürte man ein seltsam augurisches Einverständnis zwischen dem gedruckten Wort und seinem Propheten und Ausbreiter, ein Beziehungszauber, der oft genug auf den Adressaten übergriff und aus Zuhörern Mitverschworene machte.
Riegel war ein Magus des Bücherwesens, ganz ohne Zweifel, und wenn die Fafnire der Antiquariatsbuchhandlungen ihm ihre Schatztruhen meist schon vor der Preisauszeichnung eröffneten, so war auch das ein Zeichen. Daß etwas Besonderes an ihm war, mochten selbst die nüchternen Geschäftsführer der Firma Arnold Otto Meyer (Südfrüchte, Häute, Gewürze) herausgespürt haben, die ihm mehr als einmal eine weiterführende Laufbahn als Prokurist zu ebnen suchten; nur daß Laufbahndenken so gar nicht auf seiner Linie lag und die eigenen Abenteurerfährten durch die Boukinistenreviere ihm verlockender schienen als die Aussicht auf eine bürgerliche Karriere im Im- und Exporthandel. Anziehend und bewundernswert fand ich damals beides, seine hohe Selbsteinschätzung als literarisches Medium zwischen Genien- und gemeiner Menschenwelt und diese äußerste Bedürfnislosigkeit in allen Alltagsdingen. Vermutlich habe ich niemals vor ihm und auch nachher nie wieder einen lebenden Dichter getroffen, der sich derart selbstverständlich und perfekt in eine Doppelrolle fügte – hier der Büro- und dort der Götterbote −, wobei der gewaltige Anspruch nicht den geringsten Beigeschmack von Dünkel hatte. Was er vor uns wißbegierigen Freunden ausbreitete wie eine frisch an Land gezogene Wahrheit, das hatte er sorgsam studiert und bis auf den Grund gelesen. Wogegen er sich wandte und was er dann mit Lust auf die gefährlich geschärfte Feder nahm, das konnte gewiß sein, daß er es bis in die Ietzten Intimitäten eines schief angesetzten Gedankens durchschaut hatte. Reelles Wissen, positive Kenntnisse, im Alleingang ergrabene Fakten und ein gegen das allgemeine grandiose Drüberhin der Fortschreibungswissenschaften ermitteltes Zahlenmaterial war das Basiskapital, mit dem er wucherte, und daß er es stets für die gemeinsame Suche und niemals gegen unbeschlagene Kameraden verwandte, verschaffte ihm in unserem kleinen Glaubenszirkel bald die Aura einer unfehlbaren Autorität.
Als autodidaktischer Privatgelehrter verkörperte Riegel sozusagen die edelste Form des kleinen Privat- und Einzelunternehmers. Aus bescheidenen sozialen Verhältnissen stammend – der Vater war Handlungsgehilfe, die Mutter Hausfrau; zwei Geschwister waren noch mitzuernähren und hochzuziehen gewesen −, hatte kleinbürgerliches Aufstiegs- und Bildungsstreben bei ihm schon früh eine Wendung zu geistigen Höhenflügen genommen. Vorzeitig hatte er lesen gelernt, aus eigenem Antrieb und indem er sich Buchstaben aus einer Zeitung auschnitt und sie probeweise wieder zu neuen Wörtern zusammenfügte. Noch im Knabenalter von acht, neun, zehn Jahren hatte der Vater ihn mit Haeckels Welträtseln und Goethes Faust bekannt gemacht, was ja gemeinhin auch nicht ohne Folgen bleibt. Nur daß die Zeitläufte dann sehr bald zu Kriegsläuften wurden und das so benamste „Professorchen“ in die „Schule des Lebens“ abkommandiert wurde, die für seine Generation vor allem eine Schule des Sterbens war.
Auskunft über die unfreiwilligen Irrfahrten eines jungen Intellektuellen vom Jahrgang 1925 geben zwei winzige Notizbüchelchen mit Tagebucheintragungen. Danach ist Riegel am 28. August 1943 eingezogen und auf lothringischen und pfälzischen Truppenübungsplätzen für den Krieg zurechtgeschliffen worden, um zunächst in Mittelitalien und später an verschiedenen französischen Frontabschnitten eingesetzt zu werden. Mindestens so aufregend wie die lakonisch mitnotierten Kriegserlebnisse (Jabo-Angriffe, Panzerschlachten, Trommelfeuernächte und Schützenloch, Artillerieüberfälle, Späh- und Stoßtruppunternehmen, Fahrt auf eine Mine, zwei Verwundungen) scheinen mir allerdings die immer unkonformen Nebenbemerkungen eines späteren Zeit- und Gesellschaftskritikers. Besonders die Eröffnung des Tagebuches vom Januar 1944 reißt auf einen tollkühnen Zug den persönlichen Abweichungswinkel auf: „Tag für Tag im Bitsch-Lager (Truppenübungsplatz in Lothringen). Sturer, mal leichter, mal schwerer Dienst. Oft interessante, öfter aber hassenswerte LMG-Ausbildung bei Unteroffizier S., der zum Inbegriff des starren preußischen Drillers wird. Reminiszenzen aus Remarques Himmelstoß-Episoden. Neue Freunde, so z.B. H. aus Köln-Bad Kreuznach und L. aus Laudan. Der eine Schüler, der andere Chemiestudent, beide fanatische Gegner der herrschenden Idee.“ Solche lebensgefährlichen, weil direkt an das zentrale Nervensystem des braunen Obrigkeitsstaates rührende Stellen müssen zwar im weiteren Verlauf des Tagebuches notgedrungen in den Hintergrund treten, aber ein gewisser zäh verneinender Widerstandsgeist und kritisches Herumgeschmirgel an den nationalsozialistischen Tugendidealen bilden dennoch einen bleibenden roten Faden bis zu den letzten Aufzeichnungen im Mai 1945.
Was der Tagebuchschreiber haßt und verachtet, sind chauvinistische Großmäuligkeit, Rekrutenschinderei und Mangel an Zivilcourage („Leck mich am Arsch, Herr Feldwebel. 3 Tage Bau“). Was ihm immerhin der Aufzeichnung wert scheint, sind Hinweise auf geheime Informationsquellen, sprich die sogenannte „Feindpropaganda“ („27.7.1944: Radio Beromünster. Hier spricht der amerikanische Sender für Europa“ – „21.10: Interessante Flugblätter“). Was bei dem geringen zur Verfügung stehenden Platz verwunderlich ist, sind die zahlreichen Eintragungen im Hinblick auf Jazz, Swing und „Negermusik“. („20.4. Hitlers Geburtstag. London bringt Negermusik“ – „27.4. Anni tanzt Swing“ – „22.5. Der Jazzlui“ – „7.9. Ich finde Rumbaplatten“ – „31.8. Alix Chambelle et le Jazz de Paris“ – „21.1.45. Mississippi-Melody“). Was sich gegenüber dem Schlachtgetöse und dem täglichen Todesgrauen allerdings am deutlichsten als Gegenmelodie behauptet, ist das nicht enden wollende und von Station zu Station sich neu eröffnende Bedürfnis nach Geist, nach Büchern, nach Lektüre: „15.3.1944. Gibt es in Meran denn keine Bücher?“ – „15.5. Ankunft in Danzig. Sofort zur Stadtbibliothek.“ – „18.6. Leihbücherei. Ich lese wieder Interessantes. Manfred Hausmann. Aufstand der Fischer von St. Barbara. Edschmid schreibt.“ – „6.10. Ich finde Arsène Lupin 813.“ – „18.11. Körrenzig/Jülich Welo: Ich suche Bücher.“ – „28.1.1945. Sonntags im BVD-Heim. Der Schrei nach dem Buch!“
Bei einem Dichter geht nichts verloren, ein Gedanke, der gegenüber dem mörderischen Verlustgeschäft der Geschichte fast schon wieder etwas Tröstliches hat. Oder er tritt doch verwandelt und vielfach umgearbeitet wieder hervor, als ein zwanghaftes Ausderrichtungweichen seiner Bilder und Metaphern oder unermüdlich aus der Tiefe in die Oberfläche wirkendes Ressentiment. In seinem schönen Aufsatz „Vorwelt der Verse“ berührt Riegel mit leichter Hand und fast nur im Vorüberwehen solche frühen Prägungen, die dem Jugendlichen in einer östlichen Landschaft zuteil wurden, und die nicht minder nachhaltigen, die der brutal egalisierende Marschstiefel in seinem Bewußtsein hinterließ.

Ich bin über dreißig, genug um mitreden zu können. Was die Zeit nahm ist eins, was sie gab, das andere. Ich gehöre einer Generation an, die der Erde nah war, sie ist großenteils auch wieder zu Erde geworden, noch vor dem Leben; mich ließ es ein. Ich trage mit mir herum, was unsere Jahre damals zu tragen gaben: Landschlachten, Nah- und Häuserkämpfe, die zerschlissenen Baumstümpfe, das Blut, das seine Bestimmung verfehlte, die brandigen Himmel hinter den brennenden Dächern. Zeit ist in mir und wird in die Zeilen strömen wie der Rauch der Feuer in die Winde, „Die Hamadryade im Hürtgenald steigt aus der Feuchten Erde“.

