Erich Arendt: Sämtliche Gedichte – Bergwindballade

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Erich Arendt: Sämtliche Gedichte – Bergwindballade

Arendt: Sämtliche Gedichte – Bergwindballade

GARCÍA LORCA

Du grüner Wind! O Sang heißblütiger Gitarren!
Du Mondlicht still, am Munder der Zigeunerin! −
Mit einem Mal verweht – nun knarrt der
aaaaaSchinderkarren
hart durch Granadas Traum, den du besungen, hin…

und Schüsse fliegen, und es falln wie Vogelschatten
die Menschen rings. Unkenntlich liegt im Sand der
aaaaaNacht
die schöne Stirn: Die Mörder deines Lebens hatten
dein Lied gehaßt, von Sternensturm und Glanz entfacht.

Durch Andalusiens Gärten tobt der feige Mord.
Mit stummen Fäusten kämpft dein Volk. −
aaaaaaaaaaDoch wenn es wieder
froh deine Strophen singt im großen Schlußakkord,

dann, Männer, stimmet die vergessenen Gitarren,
dann brause, Sierrawind, daß die Nevada glüh’!
Zigeunerinnen lächeln von Balkonen nieder:
Hell brennt in Flammen auf dem Platz der Schinderkarren!

 

 

 

Erich Arendts Bergwindballade

Mit diesem Band, in dem Erich Arendt nach seiner Rückkehr aus dem Exil wieder in Berlin seine Gedichte des spanischen Freiheitskampfes (Dietz Verlag. Berlin 1952) erscheinen läßt, versucht er mit der im Jahr zuvor herausgegebenen Gedichtsammlung Trug doch die Nacht den Albatros (Verlag Rütten und Loening, Berlin 1951) eine Bilanz seines dichterischen Schaffens, wie sie ihm damals gültig erschien. Damit stellte er sich, mit nahezu fünfzig Jahren, da seine frühen Versuche aus den zwanziger Jahren in Herwarth Waldens Zeitschrift Sturm längst in Vergessenheit geraten waren, dem Leser in Deutschland als Lyriker vor.
Neben Versen, schon während eines ersten Spanienaufenthalts 1934 notiert, stehen im Zentrum des Bandes Gedichte, die, unmittelbar neben seiner Tätigkeit als „Frontberichterstatter“ skizziert, als „keine von der Ideologie geprägten Gedichte“ von ihm akzeptiert wurden; dazu Strophen, zuerst aufgezeichnet, als er 1941, auf dem Weg ins südamerikanische Exil nach Kolumbien, durch das inzwischen von Franco eroberte Spanien fuhr; schließlich der Zyklus Bergwindballade, der unter dem Motto „Rückblickend singe ich“ erst 1950 in Deutschland entstand, als er den Spanien-Gedichten ihre endgültige Form gab.
Ein Blick auf die unsteten Jahre der Verfolgung und des Widerstehens dieses Kommunisten, der sich immer als Einzelgänger, als Vagant sah – „ein idiotos, wie die Griechen es nennen“ – geben den zeithistorischen Hintergrund für diese Dichtung.
Nachdem Erich Arendt, Mitglied der KPD und des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, nach dem Reichstagsbrand 1933 den Haussuchungen und der drohenden Verhaftung durch die Nazis entgangen, mit seiner als Jüdin bedrohten Frau Katja Hayek-Arendt zunächst in die Schweiz entkommen konnte, bot sich ihm 1934, nach erfolglosen Versuchen in Barcelona Fuß zu fassen, eine Hauslehrerstelle auf der Insel Mallorca, die er 1936 – „Mallorca war sofort in den Händen der einheimischen Faschisten“ – wieder fluchtartig verlassen mußte, sich über Italien und Südfrankreich nach Barcelona durchschlug, um sich in Verteidigung der Republik gegen die Franco-Putschisten in die katalanische 27. Division „Carlos Marx“ einzureihen. „Ich wollte Frontreportagen machen und nahm mir vor, die Geschichte dieser 27. Division zu schreiben“. Silvia Schlenstedt ist es erst 1986 gelungen, verlorengeglaubte Texte Arendts, die in der Wochenschrift Mirador (Madrid) und in den Zeitungen Treball und La Llibertat in katalanischer Sprache erschienen, wiederaufzufinden: Spanien-Akte Arendt (Hinstorff Verlag. Rostock 1986); dort auch Verse, die dann in der Zeitschrift Internationale Literatur in Moskau (Redaktion Johannes R. Becher) in deutscher Sprache veröffentlicht wurden.
„Von den deutschen Schriftstellern, die auf Seiten der Republikaner gegen den Faschismus kämpften, agierte keiner in so großer Nähe zu den Spaniern und integrierte kein anderer sich so intensiv in die politischen und kulturellen Auseinandersetzungen des Landes“ (S. Schlenstedt) wie Arendt, der seitdem mit der spanischen Sprache so vertraut wurde, daß er ab Mitte der fünfziger Jahre als kongenialer Übersetzer spanischer und lateinamerikanischer Poeten anerkannt war, Gedichte von Rafael Alberti und Vicente Aleixandre, von Miguel Hernandez und César Vallejo, von Nicolás Guillén und schließlich nahezu das Gesamtwerk von Pablo Neruda in Ost- und Westdeutschland bekannt machte; aus Nerudas Zyklus „Spanien im Herzen“ stellt er jeweils Verse den Kapiteln seines Buches Bergwindballade voran.
Erich Arendt hat, zur Entstehung seiner Spanien-Gedichte befragt, davon gesprochen, daß sich ihm aus den existentiellen Situationen an der Front, die ihn unmittelbar betrafen, aus Bedrohung und Angst, Tod und Überlebenswillen „das Elementar-Menschliche im Politischen lebendig“ offenbarte, eine ihm bis dahin unbekannte Intensität des Hier- und Daseins, die seinen Sonetten und balladesken Strophen den poetischen Impetus verlieh, sie zu wahrhaftigen Zeugnissen jener tragischen Ereignisse im Vorfeld des 2. Weltkrieges werden zu lassen.
Sieht man von den in späteren Jahren nachgetragenen „Rückblicken“ ab, die Arendt später nicht mehr gelten ließ, da sie dem Zeitgeist der fünfziger Jahre in der DDR auch Tribut zollen – wir geben die Gedichte getreu nach der Ausgabe von 1952 – zählen Erich Arendts Spanien-Gedichte in ihrer suggestiven Bildhaftigkeit sicher zur bleibenden deutschen Lyrik des Exils von 1933-1945, gültig, über die dokumentarische Authentizität ihrer Zeit hinaus.

