Ralf Rothmann: Gebet in Ruinen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ralf Rothmann: Gebet in Ruinen

Rothmann-Gebet in Ruinen

REKLAMATION 2000

Das Mißtrauen bleibt: gegen Veganer
in Lederjacken, gegen Goethe und ähnliche
Turngeräte. Und besonders gegen die Post.
Alle dort scheinen krank zu sein. Briefmarken-
entzündung. Schick mir den Januar nach,
der Frühling war schon da. Und ein
an die Menschheit adressiertes Jahrhundert
kam bei den Hyänen an.

 

 

 

Kratzer

hieß Ralf Rothmanns früher Gedichtband (1984), sein erstes Buch überhaupt. Inzwischen hat er mehrere erfolgreiche Romane, Erzählungen und ein Theaterstück geschrieben – und ist doch immer wieder zur Lyrik, dem „Mark der Sprache“, zurückgekehrt.
„Und das Wahre wird zur Narbe“, liest man in den neuen Gedichten. Doch sind sie alles andere als ein Dokument der Ernüchterung. Rothmanns „gelenkige Poesie“ (Ludwig Fels) und seine Lebensfreude zeigen sich sowohl in erotischen Gedichten als auch in Songs und modernen Psalmen, sein Ton hält mühelos die Balance zwischen Eleganz und Frechheit. Die Anlässe dieser Lyrik sind scheinbar alltäglich, doch in ihrer Sprache teilt sich eine Erregung mit, die den Alltag transzendiert. Ralf Rothmann flucht mit einem Augenzwinkern, betet mit der Faust in der Tasche, und seine Gedichte schaffen Raum – in Kopf und Herz des Lesers.

Suhrkamp Verlag, Klappentext, 2000

 

Wie schmerzt das Grau die Leber

– Immer ein Bild voraus: Ralf Rothmanns Gedichte. –

Was eine Kirche wäre, ein innerer Dom – der Priester
mit dem Taschenrechner hat es auf den Nenner gebracht.

So wie dieser Vers hat moderne Poesie auszusehen: Noch immer bebt das lyrische Subjekt im Andrang seiner wahreren, tieferen, inneren Empfindungen, und schon kommt der Verräter, der Priester, daher, der sie einer technischen Prüfung unterzieht und das Gefühl zum Zahlenkunststück macht. Die Kritik an der Kälte unserer Zeit, die Erinnerung an den verlorenen Mythos einer „Kirche“ und seine symbolische Verwandlung zum „inneren Dom“, schließlich der souveräne Lakonismus, mit dem die Verse in den Alltagsjargon münden, weisen ihren Schöpfer als Virtuosen der modernen Poesie aus, der all seine Mittel plakativ einsetzt.
Ralf Rothmann gehört zu einer neuen Generation von Lyrikern, die die Rhetorik wiederentdeckt haben, indem sie gleichzeitig den Gestus der Kritik beibehalten, auf den das Gedicht seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verpflichtet ist. Seit den siebziger Jahren dominiert in der deutschen Lyrik die Alltagssprache, um jenes lyrische Understatement zu unterstreichen, das die Studentenbewegung von der amerikanischen Poesie übernommen hat. Die Lyriker der neunziger Jahre jedoch, Durs Grünbein etwa oder Raoul Schrott, scheuen nicht vor einem schweren, feierlichen Duktus zurück. Schon am Strophenprofil läßt sich der Unterschied der beiden nun nebeneinander hergehenden Stile – der alltagssprachliche und der erhabene – erkennen. Metaphern, Zitate, eigenwillige Wortschöpfungen, die sich auch zu hermetischen Wendungen verdichten können, erzwingen in der neuesten Lyrik eine lange Verszeile. Im Unterschied zum mageren Text der intellektuellen Kritik (schon bei Erich Fried und noch bei Hans-Ulrich Treichel) wagt diese Lyrik das volle Blatt. Auch wenn sie die Kritik nicht ganz beiseite läßt, so zielt sie doch zuallererst auf die pointierte Verwendung konventioneller Bilder.
Ralf Rothmann ist ein Meister solcher Pointen. Metaphern, Metonymien, absonderliche Illusionen, das Paradoxon vor allem, das die traditionelle Sprachgeste durch eine Tatsache negiert oder durch eine gegenteilige Behauptung durchstreicht, sind seine bevorzugten Stilmittel. In dem schmalen Bändchen wimmelt es nur so von geistreichen Widersprüchen: vom „Herbstwind im April“, von Göttern, die sich die Jahrhunderte zuwerfen, vom „schmerzhaften Grau der Leber“, von der „Sprache, die aus dem Zapfhahn schäumt“, vom Berg, der unter der Erde wächst, vom Menschen, der sein „tiefstes Geheimnis verscherzt, als Kontoauszug in der Bibel“, vom Gott, der eine „Creditcard“ war, vom Gras, das „sein eigenes Zittern“ frißt, vom Himmel, der Halsweh hat, von Gott, dem Herrn, der „wieder an uns glauben“ müßte. Diese Geläufigkeitsüberlegungen halten die Sprache geschmeidig; ehe man ein Gedicht schreibt, sollte man sich einer solchen Sprachgymnastik unterziehen. Rothmann aber hält die Trainingsnummern, wenn sie nur gedrängt genug aufeinander folgen, selbst schon für Kunststücke. Über solche Etüden gelangt er nicht hinaus, auch wenn er seinen Esprit in noch so schwarze Melancholie taucht:

Zeit war nie golden, Hoffnung nicht blau.
Die Tauben leben von ihrem Grau.