Die dem mythologisch Unbewanderten vielleicht ein wenig hergeholt erscheinende Hamadryade (eine Baumnymphe also) möchte dabei natürlich genau den Fremdkörper abgeben, den sie im geschändet-zerschossenen Hürtgenwald mit seinen „zerschlissenen Baumstümpfen“ wirklich darstellt. Das kritische Nebeneinander von mörderischer Zeitgeschichte und feenhaften oder mythologischen Naturbildern gehörte für Riegel schon früh – das heißt längst vor der Lektüre von Loerkes, Benns oder Lehmanns Gedichten – zu den alltäglichen Wahnsinnsvorstellungen, wovon das Tagebuch sinnfällig Kunde gibt. So findet sich im Anhang zu den Aufzeichnungen nicht nur eine Kartenskizze mit dem aktuellen Frontverlauf („Der amerikanische Frankreichfeldzug“), sondern auch ein säuberlich gezeichneter Stammbaum des griechischen Göttergeschlechts, was den alten Olympos ziemlich schartig gegen den von Mündungsfeuern und Leuchtspurgarben zerrissenen Kriegshimmel stehen läßt. Zur Vorwelt der Verse müssen wir jedenfalls beides rechnen. Ein junger Geistmensch mit nichts als Literatur im Kopf (wenn auch nicht gerade dem sprichwörtlichen Hölderlin im Tornister) muß erfahren, daß die im Lesen erlebte Welt nicht im mindesten mehr mit der zur Zerbombung freigegebenen zusammenhängt, und jeder scheinbar rüde Bildbruch, jede kreischende Katachrese der Gedichte ruft noch einmal diesen tief erlittenen Widerspruch herauf.
Trotzdem war, ehe wir uns kennenlernten, Expressionismus nicht eigentlich eine nacheifernswerte literarische Methode für ihn, sondern ein mit Fleiß und Liebe verfolgter Studiengegenstand. Schon in den späten vierziger Jahren hatte er sich an die Vorarbeiten zu einer modernen Literaturgeschichte gemacht und mit autodidaktischer Zähigkeit versucht, dem streckenweise auf reichlich tönernen Füßen ruhenden Lehrgebäude eine Basis aus haltbaren bibliographischen Angaben einzuziehen. Der gar nicht so kleine Nachlaß rekrutiert sich dementsprechend vornehmlich aus stramm gestopften Zettelkästen mit zahllosen Karteikärtchen und unendlich pingelig verzeichneten Spezialdaten. So absonderlich wie zu Anfang erscheint mir diese melioristische Bodenarbeit freilich heute nicht mehr. Wer es sich in den restaurativ durchdunsteten Nachkriegsjahren zur Aufgabe genommen hatte, einen Augiasstall auszumisten – und das war die beinah problemlos aus völkisch-antisemitischen Landwehrkanälen ins atlantisch-antikommunistische Fahrwasser überwechselnde Literaturwissenschaft immerhin −, der hatte den Fälschern vom Fach zuerst einmal zu beweisen, was redliche Forschungsarbeit war, ein herkuleisches Unternehmen, auf das Werner Riegel viele Jahre seines jungen Lebens verwendet hatte. Von Vorteil für die gemeinsam von uns vertretene Sache war Riegels pedantische Fußnotenfuchserei in jedem Fall. Während wir studentische Gesinnungssozialisten uns in der öffentlichen Diskussion nur immer mit Gewissensgründen hatten zur Wehr setzen können, konnte Riegel uns jetzt mit den fehlenden Zahlenangaben und Zitaten versorgen, was unsere wackelige Stellung in der Welt natürlich mächtig festigte.
Von seinen literarischen Methoden und von seinem Arbeitsbegriff her schien uns Riegel poeta doctus in seiner reinsten Ausprägung. Äußerlich ein wenig an den Typus des jungen Gelehrten erinnernd, wie wir ihn aus chinesischen Opern kennen, hatte auch seine Physiognomie etwas asiatisch Ruhevolles, ein von innen her erleuchtetes Leselampengesicht, von dem nur die Lausbubenohren drollig deutsch und frechverwegen abstachen. Ein Vagant und Außenseiter war er ja wirklich nur im Geiste. Als literarischer Schreckensmann und Exzentrikkünstler trat er, mit Vorsatz, nur im Medium in Erscheinung. Papier war seine Basis und Zwischen den Kriegen seine Bühne, von der aus er in die Welt hineingewitterte, daß bei der neudeutschen Bürgerlichkeit öfter als einmal die Sicherungen durchbrannten. „Mit Pornosophie gegen die Zeit – Kein philosophisches oder literarisches Phänomen, sondern ein psychiatrisches – Ihre Zeitschrift ist für mich eine Manifestation des Teufels – Jung und revolutionär? Mitnichten, vergreist und verlogen“, das waren so die üblichen Reflexe, mit denen wir seinerzeit zu rechnen hatten, aber natürlich, wir hatten es darauf angelegt und wetteiferten in dem Bemühen, solche Blitze auf unser Haupt zu lenken. Peinlich für den peinlichst auf eine larvenhafte Außenschale belachten Kleinbürgerdarsteller (bis auf die reichlich langen Haare der vollendete Clerk mit Schlips, enganliegendem Baumwollhemd und gebügelter Gabardinehose) wurde es nur einmal, als ein leitender Herr der Firma eine Nummer der Zeitschrift Zwischen den Kriegen in Riegels Büroschublade entdeckte und – „Wir haben da Gedichte in Ihrem Schreibtisch entdeckt, Herr Riegel… Wie kommen Sie nur dazu, solchen Unrat zu Papier zu bringen, Sie haben doch Familie“ – die totale Entgeisterung der normalen Geschäftswelt wie ein Alptraum in sein heimliches Poetendasein einbrach.
Allerdings hatte Riegel Familie: eine junge Frau, die an seine literarischen Träume wirklich glaubte (was unter Geistesmenschen längst nicht immer Regel ist); ein wohlerzogenes Söhnchen, dem schon früh der Respekt vor Vaters Schreibtisch eingebleut worden war und das wohl oder übel die Spielregeln im Hause eines Wort- und Gedankenspielers befolgen mußte; ein gemütliches, aber äußerst beengtes Heim, das aus einem einzigen 40-m2-Wohn-Schlaf-Hausarbeits-Studier- und Empfangszimmer bestand und das wirklich nur mit preußischem Ordnungsreglement in einem bürgerlichen Rahmen gehalten werden konnte. Haushälterisch, wie die Not es erzwang, war auch Riegels Zeit- und Arbeitseinteilung. Schreiben konnte er nur, wenn er sich innerlich vor der Welt verschloß, das heißt vor dem allabendlichen familiären Gemuse mit Hausarbeit, Kinderpflege, Kochen, Waschen, Bügeln, oder wenn er zu nachtschlafender Zeit mit sich und seinem Schreibtisch allein war. Dann brachte er mit feiner Brause-Stahlfeder zu Papier, was ihm auf seinen Botengängen alles durch den Kopf gegangen war, Gedichtstrophen, Essays, raumgreifende und Zeiten und Epochen überspannende Literaturtheorien oder lyrisch-kosmologische Rechtfertigungen des Bewußtseinskünstlers als eines neuen Zusammenhangstifters und Weltenschöpfers. Zusammenhangstifters auf Abruf, muß ich allerdings sofort hinzufügen, denn wenn Riegels, wenn unser Schreiben von einer wirklichen Zwangserscheinung begleitet war, dann war es der Verfolgerschatten einer äußerst kurzen Lebensfrist zwischen Verhängnis und Verhängnis.

Integration. Und die Abende über Kristallen
− Und sonderbar süße Gezeiten – von Syntax und Substantiv.
Nun mögen die Schwaden steigen, die Scherben hintüberfallen,
Und schweife der Mond, den ich bilde und abermals widerrief.

Daß auch unsere Redaktionskonferenzen in diesem Allzweckraum stattfanden, war selbstverständlich, aber was hieß in unserem Rahmen schon „Konferenzen“. Es waren nächtliche Geistergespräche, an denen als unaufdringliche Zeugen allenfalls Frau Lilo und meine Freundin Almut Bock teilnahmen, weiß der Himmel, wie wir als einzelne sonst den Mut gefunden hätten, mit unseren übersteigerten Ansprüchen vor die Welt zu treten. Andererseits entwickeln sich auch die groß angelegten Ideen zuweilen aus solcher zwangloser Geselligkeit, und manche poetische Erfindung (siehe Gottfried Benns Morgue-Gedichte, siehe Das Weltende des Jakob van Hoddis, siehe auch die frühen Kartengrüße Arno Schmidts an den Schulfreund Heinz Jerofsky) hat ihre heimlichen Wurzeln in einem Jugendspaß, einem Künstlerulk, Studentenscherz. Da ich mich selbst aus diesen frühen Zusammenhängen nicht ganz herausnehmen kann, darf ich hier vielleicht einmal zum besten geben, wie es zur Titelschöpfung des Richtungsnamens „Finismus“ kam. Daß wir Richtung, Bewegung, literarische Gruppierung sein oder werden wollten, stand für uns überhaupt nicht in Frage. Daß wir unsere löchrigen Reihen (neben uns, wenn auch nicht strikt mit uns auf einer Linie, die Literaten Klaus Röhl, Albert Thomsen, Richard Anders, Norbert Reinhardt, Eugen Brehm und Kurt Hiller; und als Graphiker Horst Sikorra, Rolf Wernitz und Wolfgang Hartmann) freizügig mit Heteronymen auffüllten, machte uns auch keine großen Kopfschmerzen – das Kopfzerbrechen ging erst später bei den Auseinanderdividierern an. Was uns bis zu unserer dritten Nummer allerdings fehlte, war ein einprägsamer Name, eine richtungweisende Parole, und die fiel mir – nicht schwierig, das nach 35 Jahren zu gestehen – auf der Toilette ein. Wir hatten getafelt, Käse- und Blutwurstschnitten, die uns Frau Riegel zubereitet hatte; auch der Ananas gehörig zugesprochen, die der Bürobote unentgeltlich aus der Firma bezog; als wir dann allerdings beim Kapwein angelangt waren und ich mich kurz um die Ecke empfehlen mußte, rief mir der immer nur an literarische Resultate denkende Riegel aufmunternd drängelnd nach: „Daß du mir aber nicht ohne eine epochale Prägung wiederkommst!“ Als ich dann mit dem zwar nicht gerade epochemachenden, aber doch wohl Epoche ausläutenden Begriff „Finismus“ wieder in die Runde trat, war des beifälligen Kopfschüttelns allerdings kein Ende. Auch des entzückten Abschmeckens und des assoziativen Fortspinnens nicht, und als im Februar 1953 unsere dritte Nummer erschien, wurde unsere gemischte Leserschaft zum erstenmal mit der „Lyrik der Finisten“ bekannt gemacht. „Finismus ist kein Negativismus. Er verneint nicht, er bejaht das Ende“, hatte Riegel noch als Motto an den Rand geschrieben, aber das war natürlich ein Scherz, denn in den folgenden Monaten wurde es – vorbehaltlich des immer geltenden Belustigungsauftrages der Künste – mit der Finismus-Debatte richtig Ernst. Daß wir regelrechte Verrückte waren – Kleinbürger, die von der Haynstraße-sieben-ganz-hinten aus in den Gang der Literaturgeschichte einzugreifen suchten −, erwähne ich nur nebenbei. Daß der Zeitschriftentitel Zwischen den Kriegen aber nicht bloß Jokus-Schnokus war und die Parole „Blätter gegen die Zeit“ auch „Blätter gegen den Zeitgeist“ hätten lauten können, möchte ich der nachgewachsenen Tango– und Tempojugend doch mit einem gewissen emphatischen Nachdruck ins Stammbuch gravieren. Was wir unter Finismus verstanden, hing aufs bedenklichste mit dem Lebensgefühl einer Generation zusammen, die sich ohnmächtig in ein Zeitalter zwischen die Kriege versetzt sah, einen totalen, den wir noch in den Knochen hatten, und einen final atomaren, der schon wieder Anlaß zu neuen Planspielen gab; und daß wir nicht nur der Vernichtungsangst zum poetischen Ausdruck verhalfen, sondern auch dem Haß auf die potentiellen Vernichter, gab dem literarischen Finismus sein teils fatalistisches, teils aktivistisches Doppelprofil. So unerbittlich perspektivlos und illusionsarm, wie unsere eigenen Gedichte den Weltzustand widerspiegelten, durfte er eigentlich gar nicht sein, weshalb wir in unseren politischen Prosen die Unheilsgewißheit unserer Verse trotzig wieder in Frage stellten.
„Schizographie“ war übrigens der Begriff, den Werner Riegel für unsere zweigeteilte Art zu schreiben gefunden hatte, und ich darf wohl sagen, er machte den Widerspruch erst richtig scharf. Wo wir das schwer vereinbare Gegeneinander konkurrierender Schreibantriebe oft genug als Selbstanfechtung erfahren hatten, begriffen wir sie nun als unzertrennliche Kombattanten. Wo die Entscheidungsqual, entweder dem Grauen vor der gens humana rückhaltlosen Ausdruck zu verleihen oder verändernd in die Tatsachenwelt hineinzufunken, uns manchmal bis zum Verrücktwerden zugesetzt hatte, verklärte Schizographie den Makel zur Methode und schrieb ihn als Pariazeichen in unseren Identitätspapieren fest. In den grandiosen, von eigenen Grandiositätsanwehungen sicher emporgetragenen Aufsätzen – „Vorwort zum Pinismus“; „Ende und Erschütterung“; „Politik und Individuation“ – hat Riegel immer wieder diesen kühnen Gedanken der gespaltenen Unteilbarkeit variiert, eine Vorstellung, die das berühmte „Verlorene Ich, zersprengt von Stratosphären“ fast schon etwas rückständig erscheinen ließ, weil, wo das Soziale gar nicht erst mitgedacht wird, auch die Nervenspannung eigentlich im Niedervoltbereich verbleibt.
Daß wir von Benn viel gelernt haben, steht außer Frage, und wo hätte man sich in seinen Lehrjahren anders mit einem derartigen Gewinn verköstigen können. Zumal die Gedichte Riegels zeigen hier eine dem bewunderten Vorbild deutlich zugeneigte Schlagseite, aber das bildet gewissermaßen nur den ersten Eindruck, die bevorzugte Achtzeilerstrophe und den mythologischen Grundbaß betreffend. Heute, nach 35 Jahren Abstand und nach immer wieder neuen Realismen und neuen Wilden hat sich mit dem geschärften Sinn für bestimmte Wiederholungszusammenhänge der Moderne auch das Sensorium für die persönlichen Aneignungen und die weiterführenden Abweichungen verfeinert, Grund genug, noch einmal tiefer in die Riegelschen Verse von Ende und Erschütterung hineinzuhorchen. Aus dem Nichts kommen sie jedenfalls nicht, und Nihilismus-einfach hat auch nicht das letzte Wort. Den Gesang vom „gezeichneten Ich“ dialektisch-dialogisch unterwandernd, mischt sich von Anfang an ein unverwechselbares Gruppenidiom ins Konzert, eine so vor uns noch nicht vernommene Melodei von gemeinsam ertragenen Zumutungen und gemeinsam zu genießenden Restbeständen, wobei die Erste-Person-Einzahl sich beziehungsvoll in den Pluralis sozialis ergießt. „Wir singen die Serenaden“, „Wir gehen weiter vor im Ufergebüsch“, „Wir, in Zahlen und Zunder gesenkt“, „Wir waren, o Mensch, dein Herz, deine Tränendrüse“, das bildet doch bereits von der sozialen Grammatik her einen ganz anderen Cantus firmus als die allenfalls zum geduzten Selbst vorangedrungene Gesprächsbereitschaft des „lyrischen Ich“, und nur wer der Liebe nicht hat, der Menschen-, Welt- und Nächstenliebe, kann über diese gesellschaftliche Gebärdensprache hinwegsehen. Schon die poetischen Anfänge Riegels standen unter gänzlich anderen Sternen als der lyrische Solipsismus Benns:

Wenn der stinkbesoffene Dichter Riegel
aus der Hafenkneipe torkelt,
wenn der sehnsuchtskranke Schreier Riegel
in der Hurengasse ferkelt,
wenn der hungerarme Sternguck Riegel
Ranzspeck in der Pfanne spirkelt,
schaut er im zerschrammten Kritzkratzspiegel
Stückchen der verdammten Welt.

aaaaaFaß der Welt unter den Rock,
aaaaaDichter, klopf die Welt mit dem Stock, Dichter,
aaaaadoch hab sie lieb.
aaaaaSpuck der Welt in das Gesicht, Dichter,
aaaaahöhn die Welt im Gedicht, Dichter,
aaaaadoch hab sie lieb.

