TEXT+KRITIK: Erich Arendt – Heft 82/83

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch TEXT+KRITIK: Erich Arendt – Heft 82/83

TEXT+KRITIK: Erich Arendt – Heft 82/83

DER HOHLRAUM

WIE SONST denn
könnte es Worte geben
Gebürtigem zu

netzverknotet in uns.

*

OHNE FRAGE
der Zug rollt ans Meer

wissend wie alles
zuende geht.
Schweigen

*

OFT denke ich
ich habe dich erfunden
um besser in den Morgen
sterben zu können.

*

WENN schatten-unterhöhlt
ich dir
ganz schlicht die Höllenweisheit
letzter Liebe
vorspiele, die
längst Verwiesenen unsrer
ersten Stunde
quälend

*

OFT DENKEND
ich habe einzig mich
erfunden, daß du
mein menschenaltes
Abseits-Ich
im Augensaufschlag
tragen lernst
und ich verdüstre

 

 

 

„Offen die Maske des Worts“

− Erich Arendt – Exul poeta. −

Als der Rowohlt Verlag zur Buchmesse 1966 einen von Volker Klotz herausgegebenen Auswahlband Unter den Hufen des Winds mit Gedichten Erich Arendts aus den Jahren 1926–1965 vorstellte, waren selbst Kritiker international renommierter Zeitungen betroffen von der Bekanntschaft mit einem Autor, dem seit Jahren zum wenigsten die Aufmerksamkeit gebührt hätte, die seine Freunde vom Range eines Johannes Bobrowski, Peter Huchel, Stephan Hermlin und viele andere längst erfahren hatten. Es gibt viele Gründe für die Ignoranz von Verlegern und Vermittlern.
„Obwohl er bereits über 40 Jahre schreibt, scheint man von dem Lyriker Erich Arendt noch immer nicht rechte Notiz genommen zu haben“, schreibt Alexander Hildebrandt in der Frankfurter Rundschau vom 1. Juli 1967. Und die Kollegin von der ZEIT, Hilde Schlaeger, hat bereits am 10. März das noch klarer benannt: „Peter Huchel, der seit Jahren nichts mehr veröffentlicht hat, ist aus dem Bewußtsein der Leser fast verschwunden; sein Freund Erich Arendt ist bei uns gar nicht erst bekannt geworden, obwohl bis 1959 sechs schmale Gedichtbände in Berlin (Ost) und in Leipzig herauskamen.“
Es ist zu billig, als rückwärts gewandter Prophet den oftmals ephemeren Erscheinungen nachjagenden Literaturfunktionären ihre Ignoranz zu bescheinigen. Faktum jedoch, daß ein DDR-Autor vom Niveau eines Paul Celan oder Ernst Meister nicht zuletzt durch die Ungunst der politischen Konstellationen sehr lange, zu lange auf seine Reputation in der Bundesrepublik warten mußte. Das Verdienst, diese erste umfangreiche Gedichtauswahl angeregt zu haben, kommt zweifelsohne dem damaligen Lektor im Rowohlt Verlag, Fritz J. Raddatz, zu. Seit 1952 war der jugendliche Freund und ehemalige Student an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin mit Erich Arendt und seiner Frau Katja befreundet. Raddatz hat in nächtelangen literarischen Diskussionen den Widerspruch eines Lebens zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit als eine Struktureinheit erfahren, die er so beschreibt:

Es war die verwirrende Mischung, die es einst nur in Berlin gegeben haben mag. Großbürgerliche Bildung, aber den Ideen des Sozialismus zugewandt, intellektuelle Wachheit mit einer verwöhnten Kultur verbunden… Arendt hatte sein Fernweh, seine Liebe zu Farbe, Rhythmus, Form in die große Wohnung am Treptower Park eingebracht, hatte sie vollgestopft mit Büchern, Bildern, alten Gläsern, schönen Möbeln. Und mit Literatur – ihr lebte er. Vor Politik warnte er!

So seltsam dem politisierenden Jungautor Raddatz dieser von einem im DDR-Staat offiziell hochangesehenen Dichter und ehemaligen Spanienkämpfer empfohlene „Rückzug aus dem politischen Alltag“ erscheinen mochte, so aufschlußreich für den Zusammenhang von Leben und Werk ist die immer wiederkehrende Forderung Erich Arendts zur „Innenbezogenheit“ einerseits, zur „Stille, die dem Schweigen unsrer Blicke“ lauscht, seine Warnung vor denen, „die da handeln an Tischen (…), allwissenden Ohrs, ledernen Herzens“. Andererseits zieht sich durch Arendts Gedichte der immer wieder aufgegriffene rote Faden einer direkten Ansprache des Gegenüber. Eines DU, das wir alle sind, eingespannt in Natur und Geschichte.
Erich Arendt wurde am 15. April 1903 in Neuruppin, der Vaterstadt Karl Schinkels und Theodor Fontanes, als Sohn der Waschfrau Rosa und ihres Ehemannes Ernst Arendt, Hausmeister der dortigen Grundschule, geboren. Er lebte, von gelegentlichen Ferienfahrten in die Mark Brandenburg und nach Sylt unterbrochen, bis 1926 in dieser preußischen Kleinstadt, die durch Herstellung und Vertrieb ihrer Bilderbögen weltberühmt wurde. Geprägt war sie jedoch vom 24. Infanterieregiment, das auf den jungen Erich Otto Reinhold nicht nur keinen Eindruck machte, sondern bewirkte, daß alles Militärische ihn schon früh abstieß. Die meiste Zeit habe er zuschauend und lernend in der Handwerkersiedlung Gildenhall verbracht und sich im Zeichnen, Basteln, Schreinern geübt. Auch auf der Geige habe er sich versucht. So setzte er sich mit der Welt der Musik auseinander und entwickelte in jungen Jahren ein intensives Interesse an klassischer, aber auch an der modernen Musik, ohne sie allerdings zu verstehen.

Ich brauchte doch bis zum 26. Jahr, um z.B. die strenge Gefugtheit der Bachschen Musik als musikalisches Erleben aufnehmen zu können.

