literaturWERKstatt (Hrsg.): Versschmuggel / Mots de passe

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von literaturWERKstatt (Hrsg.): Versschmuggel / Mots de passe

literaturWERKstatt (Hrsg.)-Versschmuggel / Mots de passe

CECI N’EST PAS UN HOMME
FEMMAGE À MAGRITTE

Das hat zwei Beine darauf
besteht es glaubt sie wären
ihm wichtig je länger je
lieber hätt es vielleicht
einen Fischschwanz

Das hat einen Kopf damit
schüttelt es nickt bis
ihm schwindelt es stimmt
zu & ab nimmt ab & zu:
das hat Gewicht

Das hat auch eine Sprache
gelernt mit seinem Mund
sagt es Ich es ist bestimmt
komisch es findet sich nicht
zum Lachen

Das hat Augen das sieht sich
vor ihm nach sieht es kommen
Das hat Ohren das hört was
sich gehört hat es gehört
ihm doch nicht

Das tut sächlich bloß das
hat keinen Zweck das hat seine
Regel seine Grammatik ist
unpäßlich aber es macht nix
– das vergeht

Das redet auf das Telefon
ein als wär es ein Mensch

Barbara Köhler

 

 

ROM 1989 

Zu Füssen das Chaos der Reiche,
gestampfte Zeit unter sakralem Überschwang
und infernalischem Krach

da, weiss ich, gibt es einen Strom
der Sonnen trägt und Schlamm
unter einer von Engeln durchbohrten Brücke
– was aber soll ich mit Ewigem

Erreichen, über die Luft hinaus
dies schwarze Flügelstäuben das
davonzieht

Sylviane Dupuis
Übersetzung Barbara Köhler

 

 

Vom Verseschmuggeln 

Berühmte Dichter und Übersetzer haben uns immer wieder von der Unübersetzbarkeit des Gedichts berichtet und dankenswerterweise immer wieder übersetzt. Der Übersetzer eines Gedichts steht vor Entscheidungsfragen, die ihm die Prosa so nicht aufgeben würde: Übertrage ich primär die musikalischen Elemente des Gedichts; seine Klang- und Rhythmusstruktur, gar den Versreim zu Lasten dessen, wovon das Gedicht spricht, oder umgekehrt? Aber ist es dann noch ein Gedicht?
Die Übersetzungstheorien und -praktiken sind ausdifferenziert und untereinander zerstritten. Letztlich darf gelten: eine gute Übersetzung kommt dem Original in Form und Gehalt so nahe wie möglich, ist aber so eigenständig, daß ein gutes Gedicht in der anderen Sprache entsteht. Das heißt, das übersetzte Gedicht ist in unterschiedlichen Graden auch immer eine Neuschöpfung des Übersetzers. 

Wer also könnte besser beurteilen, was eine gute Übersetzung ist, als der Dichter selbst?
Während des Berliner Sommerfest der Literaturen und auf Einladung der literaturWERKstatt berlin begaben sich im Sommer 2002 je zwölf Dichterinnen und Dichter aus dem französisch- und deutschsprachigen Raum in das Abenteuer der gegenseitigen Übersetzung. Je ein französisch- und ein deutschsprachiger Dichter arbeitete mit Hilfe zuvor angefertigter Interlinearübersetzungen und mit Hilfe eines Dolmetschers gemeinsam und über mehrere Tage an den poetischen Neufassungen der eigenen Texte in der jeweils anderen Sprache.
Dieses Verfahren ist optimal für Dichtung, weil der Dichter selbst in die Übersetzungstätigkeit einbezogen ist und die Transformation der komplexen Textstruktur Gedicht in den Koordinaten von Klang und Rhythmus mit seinem Kollegen/seiner Kollegin erarbeiten kann.

Die Arbeitsergebnisse wurden in öffentlichen Veranstaltungen einem erstaunlich großen Publikum vorgestellt und liegen nun, nach einer weiteren Überarbeitung durch die Dichter selbst, als Bekenntnis zum Verse-Schmuggeln in dieser Anthologie vor.

