Peter Gosse: Zu Paul Flemings Gedicht „In grooß Neugart der Reussen / m. cd. xxxiv.“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Flemings Gedicht „In grooß Neugart der Reussen / m. cd. xxxiv.“ aus dem Band Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. –

 

 

 

 

PAUL FLEMING

In grooß Neugart der Reussen /
m. cd. xxxiv.

Indessen / daß der Maars / bey zweymahl sieben Jahren
Annoch nicht grausam satt berennt und angefahren
Mein wehrtes Vaterland / vor aller Länder Kroon’ /
Itzt ihr verdammter Haß und angepüfner Hohn;
Er geht noch täglich fort / Gradivus der Verheerer /
Mit seiner bösen Schaar der geitzigen Verzehrer;
Verderbt / was er nicht mag / äscht Städt und Dörffer ein /
Und lässt für seiner Macht nichts ungebrochen seyn.
Wo anders was noch gantz; so sey ein wenig deine /
Mein Fleming / weil du kanst. Du hast noch dieses eine
Von allem / was du hattst / dich / den dir niemand nimmt;
Wiewohl noch mancher itzt auch ümm sich selbsten kömmt /
Deß andren mehr als sein. Ist alles denn verlohren /
So lass’ es / wo es ist. Es wird noch stets gebohren /
Das so geht wieder hinn. Das blinde Glükke schertzt;
Verwechselt Gaab’ und Raub. Was ist es / das dich schmertzt?
Fürwar / ein groosses Nichts. Du bist ja noch derselbe.
Leebst sichrer als zuvor. Kanst du nicht inn die Elbe
und Muulde sicher seyn / so suuch ein’ ander statt /
Die mit geringrer Lust auch weenger Sorge hatt.
Die Welt ist grooß genung. Stürmt Eol dieser Seiten /
So laß dein kluuges Schiff ihm nicht entgegen streiten.
Fleucht dort nauß / toobt er hier. Ein Weiser dient der Zeit.
Nimmt sein Verhängnüf auff / wie es die Hand ihm beut.
Ist traurend dennoch froh. Ein himmlisches Geblühte
Ist irdnen Sachen feind. Ermannet sein Geblühte.
Schätzt ihm kein Guut nit gleich. Ist an sich selbst vergnügt;
In höchster Armuut reich. Du auch / machs / wie sichs fügt /
und hülle dich in dich / biß daß sich Sturm und Reegen /
Nach dem sich Föbus zeigt / hinwieder werden leegen /
Des altern Vatern Noht / der frommen Mutter Leid /
Der lieben Schwestern Angst / so vieler Freunde Neid
Setz’ itzt ein weenig aus. Thu / was der Himmel heisset.
Nimm der Bequemheit wahr / eh sie sich dir entreisset.
Zeuch in die Mitternacht / inn das entleegne Land /
Das mancher tadelt mehr / als das ihm ist bekandt.
Thu / was dir noch vergünnt der Frühling deiner Jahre.
Laß saagen / was mann wil. Erfahre du das wahre.
Dem traut mann / was mann sieht / Und hoffe diß darbey /
Daß inn der Barbarey auch was zu finden sey /
Das nicht barbarisch ist. Wolan / ich bin vergnüget.
Es hat mich nicht gereut / daß ich mich her verfüget.
Ich binn wohl kommen an / hier / wo Kalisto steht /
Und Arkas / der mier nun fast auff der Scheitel geht.
Der Beldt / der war mier guut. Die Düne floß mir linde.
Die Nau die war mein Freund. Ich gieng mit gutem Winde /
Wo Wind von nöhten war. Die Volgov seh ich nuhn /
Die mich ümm ihren Rand lässt nach begehren ruhn.
Wie kann ich doch vorbei. Ich muß die Leute preisen /
Die so / wie diese sind. Besteht es auff erweisen /
So hab’ ich über recht. Wer loobet nicht den Mann /
Der sein ist / weil er ist? der alles wissen kann /
Und alles haben auch? Er ist darzu gebohren /
Daß er vergnügt kann seyn. Mann klaget nichts verlohren /
Wenn sich der Vater leegt / seins gleichen / Er / wächst auff /
Der wohlgezogne Sohn. Erfolgt kein Erbguut drauff /
So ist er selbst sein Teihl. Kein Goldt gehört zum Leeben.
Aus Golde wird kein Bluut. Er sieht ihm / was ihm eben /
Ein trächtigs Plätzlein aus / daß er nicht käuffen muuß.
Als wie man etwan tuht. Da setzt er seinen Fuuß /
Macht Feld und Gärten drauß. Fragt nicht nach hohen Bäuen
Wenn er nur Hitz’ und Frost / und so was / nicht darff schäuen /
So ist er wohl versorgt. Geht selbst zu Wald’ / und haut