Das naheliegende Bildungserlebnis durch das literarische Werk Fontanes fand nicht statt. Es erschöpfte sich in dem Eindruck, den das bronzene Denkmal des lässig dasitzenden Fontane als Ausdruck einer gewissen epaté-les-bourgeois-Haltung vermittelte. Mittelschule und Lehrerseminar waren die ersten Stationen auf dem Vorbereitungsweg zu einem schon in früher Jugend vorhandenen Wunschberuf: als Pädagoge im sokratischen Sinn einmal tätig sein zu können. Die erste Prüfung für das Amt eines Volksschullehrers legte er am 16. März 1923 mit der Durchschnittsnote gut ab. Aufgrund seiner durchweg guten schriftlichen Arbeiten wurde er von der mündlichen Prüfung befreit. Die Note gut erhielten: Pädagogik, Religion, Deutsch – mit einem Sonderhinweis Literatur: sehr gut −; Französisch, Geschichte, Methodik, Natur- und Erdkunde, Turnen und landwirtschaftlicher Unterricht sowie in der Musik Violin- und Orgelspiel wurden als genügend bewertet. Die zweite Lehramtsprüfung bescheinigte Erich Arendt am 18. Dezember 1930 die Fähigkeit zur endgültigen Anstellung mit der Note: sehr gut. Das war dann bereits in Berlin, wohin er 1926 gekommen war.
Das entscheidende Erlebnis in Berlin war die Bekanntschaft mit Herwarth Waldens Zeitschrift Der Sturm und all derer, die noch von der expressionistischen Bewegung zehrten. Als Schüler und Lehramtskandidat war Arendt voll in den Sog der Expressionisten und ihres Erneuerungspathos geraten. Als er dann WaIden und seinen Kreis persönlich kennenlernte, hatten sie längst ihre Anführerrolle als junge Avantgarde verloren. Das einstmals revolutionäre und neben Pfemferts Aktion vorbildliche Kampfblatt einer neuen, nicht nur deutschen, sondern europäischen Kunstbewegung in allen Disziplinen der Kunst war in die Jahre gekommen und bot nur noch das Bild einer epigonalen Vibration seiner selbst. Unter den rund hundert literarischen Beiträgern der Jahrgänge 15-21, die die Jahre 1924-1932 umfassen, finden sich kaum ein Dutzend Namen, die heute noch mehr als ephemere Bedeutung haben. Wer, außer positivistischen Germanisten, interessiert sich noch für die A. Allwohn, F.R. Behrens, R. Blümner, E. Collin, F. Entelmann, A. Gaspar, H. Händel, K. Heinar, F. Hoffmann, A. Knobloch, K. Liebmann, H. Luedeke, F. Müller, W.G. Oschilewski, L. Reissner, Th. Ring, K. Schwerdtfeger, K. Vogt, W. Wauer etc., etc. Und die berühmteren wie H. Arp, T. Déry, R. Goering, Raoul Hausmann, K. Heynicke, A. Schnack, K. Schwitters und andere waren nicht die legitimen Erben der Expressionisten in ihrer besten Phase, als man noch an die Macht des bekennerhaften Wortes glaubte. An diese aktivistische Literaturepoche, kulminierend in einem Mann, der bereits 1915 an der Ostfront als Offizier gefallen war, an August Stramm knüpfte Erich Arendt so unmittelbar mit seinen 1926 erstmals im Sturm gedruckten Gedichten an, daß sie formal mit den strengen Verknappungen Stramms durchaus verglichen werden können, wenn dahinter nicht ein völlig anderer Bilderkatalog stünde. Stramms zunehmender Abstrahierungsvorgang mit der Tendenz, die semantische Wirkung des Einzelwortes zu verselbständigen, den reinen Klang zu erzeugen und damit unmittelbare Sinnlichkeit und den Subjekt-Objekt-Bezug zu reduzieren, wird von Arendt weitergeführt zu einem neuen Kommunikationsnetz der Worte und Bezüglichkeiten.

Wir seelen Uns
Einander
Wir schwingen das All
Durchdringen das All
Wir blühen das All
In Uns