Gerhard Wolf, Nachwort

 

Beiträge zu diesem Buch (andere Ausgabe):

Günter Caspar: Gesänge vom Kampf um die Freiheit. Gedichte von Erich Arendt, Nationalpreisträger 1952
Neues Deutschland, 13.1.1953

Harald Kohtz: Probleme der Lyrik
Neue Deutsche Literatur, Heft 1, 1953

Heinz Piontek: Erich Arendt
Welt und Wort, Heft 1, 1953

Günther Deicke: Bergwindballade
Aufbau, Heft 2, 1953

 

Gesänge vom Kampf um die Freiheit

− Gedichte von Erich Arendt — Nationalpreisträger 1952. −

Außer Freunden und Genossen, den Kampfgefährten in Spanien und im Exil kannten bisher nur wenige den Dichter Erich Arendt. Er weilt auch noch nicht lange unter uns; erst 1950 konnte er heimkehren. Bald erschienen dann seine Übertragungen südamerikanischer Dichtungen: des Chilenen Pablo Neruda, des Kubaners Nikolás Guillén, vieler anderer. Den Lyriker Erich Arendt lernten wir jedoch erst kennen, als 1951 der Band Trug doch die Nacht den Albatros (Verlag Rütten & Loening) und dann die Bergwindballade (Dietz Verlag) erschienen.
Der Dichter, 1903 in Neuruppin geboren, entstammt dem Proletariat: Sein Vater war Heizer, die Mutter Magd. Arendt lebt von Kindheit an ein schweres Leben, übt viele Berufe aus, durchwandert mehrere Jahre lang Deutschland, beginnt nach dem ersten Weltkrieg Gedichte zu schreiben — dem Zug jener Jahre folgend als Expressionist. 1926 tritt Erich Arendt der Partei bei und wird ein aktiver Kommunist, wirkt seit 1928 als Pädagoge im Berliner Arbeiterbezirk Neukölln.
1933 muß auch Erich Arendt Deutschland verlassen, beginnt auch für ihn das unsichere Leben des Emigranten, der ein Kämpfer gegen den Faschismus bleibt: von einem Land gehetzt ins andere, auf der Jagd nach Visum und Transit, im Kampf um die nackte Existenz. Von der Schweiz fährt Arendt nach Mallorca, der größten der Balearen-Inseln. und lebt dort, bis er 1936 in dem Sonett „An den Dichter“ rufen muß:

Nun ist es Zeit, die Feder fortzutun.

Auch Erich Arendt geht in die spanische Republik.

Jetzt zeig, ob das, was du geschrieben, gilt!

Auch er kämpft gegen die „Feinde unseres Lebens“ und verteidigt seine Heimat in einer katalanischen Division. Hier, während der Schlacht für die Freiheit, entstehen mit die schönsten seiner Gedichte.
Dann folgen Jahre der Illegalität in Frankreich. Abenteuerlich ist des Dichters Weg 1941 aus einem französischen Internierungslager durch Franco-Spanien, vorbei an den Schlachtfeldern Kataloniens, über den Ozean nach Südamerika, nach Kolumbien. Hier bringt Arendt, arbeitend und kämpfend, dann fast zehn Jahre mitten unter den Negern und Indios dieses halbkolonialen, tropischen Landes zu, bis ihn ein polnisches Schiff nach Europa bringt.
Bei der Verleihung des Nationalpreises an Erich Arendt wurde gesagt, seine Dichtung sei von kämpferischem Humanismus getragen. Das ist die treffendste Charakterisierung. Des Dichters ganze Liebe gilt den einfachen Menschen, die sich gegen jahrhundertealtes Unrecht auflehnen und beginnen, sich ihrer selbst bewußt zu werden. Sie besingt er, für sie kämpft er mit der Waffe seines Gedichts. Das sind vornehmlich Fischer und Bauern: balearische Fischer und Fischer von den Küsten Kolumbiens, Bauern der Toskana und aragonesische Bauern, Bauern-Soldaten der spanischen Volksarmee und das Landproletariat der Neger auf den Zuckerrohrfeldern der Tropen. Betrachtet man nun die Lyrik Erich Arendts von solchen Voraussetzungen aus, dann wird es verständlich, warum bei ihm die Landschaft eine so große Rolle spielt, und auch warum uns manche seiner dichterischen Bilder fremd erscheinen. (Es mag auffallen, daß es bei Arendt so gut wie keine Deutschland-Dichtung gibt: Ein umfangreiches Manuskript ging dem Dichter während der Wirren des Exils verloren.)
Die beiden Bände sind unabhängig von der Entstehungszeit des einzelnen Gedichts inhaltlich gegliedert: Trug doch die Nacht den Albatros in Teile wie „Das Mittelmeer“, „Zeiten und Gestalten“, „Tolie“ (ein kolumbianisches Negerdorf): Bergwindballade enthält die Gedichte des spanischen Freiheitskampfes. Wir finden viele Formen — vom Sonett bis zu freien Rhythmen —, Formen, die Erich Arendt gut beherrscht: seine Sprache ist klar, wenn auch oft nicht einfach.
Ein Gedicht steht und fällt mit seinen Bildern; Arendt schreibt allgemein in konkreten, plastischen eingängigen Bildern. „Der Albatros“ zum Beispiel, das Gedicht, das dem Band den Titel gibt, ist schön und inhaltlich bedeutend gerade durch das Bild: der schnell fliegende, mit den Schiffen reisende Albatros begleitet den Dichter auf der Fahrt nach Kolumbien; durch dieses vielfach variierte Bild werden Trauer, Sehnsucht, Hoffnung, Kampf, Gewißheit ausgedrückt.
Gerade weil das Gedicht viel unmittelbarer die Emotionsfähigkeit berührt als andere literarische Formen, ist es besonders wichtig, daß der Autor von der subjektiven zur objektiven Aussage kommt. Das gelingt Arendt, fast durchweg, weil er vom Konkreten ausgeht und Eindrücke mitzuteilen versteht, weil er sich andererseits nie auf die bloße, nackte Darstellung seines Themas beschränkt sondern das bunt-lebendige Leben wiedergibt. In diesem Sinne sind seine Landschaftsgedichte konkret schön: „Nacht auf Ibiza“ (Balearen-Insel), „Venedig“, „Avignon“, „Fez“, „Der Mistral“ (jener in Südfrankreich oft verheerend wütende Wind). Hier finden wir nun Gedichte, die bloße Eindrücke gestalten, andere, die im Erkennen menschlich- gesellschaftlicher Beziehungen tiefer schürfen. Ein Beispiel: „Markt in Tetuan“ (1935) ist nur ein farbenprächtiges Bild dieser marokkanischen Stadt; „Cádiz“ (1941), ein dreiteiliges Gedicht aus Bergwindballade zeigt dagegen weitaus mehr: zuerst die Nacht über der Stadt; dann enthüllt der Morgen die erbärmliche Wirklichkeit des Franco-Regimes; der dritte Teil beginnt:

Zertreten liegt der Traum, den falsch die Nacht beschwor.

Diese Desillusionierung wirkt fast wie eine Kritik an früheren Gedichten, die nur Bilder gaben.
Manchem Leser mag der Zugang zur Lyrik Erich Arendts dadurch erschwert sein, daß in vielen Gedichten (aus „Mittelmeer“, „Zeiten und Gestalten“, „Frankreich“) ein großes Bildungsgut, recht eingehende Kenntnisse der Mythologie, der Literatur und bildenden Kunst vorausgesetzt werden. Machen wir uns an einem Beispiel verständlich. Sehr eindrucksvoll ist „Toskanische Bauern“ ein Gedicht, in dem die Landschaft der Toskana plastisch wird und das uns die „Freiheit“ der Bauern — frei vom Landbesitz — gerade im Gegensatz zur Schönheit des toskanischen „Gartens“ zeigt: es endet damit, daß den pflügenden Bauern „der Freiheit Wort“ erreicht:

… Sein Blick umfaßt das Land. Er drückt es an sich. Und mit großer Hand schreibt er ans Gutsherrntor das Sichelzeichen.

Nun kann aber nur der das Gedicht ganz verstehen, der Arendts Vergleichen zu folgen vermag, denn der Dichter gebraucht, um all das auszudrücken, solche Bilder, die erst Leben gewinnen, wenn man die Renaissancemaler Gozzoli und Botticelli kennt, mit Dantes Namen feste Vorstellungen verbindet und weiß, welchen Platz Herakles in der antiken Mythologie hat. Hier ist also der Zugang durch eine Überladung unnötig erschwert.
Einen besonderen Platz nehmen die Gedichte um das Dorf „Tolie“ ein. Hier spricht Arendt von fremden fernen Ländern eben auch in fremden Bildern, im Grunde aber macht uns die Kraft der Gestaltung die Tropen, Sumpf, Urwald, Steppe, Reisfelder, dörrende Sonne und südlichen Nächte nah und fast vertraut. Der Dichter besingt vor allem das Schicksal der Neger, die grausame Versklavung, das jämmerliche Elend und ihren Haß gegen die weißen Herren, die Rebellion und den Aufstand. Wohl heißt es in dem schlichten „Liebeslied“ eines Negers: „Denn schwarz geboren werden, / ist schwer. / Es ist schon wie sterben“, aber dann wächst die Klage zur Anklage und die Anklage zum Widerstand. Die Machete, das schwere, gebogene Haumesser der Reis- und Zuckerrohrarbeiter, wird zum Symbol der Rebellion („Das Lied von der Machete“); ein andermal, im „Gesang vom Kanu“, steht die Drohung;

Daß aus der Nacht des Negers nicht die Machete fahre.

Höhepunkt sind der Gesang auf die Bruderschaft zwischen Neger und Indio („Licht im Auge des Indios, / Licht im Auge des Negers: / Sehend sind die Augen beider“) und das Hohelied auf den Kampf der Kommunisten in „Kolumbianische Ballade“. Arendt trifft hier eine sehr einfache Form, die sich bewußt, ohne primitiv zu sein, im Rhythmus an Negergesänge („Gesang vom Kanu“, „Seit man denken kann“) und erreicht eine hohe Vollendung der Aussage.
In der Bergwindballade ersteht vor uns der Freiheitskampf des spanischen Volkes. Eine zentrale Stellung nimmt dabei das große Gedicht ein: „Wir haben im Rücken einen Freund“, 1937 zwischen aragonesischen Bauern und den Soldaten des Volksheeres geschrieben zur Ehre des Großen Oktober, seines zwanzigsten Jahrestages. Hier wird klar, wie tief das Jahr 1917 in die ganze Welt eingegriffen hat. Auch die spanischen Bauern und Soldaten haben in den Sowjetmenschen einen Freund gefunden, der ihnen unsichtbar stets zur Seite steht, der durch das leuchtende Vorbild hilft — denn dieses Heute ist Spaniens Morgen der auch ihnen endlich ein Ziel vor die Augen stellt.

Dieses aber wissen wir,
und es gibt den Mut uns
zum Letzten und Äußersten:
Wir haben im Rücken
einen Freund!

Diese Schlußzeilen des Gedichts aus dem Jahr 1937 haben ihre Gültigkeit unverändert bewahrt — obwohl es für Erich Arendt schmerzvoll war, auf seiner Durchreise 1941 ein „leidendes Land“ zu finden, obwohl die Gedichte dieser Fahrt schmerzerfüllt sind, denn auf den Schlachtfeldern, über die er jetzt wieder ein Flüchtling, fährt, sind die Kämpfer für die Freiheit unterlegen. Aber da wächst — widergespiegelt in den Gedichten des Jahres 1950 aus dem neuen Leid das neue Lied des Widerstandes. In der „Ballade von der Selbsthilfe“ ertönt der „Heldenmut und die Kameradschaft der Hütten“, wenn die Bauern den Raubvogt Francos erschlagen. In der Bergwindballade erhebt sich „der Partisanen tiefer Wind“, steigt von den Bergen, geht durch das Land, hält Gericht über die verhaßte Guardia Civil; es ist der Morgenwind, der zum Sturm der Zukunft werden wird, wie es die Kinder singen:

Wenn wir dereinst die Männer sind,
dann lebt auf Erden nur der Wind,
das Glück, der Wind und wir!