Die längsten Tannen aus / bewohnet / was er baut /
Selbst Meister und selbst Wirt. Bekömmt er lust zum Weibe /
Des Nachbaars Toochter wil; ein Mensch das schön am Leibe /
Und guut vom Hertzen ist; die / daß er sie mehr liebt /
Dem sonst nicht blassen Mund ein liechters Färblein giebt.
Wer suuchte dieses hier? so leeben sie inn stille.
Kein Argwohn kömmt inn sie. Sein Raht der ist Ihr Wille.
Ehrt ihn / ie mehr er heerscht / und hält gewiß darfür /
Je schärfer er sie hält / ie hulder sey er ihr.
Deß gläubt kein Weib bey uns. Inn dessen ist kein mangel /
Isst / wenn / und was er wil. Speisst / was ihm fängt die Angel /
Was Stall und Nest vermaag / und was sein Garten trägt.
Sein trincken führt der Bach. Der wilde Foorst der hägt
Ihm was auff seinen Tisch. Gelüstet ihm zu jaagen.
Es steht ihm alles frey / Er darf es sicher waagen.
Sein Wind= und Feder=spiel das ist sein Flitz und Pfeil /
Die er wohl selbst gemacht. Ein Messer und ein Beil
Das ist ihm Werck=zeugs satt. Sein Voorraht ist auf heute /
Auff morgen hat ihn Gott. Er zeugt nicht aus auff Beute /
Wie seine Nachbaarn tuhn / die ümm das schwartze Meer /
Die Tont und Wolge sind. Sein Beutel ist nicht schweer /
Doch auch nicht all zu leer. So darf er sich nicht grämen /
Wo er den Unterhalt von Kleidern her sol nähmen.
Sein Schaaff trägt ihm den Beltz; sein Flaachs und Hanf stehn wohl.
Daraus er spinnt und wirkt / so viel er haben sol.
Wird mit Gesundheit alt / weiß wenig von Gebrechen.
Sein Knooblauch ist sein Aartzt. Das übermachte zechen /
Die allzu offte Koost / das zeitigt uns den Todt.
Man leebe / wie mann soll so hat es keine Noht.
Verbrechen nährt den Aartzt. Bey sechs mahl hundert Jahren
Hat Room sich frisch und stark bey Kohle können spaaren
Muß nicht zu Hofe ziehn. Darf keine Frohne tuhn /
In strengsten Diensten frey. Kann unbesorglich ruhn.
Scheut keinen Akavit. Strekt sich in seinen raasen.
Lässt ümm und neben sich sein weenigs Viehlein graasen /
Das ist ihm Reichtuhm satt. Die schöne Nachtigaal
Fleugt über seinen Kopf / verfährt so manchen Schaal /
Und schläfft den müden ein. Da liegt er / biß zu morgen.
Ihn plagt kein schwerer Traum ist weit von allen Sorgen /
Die uns den schlaaff zerreisst. Kein Dieb bricht bey ihm ein.
Frau Armuht lässt ihn wohl für diesen sicher seyn.
Gott muß ihn gütig seyn. Er tuht zu Mitternachte
In Kirchen sein Gebet. Er fastet mit bedachte.
Fromm seyn ist seine Kunst. Von mehrem weiß er nicht /
Wenn er verstehen mag nur was sein Nachbaar spricht /
So meynt er hab’ er gnung. Und was ist ihm mehr nütze?
Kein Mensch wird mehr ein Mensch mit seiner Kunst und Witze.
So giebts vor Gott auch nichts. Wer den inn einfalt ehrt /
Nur ein rein hertze hat / der ist recht hooch=gelehrt.
Es ist ein seltsams tuhn / daß wir uns so bemühen
Ümm Ehre Geldt und Kunst; durch ferne Länder ziehen;
Froost / Hitze / Hunger / Durst / Angst / Mühe / stehen aus;
Der Mann kömmt / weil er leebt kaum übers dritte Hauß /
Was bin ich mehr / als Er? Ich will diers besser weisen /
Wohinn du sichrer solst / und mit mehr nützen / reisen.
Geh / sich dich selbsten durch. Du selbst bist dir die Welt.
Verstehst du dich aus dier / so hast dues wohl bestellt.
Drey=viermahl mehr / als wohl dem Volke / das so leebet?
Es kan nicht Elend seyn / weil nichts den Ruhe schweebet
ümm seine Häuser her. Die treue Sicherheit
Verwacht sie Nacht und Tag. Des Glükkes Troost / der Neid /
Kömmt nicht in dieses Land. Zu des Saturnus Zeiten
Dem diß Volk noch kömmt zu / und was ihm liegt zur seiten
Werd ebenso geleebt. Da war kein mein und dein.
Kein Vorteihl / kein Betruug / der sich hernach schlich ein.
Krieg kämmt von Kriegen her. Hast du dich hier verhalten /
O Einfalt / heilge Zier / von erster Zeit der Alten /
Bis auff die Heefen uns? ist hier dasselbe Land /
Da Ehr und Redligkeit von uns sich hinngewand?