Und Lieben
Uns
zu Gott,

heißt es im ersten im Sturm 1926 gedruckten Gedicht „Wir“. Erich Arendts lyrisches Schaffen wird von Beginn an von der Beschwörung eines kosmischen und mythischen Raumes als zeitlose Bestimmung des Menschen beherrscht, der verschiedene Formen und Wandlungen erfährt. Programmatisch kommt dies in seinem Gespräch aus dem Jahr 1973 mit Heinz Czechowski zum Ausdruck, worin er darauf hinwies, daß auch der das Grunderlebnis bestimmende Bildraum durch die Bedeutung der modernen Malerei, die er damals in Berlin für sich entdeckte, entscheidend erweitert wurde. Er nennt Max Beckmann, Marc Chagall, Paul Klee, Franz Marc, die ihm unter anderem „kubistische Kompositionsprinzipien“ nahebringen. „Das war eine Welt, die plötzlich da war: die Moderne“. Es lassen sich in der Tat in den wenigen Gedichten, die erhalten blieben aus der Zeit, surrealistische Assoziationstechnik, kubistischer Formaufbau, expressive Gebärde nachweisen. Bleiben wird ihm sein Leben lang die Anregung, die aus der Begegnung mit bildender Kunst unmittelbar ins Wort einging. Präzise Nachweise wird die Wissenschaft reichhaltig zu führen haben.
Erich Arendt gehörte dem Jahrgang nach zu der neuen, expressionistischen, ernüchterten Generation, gefühlsmäßig hing er jedoch ganz den Utopien der ersten Nachkriegsjahre an, die an eine geistige Erneuerung als Voraussetzung für eine gesellschaftliche Umwälzung glaubten. Kein Wunder, daß der neue Geist in der Literatur, die sogenannte „Neue Sachlichkeit“ den Autor nicht fesseln konnte, hingegen die politisch als Arbeiterliteratur propagierte neue Richtung noch ganz im Banne des Menschenverbrüderungspathos der zwanziger Jahre stand, der sich Erich Arendt anschloß. Sozialpolitisch hatte er bereits seine verschiedensten Erfahrungen gemacht. Als Banklehrling in Neuruppin genügte das (wenn auch bewußt provozierende) Tragen kurzer Hosen für eine fristlose Entlassung. Den gleichen „Erfolg“ konnte er mit einer Beschwerde über die allzu geringe Bezahlung seines Aushilfsjobs in einer Fahnenfabrik verbuchen, wo er vorgedruckte Fahnen zu colorieren hatte. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er bei der Märkischen Zeitung, für die er Lokalreportagen schrieb. Nach seiner Übersiedlung nach Berlin erhielt Erich Arendt 1927 eine erste Anstellung als Volksschullehrer in dem seit 1920 dem Verwaltungsbezirk Pankow zugeordneten Buchholz. Da war er bereits seit einem halben Jahr Mitglied der Kommunistischen Partei, in die er 1926 durch die Bekanntschaft mit Johannes R. Becher eingetreten war. Motiviert wurde er zwar durch eine gemeinsame Freundin, der er imponieren wollte, verankert war dieser Schritt durchaus in seinem pädagogischen Auftrag.
Entscheidende Förderung erhielt Arendt in den ab Mitte der 20er Jahre von Kurt Löwenstein und Fritz Karsen vorangetriebenen und von der Weimarer Regierung unterstützten Konzepten zur Errichtung von sogenannten „Lebensgemeinschaftsschulen“, von denen es in Berlin des Jahres 1927 zehn Einrichtungen (das waren genau 1% der Berliner Schulen) in den Arbeiterbezirken Wedding und Neukölln gab. Löwenstein, Reichstagsabgeordneter und Stadtrat für Schulwesen in Neukölln, Protagonist und Vorkämpfer gegen die Konfessionsschule für den Einheitsschulgedanken, baute auf den entwicklungsfähigen Kern eines jeden Menschen. In seinem 1926 in Wien erschienenen Buch Das Kind als Träger der werdenden Gesellschaft entwickelte er seine Theorien für die Einheitsschule (Vorläuferin der heutigen Gesamtschule) und zur Arbeitserziehung als Voraussetzung einer künftigen neuen Gesellschaft, die einerseits in der Arbeit die Steigerung der eigenen Persönlichkeit sieht, andererseits Arbeit dem notwendigen Bedürfnis des Menschen unterordnet. Hauptpunkt des Programms der. „Lebensgemeinschaftsschule“ waren: 1. Der Gesamtunterricht wird eingestellt auf die schöpferische Arbeit der Hand und des Geistes. Kenntnisse und Fertigkeiten sind natürliche Ergebnisse schaffender Arbeit, nicht Selbstzweck des Unterrichts. 2. Verbindliche Stoffpläne werden nicht aufgestellt. 3. Anstelle von Lehrplänen tritt der Arbeitsplan der Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. 4. Stundenpläne fallen fort. Für den Fortgang ist das wechselnde Bedürfnis der Gemeinschaft und der natürliche Ablauf der Arbeit selbst, d.h. der aller wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Arbeit innewohnende gesetzmäßige Zwang zur Vollendung entscheidend. 5. Lebensgemeinschaften sind Stätten des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens. In den Arbeitsgemeinschaften weitet und vertieft sich die Allgemeinbildung zur Fachbildung, den besonderen Begabungen und Neigungen der Schüler entsprechend.
In einer solchen Schule, nämlich der 31. Volksschule an der Rütlistraße, die seit 1923 in eine „Lebensgemeinschaftsschule“ mit der besonderen pädagogischen Ausrichtung auf den künstlerischen Zweig umgewandelt worden war, erteilte Arendt zunächst aushilfsweise, nach dem zweiten Lehrerexamen 1930 in fester Anstellung Zeichenunterricht und vermittelte vertretungsweise deutsche und französische Literatur. Noch ein halbes Jahrhundert später erinnert sich der Autor in seinen Gesprächen dankbar der frühen Erfahrung.
Dieses pädagogische Engagement verdient größte Aufmerksamkeit, um das möglicherweise Widersprüchliche im Leben und Werk von Erich Arendt zu verstehen, vordringlich, um ihn vor ideologischen Usurpatoren in Schutz zu nehmen. An dieser Arbeitsstätte konnte er, wenn auch nur für wenige, aber entscheidende Jahre sein lebenslanges Bemühen um den Einzelnen verfolgen, frei von Zwängen und Indoktrinationen. Kein Wunder also auch, daß Arendt, von seinem Förderer Johannes R. Becher gedrängt, zwar in den am 19. Oktober 1928 gegründeten Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands (BPRS) eintrat, jedoch bald schon mit Becher in Konflikt geriet. Die Agitationstrupps um Becher hatten mit Kunst wenig, mit politischem Einfluß alles im Sinn. Die 1929 gegründete Zeitschrift Die Linkskurve ließ keinerlei Zweifel an ihrem politischen Anspruch, „kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator der proletarisch-revolutionären Literatur“ zu sein. Man muß sich schon der Originaltexte versichern, um Arendts Enttäuschung und Rückzug von dieser vordergründig politisch orientierten Gruppe um E.E. Kisch und J.R. Becher zu verstehen. Programmatisch schrieb Becher im ersten Heft (August 1929) der Linkskurve:

Wir umgeben uns nicht mit einem Dunst von Ewigkeit wie die bürgerlichen Literaten, die ausschließlich damit beschäftigt sind, die vorhandenen Tatsachen geistreich als „Schicksal“ zu beschwatzen. Wir überlassen die Berufung auf die Ewigkeit denen, die schon heute gestorben sind. Wir betreiben keine Maskerade, es ist klar, wer wir sind.

Becher bedrängt den Autor, seine bürgerliche Ästhetik abzustreifen, die „Sprache des Arbeiters zu sprechen“ und fordert ihn auf, aktiv als Person und Schreibender am alltäglichen Klassenkampf teilzunehmen, der – unfaßbar für uns Enkel von damals – weniger gegen die Nationalsozialisten als gegen die sogenannten Sozialfaschisten, worunter man liberaldemokratische Sozialisten verstand, geführt wurde. Arendt konnte und wollte sich diesem Diktat nicht beugen, obwohl er durchaus bereit war, aktiv die Herstellung und Verteilung von Flugblättern gegen den aufkommenden Nationalsozialismus zu unterstützen.
Mit einem Gesinnungsgenossen, dem Arbeiterdichter Kurt Huhn, gab er die hektographierten Blätter Neukölln hungert heraus, worin er durch eine kritische Glosse die Linkskurve attackierte und natürlich den Unmut seines Mentors Becher hervorrief. Mit Häme verurteilte Becher das „Wortgeklingel“ Arendts, wie er ja bereits Hermann Neißes positive Besprechung der Prosa Gottfried Benns zum Anlaß nahm, aus dem Redaktionskomitee der von Gerhart Pohl herausgegebenen Neuen Bücherschau Ende 1928 zusammen mit E.E. Kisch und Kurt Kersten auszutreten und die Linkskurve zu gründen. Bechers rhetorische Begabung erstickte offensichtlich jede Gegenwehr in dem noch unsicheren Autor, der gerade noch im Sturm (Heft 1, 1929/30) von den zu Sternen erblühten Schenkeln seiner Geliebten träumte. Erich Arendt verstummte, vielmehr: er vergab keine Gedichte mehr an Redaktionen, schon gar nicht an die Rote Fahne, deren Feuilletonredakteur Becher seit 1930 war und immer wieder Arendt zur Einreichung proletarischer Gebrauchslyrik aufforderte. Nicht deutlicher als durch einen Vergleich des lyrischen Sprechens können die Gegensätze an einigen Verszeilen erläutert werden.