Diese jüngsten Gedichte, knapp in der Form, weit in der Aussage, voll in der Sprache sind ein schöner Höhepunkt der Gestaltungskraft Erich Arendts.
„Europa, / so singe ich / deine Veränderung“ schließt der „Gruß an Europa“, geschrieben auf dem polnischen Schiff, das den Dichter der Heimat zuträgt. Und heimgekehrt hört er das Lied der Spanienkämpfer, wie es „härter heut tönt im siegenden Fels“, gesungen von jungen Stimmen:

Das Lied unseres Kampfes, schon tragen es Kinder nach vorn…

So fand auch Erich Arendt zum erstenmal im Leben sein Vaterland: in unserer jungen Republik, die ihn ehrte und die noch viel von ihm erhofft.

Günter Caspar, Neues Deutschland, 13.1.1953

Das Lied des Albatros

− Zum 50. Geburtstag von Erich Arendt. −

Über viele Straßen der Welt kam Erich Arendt nach Deutschland zurück, vor drei Jahren erst, nachdem er vor 20 Jahren seine Heimat verlassen mußte. Als er 1933 auszog, sank die Nacht des Faschismus über Deutschland. Durch quälend lange, weil einsame Nächte, durch branddurchlohte Nächte des gemeinsamen Kampfes ging der Dichter in den folgenden Jahren.
Die erste Station seiner Weltwanderung war Mallorca auf den Balearen, jenes Eiland nahe der Küste Spaniens, das er nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz für sich und seine Frau als Exil wählte. Der Inselgarten im Mittelmeer, seiner „langen Irrfahrt Ziel“, war damals letzte Zuflucht für viele Künstler- und Dichterträume. Als aber Francos Räuber, als der Tod mit Panzern auch zur Insel kam, war dieser Traum zu Ende.

Nun ist es Zeit, die Feder fortzutun:
der Mensch kämpft mit den letzten Waffen!
Die Helden, die dein Herz im Trotz erschaffen,
sie fordern Rechenschaft von deinem Tun…
Du Dichter, mußt vor ihnen durch die Tat bestehen…
jetzt zeig, ob das, was du geschrieben, gilt!

Und der Dichter und Kämpfer Erich Arendt bestand vor ihnen. Auf den Schlachtfeldern Spaniens, wo auch seine Frau als Krankenpflegerin Dienst tat, organisierte er fliegende Bibliotheken, schrieb er Frontreportagen und verteidigte er mit der Waffe in der Hand als Soldat Freiheit und Menschenwürde.
Immer stand der Dichter auf der Seite der Schwachen und Bedrohten. In den frühen Versen von seinen italienischen und nordafrikanischen Reisen, in den Gedichten aus Venedig, der Toscana, aus Tetuan, Fes und Marrakesch, im „Erntelied auf Mallorca“ schlug das Herz des Mitfühlenden für die Unterdrückten, und in den Schützengraben Kastiliens schrieb er, ihr aller Mitstreiter und Waffengefährte, jenen großartigen Hymnus der Bruderschaft aller Freiheitskampfer: „Wir haben im Rücken einen Freund!“ das Bekenntnis zur großen Sowjetunion, zu Stalin, dem Freunde aller unterdrückten Völker – „geschrieben zwischen aragonesischen Bauern und den Kumpeln des spanischen Volksheeres in der Sierra von Alcubiere und Tardienta zum XX. Jahrestag des siegreichen Oktober.“
Als der Verrat der westlichen Staaten das Schicksal Spaniens entschieden hatte, floh Arendt auf Saumpfaden über die Pyrenäen nach Frankreich: den Lagern Pétains entkam er später auf abenteuerlicher Flucht nach Südamerika. Zehn Jahre lebte Arendt in Kolumbien, arbeitend unter dem Volk, mit Indios und Negern, bis ihn 1950 ein polnisches Schiff in die alte Heimat brachte.
Erich Arendt wurde am 15. April 1903 in Neuruppin geboren. Die bittere Not der elterlichen Kellerwohnung lernte das Proletarierkind in harter Jugend kennen, sie zu überwinden ist der junge Lehrer in Neukölln Mitglied der KPD geworden. Er schrieb seine ersten Kampfgedichte und leitete Arbeitersprechchöre, er lehrte die Arbeiter das Wort der Freiheitsdichter ihrer Klasse; dem Aufbruch der Unterdrückten unter dem aufrüttelnden Wort der Dichter diente auch der Emigrant als einfühlender Übersetzer. Aus den südamerikanischen Tropen brachte uns der Heimkehrer die Botschaft vom Freiheitskampf der lateinamerikanischen Völker. Die Verse und Gesänge Pablo Nerudas und anderer südamerikanischer Freiheitsdichter enthält der Band Die Indios steigen vom Mexico nieder, die Gedichte von Nikolás Guillén, des Sängers der Antillen, erschienen in der Sammlung Bitter schmeckt das Zuckerrohr (beide im Verlag Volk und Welt).
Über sein eigenes Wander- und Kämpferleben gibt er in zwei Lyrik-Bänden Bericht: Trug doch die Nacht den Albatros kündet von seiner Ulyssesfahrt durch viele Länder und Heimkehr (erschienen bei Rütten & Loening), die Bergwindballade (Dietz Verlag) enthält seine Dichtungen aus dem spanischen Heldenkampf.
Es ist eine gewandelte Heimat, die Erich Arendt empfing. Wofür er hier vor 20 Jahren und überall in der Welt stritt, ist in ihr heute Wirklichkeit geworden, die Nacht ist endgültig vorüber. Diese verwandelte Heimat verlieh dem Dichter im vorigen Jahr den Nationalpreis, „dem Dichter des kämpferischen Humanismus“, dessen heißes Kämpferherz auch in kubanischen Gitarren und in den Trommeln südlicher Urwälder schlägt. Heute vollendet Erich Arendt sein 50. Lebensjahr: Bote erwachender Kontinente — der Heimat frohlockender Verkünder:

… Europa, so singe ich deine Veränderung!