Wenn das abgetriebne Holzfloß Riegel
in das Flußschlammdickicht heddert,
wenn den blankgeriebnen Anzug Riegel
grauer Regen vollgesoddert,
wenn die scharfe Guillotine Riegel
Mörderrümpfe blutbequaddert,
Riegel schaut im krummen Kucklugspiegel
Stückchen dieser dummen Welt.

aaaaaFaß der Welt unter den Rock, Dichter,
aaaaaklopf die Welt mit dem Stock, Dichter,
aaaaadoch hab sie lieb.
aaaaaSpuck der Welt in das Gesicht, Dichter,
aaaaahöhn die Welt im Gedicht, Dichter,
aaaaadoch hab sie lieb.

Seit unserer Bekanntschaft und mit dem gemeinsamen Durchgang durch den literarischen Expressionismus (es war eigentlich schon mein zweiter) verdichtete sich sogar noch der gute Kameradschaftsgeist seiner Verse. Die frühe Herkunft vom Song, vom Shanty, vom geselligen Lied klang auch aus den neuen Gesängen von der versprengten Fechtertruppe, von „uns paar Mann“, vom vielleicht verlorenen, aber trotzdem nicht unterzukriegenden Partisanenhaufen heraus, wiewohl „Hurengasse“ und „Hafenkneipe“ nicht für immer die bevorzugten Kommunikationsörter blieben.

Nun schwelt es grenzenlos
Abends um uns paar Mann.
Gegen der Sterne Feuerstoß
Kommt keiner an.
Legt euch und laßt euch liegen:
Späne und Splint
Auf den lautlosen Beutezügen
Des Beachcombers Wind.

Autarkie gegenüber den konjunkturellen Schwankungen des Lit-Betriebs und seiner unerbittlichen Verkaufsmoral war unser edelstes Streben, und Riegel war ihr Prophet. In seinem ersten richtungweisenden Artikel „Proklamation des Hektographismus“ hatte er die materielle Bedürfnislosigkeit zu einem eigenen Überlebensethos erklärt und Geduld und Spucke für ein unabdingliches Betriebskapital, was nicht ausschloß, daß er unermüdlich um neue Bundesgenossen warb und die schmale Basis in die Breite zu treiben suchte: „Wir hoffen, daß wir nicht die einzigen Schriftsteller bleiben, die auf diese Weise versuchen, der Polizeiaufsicht der gewerbsmäßigen Literaturunzuchtler zu entgehen.“ Da er den Schriftverkehr so ungeniert wie energisch an sich gezogen hatte (was mir nur recht sein konnte, weil ich zwischen den Irrungen meines Studiums und den Wirrungen der Liebe kaum noch die Zeit für postalische Pflichtübungen fand), wuchs ihm mit der Last der Korrespondenz zugleich ein neues Offenbarungsmundstück für sein literarisches Sparprogramm zu. Seine meist handschriftlich abgefaßten Briefe schreiben den Katechismus des Heimwerkertums auf ihre Weise fort und lassen doch in jeder Zeile den hohen Anspruch des Tafelenthüllers erkennen. „Riegel denkt wie gedruckt“, hatte ich gelegentlich im Freundeskreis geäußert, aber er schrieb auch wie gedruckt, zierlich, exakt, geradlinig, zeilenbündig, ein seiner selbst fast beängstigend sicherer Duktus, der emotionale Ausrutscher oder aus der Reihe weisende Impulse gar nicht zu kennen schien. Tatsächlich sind selbst seine kühn ausgreifenden und sinnreich gegliederten poetologischen Essays fast auf einen zweifelsfreien Zug niedergeschrieben worden. Nur selten stößt man auf Nachbesserungen. Kaum daß sich ein einmal eingeschlagener Weg bei der weiteren Ausführung als ungangbar erweist und Riegel seine Marschrichtung ändern muß. So unwahrscheinlich es klingt: er hatte sich seinen Text vorher bis ins Feinste im Kopf zurechtgelegt, und eine mir fast ein bißchen unheimlich erscheinende eidetische Apparatur gestattete es ihm, die gedanklichen Entwürfe wortgetreu abzulesen.
Ob er dagegen ein originärer Lyriker war oder seine Liebe zur Poesie eher einer sentimentalischen Sehnsucht entsprang, ist für mich eine kratzige Frage geblieben. Sicher beherrschte er, was im lyrischen Ausdruck erlernbar oder vermittelbar war, bis ins allerfeinste Eff-eff, und er konnte auch eine Neutönerflöte schon im ersten zarten Anhauch erkennen. Sein stupendes Einfühlungsvermögen war so weit entwickelt, daß er über eine beiläufig aufgelesene Fundsache oder einen im Vorüberwehen erlauschten Naturlaut sofort aufs brillanteste zu improvisieren verstand, manchmal lockerer als der von ihm entdeckte Originalpiepmatz. Nur daß Natur ihm recht eigentlich nur über das Medium der Literatur zugänglich schien, was Riegel einmal zu folgenden halb entsagungsvollen, halb hochgemuten Worten verleitet hatte: „Es muß jemand sein, der vor mir auf die Schanze, auf die Barrikade springt dann bin ich aber auch gleich der nächste und überwinde sie.“
Die Psychologie des literarischen Erben ist eine Sache für sich, trotzdem eins der bedenkenswürdigsten Kapitel der Kulturgeschichte, und Karl Kraus, ein wirklicher Seelenverwandter Riegels, hat ihm viele ergreifende Lieder gesungen. Von der Macht der frühen Imagines beherrscht wie von einem spirituellen Vaterkomplex, und den verworfenen und verachteten Werten verbunden bis in die äußersten Nervenspitzen, muß er zwanghaft wiederholen, was er nicht untergehen sehen will, und zu neuem Leben erwecken, was der Zeitgeist bereits mit der Asche des Vergessens überdeckt. So besehen war auch der Finismus – letzter und äußerster aller Ismen – ein literarisches Wiederholungsprogramm. Er beschwor, angesichts eines neu vor uns aufgezogenen Katastrophenhimmels, ein geistiges Genossenschaftsreich zwischen erster Vorkriegsgeneration und der unseren, gerade mal auf Abruf verschonten, und jedes von Riegel gezeichnete Expressionistenporträt war auf seine Art ein Votiv. Aus dem Rahmen des Restauratoriums fallend waren diese Memorials ohnehin. Sie drängten der Erinnerung auf, womit kein Gebildeter damals etwas zu schaffen haben wollte, und erhoben zu einem obersten Wert, was nicht einmal der Kunsthandel auf der Rechnung hatte (Ludwig-Meidner-Bilder waren noch für ein unbelegtes Butterbrot zu haben), aber der immer heimlich mitgeführte Anspruch auf ein literarisches Erbe war natürlich gar nicht zu übersehen. Links im Bücherschrank hieß etwas später die Neuauflage von Werner Riegels Porträtgalerie im Studentenkurier, womit wir den äußersten Pariawinkel allerdings schon sichtbar verlassen hatten beziehungsweise ihn im kühnen Zug nach vorn als linksliterarisches Pantheon eröffneten.
Künstlerische Richtungen leben nicht allein von ihren Verwahrungen und Konterschlägen, sondern von der Kraft ihrer Imaginationen und dem Mut, etwas Unerkanntes an den Himmel zu erheben. Da unsere eigenen Leitsterne keineswegs schon insgesamt in elysische Weiten entrückt waren, vielmehr nur in der Diaspora lebten, fühlte Riegel sich gefordert, sie mit werbenden Worten in unsere Mitte zu zitieren. Damit begann der zweite Aufzug eines Partizipationswunders, das wir uns derart real eigentlich gar nicht vorgestellt hatten. Kurt Hiller ehemaliger intellektueller Impresario des „Neopathetischen Cabaret“, Herausgeber der ersten expressionistischen Lyrikanthologie Condor und Begründer des literarischen „Aktivismus“ – begrüßte uns wie ein deutsches Pfingstereignis: „Nach der Lektüre fühle ich mich um vierzig Jahre jünger als ich wirklich bin, nämlich 27!“ Alfred Döblin funkte Wohlgefallen aus seinem zweiten Pariser Exil und konstatierte überrascht und ergriffen: „Man lernt von mir.“ Hans Henny Jahnn, nach der Repatriierung auch nie wieder richtig heimisch in seiner Vaterstadt geworden, war häufiger Gast in unserem Literatur- und Jazzkeller „Anarche“ und sprang uns mit Manuskripten bei. Richard Huelsenbeck, bedeutender Dada-Mann der zwanziger Jahre und mittlerweile als Dr. Charles R. Psycho-Hulbeck in New York praktizierend, spendete postalischen Beifall („l appreciate the youthfull aggression of your magazine“) und gestattete den kostenlosen Abdruck seines Romans Verwandlungen. Schließlich gelang es Riegel sogar, den zeichnenden Chronisten des Expressionismus, Ludwig Meidner, in einem Frankfurter Altersheim aufzuspüren und ihn zur Niederschrift seiner „Erinnerungen an Jakob van Hoddis“ zu bewegen, eine herzrührende Skizze, die inzwischen häufig nachgedruckt worden ist, ohne leider den mindesten Hinweis auf ihren ersten Erscheinungsort.
Mitte der fünfziger Jahre war es uns wahrhaftig gelungen, einen magischen Freundschaftszirkel zwischen zwei durch Zeit und Raum getrennten Generationen zu schlagen. Was mir heute beinah schon unwahrscheinlich vorkommt, wenn ich mir das hären-holzhaltige Gewand, den flauen Druck und das ganze Juxwesen neben den Wahnsinnsanwandlungen vor Augen führe, war gleichwohl keine nur zufallsgelenkte Ausschüttung der blind herumtappenden Fortuna. Mit Druck dahinter gestanden hatte allen voran unser unermüdlicher Maschinist und Schlattenschammes Werner Riegel, der sich nie zu fein war, unsere Sternenfähre mit irdischem Treibstoff zu versorgen. Er war es ja zunächst, der das Papier zum Einkaufspreis heranschaffte und den auch noch aus eigener Tasche berappte. Er beschriftete die Matrizen, bediente den Vervielfältigungsapparat und hütete die Bürostube des Finismus, wo ich gerade beim Verpacken und Versenden behilflich sein konnte und die Linolschnitte unserer Graphiker auf der Wäschemangel durchnudelte. Gerechtfertigt vor der Genienwelt stehen/standen wir aber wohl vor allem seiner astralen Essays wegen da. Während ich meine eigenen Jugendprosen nur mit einem Beigefühl von Peinlichkeit wiederlesen kann (na ja, blitzen konnte man damals schon ganz nett, aber eben noch nicht richtig bauen und gliedern), sehen mich Riegels ohne Kitt und Mörtel aufgeführte Prosagebäude heute beinah schon klassisch an. Geschult an den großen Essayschreibern der Moderne, an Karl Kraus, Alfred Kerr, Heinrich Mann, und durchzugsweise auch Gottfried Benn, setzte er dem Nissenhüttenprogramm der deutschen Nachkriegsästhetik eine Gedankenkühnheit und eine Baugesinnung entgegen, die gar nicht mehr von dieser Welt schienen, von der geistigen Bretterbudenlandschaft des Wiederaufbaus nicht, was allerdings auch Riegels fremdkörperhafte Stellung in der Szene erklärt.
Was zu bestaunen bleibt, ist eine mittlerweile vom Moos der Zeit übergrünte Tempelruine, aber gerade die unvollendeten Werke nehmen ja oft einen Vorzugsplatz in unserer in den Imperfekt verliebten Erinnerung ein. Zu ergänzen gegenüber dem Limes-Gedächtnisband von 1961 wäre vielleicht noch, daß sich unsere literarischen Aktivitäten im Jahre 1955 deutlich auf andere Bühnen verlagerten, zum Beispiel den von Klaus Röhl begründeten Studentenkurier (das spätere konkret), und daß Riegel dort sogar eine Festanstellung als Feuilletonredakteur ins Auge faßte. Der Übergang vom Hektographismus/Finismus zum linksperspektivischen Bilderblatt schien ihm dabei mehr Kopfzerbrechen zu bereiten als mir. Einer rigorosen Auffassung von literarischer Hochform zuliebe hatte er Röhl ein paar Jahre zuvor den Zugang zu Zwischen den Kriegen verwehrt (wofür ich ihm im Gegenzug den Verzicht auf seinen Compagnon Albert Thomsen abverlangt hatte), und der Gedanke, andersherum in Abhängigkeit zu geraten, verfolgte ihn wie eine Autonomieneurose. Erst als der taktisch immer sehr klug operierende Röhl uns sachte, aber sicher an den Zugfäden unserer Pseudonyme zum Kurier hinüberzulotsen begann und ich mich, einer China-Reise wegen, für einige kritische Wochen von Hamburg entfernen mußte, fühlte Riegel sich hinreichend gedrungen, in die ungesicherte Bresche zu springen und mit dem politischen Leitartikel auch die Patenschaft über meinen herrenlos gewordenen nom de guerre „John Frieder“ zu übernehmen.
Die kleine Anekdote ist nicht bloß unseres bunten Maskentreibens wegen interessant. Auch nicht, um die notwendig scheinende Tarnung eines Decknamens zur Zeit des zugigsten Kalten Krieges zu illustrieren. Ich möchte damit nur sagen, daß wir mittlerweile bis in unser politisches alter ego zusammenhingen und Riegels früher Tod eine gemeinsame Identität jäh auseinanderriß. Es war übrigens kein in irgendeiner Hinsicht auratisch umflorter Abgang, dieser Krebstod, sondern bis in die sozialen Begleitumstände hinein beleidigend. Irgendwann begannen Riegels scheinbar unerschöpfliche Kräfte zu verfallen. Irgendwann konnte er nur noch mühsam die im vierten Stock gelegenen Redaktionsräume in der Kaiser-Wilhelm-Straße erreichen und seine Artikel für den Druck einrichten (zuletzt eine Rezension von Bronnens Aisopos: „− ist er ein Held? Er stirbt so menschlich wie möglich, klein, voller Todesangst. So werden wir sicherlich sterben. Für mich ein Held.“) Und dann fanden wir uns auch bald zum Abschied in einer entwürdigend vollgebunkerten Abstellkammer des Eppendorfer Krankenhauses zusammen, Kurt Hiller, Peter Martin Lampel, Klaus Röhl, Albert Thomsen und ich, die beiden Alten wie schuldbewußt die kahlen Schädel gesenkt, weil auch sie zu den Überlebenden zählten.
Da die Menschen dazu neigen, sich einen Daseinssinn über den Tod hinaus zu erfabeln, sahen wir in der tragisch verkürzten Flugbahn Riegels natürlich sofort die expressionistische Schicksalsfigur. Den Ikariden der literarischen Moderne nacheifernd, als gelte es das eigene Leben, schien er nun leibhaftig in ein Erbe eingetreten, dessen äußerste Konsequenz nur Leidensgenossenschaft heißen konnte. Grund genug für solches mystische Vermuten boten die Riegelschen Verse von Ende und Erschütterung immerhin. Nachfolge im Sturz, Genossenschaft im Scheitern, Wiedereinholung von verehrten Abgeschiedenen waren seine zwanghaft wiederholten Leitmotive gewesen, und auch daß sein letzter, Fragment gebliebener Aufsatz dem jung gefallenen Ernst Wilhelm Lotz galt, schien uns damals ein Zeichen.