Johannes R. Becher

DIE FABRIK

Fabrik am Rande der Stadt −
Der Wind haut durch die Felder,
Fegt die Felder glatt.
Welkgefressen am Baum jedes Blatt.

Umspült von schwarzen Kanälen,
Stinkend und ölgetupft,
Steht sie, hohe Gruft,
Am Rande der Stadt: die Fabrik.
(…)

Es kam der Tag, daß spieen
Die Schlote blutigen Rauch −
Und die Straßen hingen voll Rauch,
Und die Straßen schrieen und schrieen:
„Eßt euch satt!
Eßt euch satt!
Eßt euch satt!“

Es kam der Hunger gegangen,
Der Hunger ging durch die Stadt.
Wer jahrlang gehungert hat,
Ißt sich satt,
Ißt sich satt.

Auch der Hungrigste wurde satt…
Und am Rande der Stadt die Fabrik,
Rot, sich entzündende Glut −
Die Fabrik,
Rot von Arbeiterblut…

Wenn der glühende Stahl sich ergießt.
„Unser die Fabrik!“
Hämmern die Hämmer weit.
Herzschlag der Stadt, die Fabrik,
Hämmert die neue Zeit.

Dagegen Erich Arendts im Sturm 1928 veröffentlichtes Gedicht:

Folterung
(Szanto und Genossen)

Schrecke zögern
Taumeln peitschen brach
Das
Dunkel
Aus der Wand gesträubte Glieder
Die gepreßten Lippen
Beißen
Kahles Fesseln Blut
Da
Peitschen
Schläge
Peitschen Wunden
(…)
Angst hetzt henkerwild entlang
Die weißerwürgten Augen
Morden!
Die Scheiben knicken
Blut
Licht erfüllt den Raum
Erstickt
Des Grauens voller Mund!

Epigonal ist bei Arendt zu dieser Zeit die Form, unmittelbar packend jedoch der Rhythmus, der sprachmusikalische Sog einzelner Worte, die wie in einem Magnetfeld als Einzelkraft eine beeindruckende Spannung erzeugen.
Was Becher sagen will, dürfte aufrichtiger in politischen Parolen gesagt sein. Was Arendt darzustellen versucht, ist mit Sprache den Foltervorgang nachvollziehbar, erfahrbar zu machen und nicht deklamatorisch ihn beschreiben zu wollen. Beide verbindet der innere Auftrag, durch Darstellung des Leidens und der Not die Nichtleidenden in ihrer Trägheit aufzurütteln. Beiden ist das Entsetzen gemeinsam. Dennoch trennt beide entscheidend der Graben des Anspruchs. Hier spricht einer deklamatorisch im Namen der Menschheit, die ihn nur im Hinblick auf ihre Verwertbarkeit zu weitreichenden politischen Zwecken interessiert. Dort spricht der Dichter für den Einzelnen und sein stellvertretendes Schicksal.
Im Juni 1929 unternimmt Erich Arendt mit der Freundin Katja Hayek, seiner späteren Frau, eine Reise nach Südfrankreich und Oberitalien. Von dieser Reise sind Tagebuchblätter erhalten, die bereits eine ganze Reihe Bilder und Worte und Gedanken versammeln, aus denen später seine starke Mittelmeerbezogenheit erwachsen sollte. „Vor Marseille gerate ich in Erregung: das Meer schlägt blau an die Küsten.“ Hier trifft es ihn, wie eineinviertel Jahrhundert zuvor „Apoll Hölderlin geschlagen“. Es ist das Licht, das Meer, die Heiterkeit, die südländische Beweglichkeit, der gelbgrüne Wein, die Frauen, die Stunde des Pan, das Geschlossene von Leib, Seele, Geist und als Gegenbild die Einsamkeit, die Melancholie, die Unruhe, Versonnenheit und der Schmerz, immer wieder der Gedanklichkeit zu verfallen. Typisch deutsche Südlanderfahrung und doch sehr viel mehr. Bezeichnenderweise hat er Hölderlin dabei, liest den „Archipelagus“ und „Empedokles“, verstärkt dadurch den eignen Impuls und entwindet sich vollends den politischen Pressionen seiner Berliner Zeitzeugenschaft. (Es möge genügen daran zu erinnern, daß ein Monat zuvor bei der verbotenen 1.-Mai-Demonstration 31 Arbeiter durch die blindwütig in die Massen schießende Polizei umkamen, und Autoren wie Döblin, Heinrich Mann und Ossietzky einem Untersuchungsausschuß angehörten, der diese Vorfälle aufzuklären bemüht war.)
Der Theorie, nicht der Anschauung entwindet er sich. In seinem stets präsenten Sozialengagement entdeckt er den persönlichen Adel in den Gesichtern der Arbeiter, die hier Boccia spielen.

Gute Gesichter, manche sogar prachtvoll. Anlagen, Anlagen! Kraft für neue Jahrhunderte (…) Wer ihn nur entfesseln könnte. Die Zwänge wird der schöpferische Augenblick der Geschichte zerreissen für die Zukunft seelenvollen starken Menschentums (…) Es gibt nur noch die menschliche Gebundenheit mit den kosmischen Kräften der Erde (…)
(Aus den Tagebuchnotizen 1929).