B. N., Berliner Zeitung, 15.4.1953

Über die „authentische Natur des Menschen“

in den Kämpfen der Zeit

– Spanienzeugnisse Erich Arendts, von Silvia Schlenstedt aufgefunden. –

Grundlagenforschung ist auch für die Literaturwissenschaft unerläßlich. Diese Binsenwahrheit hat Zeit gebraucht, sich bei uns durchzusetzen. Dennoch haftet an solchen Unternehmungen auch heute mitunter der Ruch selbstgenügsamer positivistischer Vervollständigung historischen oder biographischen Materials. Das mag namentlich dann der Fall sein, wenn sich der Literaturforscher in Unkenntnis der tatsächlichen Beschaffenheit vermuteter Dokumente zunächst vor „fernen“ Ort begeben, aufwendig suchen, sammeln und übersetzen muß, um etwas Greifbares in die Hand zu bekommen; denn ob es aufschlußreich und tragfähig ist, erweist sich erst im nachhinein. Von Silvia Schlenstedts Katalonienaufenthalt darf man sagen, daß er zu einem literaturwissenschaftlichen Glücksfall geworden ist: Die von ihr aufgefundenen, dem hiesigen Leser bislang unbekannten Texte Erich Arendts aus dem Spanienkrieg verbreitern nicht nur die Basis unserer Beschäftigung mit diesem bedeutsamen Autor und werfen nicht nur ein neues Licht auf den Wirkungszusammenhang, in dem er stand, und auf sein Verständnis der widersprüchlichen Einheit von Poesie und Politik, das er praktizierte. Sie stellen darüber hinaus eine Differenzierung und Bereicherung der Begriffsinhalte „Kampf“, „Widerstand“ und „Revolution“ dar, wie sie einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft notwendig waren und sind.
Der Titel der Textsammlung, Spanien-Akte Arendt, verdankt sich nicht dem Einfall der Herausgeberin. Anders als in den 1981 erschienenen Publizistik- und Lyrikbänden Hermann Kants und Adolf Endlers mit ihren miteinander korrespondierenden Ankündigungen „Zu den Unterlagen“ (sprich: ,Zu den Akten‘) und „Akte Endler“, die von einem (jeweils 1976 verfaßten) autobiographischen bzw. Lyriknotat dieser Autoren abgeleitet worden sind, besitzt der Aufmacher der Arendt-Publikation einen politischen, sozusagen polizeiamtlichen Hintergrund: Wie Silvia Schlenstedt in ihrem Nachwort wissen läßt, gab es noch 1960, „im 22. Jahr der Franco-Herrschaft“, ein Dossier Erich Arendt, mit dem „von Seiten derer, die damals immer noch die archivierten Unterlagen aus dem Bürgerkrieg für die politische Tagespraxis der Staatsbehörden sichteten, Auskunft zum politisch-sozialen Vorleben der Person Arendt gegeben wurde“.1/footnote]
Diese Unterlagen enthalten Arendts Erklärungen über seine Mitgliedschaft in der KPD sowie der UGT (der Gruppe sozialistisch-kommunistisch orientierter katalanischer Schriftsteller), aus der sich jene Autoren rekrutierten, die den an der katalanischen Front eingesetzten spanischen Militärverbänden zugeordnet waren, aber auch aus dem Hinterland, dem Aragón, berichteten. Dies sei auch deshalb vorangestellt, um noch einmal vor Augen zu führen, daß sich Arendt im Unterschied zu den anderen deutschen Schriftstellern, die in Spanien für die Republik und gegen den Faschismus kämpften, nicht den Internationalen Brigaden, sondern der regulären spanischen Armee angeschlossen hatte (was mit seinem wahlverwandtschaftlichen Verhältnis zu diesem Land zusammenhängt – immerhin hielt er sich seit 1934 in ihm auf) und daher wie „kein anderer in so großer Nähe zu den Spaniern“ agierte und wie „kein anderer sich so intensiv in die politischen und kulturellen Auseinandersetzungen des Landes“ integrierte (150).
Arendts Einheit war die – Carlos Marx benannte – 27. Division, seine journalistischen Auftraggeber waren die Wochenschrift für Literatur, Kunst und Politik Mirador und die Tageszeitung Treball (in denen Arendts Beiträge katalanisch erschienen) sowie das mit deutschsprachigen Spalten versehene Blatt La Llibertat, Organe, für die Arendt zwischen 1936 und 1938 publizierte und die den von den Franco-Behörden inkriminierten Hauptfundus des gegen ihn verwendbaren archivalischen Materials hätten bilden müssen. Diesem hinzuzufügen ist das in Barcelona gedruckte Sonderheft Herois („Helden“) mit dem Untertitel „Narracions per a combatents“ („Erzählungen für unsere Kämpfer“), das Arendt gemeinsam mit Joaquin Morera i Falco verfaßte, von dem angenommen werden muß, daß er „in einem französischen Lager gestorben“ (158) ist.
Allein diese den Recherchen der Herausgeberin folgenden Angaben über die Wirkungsmöglichkeiten Arendts beweisen, daß er der Einheit von Künstler und Kämpfer gemäß handelte und in ihr sein spezifisches Widerstandspotential beschlossen sah. Mit seinen Reportagen über den Bürgerkrieg, seinen Porträts republikanischer Soldaten und den von Person und Sache der „Pasionaria“ inspirierten Gedichten verwandelte Arendt seine Feder in ein Instrument, das ins Waffenverzeichnis der Revolution gehört. Aber man wird weder sagen müssen, daß er dabei in Gefahr geriet, zu einem jener Tendenzdichter zu werden, die Heine mit eisernen Lerchen verglich, noch den Eindruck gewinnen, daß er seinem Gesang auf die Kehle getreten sei.
Das erklärt sich aus Arendts Auffassung über die Berufung des Dichters in geschichtlichen Phasen zugespitzter politischer Auseinandersetzung, die mit der marxistisch-leninistischen Ansicht über die Parteinahme des Künstlers in den Kämpfen der Klassen, über die Symbiose von Parteiorganisation und Parteiliteratur konform ging, dem Wahrheitsproblem aber eine solche Stellung einräumte, daß sich daraus Zweckbestimmungen des antifaschistischen Widerstands ergaben, die eigentlich erst heute – im Zeichen der Herausforderung, die Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands verkörpert – entschiedener in die Debatte gelangt sind. Abzulesen ist diese Auffassung Arendts Artikel „Der Schriftsteller und die Revolution“, erschienen in Mirador, April 1937. Ungeachtet seiner Kürze – in der Buchausgabe umfaßt er vier Seiten – hat er programmatische Bedeutung. Arendts Standpunkt ist unmißverständlich:

Shelley in England, Ibsen in Skandinavien, Cervantes in Spanien, Anatole France in Frankreich, Walt Whitman in den Vereinigten Staaten, alle begriffen, daß Schreiben bedeutet sich einzumischen, teilzunehmen an den sozialen Kämpfen ihrer Zeit. (19)

Von deutschen Schriftstellern werden Lessing, Schiller, Heine, Büchner und Herwegh genannt, mit Abstrichen „der eklectische ,olympische‘ Goethe“ (18f.); von den russisch-sowjetischen Autoren finden exemplarisch Tolstoi und Gorki Erwähnung. Mit Bezug auf dieses streitbar-poetische Erbe fällt hier das Wort von der „Gestaltung der authentischen Natur des Menschen“, die der Vergegenständlichung des Kampfes immanent sein müsse und diese mit den universellen Verbindlichkeiten der Menschheitsgeschichte verklammere: An eine „Wahrheit“ „von unten“ wird erinnert, die dem Vermögen entspreche, „den Raum für menschliches Leben zu erweitern“. (18 und 19)
Der Begriff des Authentisch-Menschlichen, mit dem Arendt operiert, ist doppelt gewichtet: Er zielt auf genau bestimmbares und mithin unverwechselbares Dasein in geschichtlich bedingter Zeit und lokaler Gegebenheit, und er zielt darüber hinaus und atmosphärisch davon ungetrennt auf das Hervortreiben von Menschenwürde und menschlicher Gattungsnatur. Der mit der wirklichen Bewegung verbundenen Literatur wird somit die Aufgabe zugeschrieben, die Kämpfe der arbeitenden Klassen gegen die Kriegspartei nicht selbstzweckhaft „als solche“ zu vermitteln, sondern deren historisch emanzipativen Sinn herauszuschälen. Der vom Kriterium der „authentischen Natur des Menschen“ getragene Ansatz der Arendtschen Spanientexte kann als Keimform einer „Ästhetik des Widerstands“ betrachtet werden. In diesen Texten nimmt Gestalt an, was die theoretischen Deduktionen ihres Autors charakterisiert.
Es gehört zum Menschen, daß er sich nur zögernd von dem zu trennen vermag, das seinen Fleiß und seine Mühen birgt, und so gehört es zur Wahrheit des spanischen Bürgerkriegs, daß gerade jene Bauern, die wenig, aber doch ein Stück Acker und ein paar mehr Stück Vieh besaßen, nur schwer zu bewegen waren, beim Nahen der Francisten in die Evakuierung einzuwilligen, auch wenn sie wußten, daß ihnen die Republikaner materielle Hilfe leisten würden. Arendt verweilt bei solchen Details, er schildert, wie stark die Verwurzelung empfunden wurde mit dem, was man „unter den Füßen“ hatte, und wie unmöglich es den Landleuten schien, sich weiter als auf Sichtweite von der ihnen „vertrauten Welt“ zu entfernen (112 und 111). Nichts drückt das Beharrungsvermögen der Armen und Bedürftigen, ihre Treue zum Herkommen, ihr Verwachsensein mit dem Angestammten besser aus als die von Arendt in einem seiner Berichte herausgehobene, dem Bangen vor jedwedem Exodus geschuldete Frage:

Aber, Herr Offizier, was soll aus uns werden, die wir nichts besitzen? (111)

Der „Macht, höher als sie“, die ihnen gebietet, „in Reichweite der Granaten zu bleiben“ (112), sucht sich Arendt zu vergewissern: Es ist die Spur der Arbeit, die Spur der wirklichen Freuden und wirklichen Leiden, auf die er dabei stößt, und so verwundert es nicht, daß wir nahezu vierzig Jahre vor Peter Weiss in Arendts Spanienzeugnissen bereits jenen Gesichtspunkt ausgebildet finden, der den von Menschen ur- und bewohnbar gemachten Boden als Landschaft der Arbeit erleben läßt, als eine Landschaft, die durch die Verquickung mit dem Widerstand gleichsam eine reichere Gliederung erfährt und ein Antlitz annimmt, dem der Aufbruch in die Gemeinschaftlichkeit eingeschrieben ist:

Es herrschen Begeisterung und Brüderlichkeit zwischen unseren Soldaten und den Bauern. (63)

