Wolfdietrich Schnurre: Zu Hans Arps Gedicht „Kaspar ist tot“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Hans Arps Gedicht „Kaspar ist tot“. –

 

 

 

 

HANS ARP

Kaspar ist tot

weh unser guter kaspar ist tot.
wer verbirgt nun die brennende fahne im wolkenzopf und schlägt täglich ein schwarzes schnippchen.
wer dreht nun die kaffeemühle im urfaß.
wer lockt nun das idyllische reh aus der versteinerten tüte.
wer schneuzt nun die schiffe parapluies windeuter bienenväter ozönspindeln und entgrätet die pyramiden.
weh weh weh unser guter kaspar ist tot. heiliger bimbam kaspar ist tot
die heufische klappern herzzerreißend vor leid in den glockenscheunen wenn man seinen vornamen ausspricht. darum seufze ich weiter seinen familiennamen kaspar kaspar kaspar.
warum hast du uns verlassen. in welche gestalt ist nun deine schöne große seele gewandert. bist du ein stern geworden oder eine kette aus wasser an einem heißen wirbelwind oder ein euter aus schwarzem licht oder ein durchsichtiger ziegel an der stöhnenden trommel des felsigen wesens.
jetzt vertrocknen unsere scheitel und sohlen und die feen liegen halbverkohlt auf dem scheiterhaufen.
jetzt donnert hinter der sonne die schwarze kegelbahn und keiner zieht mehr die kompasse oder die räder der schiebkarren auf.
wer ißt nun mit der phosphoreszierenden ratte am einsamen barfüßigen tisch.
wer verjagt nun den sirokkoko teufel wenn er die pferde verführen will.
wer erklärt uns nun die monogramme in den sternen.
seine büste wird die kamine aller wahrhaft edlen menschen zieren doch das ist kein trost und schnupftabak für einen totenkopf.

 

Mein Gedicht

Mein Lieblingsgedicht stammt von Hans Arp, und es hat den traurigen Titel „Kaspar ist tot“: Ich weiß nicht, wie Kaspar aussah, ich habe ihn nicht persönlich gekannt; aber seit ich dieses Gedicht kenne, gehöre ich mit zu den am schwersten Betroffenen unter der ihm nachschluchzenden Trauergemeinde. Arp beschreibt ihn auch nicht, er beschreibt nur, was nun, da Kaspar es nicht mehr zu tun vermag, ungetan bleiben muß. Und das ist beängstigend viel und beängstigend Großes und Wichtiges aber andererseits auch, so daß sich mir, je inniger ich mich dieser Elegie widme, immer nachhaltiger die Vermutung aufdrängt, es hat sich in Kaspar um ein metaphysisches, wenn nicht gar: göttliches Wesen gehandelt. Denn wem zuliebe klappern die Heufische schon herzzerreißend in den Glockenscheunen, wenn man seinen Vornamen ausspricht, wer hat denn schon die nun doch wirklich übermenschliche, zugleich bedrohliche wie heitere Anstrengung fertiggebracht, dem Schicksal tagtäglich ein schwarzes Schnippchen zu schlagen?
Nein, da ist kein Geschöpf aus Fleisch und Blut hingegangen, Kaspar war Geist. Sehen wir uns doch nur diese halbverkohlten Feen aus den Scheiterhaufen einmal genauer an: wie konnte es denn zu diesem unwürdigen Trauerspiel kommen? Ihre Flügel waren vor Kummer zerweint, ihre Tarnkappen vom Schneuzen verbraucht, sie mußten – und sichtbar auch noch – zu Fuß gehen seit Kaspars Tod: so hat man sie also geschaßt. Und wie ihnen, so ist es allen anderen phantasiebeflügelten Wesen, Institutionen und Beschäftigungen seit Kaspars Sterben gegangen: Die Kaffeemühle im Urfaß steht still; die Pyramiden werden nicht mehr entgrätet, und keiner zieht mehr die Kompasse und die Räder der Schiebkarren auf. Gewiß, man kann hier erwidern: wozu auch. Eben mit diesem, wahrhaftig nur allzu menschlichen, Einwand hat Arp ja auch selber gerechnet. Wäre er nicht sicher gewesen, daß nur einige Auserwählte erfahren hatten, Kaspar sei tot; hätte er die Hoffnung haben dürfen, wir wüßten alle von Kaspars Dahingang – sicher hätte er nicht mit einer einzigen Zeile an unsere große und allgemeine Trauer gerührt. Aber wer von uns hat das lautlose Dahinscheiden der Phantasie denn bemerkt? Ich fühle mich beinah versucht zu sagen: nur Arp; Arp mit diesem Gedicht, in dem er ihr, am Rand ihres unbekannten Grabes, den buntesten und menschlichsten Namen gab, den sie jemals während ihrer Erdenzeit trug: Kaspar.

Wolfdietrich Schnurre, Die Zeit, 22.1.1960

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