Zur Lektüre gehörte auch Nietzsche und – nachdenkenswert insbesondere – Friedrich Gundolfs eigenwilligstes Buch: Heinrich von Kleist. In Gundolfs Interpretation des Dichters wird Arendt manch eigenes Strukturmerkmal beifällig unterstrichen haben. Gundolf nennt Kleist „den einsamsten deutschen Dichter“, ein Terminus, den sich Arendt in seinen Aufzeichnungen selbst zulegt; er stellt Kleist unmittelbar neben Hölderlin und Nietzsche, bezeichnet ihn als Idealist, welcher die Sinnenwelt ersetzen wolle, hält ihn für eine „tief unweise Natur und verweist als Quell seiner schöpferischen Einbildungskraft auf die Phantasie, die aus Farben, Tonfällen und Gebärden den Menschen“ schafften. Erich Arendt notiert: „Jede Sekunde buchstäblich erfüllt vom Sehen: Farben, Formen, Dinge.“
Nach der Rückkehr aus den Ferien widmet sich Arendt voll seinen schulischen Aufgaben. Im Jahr 1930 ist publizistisch nichts nachweisbar. Am 4. September 1930 heiratet er die Halbjüdin Katja Hayek. Vom Dezember 1930 bis Mai 1931 läßt er sich vom Schuldienst beurlauben. Offensichtlich setzten ihm die politischen Auseinandersetzungen mit den Braunhemden bereits derart zu, daß er den ständigen Anpöbelungen ausweicht und bei seiner Frau, die in einem jüdischen Großbürgerhaus im Grunewald Privatunterricht erteilt, zeitweilig untertaucht. Die Lage verschlechtert sich, die „Lebensgemeinschaftsschulen“ wurden immer heftiger von den Rechtskreisen mit täglichen Überfällen attackiert. Erich Arendt verließ am 11. März 1933 Deutschland, zwei Tage nach der totalen Ausschaltung der Kommunisten und der Verhaftung ihrer Repräsentanten durch die Nazis, obwohl sie in der letzten freien Reichstagswahl am 5. März legal 81 Mandate errungen hatten. In dieser Übergangssituation entstand, bezeichnend für Arendts tagträumerische Literatenexistenz, das folgende, vom Autor auch nach 30 Jahren noch anerkannte Gedicht:

LIEBESLIED

Frau, du wirst noch dann
unter Sternen sein,
wenn ein fremder Mann
ich schon bin und kein

Lächeln mehr ersteht
dir aus unserem Glück.
Denn die Liebe geht −
was bleibt noch zurück?

Da die Nacht nun steigt
und das Wissen schreckt,
muß der Mann, der schweigt,
ich nun sein; verdeckt

ganz von Dunkelheit,
die mein Leid nie zeigt.
Und ich bin schon weit,
weit von dir geneigt.

Geh an mir vorbei
in dem trüben Licht.
So nur rühre ich
an dein Angesicht.

Was sich hier als „Liebeslied“ im Ton der Manesse-Liederhandschrift ausgibt, das ist der innere Notschrei eines Mannes, der durchaus das Unheil kommen sah, zugleich aber absolut macht- und hilflos war. Verzicht auf Identität erleichtert den Weggang aus Deutschland.
Bei einem Freund der Familie Gustav Landauers, dem mehrfachen Millionär Bernhard Meyer, fand Arendt in dessen Haus in Ascona erste Aufnahme. Die Verbindung war über den Berliner Maler Arthur Segal zustande gekommen, dessen Sohn Walter Architekt und Erbauer des Meyerschen Bungalows war. Die Aufnahme in Bernhard Meyers Haus konnte den Dichter nicht von seinen sozial-politischen Auffassungen abbringen. Es kam zu Spannungen, dessen Folge die Kündigung der Gastfreundschaft war. Katja Arendt war inzwischen als Betreuerin von fünf Kindern einer französischen Familie in der Nähe von Toulon untergekommen. Walter Segal vermittelte Erich Arendt eine Hauslehrerstelle auf Mallorca bei einem sozialistisch eingestellten Baron Herrmann. Dorthin folgte Katja, nachdem sie der schäbigen Bezahlung wegen ihre Betreuerstelle aufgegeben hatte. Das muß Mitte des Jahres 1934 gewesen sein. Die tägliche Erfahrung, buchstäblich von der Hand in den Mund leben zu müssen, ließ die verschiedensten Pläne aufkommen. Die Idee, gemeinsam mit einer Jüdin, die bei ihrer Flucht aus Deutschland ein wenig Geld hatte retten können, ein vegetarisches Restaurant in Barcelona zu eröffnen, zerschlug sich, da am Tag der Eröffnung die Frau aus Furcht vor der Zukunft Selbstmord beging.

Sie hinterließ uns nur einen Zettel mit besten Wünschen und dachte nicht daran, daß man für die Unterhaltung eines Restaurants Geld benötigt. So standen wir wieder mittellos da und hatten nur die Einrichtung und die Gedecke des Restaurants, mit deren Erlös wir uns wieder ein paar Wochen über Wasser halten konnten. Wir lernten dann einen Baron Herrmann kennen, der auf Mallorca ein Haus und eine Baumschule besaß. Meine Frau wurde als Köchin engagiert, ich brachte es fertig, den Baron für den Kommunismus zu gewinnen. Er sollte später als Sanitäter im Spanischen Bürgerkrieg tätig sein.

Wahrscheinlich auf Einladung des Barons Herrmann unternahm Erich Arendt im Juni 1935 eine Reise nach Marokko. Hier entsteht erstmals wieder ein zusammenhängender Zyklus von Gedichten. Sonette, deren formale Herkunft von Rimbaud und Rilke nicht zu verkennen ist. Ihr literarischer Wert, der an anderer Stelle eingehend gewürdigt wird, liegt für Arendt in der Tatsache, überhaupt wieder produktiv sein zu wollen und zu können.
In einem Gespräch innerhalb eines Filmes des Westdeutschen Rundfunks, der erstmals am 25. September 1981 ausgestrahlt wurde, weist Erich Arendt selbst daraufhin, daß er damals Rimbaud als „politischen Dichter“ entdeckt habe, der „durch seine Sonette die politische Welt zur Dichtung erhoben“, und so zum Vorbild des eigenen Ausdruckszwanges wurde. Das äußere heimatlos chaotische Leben fand in der ältesten klassischen Versform seinen Halt. Mit Beginn des Spanischen Bürgerkrieges am 18. Juli 1936 endete auch der Aufenthalt auf Mallorca. Die Faschisten hatten die Insel sofort in Besitz genommen, die Gefahr einer Verhaftung oder gar rücksichtsloser Ermordung war nicht auszuschließen. Der amerikanische Kreuzer Oklahoma brachte zunächst die Flüchtlinge der Insel nach Bordighera in Italien. Existenzsorgen und Rücksprachen mit Parteifunktionären veranlaßten Arendt, sich zur Verwendung im Spanischen Bürgerkrieg bereitzustellen. Im Sinne des Autors wäre es eine Verfälschung, wenn sein Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg als parteipolitische Überzeugungstat gewertet würde. Der Kampf mit der Waffe war nicht Arendts Geschäft. Die Chance, dort, wo es noch zu hoffen stand, daß eine Republik gegen den europäischen Faschismus verteidigt werden könnte, war eine Chance der Bewährung seines für den Einzelnen kämpfenden Geistes, eine Chance aber auch, seine schöpferische Kraft der äußersten Provokation auszusetzen.
Nach Jahren des Verstummens begegnete ihm in der spanischen Landschaft „die Natur als etwas Lebendiges, als ein Körper, der sich ihm durchaus wie ein Lebewesen anbot“. Dem galt es zu antworten. Die kräftigen, meist hoffnungslosen Bilder der Afrikareise lichten sich zu kämpferischen Visionen einer mit der „Morgenröte“ anbrechenden besseren Zeit. Es ist eine neue, zum Leben entschlossene schöpferische Gegenwelt, die Arendt dem rings um ihn herum beutereißenden Tod entgegenstellt. Getarnt war er auf die inzwischen von Faschisten beherrschte Halbinsel Mallorca zurückgekehrt, ging von dort nach Barcelona, wo er sich der 27. katalanischen Division Carlos Marx anschloß, um pädagogische Arbeit zu leisten. Da er fließend Spanisch sprach, unterrichtete er die zumeist Analphabeten seiner und anderer Divisionen; schrieb für die deutschsprachige Zeitung La Llibertat Reportagen und Frontberichte. Er unterhielt eine „Fliegende Bücherei“, in der Werke der internationalen Literatur in Übersetzungen neben Büchern über Militärwissenschaften, Geschichte, Geographie, Mathematik u.a. ausgeliehen werden konnten. Scott, Dickens, Balzac, Zola, Tolstoi, Hugo verzeichnet Arendt in einem Artikel über die „Schule der 27. Division“, in dem er den Tageslauf der 120 Mann umfassenden Division beschrieb. Der Aufsatz war ein erster Beitrag zu einer geplanten Geschichte über diese Division und ihre Mannschaft, die aber nicht mehr zu Ende geführt wurde. Ein Sammelband mit seinen Berichten erschien in katalanischer und in spanischer Sprache 1938 unter dem Titel Herois. Marracions per a combatents / Herores. Narraciones para soldades, gemeinsam herausgegeben mit dem spanischen Schriftsteller Joaquin Monera i Falcó. Es handelt sich sowohl um aufklärerische wie agitatorische Beiträge zur Hebung der Kampfmoral. In La Llibertat veröffentlicht er 1937 nun auch ein „Lied unserer Kämpfer“, das den Forderungen Bechers von 1928 voll entsprach: Agitation und Tendenzdichtung zu sein.