Und keine besonderen Wünsche, keine blutigen Male.
Gar nichts für später, nur einen Lungenzug,
den letzten besabberten Kippen, in der Totale
sieht alles ganz anders aus, dein Leid, dein ikarischer Flug.

Ein Abgesang? Sicher. Als daktylischer Sechsheber wiederum auf das große Vorbild Lotz verweisend? Gewiß. Aber als lyrischer funeral blues eben doch nur die halbe Wahrheit des finistischen Doppelkonzerts. Wie der Finismus alles andere war als eine endzeitliche Dämonenlehre (wir sahen hinter den Schreckensszenarien der Zeit sehr genau unsere bundeseigenen Schreckensmänner), so der von Riegel strategisch ins Treffen geführte Begriff der „Schizographie“ das Gegenteil von eingestandener Geistesverwirrung. Er setzte dem blinden Sog der Massenanziehung eisern den Individuationsauftrag der lyrischen Einzelseele entgegen und dem eitlen Vergnügen an der bloßen Selbstdarstellung die Gebote der Gleichheit, Brüderlichkeit und Verbesserlichkeit. Gegenüber der guten alten Ambivalenz bedeutete das gleichzeitig Anschärfung und Aufhebung des Widerspruchs in der literarischen Praxis. Wo wir zum Beispiel Ausdruck sagten – Ausdruck ohne jede Rücksicht auf öffentliche Illusionen und bis an den Rand der Verzweiflung −, nährte gerade der radikal vorangetriebene Wahrheitsanspruch des Subjektes das ihm entgegengesetzte Bedürfnis nach der perspektivischen Durchdringung unheilvoller Weltzusammenhänge.
Wo wir andererseits mit unseren Prosabesen durch die politische Arena fegten, als könnten wir dem Dunkelmännerwesen auf einen furiosen Streich ein Ende machen, wies uns die Ergebnislosigkeit unserer Mühen immer wieder auf das private Verfassungsorgan der Lyrik zurück. Aber was heißt in solchen Bewegungszusammenhängen überhaupt noch „zurück“ und was „progressiv“. Daß unsere konkurrierenden Schreibantriebe sich wechselseitig unter Spannung hielten, war das eigentliche Unruhprinzip des literarischen Finismus, auch Grund zur Beunruhigung, weshalb es einer eigenen Ästhetik bedurfte, sie vor uns und der Mitwelt faßlich zu machen.
Ein bloßes Kunstprogramm war der Finismus dennoch nicht. Was scheinbar nur der Literatur zugedacht war, war in gleichem Maße für das Leben gesprochen, für jedes zwischen „Politik und Individuation“ gespannt zerteilte Leben, ein ganz gewöhnlicher Bruch, den Riegels gleichnamiger Aufsatz auf einen wahrhaft menschlichen Nenner brachte: „Es scheint, das Ende einer großartigen Epoche der Menschheit tritt in die letzte Phase; es scheint, die Fülle dieser Epoche versiegte im ungeheuren Flußbett; es scheint, beide Ströme abendländischen Geistes, der weiße der Aufklärung, der Klarheit, des politischen Ingeniums, und der blaue des schweifenden Traumes, des umgetriebebenen Herzens enden im gleichen Ort: die Ströme der großen Toten unseres Geistes, Styx und Acheron abendländischen Denkens und Dichtens münden in eine Brust, in die Brust des Jungen, des Unbekannten, dessen Bild wir zu zeichnen versuchten. Der Erbe beider steht auf und atmet, ärmer als die vor ihm und reicher. Er wird den Weg gehn, zwiefach gehöhnt, zwiefach geschlagen, zwiefach gesegnet – wir wissen eines gewiß: er ist der geborene Mensch.“

Peter Rühmkorf, aus: Peter Rühmkorf: Dreizehn deutsche Dichter, Rowohlt Verlag, 1989

„Klage und Rausch, die tiefen menschlichen Bestände…“

In Hamburg wird heiße Lyrik gemacht. Sie wissen nicht, was das ist? Der Herausgeber der literarischen Monatsschrift Zwischen den Kriegen, Werner Riegel, gibt Ihnen die Antwort.

Die Kennzeichen finistischer Lyrik sind denen der Jazzmusik analog und äquivalent. Sie heißen: Blues, drive und schmutziges (dirty) Spiel.

Und weiter heißt es:

Die Lyrik des Finismus ist undenkbar ohne dies: ohne die immens emotionale Blues-Intonation Trakls, ohne den intellektualistischen drive Benns, ohne die vermöge ihrer ästhetischen Indifferenz so eminent ausdrucksstarke, aber rhythmisch-reinlich ,schmutzige‘ Poesie Brechts.

Das klingt alles zumindest interessant, was aber ist das für eine Zeitschrift, was ist der Finismus, der in diesen „Blättern gegen die Zeit“ seinen Niederschlag und seine programmatische Ausweitung findet? Von außen sieht alles relativ harmlos und bescheiden aus, handelt es sich doch nur um 150 Exemplare einer hektografisch vervielfältigten Zeitschrift, die der Bürobote Werner Riegel und der Student der Literatur Peter Rühmkorf monatlich an ihre literarischen Freunde verschicken. Gegründet wurde das wenig auffällige Unternehmen im Dezember 1952. Die Initiatoren hatten sich auch vorher schon, ohne voneinander zu wissen, im Frontfeld der Literatur herumgetrieben, hatten ihre ersten Provokationen gestartet, ihre Schocktherapien ausprobiert, und als sie sich zufällig im damaligen Hot- und Kunstkeller Anarche trafen, stellten sie fest, daß sehr ähnliche Kunstabsichten und Aversionen (den „lyrischen Vegetarismus“ betreffend) vorlagen; sie beschlossen also, ihre Theorien und künstlerischen Energien zusammenzuschmeißen und eine Zeitung zu gründen. Schon in den nächsten Tagen hatten sie die Spitzenstücke ihrer Fabrikation herausgesucht und die erste Nummer ihrer Blätter durchgekurbelt. Was ihnen vorschwebte, war eine Art „literarischer Widerstandsbewegung“, die „jenseits von Markt und Modeschau“ die Gefilde des Geistigen unsicher machen sollte, eine Erinnerung an jene tollen Jahre nach dem ersten Weltkrieg, an die damals so aufregenden Zeitschriften Aktion, Revolution, Querschnitt, Sturm, Dada, Kreis usw. Weitgesteckte Ambitionen bei äußerst beschränkten Mitteln. Situation und Haltung sind bis heute, es erscheint gerade die 24. Nummer, die gleichen geblieben. Förderung hat das zähe Unternehmen kaum erfahren, es sei denn das lebhafte Interesse einiger der großen alten Männer der Literatur: Döblin, Jahnn, Hiller, Huelsenbeck. Hans Henny Jahnn:

Ihr seid die beste Literaturzeitschrift, die es heute in der Bundesrepublik gibt.

Und Kurt Hiller, einstmals aggressiver Polemiker der zwanziger Jahre, schreibt aus dem Londoner Exil:

Einige Eiffelturm-Längen über allem Übrigen!

Ein weniger sympathisches Verhältnis besteht allerdings zu den „Pressepinkeln und Funkfatzkes“, dieser „heterotrophen Gesellschaft, deren einzige Funktion ist, das jeweilige Vorne öffentlich zu bemiesen, das jeweilig Junge zu denunzieren“ (Johannes Fontara), und „Anzeiger“-Journalist Ludwig Schubert urteilt dann auch:

Jung und revolutionär? Mitnichten: Vergreist und verlogen.

Diese Ansicht teilt das Hamburger Echo vom 6.3.1953:

Die Mittel dieser (finistischen) Therapie reichen von der pornographischen Dreckschleuder, die Leslie Meier in Paris bedient, bis zur burschikosen Atomzeitalterlyrik mit Ausläufern zu den Neandertalern. Man kann das Zeugs mit gutem Gewissen nicht zu Papier bringen.

Zwischen so unterschiedlich extremen Beurteilungen spielt sich das ab, was die jungen Avantgardisten als Finismus betitelten und was in der Zeitschrift mit programmatischer Wucht als letzte abendländische Kunstrichtung sich ausgibt. Aber abgesehen von den theoretischen und kulturphilosophischen Erörterungen, abgesehen von den Forderungen, Apologien und Prognosen, ist eins vor allem interessant: Die Lyrik, die heiße Lyrik. Und wenn die Theoretiker der Bewegung die Parallele zur Jazzmusik gezogen haben, so sei es mir jetzt gestattet zu bemerken, daß es vordringlich eins ist, was die jungen Leute mobilisiert und was ihre Bemühungen auszeichnet: Die Suche nach dem new sound nämlich, nach dem lyrischen new sound, dem ganz spezifischen Eigenton. Natürlich macht man moderne Lyrik. Das heißt, daß die Produkte im Letzten von der großen Stilwende Expressionismus geprägt sind, und daß die Autoren sich in ihrer Nachfolge wissen. Rühmkorf erklärt:

Mögen Haß und Widerwille gegen Expressionismus, die ihn gern vergangen und übergangen wissen möchten, auch ferner sich ereifern, daß diese Richtung nicht ein kurzes, störendes und bestürzendes, aber schließlich doch unbeständiges Intermezzo, sondern daß sie fruchtbar war, daß sich aus ihr auch der Geist unserer Gegenwart herleitet, den man so gern restaurativ und auf präexpressionistische Behaglichkeit zurückgreifend gesehen hätte! Daß jene Revolution, vor der wir den Hut abziehen, nicht mehr die unsere ist, ist klar; wir denken aber nicht daran, so zu tun, als ob sie nie vorgefallen wäre, als ob da nie die Sprache einen ganz entscheidenden und weiterwirkenden Umbruch erfahren hätte.