 

Ein Brief, betreffend Flemings Nowgorod-Gedicht

Mich deucht es, lieber Freund, arg unangemessen, daß Du unseren ehemaligen Mitschüler Paul Fleming in Deinem ansonsten löblichen Unterfang – Chronik der Leipziger Thomas-Schule – so gut wie ignorierst. Er ist ein Dichter-Genie! (Und Dir sollte er der Erwähnung umso werter sein, als er anschließend an seine fünfjährige Schulzeit noch Medizin studiert hat – in Leipzig wie Du: er ist, außer Mitschüler, überdies Dein Kommilitone gewesen! Elf seiner zum Heulen wenigen dreißig Lebensjahre hat er in unserer nordsächsischen Metropole gelebt!
Aus der er dann flieht – vor dem als Kriegsgott Gradivus bezeichneten Dreißigjährigen Krieg, der die Leipziger Tieflandsbucht geradezu verheert. In der Stadt Neugard/Nowgorod, zwischen Petersburg und Moskau gelegen – er lebt dort ein halbes Jahr vor der Weiterfahrt (oder Weiterflucht) über Moskau und Astrachan nach Isfahan in Persien – in Nowgorod findet Fleming Muße zu bilanzierender Rückschau:

Er geht noch täglich fort, Gradivus, der Verheerer,

so setzt das Gedicht auf das russische Neustadt „In Neugard der Reußen 1634“ ein,

Mit seiner bösen Schar der geizigen Verzehrer,
verdirbt, was er nicht mag, äscht Städt und Dörfer ein
und läßt vor seiner Macht nichts ungebrochen sein

(Die Verwüstung des Krieges, der Fleming entkommen ist – drei Jahrhunderte später gerät ein anderer bedeutender Dichter, Bobrowski – sein Name sagt Dir vielleicht auch wenig – an gleichem Orte in sie, die Verwüstung: Über die Dächer sinkend / das Hungertuch der Nacht, von verstummten / Vögeln durchstürzt, sieht er. Es zieht das Herz / sich mir zusammen, gar den Wolf, / fett von der Brandstatt, / schreckt ein Schattengesicht.)
Fleming, den 25jährigen, schmerzt der Verlust der Heimat gewiß; doch nimmt er die Crux, auf sich allein geworfen zu sein, rüstig-selbstsicher an:

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa... so sei ein wenig deine,
mein Fleming, weil du kannst. Du hast noch dieses Eine
von allem, was du hattst: dich, den dir niemand nimmt.

Geh, sieh dich selbsten durch! Du selbst bist dir die Welt!
Verstehst du dich aus dir, so hast du’s wohlbestellt .
… hülle dich in dich!

Solch Ich-Gewinn, befindet Paul Fleming wacker, wird den Welt-Gewinn im schönen Gefolge haben, wenn nur ein lebbares, ein ungefährdetes Gefilde gefunden ist:

Kannst du nicht um die Elbe
und Mulde sicher sein, so such ein ander Statt,
die mit geringrer Lust auch wen’ger Sorgen hat!
Die Welt ist groß genug.

Und in der lockt der sichere Hort Nowgorod am Flusse Wolchow:

Die Volchov seh ich nun,
die mich um ihren Rand läßt nach Begehren ruhn.

