Nâzım Hikmet: Poesiealbum 106

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Nâzım Hikmet: Poesiealbum 106

Hikmet/Graetz-Poesiealbum 106

DIE KALTE ZIGARETTE

In dieser Nacht wird er sterben.
Eine Kugel hat seine Jacke versengt.
Er geht in den Tod diese Nacht,
die Angst schon weit hinter sich.
Fragt noch: Zigarette?
Ja, sage ich.
aaaaaaaaaaFeuer?
aaaaaaaaaaaaaaaIch sage: Nein,
zünd sie dir an der Kugel an.
Und er nimmt die Zigarette und geht.

Vielleicht liegt er jetzt
auf der Erde, auf allen vieren,
zwischen den Lippen
die kalte Zigarette,
in seiner Brust
die Wunde.

Geht davon,
wird gestrichen, geht
in den Tod.

Übertragen von Bernd Jentzsch

 

 

 

Das ist die Dichtung Nâzım Hikmets:

Unruhe und Freude; der Krieg und seine Schrecken; die Armseligkeit; das kranke Herz, das dennoch glücklich schlägt; das Verlangen, lebendig zu sein, zu lieben um jeden Preis und sich mit denen zu verbrüdern, die noch viel entmutigter sind.

Charles Dobzynski, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1976

Mein Bruder,

du hast für uns alle gesungen. Nun brauchen wir nicht mehr im Zweifel zu sein, was wir tun sollen. Nun wissen wir alle, wann wir anfangen müssen zu singen.

Pablo Neruda, Verlag Neues Leben, Klappentext, 1976

 

Nâzım Hikmet

Nâzım Hikmet, um die Jahrhundertwende in Griechenland geboren und vor dreizehn Jahren im sowjetischen Exil gestorben, gehört mit Orhan Veli Kanık zu jenen neuen Dichtern der Türkei, die ihre Stimme gegen soziale Ungleichheit und für eine revolutionäre Veränderung der Welt erhoben haben. So sicher, wie sich die Reaktion fühlte, als sie Nâzım Hikmet zu achtundzwanzig Jahren Zuchthaus verurteilte, so unbeirrbar sprechen seine eindringlichen, oft mit unerwartet kühnen poetischen Lösungen überraschenden Gedichte von den elementaren Dingen des Lebens: von der Liebe über alle Gefängnismauern hinweg, von den Olivenbäumen für die Kinder, vom Glück, vom Kampf gegen die traurige Freiheit, vogelfrei zu sein.

Verlag Neues Leben, Ankündigung in Inge Müller: Poesiealbum 105, 1976

 

Kalenderblatt für Nâzım Hikmet

Groß ist die Zahl der Schriftsteller, die verfemt und verbannt, heimatfern lebten. Zu den Vertriebenen, den Verschwiegenen gehörte und gehört Nâzım Hikmet (1902 — 1963), der in Saloniki geborene türkische Dichter. Als er in der Moskauer Emigration starb, schwieg die offizielle Türkei. Gleich den Gedichten des Poeten, die von Mund zu Mund übermittelt wurden, verbreitete sich die Nachricht: Nâzım ist tot! Der vielfach geplagte Körper hatte seine Ruhe gefunden. Doch der rebellische Geist Hikmets wurde gefürchtet wie zuvor. Wer die Werke des Schriftstellers liest, besitzt oder gar verbreitet, begeht in der Türkei eine strafbare Tat.
Nâzım Hikmet hat niemals Popularität für seine Person erstrebt, er erwarb sie sich durch seine untadelige Lebenshaltung. Je öfter und je ärger die persönliche Bewegungsfreiheit des Dichters eingeschränkt wurde, desto entschiedener und damit auch wirkungsvoller wurden die poetischen Appelle des Dichters, der der Freiheit des Menschen die Möglichkeiten für das Freisein schaffen wollte. Wurde der Chilene Pablo Neruda zum Sänger der Völker Lateinamerikas, so wurde der Türke Nâzım Hikmet zum Sänger der Völker des Orients. In Hikmets lyrischem wie dramatischem Schaffen stehen die Themen Menschenliebe, Patriotismus und Solidarität im Vordergrund.
Dreimal mußte Hikmet, der Sohn türkischer Aristokraten, in die Sowjetunion emigrieren. 1921 kam er nach Moskau und erlernte die russische Sprache. 1925 kam er in die sowjetische Hauptstadt und schloß mit Wladimir Majakowski Freundschaft. 1951 kam er, nach 13jähriger, schwerer Haft, für immer in das Land seiner zweiten Muttersprache. Nie verdrossen, nie verzagt, glaubte der Dichter an seine Heimat, so wie er dem sowjetischen Staat vertraute.
Hikmet war ein Dichter, der den Unbilden der Zeit nicht auswich, die ihn lehrten, was Leid und Leiden ist. In dem oft zitierten, bekenntnishaften, einem Manifest gleichenden Gedicht „Das 20. Jahrhundert“ drückte der Dichter seinen immer bewahrten Optimismus unmißverständlich aus:

Ich bin aus diesem Jahrhundert
und bin stolz darauf
dort zu sein, wo ich bin
— bei meinem Volk —
und für eine bessere Welt zu kämpfen
das ist mir genug.

Für die Veränderung, für die Verbesserung der Weltverhältnisse war Nâzım Hikmet bereit, jedes Opfer zu bringen. Er war ein Dichter, der an die Menschen des ganzen Erdballs dachte, wenn er schrieb. Nâzım Hikmet verdient die internationale Sympathie und Solidarität nicht nur, weil sein Vaterland ihm die gebührende Anerkennung versagt.

Bernd Heimberger, Neue Zeit, 8.2.1982

 

 

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