Dort also bei den Heym, Trakl, van Hoddis und Lichtenstein, bei Benn und Brecht weiß man seine Vorfahren, entscheidend aber ist, daß tatsächlich lyrische Gebilde entstehen, die sich durch Besonderheit gegenüber allem Vorherigen (auch innerhalb der eigenen Tradition) auszeichnen und die in ihrer Prägnanz und Durchschlagskraft von allem sich wohltuend abheben, was heute in Ost- und Westdeutschland lyrisch sich tut. Und wenn man auch bei ihnen die große sprachliche Mutation vermissen mag, die man vielleicht nach diesem Kriege erwartet hätte, so kann man diese finistischen Versuche doch als erregendes Novum werten, da sie schon rein qualitativ über so vielem stehen, was sich anderorts als radikale Experimentiergesinnung gebärdet, ohne zu neuen Formen und Verfestigungen auch nur im entferntesten zu gelangen.
Man erwarte nun aber nicht, daß im Endeffekt geglätteter und gezähmter Elan der zwanziger Jahre aufträte, es sind durchaus eigene Ausdruckswerte, die die Faszination der finistischen Verse ausmachen. Da ist nichts mehr von dem eigentlich Expressionistischen, nichts unkontrolliert Hochgeschleudertes, keine überschwengliche Gestik, Geschrei und Hyperkinese, und doch Wucht, und doch Pathos, das nüchterne, trockene Pathos einer neuen und um eine weitere Desillusion reichere Generation. Die sich schämt, ihr feurig-flüssiges Innere untransformiert zur Schau zu stellen, und über den Umweg von Slang und Jargon die Bewegungen ihrer Seele kundtut. Einige Beispiele mögen diese Bewertung erhärten.

Leslie Meier:
Wildernd im Ungewissen,
Im Abflußrohr der Zeit,
Etwas Größe unter den Nagel gerissen,
Etwas Vollkommenheit.

Scharbock:
Das Haupthaar voller Schinn
Und eine Handvoll Abendstern,
Dafür hält man die Schnauze hin

Im Weinberg des Herrn.

Rühmkorf:
Ein Achtel Mond, ein Fliederstrauß,
Und ich bin aufgeweicht –
Jetzt weide ich meine Seele aus,
Solange der Vorrat reicht.

In solch nüchternem und radikalem Zugriff wird die Passion und die innere Erregung des modernen Krisentyps erfaßt und gestaltet. Nie ist da der Slang rein vordergründig angesetzt, sondern durchgehend, um etwas Unsagbares, Irrationales, etwas Transzendentes anzureißen, um etwas Hintergründiges nach vorn zu ziehen, und wenn Sartre sagt: „Ich glaube, daß die modernen Schriftsteller alle metaphysische Schriftsteller sind“, so sind es diese, fern jeder tintigen Mystik oder auch nichtssagender Kalligraphie.
Fast alle Strophen sind erfüllt von tiefer Melancholie und herbstlicher Schwermut, und doch welcher Unterschied beispielsweise zu der sanften Trauer Trakls oder der schönen Heroität Benns (Gieße, Myrmidone, den dunklen Wein ins Land), dessen eingestreute Zynismen immer so herausfallen, oft stören und nicht zum tragenden Ton des Schmerzes werden. Das Nebeneinander der Stimmungen, das bei Benn herrscht, ist hier zu einem Miteinander geworden, Schwermut und schnoddrigster Sarkasmus sind hier auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, haben aufregende Homogenität gefunden. Sehen wir an diesem Beispiel, daß es um die Bindung gegensätzlicher Gefühlsvalenzen geht, so ist dies Stilprinzip der Polarität ein entscheidendes Charakteristikum des finistischen Verses und der finistischen Theorien. Durchgehend trifft man in den Aufsätzen auf Begriffe wie: Polarität, Antithetik, Doppelextremität, Paradoxie und Ambivalenz. Riegel spricht vom Finismus als „Synthese von Kampf und Trauer, Ja und Verneinung, Bruch und Bindung, Tat und Trauma, Arche und Flut“, Rühmkorf erläutert:

Finismus nennt sich eine Bewegung, die der ganzen Anlage ihrer Träger nach gleichzeitig progressiv und resignativ ist…

Der Essayist Fontara deutet die „Negativ-Position“, und W. Riegel zieht an anderer Stelle die zwiefache Konsequenz zwischen „Politik und Individuation“. Gegenextreme Vorstellungen bestimmen das Programm, Polaritäten sind es aber ebenfalls, die den formalen Reiz der Dichtungen ausmachen. Aus der Koordination von diffusem Material bezieht hier ein Stil seine Spannung, wobei darauf hingewiesen werden muß, daß es nicht um das Absurde geht wie im Surrealismus, um das willkürliche und nur frappierende Nebeneinander von Unvereinbarem, sondern „daß es vielmehr um eine Art von Integration geht, Herstellungen von Beziehungen auf jeden Fall“. Aus diesem Anliegen heraus wird dem Bindungswert des Reims auch eine so große Bedeutung beigemessen, und die Anwendung des Reims findet sich als überpersonale Tendenz bei allen Mitmachern der Bewegung. Aber wohlgemerkt, der Gebrauch des raren, extravaganten Reims. In den beigefügten Aufsätzen erläutert sich diese Vorliebe dann auch sehr deutlich; so handelt es sich bei den Finisten „um sehr bewußt betriebene Reimkultur, oft Kennzeichen später Kunst, die an der Neige eines Stils, wo die Reimmöglichkeiten eigentlich und allgemein für erschöpft angesehen werden, gerade aus dieser Not und Beschränkung heraus noch einmal etwas Besonderes, etwas Hervorstechendes macht“.

Siege der hirnenen Sonde,
Würfe ins Meer, und dann die Flechte, der Fraß,
Im Lächeln der Gioconde,
In den Zöpfen Nausikaas.

Weiß kommt der Mond, und leicht wird dein Haar und blonder
Ins Silber getunkt.
Aber am Boden, am Boden der Hypochonder
Sucht nach dem Scheitelpunkt.

(Leslie Meier)

Allerdings muß gesagt werden, daß die Zurschaustellung solch reimlicher Raritäten schon jetzt als Übergangsstadium erkennbar ist, daß überhaupt der gesteigerte Aufwand an Artifiziellem, der ohne Zweifel vorliegt, heute auf Effekte zielt, deren Faszinans gerade in ihrer vor den Kopf stoßenden Einfachheit liegt.
Das Resultat solcher Kunstbemühungen ist dann eine durch potenzierten Kunstaufwand erreichte Simplizität, ist Slang als Ausdruck von Stilismus, ist konstruierte Lockerheit, ist ein großes, durch Dessentimentalisierung hindurchgegangenes Gefühl.

Wir haben um neunzehn Uhr Syringen gebrochen
Und brachen Duft und Gram;
Flieder, mein lieber Mann, wir haben Flieder gerochen,
Wenn der Mond über Deutschland kam.

(Leslie Meier)

Wer ist noch da,
Der den Großen mimt,
Wenn Lampyris hespera
Sacht in die Wiesen schwimmt!
Wo wir im Dunkeln hocken
– Der Wind geht leicht –
Da bist du von den Socken,
Wenn die Venus steigt.

(Scharbock)

Die Beispiele zeigen, daß wir es nun aber nicht mit einer Expertenkunst zu tun haben, in der die artistischen Werte die menschlichen völlig verdrängen, zu der man also außer dem Forminteresse keinen lebendigen Gefühlsbezug haben kann; daß hier nicht esoterisches Spezialistentum die kalten Formeln einer Kühlschrankästhetik als letzten Wert proklamiert, sondern daß wir es im Grunde mit dem Atem und dem Herzen, mit den Spannungen und dem Bewußtsein wirklich einer Generation zu tun haben. Daß hier viel allgemeinere Stimmungen mitschwingen und daß es im Grunde immer wieder um die bedeutenden menschlichen Erlebnismöglichkeiten geht:

Hiob und Bacchus, Klage und Rausch, die tiefen menschlichen Bestände.

Hans-Werner Weber (das ist Peter Rühmkorf), Erstdruck Studenkurier Nr. 3/4, Juni/Juli 1955

Das Experiment [IV]

Am 11. Juli starb mein Freund, der Dichter Werner Riegel, 31 Jahre alt, am Gehirnkrebs. Er starb im Pavillon 59 der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, eine halbe Woche nach dem Tode Gottfried Benns. Ich nenne den Namen Benn nicht nur wegen der zufälligen Koinzidenz der Todesfälle zweier Schriftsteller, eher weil wir es hier mit einem irgendwie gleichartigen Typus zu tun haben, dem des zelebral bestimmten Lyrikers, des Artisten von Exorbitanz, des Formversessenen von Rang. Das war es, was beide jenseits jeder privaten Bekanntschaft verband, jenseits des Generationsunterschiedes und jener Andersartigkeit, die politische Dinge betraf: das Bekenntnis zur Form, dieser unbedingte Wille, bis zum äußersten des Sagbaren vorzustoßen und im Extrem noch das neue Maß zu finden und zu erfüllen. Gemeinsamkeit des berühmten Depressiven mit dem fast anonymen Finisten, der poetischen Sensation von gestern und jener, die uns noch erst erreichen und umwerfen wird.

Da geht die Stunde hin
Unter dem goldenen Vließ,
So wahr ich Scharbock bin,
Der alles und nichts verhieß.
Früh- und Abendröten,
Bis der Himmel raucht,
Die letzten Reste von Eden,
Die keiner mehr braucht.

Scharbock: eines seiner Pseudonyme; unter den vieren (Leu, Kefer, Frieder, Scharbock) das des Dichters, des Lyrikers, der im magischen Jargon das Gedicht unserer Gegenwart setzte.

Shut up, und laß dich begraben, verzichte
Leichteren Sinnes auf das Ergebnis bei Licht, bei Tag.
Sie treiben dem Gully zu: entwertete Arbeitsberichte,
Dein peinliches Los, das dir in den Knochen stak.

Singe noch, schlafe ein wenig und iß, aber du bist beendet.
Unerhört verschwebt deiner Sinne geniales Quintett.
Was du erwartet hast, was du noch ausgesendet:
Es fällt auf dem Weg zwischen hier und dem Fensterbrett.

Nutzlos, mein Lieber, dies: auf Lunge und Nieren;
Was einer tat, was einem nie geglückt;
Die Stunden, die Namen, die Farben zu buchstabieren,
Die Fuge der Welt: bei solch einem Interdikt.

Und keine besonderen Wünsche. Keine blutigen Male,
Gar nichts für später, nur einen Lungenzug,
Den letzten besabberten Kippen. In der Totale
Sieht alles ganz anders aus, dein Leid, dein ikarischer Flug.

Nun geh, in den Tod vertieft, und du hast dich gesichtet:
Im schwarzen Pullover, im schmutzigen Regencape.
Dein zuckendes Ganglion, von letzter Erkenntnis belichtet.
Dein immer noch, immer noch nicht ermüdetes Knochengeweb.

Es ist jetzt vier Jahre her, daß Riegel und ich sich gegenseitig entdeckten, dreieinhalb Jahre, daß wir zusammen die literarische Monatsschrift Zwischen den Kriegen starteten, ein hektografiertes Blatt, das Riegel unter größten Mühen und Opfern bis zur 26. Nummer leitete. Es war ein äußerlich geradezu armseliges und unscheinbares Unternehmen, und doch mit welcher Sorgfalt von Riegel betreut! Welche Pedanterie, die das Dämonische redigierte, welche Ordnung selbst der Details, wo es sich um künstlerische Revolte handelte. Riegel war kein Bohemien, obwohl seine Gedichte anderes suggerieren möchten. Ihm fehlte so ganz die aufdringliche Gestik des Genialischen, das Make-up des Auchkünstlers, er haßte alles äußere Tamtam, das verludert Sternenstürmerische, seine Qualitäten: Kontrolle, Bewußtsein, solide Arbeit. Ungemeine Antipathie gegen Lebensbeichten und Seelenergüsse, Palaver über Gott und die Welt, Horror vor überdimensionalen Projekten, Plänen für die Zukunft – Leistung imponierte ihm, nur Leistung, immer „was hast du fertig?“ nie „was hast du vor?“ Sicher, es mag solche Leute des öfteren geben, korrekte Arbeiter, zuverlässige Kameraden, aber was hatte dieser noch in der Hinterhand, welche Strophen, welche Zeugnisse vom Umgang mit den stygischen Mächten?