Ist es nun aber die idyllische Friedfertigkeit der Weltgegend, die den Sachsen so beseelt? Nein: Es ist der vielleicht mehr geschaute als gesehene, der mehr gehoffte denn erfahrene Lebensmodus der kleinstädtisch-ländlichen Russen, der ihm als paradiesisch gilt. Denn so stellt sich ihm das Dasein derer in und um Groß-Neugard, das ist – wie Du weißt – Welikij Nowgorod, dar:

Er (der Mann) ist darzu geboren,
daß er vergnügt kann sein. Man klaget nichts verloren,
wenn sich der Vater leget: seinesgleichen, er, wächst auf,
der wohlgezogne Sohn.
(…) Kein Geld gehört zum Leben.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaBekömmt er Lust zum Weibe:
Des Nachbars Tochter will – ein Mensch, das schön am Leibe
Und gut von Herzen ist; die, daß er sie mehr liebt,
dem sonst nicht blassen Mund ein lichters Färblein gibt.
So leben sie in Stille. Kein Argwohn kömmt in sie.

Arkadien – nichts Minderes! Selbst der Tod schreckt nicht: Der Vater hat ja den Sohn ins gemächlich fortschreitende Leben gesetzt; der wird ein Gleiches tun. Und daß die Frau, um versuchender zu sein, den Lippen ein „lichters Färblein“ gibt, also sich schminkt, erscheint schier als ein Überviel an Zivilisation. Auf die will ja aber gerade Verzicht getan werden:

Sein Wind- und Federspiel ist Flitzbogen und Pfeil,
die er wohl selbst gemacht. Ein Messer und ein Beil,
das ist ihm Werkzeugs satt.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDie schöne Nachtigall
fleucht über seinen Kopf, verführt so manchen Schall
und schläft den Müden ein. Da liegt er bis zu morgen.
Ihn plagt kein schwerer Traum, ist weit von allen Sorgen,
die uns den Schlaf zerreißt. Kein Dieb bricht bei ihm ein,
Frau Armut läßt ihn wohl für diesem sicher sein.

Armut als die Retterin – es wird Dich an Rilke erinnern, jenen Dichter, den Du endlich einmal gelten läßt, ja dessen Satz, Armut sei ein großer Glanz aus Innen, Du mir einmal – damals vergeblich – hast nahebringen wollen. Inzwischen sehe auch ich die Grenzen des Wachstums vom Wachstum heikel perforiert. – Er, Rilke, hat Nowgorod übrigens, 266 Jahre nach P. F., mit Freundin Lau besucht, der sich als tief slawisch Empfindende, und richtet ans russische Land, nur leise berührt von den ähnlichen Ernten, erregte Worte:

Ich kann (…) dich nicht an die Blätter binden,
und das zitterndste Bild, das mir meine Sinne erfinden,
du würdest es blind durch dein einfaches Sein übertreiben.

Fleming, in einem, wenn auch weniger sublimen, Gleichklange schwingend, geht nun weiter, nämlich auf Ursachenforschung – woher denn dieses glückreiche Seins-Einverständnis? Nun,

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaDes Glückes Troß, der Neid,
kömmt nicht in dieses Land. Zu des Saturnus Zeit
ward ebenso gelebt. Da war kein Mein und Dein.

Fleming nimmt nichts Minderes als die Besitzverhältnisse ins Visier. Und da er sie, die ihm unstatthaften, an Wolchow und Ilmensee aufgehoben sieht oder zu sehen begehrt, erinnert sich ihm die vorzeusische Ära des Saturn, also das Goldene Zeitalter kommunen Produzierens und kommunen Konsumierens. Hochfliegende Vision – wie sehr glaubt er ihr? Habe sich Ehre und Redlichkeit aus dem Sächsischen ins christlich-urkommunistische Russische verlagert?

Ist hier dasjen’ge Land,
da Ehr und Redlichkeit von uns sich hingewandt?

Wirklichkeitsverhaftet wie er ist, schließt Fleming mit einer Frage. – Und ich schließe mit der Ankündigung eines zweiten Briefes an Dich: in welchem ich die eigentlichen Geniestreiche des Hartensteines hervorkehren werde. (Hervor unter dem grauen Schleier zumindest Deines Vergessens, Lieber.)

Peter Gosse, aus Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten. Herausgegeben von Richard Pietraß unter Mitarbeit von Peter Gosse, Projekte-Verlag Cornelius, 2009

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