Und unter dem Schutze derer, die ihrer Herkunft und ihres revolutionären Auftrags versichert bleiben, „fallen die Halme“ und wandert das Getreide „in den Speicher der Kollektive“ (36). Wo die Republikaner das Terrain beherrschen, gedeiht Arbeit darüber hinaus auch als Kultur-, als Lernarbeit, und dies in einem elementaren Sinn: Analphabeten tauschen, wo es Gelegenheit dazu gibt, das Gewehr mit dem Schreibstift, und die Cartilla escolar antifascista, die Antifaschistische Schulfibel, wird zu einem Meßtischblatt eigener Art. Wiederholt hat Arendt für diese menschenfreundliche Kampagne geworben, ebensogroße Aufmerksamkeit aber auch der Kunstbetätigung zugunsten der Kämpfenden gezollt. (Ausführlich geht er auf die Werkidee des von einem Komitee der Volksarmee in Barcelona herausgebrachten, auf einem Roman von Artur Campion fußenden Stückes Pedro Mari ein, da es als szenische Demonstration des Freiheitsproblems geeignet schien, eine substantielle Politisierung des in revolutionärer Hand befindlichen Theaters einzuleiten.) Auch hier ist es möglich, den Bogen nach vorn zu schlagen: Denn wie sehr viel später Peter Weiss Spanien nicht zuletzt als ein Übungsfeld darstellen sollte, auf dem auch erprobt wurde, was der tieferen Zwecksetzung des Widerstands dient – das Anfechten gegen die Sprachnot der Widerstandswilligen, das Ringen um ein anderes Sehen, ein neues Denken –, so läßt schon Arendt in seinen Augenzeugenberichten aus den dreißiger Jahren keine Gelegenheit ungenutzt, das gutzuheißen, was der Artikulationsfähigkeit und dem Selbstverständnis der Kämpfenden aufhalf. Auch ihn begleitete der Gedanke der doppelten Revolution, dem zufolge die Aktionen gegen die Unmenschlichkeit zugleich Aktionen für die Mobilisierung aller – unterdrückt, verbraucht gewesener – humaner Energien sein müssen. In der „Ersten Reihe“ der gesellschaftlichen Umwälzung stehen für ihn der Sache nach kompromißlose, aber allseitigem Empfinden aufgeschlossene Antifaschisten. Hermlin hat den Gedenkblättern seiner hier zitierten Sammlung eben diesen komplementären Begriff des Revolutionärs untergelegt, indem er zum inneren Maßstab erhob, was er in der Würdigung Käthe Niederkirchners an deren Vorbild Rosa Luxemburg herausstellte: daß sie „unerbittlich und flammend und den Menschen zugetan… und zugleich vertraut mit Blumen und Vögeln und den Liedern und Gedichten der Klassiker“[footnote]Stephan Hermlin: Die erste Reihe. 4. Auflage, Berlin 1975, S. 130 gewesen sei. (Ist es ein Zufall, daß Arendt erwähnt, wie sich die Soldaten des Volkes „in die Wüste und Trostlosigkeit der Schützengräben“ Tiere – und sei es „einen federlosen, häßlichen jungen Falken“ – hereinholen, sich mit ihnen einlassen, sich um sie kümmern und sie allerlei lehren, vor allem aber wohl: sich damit Möglichkeiten der Wahrnehmung und des Empfindungstrainings aufrechterhalten? (102))
Arendts bewußtseinsbildend intendierte Texte waren, wie wir sagten, der ganzen, widersprüchlichen Wahrheit und dem emanzipativen Sinn der zerreißenden Klassenkämpfe zugewendet. Der Sensibilisierung von Leitvorstellungen diente zweifellos auch, daß Arendt mit der Natur des Menschen und der Natur der Sache vereinbar fand, daß Helden Angst haben können und (wie Fühmann mit Blick auf das Märchen schrieb)2 vor Furcht gleichsam an den Strängen zerren, je weiter sie hinab gelassen werden, die Tiefe des Schrecklichen auszumessen. Beinahe leitmotivisch durchzieht Arendts Berichte und literarische Porträts die Beobachtung, daß Heldenmut und Heldentum erworben werden müssen, daß das Erkämpfen dieser Eigenschaften sie menschenwürdig macht, weil ihnen dann jene Leidens- und Mitleidensfähigkeit eingegeben bleibt, die den Helden über den Empfindungslosen erhebt. Flankiert vom Motiv der Pflichterfüllung, behauptet diese Überzeugung Raum: in der „Geschichte von Pere, dem Soldaten, der Angst hatte“, im Porträt des Rekruten, der mit Koffer und Regenschirm an der Front eintrifft und dafür zunächst nur Gelächter erntet, in der Erinnerung an die jung eingezogenen Fischer aus Galicien und von den Kanarischen Inseln sowie an Carles, den anfangs „Leichtfertigen“, „Lärmenden“ (140), der am Ende seinen Mann steht wie die anderen neben ihm.
Die Arendts Bürgerkriegspublizistik innewohnende Diskussion des Heroismus und seiner authentischen Bildungsgeschichte wird ergänzt durch Fingerzeige auf die Bewährung des Heldentums auch dort, wo es nicht der kämpferischen Tugenden bedurfte. Peter Weiss schildert im ersten Teil der Ästhetik des Widerstands detailreich, wie der Mediziner Hodann, sekundiert vom Ich-Erzähler, auf der Krankenstation Cueva und später im Sanitätstrakt von Denia die aus der Front notgedrungen Herausgelösten und zu scheinbar inhaltslosem Warten Verurteilten vor Persönlichkeitsverlust zu bewahren versucht, indem er sie zwingt, sich „mit Worten, die in ihrer Sprache vorhanden waren“,3 Rechenschaft über ihre Situation zu geben und Gewißheit über ihr jetziges und künftiges Gebrauchtwerden zu erlangen. Hodann hofft, auf diese Weise psychische Überbelastungen abbauen und latente Aggressionen kanalisieren zu können. Arendt schildert, wie die Führung der regulären spanischen Armee es sich sehr wohl angelegen sein ließ, ein kurzschlüssiges und zynisch auf Kriegshandwerk reduziertes Verständnis des antifaschistischen Widerstands zu untergraben, auf Bewährung an der Front und im Hinterland zu orientieren und das Bewußtsein zu schärfen, daß die Widerstandshandlungen der Republikaner Solidarisierungsaktionen mit dem Volke und somit einer Teilhabe an der Wege-Ebnung zum „Großen Frieden“ gleichzusetzen sind (siehe die Artikel unter dem Sammeltitel „Volkssoldaten und Bauern. Bilder aus dem Frontgebiet im Alto Aragón“ von Dezember 1937).
Arendts schriftstellerische Arbeiten während des spanischen Bürgerkriegs waren Adressatendichtung im besten Sinn des Wortes. Sie halfen politisch aufklären, strategisch unterrichten und moralisch anspornen; ihr didaktischer Zug ist unverkennbar. Dennoch gewinnen diese „für unsere Kämpfer“ und deren Sympathisanten geschriebenen Reportagen und Erzählungen auch eine eigenständige literarisch-ästhetische Qualität – vor allem dann, wenn das Berichtete die Ebene des allgemeineren Darstellens von Widerstandsintentionen oder Schlachtverläufen verläßt, aus einem dichten episodischen Kern erwächst oder auf einen solchen zusteuert. So würde sich eine Anzahl der gemeinsam mit Morera i Falco verfaßten „Helden“geschichten für ein Spanien-Lesebuch von Shortstories eignen, das die Wirklichkeit und das Unglaubliche, den Sinn und die Widersinnigkeiten jener Kämpfe poetisch konzentriert darböte. In Frage käme hierfür die doppelt gerahmte Geschichte des „Chauffeurs von Almudévar“, die den heutigen Leser auch schon deshalb gefangennehmen dürfte, weil sie den Eindruck vermittelt, die Anonymität des Krieges sei noch nicht so weit fortgeschritten gewesen, daß ein kühner einzelner nichts mehr hätte ausrichten können; in Frage käme ferner die – sich freilich auch ein wenig an der Grenze zur Kriegs„lust“ bewegende – grotesk-komische Story vom zwergwüchsigen, schielenden „Bombardeur“ sowie die von jähen Wendungen geprägte, die Thematik der – aufhebbaren – Willfährigkeit des Menschen variierende Erzählung über das, was sich „in Almudévar im Oktober 36“ begab (106ff., 130ff., 125ff.).
Über Arendts Spanien-Lyrik jener Jahre, die gleichfalls als Gelegenheitsdichtung und Erlebnispoesie begriffen werden muß und deren Einzeltitel bereits die Situationsbedingtheit erkennen lassen – „Die Kameraden reden vor Madrid“, „Die ,Pasionaria‘ spricht“, „Lied unserer Kämpfer“ –, schreibt Silvia Schlenstedt im Hinblick auf die auch in ihr feststellbare Überschreitung des Anlasses:

Emotionale Parteinahme und das Entdecken der Sinnhaftigkeit des Erlebten treiben im Gedicht eine visionäre Überblendung von Gegenwärtigem und Künftigem hervor. (155)

Widergespiegelt wird unmittelbares politisches Ereignis, reflektiert werden „mit menschheitlichen Bedeutungen erfüllte Augenblicke“ (156). Dem bleibt wenig hinzuzufügen: Motivgeschichtlich ist interessant, daß sich Arendts „Ballade vom Hügel in Biarritz“ von 1936, in der eine High-Society konterfeit wird, die sich ein von der Reaktion veranstaltetes Gemetzel aus sicherer Entfernung durch das Lorgnon anschaut, mit Brechts Schlußszene aus den nach 1945 geschriebenen „Tagen der Commune“ zur Deckung bringen läßt. Das mehrfache Beschwören des heldenmütigen Madrid stellt Arendt zum anderen in die der kombattanten deutschen sozialistischen Lyrik eigentümliche Tradition, die Liebe zur Sache auf die „großen Städte“, die Zentren revolutionärer Anläufe, zu übertragen. Während Becher vom republikanischen Barcelona sagte, daß es „in“ allen Revolutionären als „Unsere Stadt“ gelegen habe, rief Fürnberg der spanischen Hauptstadt sein brüderliches „Ahoi, rotes Madrid“ zu.4 Hermlin nahm das grammatische Genus des Wortes „Stadt“ gar so direkt, daß er – es auf die an sich sächlichen Städtenamen übertragend – diese verweiblichte: Madrid wird „Königin des Aufstands“ und „Sklavin in des Siegs Geschmeide“.5 Bei Arendt „sprechen wir“, ähnlich akzentuiert, „mit brennendheißem Mund das Wort, das große Wort: MADRID!“ (10)

Klaus Werner, aus Siegfried Rönisch (Hrsg.): DDR-Literatur ’86 im Gespräch, Aufbau Verlag, 1987

 

 

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Zum 50. Geburtstag des Autors:

Uwe Berger: Zwei Dichter unserer Zeit. Zum 50. Geburtstag von Peter Huchel und Erich Arendt
Aufbau, Heft 4, 1953

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Helmut Ullrich: Lobpreis irdischer Schönheit. Zum 60. Geburtstag des Schriftstellers Erich Arendt
Neue Zeit, 13.4.1963

Georg Maurer: Erich Arendt zu seinem 60. Geburtstag
Sonntag, 15.4.1963
Nachgedruckt in: G. M., Essay I. Halle: Mitteldeutscher Verlag 1968

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Günther Deicke: Dichter und Weltfahrer. Erich Arendt zum 65. Geburtstag
Berliner Zeitung, 16.4.1968

Elke Erb: Erich Arendt zum 65. Geburtstag
Sonntag Nr. 16, 1968

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Günther Deicke: Poetische Sprache unserer Solidarität. Erich Arendt zum 70. Geburtstag
Neues Deutschland, 15.4.1973

Günter Gerstmann: Der geistigen Welt der Väter verpflichtet
Neue Zeit, 15.4.1973

Hinstorff gratuliert seinem Autor Erich Arendt zum 70. Geburtstag
trajekt 7, VEB Hinstorff Verlag, 1973

Zum 75. Geburtstag des Autors:

J(ürgen) Sch(midt): Ein lähmendes Gefühl ist das. Dem Dichter und Übersetzer Erich Arendt, fünfundsiebzig Jahre alt, zu Ehren
Stuttgarter Zeitung, 16.9.1978

Gregor Laschen/Manfred Schlösser (Hg.): Der zerstückte Traum. Für Erich Arendt zum 75. Geburtstag
Agora, 1978

H. U.: Kunde von Siegen und Niederlagen durch die Poesie
Neue Zeit, 15.4.1978

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Hubert Witt: Der flutharte Traum. Erich Arendt zum 80. Geburtstag
Sinn und Form, Heft 2, 1983

Hans Marquardt/Hubert Witt: Himmel und Erde. Erich Arendt zum 80. Geburtstag
Sonntag, 17.4.1983

Zum 85. Geburtstag des Autors:

Uta Kolbow: In Raum und Zeit
Berliner Zeitung, 15.4.1988

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Uwe Grüning: Erinnerungen an Erich Arendt
Ostragehege, Heft 30, II/2003

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