Über dem herben Idyll schwingt sich der weite gefleckte
Himmel aus Leichtmetall.
Ich singe Päan, die End- und Verfallsdialekte,
Die Nänien der stygischen Nachtigall.

So etwas sieht man einem von außen nicht an, solche Formulierungen holt man im Alleingang, dem monomanischen Abenteuer ohne Publikum und Diskussionspartner. Was sieht der Außenstehende? Einen etwas sonderlichen, mürrischen jungen Mann, der wenig Interesse an Amusement und Öffentlichkeit bekundet, wortkarg oder von wenig unterhändlerischer Bestimmtheit. Er selbst sah sich als radikalen Antibiographisten, also: keine Abenteuer, Reisen, Verliebtheiten, kein Wanderleben, keine Katastrophen im Äußeren, kein Aufwand an Erlebnis: die entscheidenden Vorgänge finden im Innern statt, die celebrale Villonade, die kolumbische Fahrt über die inneren Flächen.

Integration. Und die Abende über Kristallen
– Und sonderbar süße Gezeiten – von Syntax und Substantiv.
Nun mögen die Schwaden steigen, die Scherben hintüberfallen,
Und schweife der Mond, den ich bilde und abermals widerrief.

Oder:

Ich schöpfe den Schaum der Worte aus schmelzenden Kiepen
Von Reif und Schnee.
Die Hand vor dem kalten Mund, sie formte die Archetypen:
Den alternden Adam, die hängende Brust der Anadyomene.

Die Tausendkünstler mögen ihn für einen Spießer gehalten haben, er war verheiratet, hatte einen kleinen Jungen, er saß hinter der Barrikade seiner Bibliothek, äußerliche Abnormitäten oder aufdringliche Probleme stachen nicht ins Auge – er hatte sich so ganz unkenntlich gemacht, man konnte seine Verse deshalb für unglaubwürdig, für unerlebt halten, wenn man kein Organ für den tiefen Erlebnishintergrund hatte, für den furchtbaren und fruchtbaren Amoklauf eines Gehirns, für endogene Verzweiflung und endogenen Rausch.

Siege der hirnenen Sonde,
Würfe ins Meer, und dann die Flechte, der Fraß
Im Lächeln der Gioconde,
In den Zöpfen Nausikaas.

Wie sollte der Beschauer das auch erfassen, was da als inneres Geschehen vorlag, wie sollte er es begreifen, der die Strophe nicht begriff und in der Biographie Halt und Verständnis suchte? Diese Beschwörung des Gehirns und wieder des Gehirns? Wo man das evidente Passionserlebnis suchte, den äußerlichen Garten Gethsemane.
Riegel hätte nicht an Gehirnkrebs sterben brauchen, um seine Gedichte vor dem Erkenntnisfähigen als echt zu erweisen, diese Krankheit aber gibt seinen Strophen und nicht nur ihnen, eine geradezu magische Folgerichtigkeit, Einblick in die abgründige Wahrhaftigkeit des schöpferischen Menschen. „Hirn mein heiliger Hahnrei“, „Dein kreißendes Hirn, der trächtige Uterus“, das klang nach Mache, nach Formalismus, was sollte ein Gehirn anderes können als bosseln?
O, dieses traurige, pessimistische und so unwahrscheinlich produktive Gehirn konnte Verse entwerfen, unerhörte, nie gehörte Verse von frappierender Originalität, solche:

Wer ist noch da,
Der den Großen mimt,
Wenn Lampyris hespera
Sacht in die Wiesen schwimmt!

Wo wir im Dunkeln hocken
– Der Wind geht leicht –
Da bist du von den Socken,
Wenn die Venus steigt.

Oder:

Jabos, fliegende Fische,
Treiben ins Wolkennetz.
Die Nacht, die zauberische,
Erfüllt ihr Gesetz.
Rotliegendes über den Gärten –
Ihr Hunde, geht in die Knie!
Abends beim Dunkelwerden:
To be or not to be!

Ich sprach immer nur vom Lyriker, ich glaube, daß hier seine wesentlichste Leistung stattfand, seine vollkommenen Würfe und trotzdem: wieviel mehr war er noch, wie stark war er in seinen Aufsätzen, wie klarsichtig als politisch Engagierter, welche Entschiedenheit und stilistische Meisterschaft zeichneten den Polemiker  J o h n  F r i e d e r  aus. Er schimpfe, sagte hier die Kritik, wie sie seine Verse nihilistisch, obszön oder destruktiv genannt hatte, welch bodenlose Dummheit vor der originalen Formulierung, vor diesen Kaskaden an Geistreichigkeit. Wieviel künstlerischer, artikulierter war das, selbst wo er grob bis zum Äußersten war, wieviel geformter als das ganze kommentatorische Geräusch und Geräusper avancierterer Herrschaften. Hier war doch wirklich einer von Herzen, oder wie er selbst es nennen würde „von Hirn aus“ engagiert, hier bekannte doch einer Farbe und in welch guter Prosa. Natürlich: polemisch, provokant, rabiat, rücksichtslos waren seine Artikel, aber diese Leute, die sagen, er schimpfe, scheinen mir doch ein etwas zu dürftiges Organ für Sprache mitzubringen, um mit einem, dessen Domäne es war, über Satz und Formulierung zu rechten.
Dichter und politischer Kopf, Riegel war beides, war beides konsequent. Nichts war gepfuscht, weder im Gedanken noch in der Darstellung. Und wie lächerlich wenig Zeit verblieb ihm für die Berufung, der während acht Stunden seines Tages als Bürobote seinen Lebensunterhalt verdienen mußte. Dieser Mensch, mit einem Wissen, wie es keiner von uns besaß, dieser junge Mann, der zu Hause ungeachtet an einer Bibliographie des Expressionismus arbeitete, ein Bibliomane, ein Literaturkenner wie er für eben diesen Expressionismus nicht nur in Hamburg, nicht nur in Deutschland, sondern auf der Welt seinesgleichen suchte, machte Tag für Tag seine Botengänge für eine Häute-Südfrucht-Gewürz-Firma und tat hier seine Pflicht wie in allem: redlich, korrekt, zuverlässig. Er hätte das Zeug gehabt, einmal einen Lehrstuhl für moderne Literatur zu übernehmen – er hatte nicht das Geld, um ein Studium zu finanzieren, nachdem er arm und angeschossen aus dem Krieg zurückgekommen war. Er hatte so große Gaben, und man hatte geglaubt, daß er sie einmal würde voll entfalten können, daß es nicht nur bei jener Handvoll Strophen bleiben würde, die der Limes-Verlag unter dem Titel Heiße Lyrik von ihm vorlegte, wir aber werden dafür Sorge tragen, daß es kund wird, welchen Mann nicht nur wir so furchtbar vermissen, sondern welche Begabung die deutsche Literatur gleichzeitig zu erkennen und zu beklagen hat.

Direktion Leslie Meier (das ist Peter Rühmkorf), Erstdruck Studenkurier Nr. 6, 1956

Vor uns das Meer – und hinter uns die Waschmaschine

− Erinnerungen an Peter Rühmkorf. −

Immer, wenn mir junge Weltverächter plötzlich Babyfotos mit Grammangaben ihres Darius Edmond sandten, schmückte ich meine Gratulation mit Cioran-Zitaten und Arno-Schmidt-Sprüchen, oder auch mit der demoskopisch unverantwortlichen Rühmkorf-Zeile: „Auch noch Kinder! Soweit kommt’s noch. Lieber rubbel ich mir einen an der Hosennaht ab.“ (Vorsicht: nur aus dem Gedächtnis zitiert; weiß grad nicht, wo’s steht). Ich als Antilyriker hatte ohnedies stets in toto absolut wenig am Hut mit Gegenwartslyrik. Selbst Lyrik insgesamt behorchte ich skeptisch, obwohl ich als toleranter Mensch mich jederzeit bereit erzeigte, Ausnahmen gelten zu lassen, also etwa Hölderlin, Goethe, Rilke, die ich sogar weitgehend auswendig kann, und siehe: Rühmkorf-Gedichte fand ich richtig gut, als ungefähr einzige Ausnahme! Andere Lyrik klang immer so fatal nach ausgerechnet Lyrik, immer diese gespreizten Enjambements usw. Irgendwann erbrachte ich den Beweis, dass selbst Gottfried Benn zwischendurch nach Hausfrauenlyrik zu klingen vermag. Bei Rühmi aber klang alles, vom Abendbold bis zum Feenfurz, meinen spirituellen Rezeptoren gegenüber genau richtig. Ganz viele der Abzählverse aus Rühmkorfs Volksvermögen standen mir seit dem Kindergarten Finkenherd bei Fuß und zur Seite; lediglich Harry Piehl, der seinen Stiel im Nil wusch, war mir aus Versehen unbekannt geblieben. Für Krolow, Kirsch und Huchel hätt ich nur Stirnrunzeln übriggehabt, für 170 andere nur Naserümpfen, aber für Rühmkorf ließ ich sogar mein eigenes Œuvre im Stich, nämlich als er am 20. August 1987 als documenta-Stadtschreiber der Stadt Kassel abends im dortigen Rathaus aus seinem Werk las. Hierzu musste ich 7 km zu Fuß übern Allmuthsberg wandern, in pausenlosem Landmaschinen-, Bundeswehr- und Autobahnlärm, dann führerscheinlos als Beifahrer mich in Belle Neiges geborgten blauen VW setzen, Viera am Steuer, 60 km lang beisitzen – aber der riesige Bürgersaal füllte sich nicht im mindesten; alle zehn Reihen saß ein einsames Ehepaar oder eine Gestalt, wir in der ersten Reihe, unweit von Christine Brückner und Otto Heinrich Kühner, Dr. Nordhoff und Frau Hartleb, der Vorsitzenden der Kasseler Goethe-Gesellschaft, all diesem kulturtragendem Urgestein. Ob auch OB Hans Eichel dabei war, vermag mein Langzeitgedächtnis nicht mehr einwandfrei hervorzupuhlen. Applaus und Lachsalven über putzige Doppelmoppels wie Chow-Chow, Hickhack, Humbert Humbert und Techtelmechtel wollten sich kaum summieren. Aus dem Publikum kam zaghaft ein weiterer Vorschlag, der aber irgendwie unterging: „Berber“. Der Dichter las auch aus seiner Klecksographie und warb sehr für den in den 50er-Jahren verstorbenen Werner Riegel, den man aber genauso wenig kannte wie Peter Rühmkorf. Einen Kulturpreis reichte Rühmkorf weiter an den gleichfalls angereisten unbekannten Peter Paul Zahl, bei welcher Gelegenheit ich mir allerlei Naura-Percussion gefallen ließ. Der Vaternahm-Büchertisch, gespeist aus orangefarbener Plastikwanne, bot mehr Rühmkorfbücher als Zuhörer kamen.
Nächstentags wandelten Viera und ich zur Schönen Aussicht, am Bellevue-Schlösschen, am Café Rosenhag, allwo ich schon mit siebzehn für BWL gepaukt hatte; da saß mit Kasseler Kulturbeauftragten und Ansprechpartnern wie nochmal Dr. Nordhoff – Rühmkorf, die sich zwar duzten, nur fiel denen auf Dauer natürlich nicht viel ein, wie man einen echten Dichter fesseln und unterhalten könne; man hockte da, alle Beisitzer sichtlich betreten, und der Einzige fühlbar gelangweilt, erneuerte eindeutig die archetypische Konstellation: unter Kulturlarven die einzige fühlende Brust, und drehte sich nun aus der Kaffeerunde auf seinem eleganten Gartenstuhl halb in meine Richtung, genauer: in Vieras Richtung, sah ihr sehr lebendig, hochwach, mit hochgehobenen Augenbrauen, Lachfältchen, braungebrannt und ich fürchte gar: schier ein wenig leuchtenden Antlitzes entgegen – sie und ich nahmen Platz am Nachbartischchen. Er sagte mir: „Ein solches Gesicht vergißt man nicht“ – folglich muss ich mich verwundert gezeigt haben, dass er mich von gestern wiedererkannte. Da saßen wir nun und lenkten den Dichter optimal ab, bzw. befreiten ihn von seinen Ansprechpartnern; parlierten, brillierten, scharwenzelten, lachten, eingedenk Goethes, der es seinerzeit sehr erfrischend fand, dass der junge Heine, der von Darmstadt nach Frankfurt gewandelt war, ihn nicht mit Germanistik langweilte, sondern die Pflaumenbäume der Landstraße lobte, so philosophierte nun auch ich nicht etwa über Formprobleme in zeitgenössischer Lyrik, sondern erzählte, der Elefantenschädel des hiesigen Ottoneums = Naturkundemuseums sei von Goethe für dessen morphologische Recherchen ausgeliehen worden und dann nicht mehr freiwillig zurückgegeben worden, und der Elefant sei übrigens hier, genau diesen Abhang da drüben, runtergestürzt, kurzum: Rühmkorf schien zwar zuzuhören, doch blieb ich vermutlich nur eine in Kauf genommene Randverzierung zu Viera, die nicht so schöne Elefantenstorys zu erzählen hatte. Anders gesagt: Ernst Blochs „Große Augenblicke, unbemerkt“ realisierten sich mal wieder in umgekehrter Konstellation. Damals erkannte Hölderlin den am Fenstersims stehenden Goethe nicht; diesmal merkte Goethe nicht, dass Hölderlin ihm etwas über Goethe erzählte. Drei Tage später schrieb ich ihm einen wildwüchsig überlasteten Brief mit hochtalentiert selbstgezeichnetem Briefkopf, worin ich an seinem Arkadien der Fleckenkunde anknüpfte, knallvoll mit Augurenlächeln und kühnen Termini à la „biologisches Amorphium“, „trockene Mysterien“ und lieferte noch zwei Doppellaute nach: Kerker und Hudhud. Und wies ein bisschen viel auf meine eigenen literarischen Projekte hin. Einen Gegenbrief empfing ich nicht.
Am 26. August 1989 trug ich dann in meine Traumkladde „Ich und eine Fledermaus fliegen oft zum Vollmond raus“ einen Traum ein:

Vor mir her ging ein Mann; ich ging nach Allmuthshausen rein, und drüber hinaus in Richtung Rodeman, der Mann bewegte sich in apart-saloppem Anzug, war das etwa – Peter Rühmkorf!? Das Dorf sah eher städtisch aus, eine Flusspromenade mit vergammelten Blumenrabatten im Abendlicht, in der Ferne eine holländische Kathedrale, leuchtend nach dem Regen. Rühmkorf ging leicht betüdelt, vielleicht auch nur beschwingt, gepäcklos – was hatte ihn nur hierher verschlagen, nach Allmuthshausen? Ich ging auf dem Bürgersteig jetzt neben ihm, als wolle ich ihn rechts überholen, er merkte das nicht, brabbelte halb senil, halb prophetisch vor sich hin, brütete wohl über Einfällen? Ich verstand kaum was, blieb an seiner Seite, fragte schließlich unverdächtig: „Darf man zuhören?“ Auch das hörte er nicht – oder? Die Straße bog vom Fluss weg nach links, jetzt dunkelte es schon, Rühmkorf stand vor der Telefonzelle, kam mit dem Kleingeld nicht zurecht, mit der Apparatur erst recht nicht, ich bot Hilfe an, er nannte ein nie gehörtes Dorf, ich überlegte, ob ich nicht heimlich meine eigene Nummer wählen solle; bei einer weiblichen Stimme würde er vielleicht ein wenig zurückgelangen in seine Umwelt.

Paar Jahre später aber war alles klar. Er wusste nun, dass ich „Sprachlupe“-Autor war, und ich wusste ja sowieso, wer er war. Keiner lief jetzt mehr blind aneinander vorbei. Auf der Buchmesse um 17 Uhr am Rowohlt-Stand strebte der Grand Old Man mitgenommen und kaputt in sein Hotel, ins Arabella, derart erloschen, dass ich glaubte, ihn nie wiederbelebt wiederzusehn, aber nach 23 Uhr 30, auf der Hausparty von Axel Hundsdörffer tauchte plötzlich Rühmkorf mit Begleittross und Kometenschweif auf, voll zugange, völlig fit und munter, nicht die Spur abgenützt, wie am Beginn einer endlosen Nacht. Später tauschten wir einige Briefe, z.B. über den Gedankenstrich in seiner Verszeile „Vor uns das Meer und hinter uns die Waschmaschine“; er tippte mir seitenlange Briefe und rühmte mich auch sehr, besonders meinen Artikel im ZEIT-Magazin über die Glatze, von dem er „noch ganz betüdelt“ sei und über den fast simultan ein arroganter Suhrkamp-Lektor mir angewidert mitteilte, er habe ihn nicht zu Ende lesen können. Rühmkorf in die Waagschale zu werfen, verkleinerte den Stachel zwar erheblich, aber nicht genug. Ich genügte halt nur den Besten meiner Zeit. Eine Hamburg-Verabredung stand bevor; brieflich sorgte er sich um meine Unterkunft, bot mir sogar seine Wohnung an und schickte mir den Schlüssel zu, so im Sinne, dass er immer noch studentisch locker denke. Das nahm ich sehr gerne an, obwohl ich ein Quartier bei Donata und Peter Franke hatte, einfach nur aus Neugier nach seiner Övelgönne. Am vereinbarten Abend war ich anderweitig ausgelastet und ging gar nicht hin, wollte mir aber die Gelegenheit nicht entgehen lassen und begab mich früh um 5 hin, durch regennasse Straßen, kam an der Kirche mit Klopstockgrab vorbei, konnte mangels Passanten keinen fragen, wo es langging, lief garantiert Umwege, durchquerte einen Park, worin ein kleiner Wanderzirkus gastierte, verschlossene Buden, und da stand ein angeleintes, nassgeregnetes Dromedar, und ein kleines, pitschenasses, nicht angeleintes Dromedarfüllen strich der tropfenden Mutter um die Beine – ich im Frühnebel 5 m dran vorbei, kurz nach 5, und stieg dann zur Övelgönne runter. Ich durfte mit Freibrief als „Sprachlupen“-Autor in seiner Abwesenheit bei Peter Rühmkorf übernachten, fand den Eingang, bekam verblüffenderweise sogar die Tür auf, stieg die steile Treppe hoch, besah die im Treppenhaus aufgehängten Postkarten von Döblin und Arno Schmidt, entzifferte alles ausführlich, forschte dann oben weiter – Bücher gab’s zwar x-mal mehr als die bundesdeutsche Durchschnittsmenge akademischer Haushalte von 380 Stück, aber von mir her gesehn doch erstaunlich wenig, vor allem wenig dicke Bücher, jedenfalls Jahnn zum Glück dabei, und viele Kollegen à la Kunert, aber schöne Aussicht, schaukelnde Bojen, vorbeifahrende Schiffe. Mein Nachtlager piccobello vorbereitet, so als hätt es eine Frau geleistet, und daneben eine Weinflasche, ein Glas, ein Brief, ein Wallsteinsudelblätterheft über Ranicki mit Widmung und aquarelliertem Ranicki-face vorndrin. Ich sah mich dann unverbindlich um, inspizierte alles und jedes – eine einzige Tür erwies sich als abgeschlossen und schlüssellos. Ich kniete mich ans Schlüsseloch und schloss aus irgendwas, dass das das Zimmer von Eva Rühmkorf sein könnte. Nachdem mein detektivischer Furor abklang, nach vielleicht 45 bis 70 Minuten, setzte ich mich ans Bett und schrieb ihm einen Brief, zwischen 6 und 7 Uhr früh, handschriftlich, der mir äußerst frisch und originell vorkam; ich erwog, ihn auch für mich abzuschreiben, aber hatte dann dazu nicht mehr Nerv und Geduld und wenig später den Inhalt völlig vergessen. Jedenfalls gab ich nicht zu, dass ich, statt zu übernachten, früh nur zum Schnüffeln kam. Ich öffnete sogar den Wein und trank die knappe Hälfte auf leeren Magen, um nicht die Gastfreundschaft zu trüben. Hoffen wir, dass die sofortige Beschwipstheit nicht zu weiteren, noch hemmungsloseren Recherchen führte. Auch Aktenordner und Briefschaften blätterte ich dezent an – ein Pfarrer schrieb ihm irgendwas von grenzenlos unwichtigen Aktivitäten, mit beigelegten Teilnehmervordrucken, und schwärmte von ihrer beider Wellenlänge; da errötete ich tief und gründlich; denn in meinem letzten Brief an ihn hatte auch ich ausgerechnet unsere Wellenlänge mit genau diesem Wort bezeichnet. Jetzt war ich nur der Dritte im Dioskurenbund zwischen Rühmkorf und Pfarrer. Gab’s überhaupt jemanden, der nicht auf dieser Wellenlänge mitschwamm? Selbstverständlich hinterließ ich alles absolut unberührt und nahm auch keinerlei Doubletten mit, und auch sonst nichts, null Trophäe, als allzu korrekter Kleinwildjäger, mal wieder keinerlei Blutstropfen Hemingway in mir. Den Schlüssel ließ ich in den vereinbarten Postkasten hineinfallen. Dann stieg ich in Richtung Klopstockgrab wieder in die höher gelegene Stadt hinauf und fand meine Dromedare nicht wieder. Ich geriet in einen solchen Sturzregen, dass ich zwischen 8 und 9 ziemlich betrunken bei Donata klingelte, allwo mich Viera, Donata und Peter in Bademänteln empfingen, just Kaffee kochten und sich krummlachten, weil kein einziges Haar auch nur 2 mm mehr vom Kopf abstand, wirklich dreimal nasser als jedes Dromendar. Mehrere Handtücher gingen bei meiner Trockenrubblung drauf; denn Föhne lehnte ich aus ökologischen und sensiblen Gründen ab. Dann stand Hamburg auf dem Programm. Nachmittags um 15 Uhr rief ich Peter Rühmkorf an; für diesen Nachmittag wollten wir uns nämlich verabreden und taten dies auch: 16 Uhr Övelgönne. Pünktlich klingelte ich; keiner machte auf. Ich ging ein biss ehen in der Gegend herum, klingelte wieder – nichts. Ging weiter in der Gegend herum, da kam mir in einem schmalen Gartenkolonieweg von oben her eine Gestalt entgegen, in jeder Hand Plastiktüten, die sehr übel – schien mir – in die Hände einschnitten. Herr Rühmkorf hatte Fresszeug für seinen Gast eingekauft – mich. Ich sagte irgendwas, worin das Wort „delegieren“ vorkam; ihm aber sei es, erklärte er, sehr wichtig, solche Arbeiten alle selbst zu übernehmen. Vor und hinter seinem Schreibtisch unterhielten wir uns lange über Haschisch und andere Drogen, verständigten uns souverän über viele Möchtegerndichter, er wild gestikulierend, sehr imposant mit aufgerissensten Augen und förmlich elektrisiert aufgesträubtem Kopfhaar mir darlegend, ein Dichter müsse sein Handwerk wie eine Orgel beherrschen, alle Register ziehen können – klar, dass nur er derart vollgriffig die Orgel traktierte. Immerhin – mich sah er ungeheuer weit oben; der Kauf der ZEIT rechtfertige sich nur dadurch, dass meine „Sprachlupe“ drin sei, womit er sogar noch Eva Demski überbot, die die ZEIT nur wegen mir und Harry Rowohlt las. Nun ging die Bewirtung los, ihm das zentralste Anliegen – mir völlig egal. Er grabschte in der engen Küche in den Plastiktüten herum, alles voll fieser Wurst- und Fleischwaren. Nun kam raus, dass ich Vegetarier sei – da schrumpfte er seltsam zusammen, guckte ganz unglücklich, hatte völlig umsonst eingekauft, lief hilflos hin und her, holte aus irgendeiner Ecke einen gelbgrün abgeblühten Kohlkopf hervor, wusste aber auch nicht so recht, was man damit machen könnte, steigerte sich in Verzweiflung hinein, die ich rhetorisch kaum verkleinern konnte, zupfte Blättchen, suchte Öl, suchte Essig – ich versuchte vom Thema wegzukommen; da war aber nichts mehr zu machen; es ging nur noch um diese ausweglose Situation; ich winkte ab, überlegte mir, Wurst mitzuessen, aber es handelte sich um wirklich sehr nackte Sorten, sehr pökelig, sehr wurstig – was hätt ich nicht alles für einen Dichterfürst getan, aber meine Ekelschwelle schwoll so heftig wie des Gastgebers Panik. Nun speisten wir; er aß seine Wurst; ich zupfte Kohlblätter. Nach 30 Minuten, weniger souveräne und luzide Momente als vorhin, oben am Schreibtisch, fiel mir mein Hamburgtermin um 20 Uhr ein (mit wem eigentlich?); eigentlich hatte er mich hinbringen gewollt, ein schöner Spaziergang, da aber rief er, jetzt sei er auf Essen eingestellt, und das könne er keinesfalls unterbrechen, dies im Ton höchster Humorlosigkeit, obwohl: Wir hatten doch jetzt schon jede Menge langwierig herumgegessen und herumgezupft, keine Ahnung, was es jetzt noch weiterzuessen gab, außer weitere Pökelmasse und Zusatzwurst. Wie konnte ein spilleriger Mann sooo verdächtig viel essen wollen, statt mit einem seltenen einmaligen Gast ein wenig Wellenlänge zu genießen. So brach ich denn allein auf. Für das gute Essen dankte ich gar sehr und wurde nicht mal zur Haustür geleitet, null Winkewinke; denn der Dichter konnte seine Nahrungsaufnahme keinesfalls kurz unterbrechen.
Auf dem Rückweg im lCE las ich das mitgegebene Ich habe Lust im weiten Feld … Betrachtungen einer abgeräumten Schachfigur, aber nach all den sinnreichen Ranicki – Vernichtungen klangen Rühmis zögerlich kritische Ranicki-Protokolle doch arg übervorsichtig, viel Drumherum um lauwarmen Brei, semi-loyal, servil, dezent.
Später gab’s dann noch Korrespondenz. Rühmkorf erwog sogar nach Allmuthshausen zu kommen und schrieb mir am 23. November 1997:

Aber wie zugewunschen Sie wohnen, lieber U. H., und wie gern ich Sie dort einmal aufsuchen würde. Ich weiß, Ihr Angebot liegt vor, und zu beplaudern-plappern gäbe es Tausenderlei. Sie müßten mir dann nur vorher den Schleichweg zum nächsten Metzger zeigen und mir eine Armesünderecke zum Steakverzehr einräumen. Ich würde Sie dafür natürlich mit erlesenen Reimen verwöhnen wie beispielsweise jenem in der Pièce Dichterleben ganz am Schluß auftönenden…, aber ich weiß, das ist für das laufende Jahr die reine Zukunftsmusik, und nur damit Sie wissen, wovon ich spreche, tüte ich Ihnen auch dieses Stückchen mit ein.