Als raffinierter Metaphern-Techniker weiß Ralf Rothmann, daß das Dunkel sich verfinstert, wenn ein Lachen hindurchblitzt. Deshalb gehört auch das humoristische Gedicht in sein Repertoire. Die Souveränität, die – ganz Coolness – dieses gequälte Lyrikerherz den Verletzungen gegenüber wahrt, die die Welt ihm zufügen, zeigt sich im heiteren, ja sogar kabarettistischen Ton, zu dem es fähig ist, wie etwa in den kurzen Strophen von „Brutto Baby“ oder „Bibelstelle, geföhnt“. Hier fliegt den Leser eine Erinnerung an Tucholsky, Rühmkorf oder das französische Chanson an.
Nicht nur die sprachlichen Wendungen, auch die Stimmungen handhabt Rothmann mit Leichtigkeit und findet für jedes Thema genau den passenden Ton: Humor für allzu ernste Liebe, Zynismus für den Staat, Skepsis gegen den eigenen Schmerz. In einem Stoßgebet bittet Rothmann schließlich um Erlösung von der Routine, über die er verfügt und die ihm offenbar selbst lästig wird:

Mein ganzer Mensch,
er zeuge der Sprache das Wörtchen Ja,
damit sie nicht länger wie Kunststoff klingt.

Hannelore Schlaffer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.2000

Zwischen Erlösung und dem Tunichtgut Sinn,

über dieses „Zu spät“ und jenes ,Niemals‘.

Verehrte Akademie für Dichtung und Maschinenbau,
das Leben ist schon so lange zu kurz.

Ralf Rothmann hat bisher zwei Lyrikbände veröffentlicht. Der erste, Kratzer und andere Gedichte, setzte sich vor allem mit Jugendthemen, Adoleszenz und Hoffnungslosigkeit auseinander. Der Ton dieser ersten Gedichte wird in diesem Band nahtlos weiterentwickelt und fortgeführt, wenn auch auf eine etwas virtuosere, nichtsdestotrotz auch teilweise etwas sprachverlorene, indirekte Art und Weise. Hoffnungslosigkeit steht weiterhin im Mittelpunkt und wird in vielschichtigen Momenten und Nuancen durchdekliniert.

Wo Raben krächzen hat der Himmel Halsweh.

Wie schon in den „Kratzern“ ist Rothmanns große Stärke sein Gespür für eine Bildpoesie, die zwischen elegisch und profan hin und her pendelt und dabei unvorhergesehene mit nachzuempfindenden Betrachtungen kombiniert, die entrückte Zelebrierung von Tristesse mit nahe gehenden Symptomen von Sehnsucht, deren Farbe sich verschließen hat, verbindet. Es entsteht daraus eine unsichere Begegnung mit dem Leser – er bewundert Rothmanns poetische Einlassungen und ist doch leicht irritiert von der grundsätzlich radierenden, im Verschwinden begriffenen Programmatik in der Ausrichtung seiner Gedicht.

Zu spät für das Licht
und die langen Schatten,
die unsere kurzen Sternstunden hatten.
Zu spät für die Frage wie’s weitergeht,
zu spät für jede Love Parade,
für Spott und Hohn und Religion,
zu spät für Tränen am Telefon.
Zeit war nie golden, Hoffnung nicht blau.
Die Tauben leben von ihrem Grau.

Man bleibt seltsam unberührt im Banne der Schönheit. Ein seltenes Kunststück und eines, das sehr gut die moderne Überschaulichkeit unserer Empfindungen imitiert und andeutet. Rothmann versteht, dass der Gesellschaft etwas vorzuwerfen die Möglichkeit der Reflektion ausschließt, weil der Leser sich gemeinsam mit dem Autor von der Gesellschaft distanzieren kann; stattdessen führt er dem Leser seine Regungen und Bilder vor, spricht vom „Gott als einer Creditcard“, bringt Harmonie in seine Gedichte und kontrastiert diese mit absinkenden Verlorenheitspsalmen und macht den Leser so auf die Fassung der Wirklichkeit aufmerksam, in der wir derzeit existieren; eine Fassung in der die Sehnsucht, der Glanz eine Randerscheinung sind, mehr der Erinnerung als dem Erlebnis und dem Dasein verpflichtet.

Einst sah ich Flieder im Fieber blühn,
den Mädchen fiel das Schreiten ein,
jeder Sternstrahl klang wie Wind.
Einst trugen wir nichts als Kleider aus Schweiß
und sammelten Süße in den Zimmern,
in denen Mondlicht die Betten verschob,
Süße, als wären die Ziegel aus Zimt.

und der Himmel wie immer, blaue Seite,
Innenfutter von Nichts.

Dies ist sicherlich nur eine Art, wie man diesen schmalen, sehr filigranen und doch manchmal sehr von sich selbst entleerten Gedichtband lesen kann. Sprachlich ist Rothmann im Idealfall exzellent, ansonsten auf jeden Fall eingängig, anziehend. Seine Dichtung hat kaum Ausläufer, aber dafür den Charakter einer Leinwand der Regung, auf der fast immer etwas geschieht. Seine Gedichte stimmen nicht selten nachdenklich und oft haben sie eine Botschaft, die sich den Rahmen einer gewöhnlichen, zu propagierenden Botschaft, sprengt. Das ist etwas Wesentliches in Gedichten – das GILT für Gedichte:

In jedem ,Wo bist du?‘
sind hundert
,Hier‘.

Timo Brandt, amazon.de, 2.4.2014

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Gustav Mechlenburg:  Poesie in Zeiten der Postmoderne
textem.de, 13.10.2003

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLGIMDb
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum

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