Während deutschsprachige Dichtung im wesentlichen in den drei benachbarten Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz entsteht und über vergleichsweise ähnliche poetische Traditionen und ästhetische Formgebungen verfügt, verhält es sich mit der französischsprachigen Dichtung grundlegend anders. In dreißig Ländern der Welt gilt Französisch – gleichsam ein „Erbe“ einstiger Kolonialisierung – als offizielle Sprache. Allerdings hat diese Sprache überall Veränderungen dadurch erfahren, daß die heute in Unabhängigkeit lebenden Völker Wortgut aus ihrer eigenen Sprache in das französische Sprach-System eingespeist haben. Gleichzeitig veränderte und ändert sich natürlich auch die Dichtung und der Begriff von Dichtung in den einzelnen französischsprachigen Kulturen. Dieser Prozess ist neu für alle Beteiligten in der frankophonen Welt. Die in Versschmuggel versammelten Dichtungen erlauben dem deutschsprachigen Leser einen ersten Einblick in eine vielgestaltige französischsprachige zeitgenössische Dichtung, wie sie in Frankreich und im europäischen Raum sowie überall auf der Welt entstanden ist.
Die zweisprachige Ausgabe befördert umgekehrt zeitgenössische deutschsprachige Dichtung zu den französischsprachigen Lesern überall auf der Welt. Mögen es viele in beiden Sprachen sein.
Das Abenteuer dieser großen Übersetzungsarbeit, die die hier versammelten Dichterinnen und Dichter geleistet haben, überträgt sich nun dem Leser.

Wird man beispielsweise den Vers von Ulrike Draesner

… die
taxifahrer reden ost,
was fakt ist ist fakt

in Frankreich, Luxemburg oder Kanada verstehen können? Der Dichterin Tanella Boni aus Elfenbeinküste war es beim Übersetzen in Absprache mit Ulrike Draesner offenbar nicht wichtig zu markieren, daß es ein Ostdeutsch zum Westdeutsch gibt und daß der spruch „… was fakt ist ist fakt“ genau das Ostdeutsch als Material aufweist.

Homonymie ist eines der größten Probleme allen Übersetzens. Wie dieses Problem auf humorvolle und leichtfüßige Art gelöst werden kann, zeigt sich in demselben Gedicht, nur wenige Zeilen später: Aus
„hunger was / geschichte war / scharfe eß-bahnen (& wie er da lacht)“
wird 

„la faim de / l’histoire train-express / épicé (& comme il rit)“

Der haitianische Dichter Georges Castera „entführt“ in seiner Gedichtzeile „Je t’écris pour te dire /  que je vis à fleur d’encre“ den idiomatischen Ausdruck „fleur de peau“, der Überempfindlichkeit ausdrückt, hin zur „Tinte“ („encre“), um das Klima der Zensur spürbar zu machen.
Wie ist es Lutz Seiler gelungen, eine solche Vielschichtigkeit kultureller und sprachlicher Art ins Deutsche zu übertragen?
Das Abenteuer beim Übersetzen von Gedichten, beim Schmuggeln von soviel Form und Gehalt wie möglich über die Sprachgrenzen hinweg, ist aufregend für alle Akteure. Dazu gehören ab heute auch Sie als Leser, wenn Sie die geschmuggelten Verse für sich selbst erkunden. Viel Spaß dabei! Ab Oktober 2003 können Sie einige Gedichte auch hören. Alle in dieser Anthologie enthaltenen Dichterinnen und Dichter haben Tonaufnahmen gemacht, die auf www.lyrikline.org zu finden sein werden. 

(…)

Thomas Wohlfahrt und Aurélie Maurin, Januar 2003, Vorwort

 

 

Aurélie Maurin und Rainer G. Schmidt: Übers Übersetzen von Gedichten

 

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