Im Dezember 2001 brachte mir der Postmops ein Buch ins Haus: Schachtelhalme. Schriften zur Poetik und Literatur, von Peter Rühmkorf, herausgegeben von Hartmut Steinecke, Band 3 der begonnenen Rowohlt-Werkausgabe, weißlich, seriös, gültig. Drin lag ein Kärtchen: „Auf Veranlassung des Autors mit freundlichen Grüßen“. Gerührt vom unverhofften Geschenk, schlug ich auf: „Der Befund bedarf allerdings der Differenzierung“… „Ortsbestimmung des Menschen“… „Die junge deutsche Poesie konsolidierte indes durchaus so etwas wie eine Position“. Ich schob den Dankbrief vor mir her; ich griff bei anderer Wetterlage erneut zum Buch, aber da wurde weiterhin Stellung bezogen… von gesellschaftlichem Bewusstsein geredet… sehr geehrte Damen und Herren, der Titel unserer heutigen Veranstaltung… plötzlich war mir, als würde ich mich für Lyrik merkwürdig wenig interessieren, und hier kam ich aus dem Interpretationsseminar praktisch kaum noch hinaus. Um bessere briefliche Anknüpfungspunkte zu finden, musste ich tiefer eintauchen; Vordringlichkeiten kamen dazwischen. Das Buch, das unter anderen Büchern verschwand, tauchte selten wieder auf. Nach sehr kurzem war ein Jahr um und die Buchsendung unbeantwortet geblieben.
Dann sah ich ihn auf einer Buchmesse wieder. Er saß in der einen Vertiefung eines hellgrauen Doppelsesselungetüms am Rowohlt-Stand und sprach mit einem Verlagsvertreter, ihm gegenüber auf einer weißen Konsole. Ich ging blätternd auf und ab, stellte mich in die Sichtlinie. Er sah auch auf oder an mir vorbei, aber sah oder erkannte mich nicht mehr, trotz meiner phyisognomischen Abweichung von allem, was so vorbeitrudelte. „Ein solches Gesicht vergißt man nicht“ traf jetzt nicht mehr zu. Am Hanser-Stand war Umberto Ecos schweifender Blick plötzlich an meiner Visage hängengeblieben, hatte doch erheblich gestutzt, da solche wie ich wohl auch in Fellini-Filmen eher selten herumlaufen, aber nach einer Sekunde mich als irgendwie eingestuft abgehakt. Jetzt auf Rühmkorf zuzugehen, erschien mir unrichtig. Ich gab mich einem Gottesurteil hin und setzte mich neben ihn in die andere Hälfte des Doppelsessels. Sein Gesprächspartner wurde abberufen; nun saßen die leptosomen Gestalten repräsentativ in dieser zweiteiligen Sitzgelegenheit und blätterten in Broschüren. Entweder hatte der Autor seinen inhärenten Augenmensch buchmessetypisch runtergefahren, zwecks Reizüberflutungsminimierung, oder er lebte bereits im Jenseits höchster Methusalemförmigkeit, mystischer Innenwelt zugetan. So saßen wir fünf Minuten, dann zehn Minuten. Er drehte sich nicht nach rechts, um von der Seite mein schielendes Augenwinkelprofil zu inspizieren. Er rappelte sich irgendwann hoch und sah nicht zurück, neben wem er die ganze Zeit gesessen hatte. Ganz dicht nebeneinander überkreuzten sich die Sehlinien der Paralleluniversen. Das eine davon hätte nur mit dem Finger schnicken brauchen oder sich 10 cm in sein Blickfeld beugen, schon wär es zu Schnittpunkt und Überkreuzung gekommen.
Dann wanderte in mein 1000-seitiges Narratorium ein schönes langes Rühmkorf-Zitat ein und gab Auskunft über Rainer Maria Rilke:

Wo sich allerdings das autorerotische Privatissimum als edle Bauhütterigesinnung stilisiert („Wir steigen in die wiegenden Gerüste, / in unsern Händen hängt der Hammer schwer“), Masturbationsphantasien sich mit Ikonenmalerei verwechseln („Was irren meine Hände in den Pinsel?“), eine für anrüchig geltende Manipulation sich als religiöse Inbrunst verkuttet („Du Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal / in langer Nacht mit hartem Klopfen störe“), als Evangelium der Tat („Du wirst nur mit der Tat erfaßt, mit Händen nur erhellt“), als hehres Initionsritual („Und manchmal kommt ein ernster Hergereister / und zeigt uns zitternd einen neuen Griff“), als fromme Andachtshandlung („Meine Hand ist dir viel zu breit; / Und ich heb mit den Fingern vom Quell einen Tropfen“) oder als persönliche Gottesbeschwörung mit Auferstehungsakzent („O wie so schön ich dich erschaffte / in einer Stunde, die mich straffte, / in einer Hoffahrt meiner Hand“), wo sich die sexuell symbolisierten Interessen also unentwegt religiös ummänteln, da entlarvt sich die vorgegebene Andachtsunschuld zunehmend als Camouflage, und was wir eben noch Selbsterhöhung nannten, gewinnt – vice versa – den Anstrich oder den Beigeschmack von Selbstbefleckung: „Und plötzlich bist du ganz allein gelassen / mit deinen Händen, die dich hassen –

Dann wurde der Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor Peter Rühmkorf zugesprochen, aber acht Tage vor dessen Tod. Abends nach 22 Uhr 30 zappte ich mich durch die Kultursender, um Nachrufe zu erhaschen, aber zwischen Kochkursen und Pistolengefuchtel fanden sich nur 7 Minuten, worin Günter Grass: „Ich vermisse ihn jetzt schon“ sagte, und Enzensberger betonte, so einen würde die Welt nicht wiedersehn. Zur postumen Verleihung am 14. Februar 2009 reiste ich an, dem Auftakt eines einwöchigen Kasseler-Komik-Kolloquiums, wo auch Harry Rowohlt, Ingomar von Kieseritzky, F.W. Bernstein, Ginka Steinwachs, ich, Gerhard Polt, Frank Schäfer, Kapielsky u.v.a. auftraten. Der Rathaussaal, derselbe wie damals – wie immer knallvoll, 200 Körper, durchschnittlich 77 Jahre alt, ließen sich von den Festrednern sagen, dass Rühmkorf körperlich nicht mehr unter uns weile, das wurstige Büfett: wie immer sofort völlig ratzekahl, der Büchertisch: wie immer völlig unberührt, auch arg mager bestückt, Werkausgabe 4 Bände fehlte apriori. Der dicke Steidl-Rühmkorf-Bildband war nicht rechtzeitig angeliefert worden. Ich blätterte Paradiesvogelschiß auf, erwischte dauernd Zeilen, die mir wie unvertiefte Rühmkorf-Imitation vorkamen. Nächstentags ging ich genauer durch die Ausstellung im Bürgersaal, mit Schwarzweißfotos, in Sichtweite der Büste Dr. Braners, eines Oberbürgermeisters der 60er-Jahre, eingebettet zwischen akkurat frischgekalkten Wänden, Bürgerberatung, Personal-WC, grünen Emblem-Männerchen, die vorbei an Feuermelder, feuerwehrroten Zapfhähnen und Behinderten-WC in Richtung Notausgang wetzten, die museale Beklemmung flankierend – irgendwie arg trostlos dieses Ambiente, aber wie hätte es sein sollen? Bei entfleuchtem Leben blieben nur solche spiegelverglasten Passepartouts übrig, und halt Werke, eingesargt wie in Marbach im staubtrocknen Atombunker.

Ulrich Holbein, in Jan Bürger & Stephan Opitz: „Lass leuchten“. Peter Rühmkorf zwischen Aufklärung, Romantik und Volksvermögen, Wallstein Verlag, 2010.

 

 

Michael Braun: Die vergessene Revolution der Lyrik. Zur Aktualität von Rainer Maria Gerhardt und Werner Riegel.

Fakten und Vermutungen zu Werner Riegel + ZdKKLG + Archiv +
Kalliope
Nachruf auf Werner Riegel: Die andere Zeitung

 

Zum 70. Geburtstag von Peter Rühmkorf:

Hajo Steinert: Ein Leben in doll
Deutschlandfunk, 24.10.1999

Zum 75. Geburtstag von Peter Rühmkorf:

Hanjo Kesting: In meinen Kopf passen viele Widersprüche
Sinn und Form, Heft 1, Januar/Februar 2005

Volker Weidermann: Der Eckensteher
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.2004

Zum 10. Todestag von Peter Rühmkorf:

Ulrike Sárkány: Zum zehnten Todestag des Poeten Peter Rühmkorf
ndr.de, 7.6.2018

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Stiftung Historische Museen Hamburg: Laß leuchten!
shmh.de, 20.7.2019

Julika Pohle: „Wer Lyriks schreibt, ist verrückt“
Die Welt, 21.8.2019

Vera Fengler: Peter Rühmkorf: Der Dichter, die die Welt verändern wollte
Hamburger Abendblatt, 21.8.2019

Volker Stahl: Lästerlustiger Wortakrobat
neues deutschland, 22.8.2019

Hubert Spiegel: Der Wortschnuppenfänger
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.8.2019

Anina Pommerenke: „Laß leuchten!“: Rühmkorf Ausstellung in Altona
NDR, 20.8.2019

Maren Schönfeld: Herausragende Ausstellung über den Lyriker Peter Rühmkorf
Die Auswärtige Presse e.V., 21.8.2019

Thomas Schaefer: Nicht bloß im seligen Erinnern
Badische Zeitung, 26.8.2019

Willi Winkler: Der Dichter als Messie
Süddeutsche Zeitung, 28.8.2019

Paul Jandl: Hanf ist dem Dichter ein nützliches Utensil. Peter Rühmkorf rauchte seine Muse herbei
Neue Zürcher Zeitung, 11.9.2019

 

„Laß leuchten!“ Susanne Fischer über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Friedrich Forssman über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Jan Philipp Reemtsma über die Rühmkorf-Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum.

 

„Laß leuchten!“ Ein Sonntag für Peter Rühmkorf in Marbach. Lesung und Gespräch mit Jan Wagner.

 

„Jazz & Lyrik“ – Ein Fest mit Peter Rühmkorfs Freunden

 

Fakten und Vermutungen zu Peter RühmkorfKLGIMDb +
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Nachrufe auf Peter Rühmkorf: Spiegel ✝ Die Welt ✝ FAZ 1 + 2 ✝
literaturkritik.de 1 + 2 ✝ Die tageszeitung ✝ Die Zeit ✝
Badische Zeitung ✝ Haus der Literatur  Tagung ✝ Stufe ✝

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Rühmkorfzahn“.

 

Bild von Juliane Duda mit den Zeichnungen von Klaus Ensikat und den Texten von Fritz J. Raddatz aus seinem Bestiarium der deutschen Literatur. Hier „Rühmkorf, der“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Peter Rühmkorf

 

Film über Peter RühmkorfBleib erschütterbar und widersteh. 1/2

 

Film über Peter RühmkorfBleib erschütterbar und widersteh. 2/2

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