Wir waschen wieder mit unserem Blut
Die Schande von deinem Gesicht
Deutschland!
Wir machen mit unserem Einsatz gut,
Was der deutsche Henker verbricht.
Wir, die nach Spanien kamen,
Zu helfen, zu schützen,
Retten den deutschen Namen.

Entlarvend für Arendts vergeblichen Versuch, kämpferisches Pathos im Marschlied zu vermitteln, sind solche billigen heroisierenden Reimereien, die ganz im Gegensatz zu gleichzeitig entstehenden Gedichten stehen, die den Tod in seinen verschiedenen Formen thematisieren. Neoklassizistisch in den ältesten Formen des Sonetts, der Ballade und der fünfzeiligen Strophe zwar, aber voller Identifikationsdrang entstehen eine ganze Reihe von Gedichten, in denen „Geschichte von der Erleidensseite“ (Arendt) verbunden mit der Heilsgewißheit einer aufziehenden besseren Welt eindrucksvoll dargestellt wird. Da ist die Totentanzgesellschaft der Herrschenden in dem Doppelsonett „Arena“, die „lüstern“ auf die Massakrierung von Estremaduras Volk wartet, doch „heißer“ Wille von tausend Augen läßt die Henker vor Angst erzittern, so daß „die Stille vor Entsetzen ,Gnade‘ schreit“; im Gedicht „Die Hände“ sind es die abgehackten Hände eines Bauern, die nachts als Fäuste des Widerstands „an alle Scheiben klopfen“; mahnend ragt der Arm des füsilierten Negers noch Tage nach seiner Erschießung aus dem trockenen Flußbett gegen den Himmel; in „García Lorca“ ist die Zeit bereits bestimmt, wo der „feige“ Mord durch Andalusiens Gärten ein Ende hat und frohe Männer Lorcas Strophen zu „langvergessenen Gitarrenklängen“ singen; in „Barcelona“ fällt das Todesmotiv als „schwarzer Meteor tödlich aus kalten Sternenräumen“ und hinterläßt nur Schutt und tote Kinder. Die Beispiele lassen sich für eine ganze Reihe Gedichte fortführen, doch sie stehen unter der bezeichnenden Zwischenüberschrift der gesammelten Gedichte aus fünf Jahrzehnten von 1968 „Beug nicht zuletzt dein Knie“. Mahnung und Aufruf an alle, die verzagen wollen.
Erich Arendt hat einmal davon gesprochen, daß „gelebte oder gesehene Realitäten schließlich nicht auf der Netzhaut verweilen, sondern weiterverarbeitet würden zu einem inneren Bild, das seine Entsprechung im Wort“ suchen müsse. Ein alter Dichtertraum: „Kein Ding sei, wo das Wort gebricht“ hat 1919 Stefan George in seinem Spätgedicht „Das Wort“ gefordert. Der Bürgerkrieg wäre nach Arendt umsonst gewesen, wenn er nicht vielfältig in Formen des Überdauerns fortschrittlicher Kräfte gegossen worden wäre. Darum und keineswegs als Epigone seiner selbst hat er bei Veröffentlichung seiner Spaniengedichte im Band Bergwindballade 1952 einige nachgereichte Spaniengedichte hinzugefügt, die erst 1950 entstanden sind, allerdings nicht die Eindringlichkeit vermitteln, die den unmittelbar im Land der Zeit des schrecklichen Geschehens entstandenen Gedichte eigen ist. Es sind Rückerinnerungen in Balladenform, ganz im Stil Brechts, den Arendt im Vorkriegs-Berlin und im spanischen Exil noch nicht zur Kenntnis genommen hatte. Sie sind weitschweifig geworden, haben die Prägnanz und Bildsicherheit verloren und stehen rein inhaltlich im Kontext zu den originären Spaniengedichten. Nach dem Zusammenbruch der Republik flieht Arendt nach Frankreich, wo er zunächst bis September 1939 in Paris mit Unterstützung des Emigrationskomitees wohnte. Dort traf er auch mit Anna Seghers und E.E. Kisch, der ihn schon in Spanien zu seinen Kriegsreportagen ermuntert hatte, zusammen. Infolge des Kriegsausbruchs wurde er als Deutscher zunächst im Pariser Stadion Colombes interniert, später in Marseille. Im Juni 1940 befand er sich im Lager Bassens bei Bordeaux. Für ihn war diese Form von „Seßhaftwerdung“ gerade gut genug, um Joyce und Proust zu lesen und zwar auf dem Lagerdach des Internierungslagers mit Blick auf das geliebte Meer und dem Bemerken, daß die meisten Mithäftlinge mit Entladearbeiten von Schiffen beschäftigt wurden. Nach einer Flucht aus dem Lager, bei der er auch Alexander Abusch half, finden wir den Autor an verschiedenen Orten Frankreichs, bis er mit einem über den Koch des kolumbianischen Konsuls beschafftem Visum für Kolumbien (vom 21. Mai 1941) in abenteuerlicher Fahrt durch das zerstörte und so geliebte Spanien zum Auswandererhafen Bilbao gelangt. Es entstehen nochmals unendlich resignative Gedichte wie „Saragossa 1941“, „Francos Dorf“, „Brücke in den Pyrenäen“, „Wiedersehen aragonesischer Berge“, deren Grundtenor ist: „Zertreten der Traum“ („Cadiz“), „Sind meine Gedanken, meine Gefühle nicht Jahre tot“ („Wiedersehen“), „Unfaßbar bleibt es“ („Brücke in den Pyrenäen“). Diese Gedichte der Wehmut und Trauer über die Knechtung eines so stolzen Landes gehören zu den großartigsten Zeugnissen. der Solidarität eines Vertriebenen, Heimatlosen mit einem Land, das ihm keine Heimat mehr bieten konnte. (Ihr poetologischer Stellenwert wird in einem anderen Beitrag genauer bestimmt.)
