Walter Hinck: Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Auf eine Weise des Joseph Freiherrn von Eichendorff“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Auf eine Weise des Joseph Freiherrn von Eichendorff“ aus Peter Rühmkorf: Gesammelte Gedichte. –

 

 

 

 

PETER RÜHMKORF

Auf eine Weise des Joseph Freiherrn von Eichendorff

aaIn einem Knochenkopfe
da geht ein Kollergang,
der mahlet meine Gedanken
ganz außer Zusammenhang.

aaMein Kopf ist voller Romantik,
meine Liebste nicht treu –
Ich treib in den Himmelsatlantik
und lasse Stirnenspreu.

aaAch, wär ich der stolze Effendi,
der Gei- und Tiger hetzt,
wenn der Mond, in statu nascendi,
seine Klinge am Himmel wetzt!

aaEin Jahoo, möcht ich lallen
lieber als intro-vertiert
mit meinen Sütterlin-Krallen
im Kopf herumgerührt.

aaIch möcht am liebsten sterben
im Schimmelmonat August –
Was klirren so muntere Scherben
in meiner Bessemer-Brust?!

 

Des Mühltals Idylle in Moll

Vor manchen Liedern, Volksliedern zumal und romantischen Versen, schmilzt das deutsche Gemüt. Darauf setzen Männergesangvereine und der Tourismus. Kein Fahrgast einer Schiffsreise von Koblenz nach Bingen kommt am Loreley-Felsen vorbei, ohne Heines „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ vom Tonband zu hören. Ein Klagelied wäre zu singen über den Verschleiß des poetischen Worts durch seine sentimentale Vermittlung. Eichendorff ist eines der Opfer.
Aus dem Volkslied schöpfte Eichendorff sein Vokabular der Gemütsbewegung. Vorgefundene Motive übernahm er in ein Lied, von dem vor allem die erste und die letzte Strophe vertraut sind: „In einem kühlen Grunde / Da geht ein Mühlenrad, / Mein’ Liebste ist verschwunden, / Die dort gewohnet hat.“ „Hör ich das Mühlrad gehen: / Ich weiß nicht, was ich will – / Ich möcht’ am liebsten sterben, / Da wär’s auf einmal still.“ Über dem Grundriß dieser Weise improvisiert nun Rühmkorf das Thema weiter.
Aber dies ist nicht mehr das poetisierende, die spröde Volksliedsprache schmiegsam und den Ton noch inniger machende Variationsmuster, dem Eichendorff folgte. Der Autor des zwanzigsten Jahrhunderts, der Nachkriegszeit, unterkühlt das alte Thema. Rühmkorf, Vagant zwischen Walther von der Vogelweide, Brockes und Klopstock, zwischen Matthias Claudius, Hölderlin und Heine, läßt die Weisen der lyrischen Tradition auf dem Resonanzboden neuer Erfahrungen gebrochen widerhallen.
Ist dies Parodie, so doch keine, deren Sinn im komischen Effekt aufgeht. Es werden ja auch Wendungen – die von der Untreue der Liebsten oder vom Todeswunsch – wörtlich übernommen; ganz aus dem Kopf und aus dem Herzen sind die „alten rührenden Weisen“ – so Rühmkorf in einem Kommentar – nicht verdrängt. Aber es überwiegen doch die Verfremdungen, die das Empfinden und das Wünschen des Eichendorffschen Gedichts umpolen.
Mit Anspielungen auf das Industriezeitalter, mit Kollergang (Zerkleinerungsmaschine) und Bessemerbirne (Anlage zur Stahlerzeugung) hebt Rühmkorf in der ersten und der letzten Strophe die idyllische Welt des Mühlentals aus den Angeln. Die Sehnsucht des Enttäuschten, in Eichendorffs Gedicht auf das Leben des Spielmanns und des Reiters gerichtet, auf Schlacht und Lagerfeuer, wird ironisiert im Wunsch nach dem Reise- und Heldenabenteuer Karl Mays und nach einer menschlichen Primitivform, wie sie in Swifts Gulliver die Yahoos verkörpern.
Mit Romantik füllt die alte Weise den Kopf, aber was durch diese Romantik inspiriert wird, gerät nur noch zu gedanklicher Spreu. Der hier spricht, ist kopflastig und zugleich des Kopfes überdrüssig. Da mischt sich in die Eichendorff-Parodie ein Echo auf Gottfried Benn, von dem Rühmkorf eine Zeitlang fasziniert war, ein Nachhall seines Abgesangs auf das zerebrale Ich.
Durch alle Verfremdungen aber schlägt der Mollton der „alten rührenden Weise“ hindurch. So enthüllt die Eichendorff-Parodie, was Peter Rühmkorf auch ist, nicht nur Ironiker und Provokateur, Vagant und Straßensänger, Virtuose des Reims und Akrobat auf dem „Hochseil“ der Poesie, sondern auch ein Zweifler und Melancholiker – Dichter aus dem Geblüt Shakespearescher Narren.

Walter Hinckaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zehnter Band, Insel Verlag, 1986

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00