Das Land des Exils Kolumbien, in das er und seine Frau Katja am 29. September 1941 an Bord des südamerikanischen Schiffs Cabo de Hornos aufbrachen, wurde erst mit einer halbjährigen Verspätung erreicht. Zunächst endete die einmonatige Überfahrt in einem Gefängnis der Engländer in der holländischen Kolonie Curaçao. Grund dafür war die Tatsache, daß Arendt sich im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner beteiligt habe. Per Freiflug ging es zunächst auf die Antillen nach Trinidad in ein Konzentrationslager der Engländer.
Am 8. März 1942 brachten die Engländer beide Arendts dann endlich in die Industrie- und Handelsstadt Barranquilla. Nach Angaben Wolfgang Kießlings, der im Band 4 der DDR-Reihe Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-45 Lateinamerika bearbeitete, seien Arendts sogleich von der kommunistisch gelenkten Antinaz-Freiheitsbewegung (ANFB) empfangen und versorgt worden. Erich Frießner und Walter Rosenthal werden als Namen genannt, die als ehemalige Angehörige der Berliner Arbeiterhilfe bzw. der Antifaschistischen Aktion die beiden Neuankömmlinge betreuten. Diese waren gemeinsam mit 20 anderen Emigranten die letzten, die aus Europa nach Kolumbien kommen konnten. Die „Formierung der Antihitleremigration war damals nahezu abgeschlossen“. Von Barranquilla ging es für 10 Tage auf einem Dampfer den Magdalenenfluß aufwärts in die 1000 km entfernte, auf 2600 Meter Höhe gelegene Hauptstadt Bogotá, wo Arendts, von gelegentlichen Reisen ins Landesinnere und nach Venezuela abgesehen, während der ganzen Exilzeit lebten. Den Lebensunterhalt verdienten sie sich mit verschiedensten Hilfsarbeiten, bis der Zufall sie mit der Leiterin der Agence France Press, Anna Kipper zusammenbrachte. Für eine geplante Cocktailparty schlug Katja Arendt die Herstellung von Pralinen vor, die einen solchen Erfolg bei den Gästen hatten, daß daraus für die folgenden Jahre eine regelrechte Produktion mit Bestellungen und Versand bis nach New York entstand. Bis zu tausend Pesos Einnahmen im Monat habe das florierende Geschäft bei einem Angebot bis zu 16 verschiedene Sorten erbracht. Katja betreute die Herstellung, Erich reiste als Vertreter umher. Ein relativer, von der Parteifinanzierung unabhängiger Wohlstand erlaubte Erich Arendt die Entfaltung seiner schöpferischen Kräfte.
Die Begegnung mit den Tropen, der Besuch des Reisbauern- und Fischerdorfes Tolú an der Morosquillebucht hinterließ tiefe Spuren. Es entstand der später im ersten Gedichtband Trug doch die Nacht den Albatros 1950 veröffentlichte Zyklus „Tolú“. Wieder erweist sich Erich Arendt als Meister der Anverwandlung aus der Bereitschaft, anderen Völkern und Kulturen mit der offenen Maske des Worts zu begegnen. Ein Kernsatz im Gedicht „Untreu“:

Denen ich folgte: ach,
die Spuren, immergesucht…

Oder wie es im Prosatext des Geleitwortes von 1956 zu einer Sonderausgabe des „Tolú“-Zyklus im Inselverlag Leipzig heißt:

Sieben in den Tropen gelebte Jahre erhielten hier am Karibischen Meer ihren eigentlichen Sinn. Der Weg der durch den urwelthaften Raum der Anden geführt hatte, durch menschenlose Steppenweiten und Wäldermassen, durch den dichten Staub unsäglichen Elends, vorbei an den fahlen ernsten Gesichtern der Indios, den festeren sensuellen der Neger, ihr Leben streifend, das fremd anmutende, unmenschlich schwere Leben – mein Weg lief an diesem Ort in einen Brennpunkt ein, in dem alles Geschaute und Gelebte plötzlich überdeutlich wurde, sichtbar und bis in seine Wurzeln und heimliche Verflechtungen transparent… Es brauchte den Kontakt mit diesem fernen Strand, diesen Hütten, diesen Menschen, damit das zuvor Erfahrene in lebendigen Bezug trete untereinander und Sprache bekomme, daß die den Dingen, Erden und Gesichtern innewohnende Melodie anklinge… Denn in dieser dünn besiedelten Weite (Kolumbien, so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen, zählt rund zehn Millionen Einwohner nur) umgibt den Menschen, uneingeschränkt, der kosmische Raum. Erdreich Strom, Meergestade, Gras und Fels, Baum und Gebirg gehören noch einer ursprünglichen Planetenwelt an, über die der Mensch nicht gebietet… Selbst die Stadt ist hier noch Landschaft… Welch eine Seelenkraft täglich ist nötig, um zu bestehen in der entfesselten Wildheit der Tropennacht, vor dem Gigantenmaß der Farne, dem unerklärlichen Walten von schwemmendem Wasser, Wolke, Blitz und Winden! Oder vor dem ewig stummen Antlitz der Weite… Für einen europäischen Menschen erschließt sich dieses tiefe Anderssein tropischer Menschenwelt nicht am ersten Tag, der nur Fremdheit zeigt. Erst ein langes sinnenoffenes Verweilen läßt Ähnliches anklingen, schafft ein inneres Verstehen und ein lebendiges Verbundensein mit den leisen Indios der Höhen und den elementaren Negern der Stromtäler und Küstenstriche.

In diesem Land traf er auch zu fruchtbaren Gesprächen erneut mit dem kubanischen Dichter Nicolás Guillén, den er von Spanien her bereits kannte, zusammen, woraus die wichtigen Impulse zur Übertragung seiner und vieler anderer lateinamerikanischer, vor allem Nerudas Dichtungen, entstanden.
Weniger gesichert, da Dokumente bisher nicht auffindbar, sind die von Wolfgang Kießling dargelegten parteipolitischen Engagements. Sicher ist angesichts von Veröffentlichungen in dem Parteiorgan Freies Deutschland, daß Arendt an der Gründung des Demokratischen Komitees Freies Deutschland in Kolumbien im November 1943 beteiligt war, das eine Unterorganisation des Lateinamerikanischen Komitees der Freien Deutschen darstellte, „basierend auf der international bewährten Politik der antifaschistischen Einheits- und Volksfront“. Als Führungsmitglied der Junta Directiva des Komitees wurde Arendt zum Sekretär bestellt, der die Aufgabe hatte, gegenüber den kolumbianischen Behörden die Interessen der Antifaschisten (sprich: Kommunisten) zu vertreten, die Verbindung zur Presse und zu den Diplomaten zu halten. Im Zusammenhang mit der Ermordung des liberalen Politikers Jorge Eliécer Gaitán und dem daraus folgenden Massenaufstand von Bogotá, wurde auch Erich Arendt als völlig Unbeteiligter an seinem 45. Geburtstag, am 15. April 1948 verhaftet und als Angehöriger der Kommunisten, die wesentlichen Anteil am blutigen Volksaufstand hatten, 17 Tage festgehalten. Natürlich war Arendt selbst nicht unmittelbar an den Vorbereitungen zum Aufstand beteiligt. Dennoch wird man davon auszugehen haben, daß er angesichts der Armut, Not und Unterdrückung der Indios und Neger mit den Zielen der Aufständischen sympathisierte. Zwei Jahre nach dem Ereignis, bereits wieder in Berlin, dichtete er während der Vorbereitungen zu dem geplanten Gedichtband auf „Gilberto Vieira, Jorge Regueros Peralta“ und „ihre Genossen vom Zentralkomitee der Kolumbianischen Kommunistischen Partei“ die „Kolumbianische Ballade“, in der direkt auf die Ereignisse Bezug genommen wird, In einem Vorspruch, der nach dem Erstdruck in Trug doch die Nacht den Albatros, in späteren Ausgaben weggelassen wurde, weist er darauf hin, daß die verantwortlichen Männer der spontanen Erhebung des kolumbianischen Volkes zum „Erschießen geführt worden seien, jedoch einem Zufall ihr Leben verdanken“.

Atmet ihr noch, vom Dunkel des Terrors Bedrängte,
da alles erstickte?
Immer hobt ihr die Stirn von des Untergangs treibendem Floß
stolz und still.
Ich sehe die Läufe, die euch des Todes Gewalt an
die Schläfen drückte, als schmerzlich die Stunde zerbrach,
Genossen vom dreizehnten Tag im April!

Im Zuge der westöstlichen Spannungen und der Entstehung und Verschärfung des „kalten Krieges“ hatte die konservative Regierung Kolumbiens unter Mariano Ospina Perez die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion am 3. Mai 1948 abgebrochen. Das hatte unmittelbare Folgen für deutsche Emigranten, die wie Arendts in die damals noch russisch-besetzte Zone von Deutschland zurückkehren wollten. Das sowjetische Konsulat, das seit Frühjahr 1947 die Bemühungen Arendts zur Rückkehr nach Berlin formal unterstützte, hatte seither den Rechtsschutz für die deutschen Kommunisten übernommen. Mit seiner Schließung war Arendt rechtlos geworden. Im Zentralinstitut der SED für Leninismus- und Marxismusforschung in Potsdam liegen eine Reihe von Briefen Arendts an den einflußreichen, damals noch nicht in Ungnade gefallenen Funktionär Paul Merker, denen zu entnehmen ist, daß von Berlin aus die Reisevisa mit Hilfe der Partei beschafft wurden.
Im Januar 1950 verlassen beide Arendts New York an Bord des polnischen Personenschiffs Sobieski in Richtung Europa. Keinerlei Faszination geht für Arendt von dieser aus „vergänglichen Schatten, aus Öde und Kerkerluft gebauten Stadt“ aus, deren „Weib mit der Brandfackel im Hafeneingang“ ihm nicht Symbol der Freiheit, sondern der Knechtung ist. Erich Arendt, immer schon ein Stadtflüchtiger, sieht hinter den Glitzerfassaden der Wolkenkratzer nur die Hoffnungslosigkeit der „Überzählig-Gewordenen“, deren „nutzloses elendes Leben am Ende der Tage von keinem Hohen-Priester, keinem Richter gezählt“ wird, In 190 Verszeilen, die in späteren Ausgaben um 90 Zeilen gekürzt werden, ruft er das „Elend einer verratenen Erde“ herauf, das „von den ewig Geld zählenden todesbesessenen Händen“ gesetzlich verankert wurde. „Ein Gesetz, das es zu brechen gelte.“
Der „Entzauberung“ des amerikanischen Traums steht im wenig später entstandenen Gedicht „Gruß an Europa“ „Lenins unsterbliches Lächeln“ gegenüber, das „stündlich in den Herzen der Völker“ neu geboren wird. Man wird sich kaum eine Vorstellung davon machen können, wie hochgespannt die Erwartungen und Hoffnung eines wahrlich um- und umgetriebenen Ulysses waren, der vor den Küsten „des unter dem ledernen Schritt des Todes“ leidenden Spanien von Europas Veränderung singt und in ein Land zurückzukehren hofft, in dem die Utopie von der Gewalt- und Gewissensfreiheit, der Brüderlichkeit und der Gleichheit, der Duldsamkeit und der Liebe Wirklichkeit werden soll. In der an anderer Stelle ausführlich gewürdigten Einführung des Lächelns in das Gedicht als häufig auftretende Chiffre dieser Utopie wird eine neue, zur Reife gelangte geistig-seelische Haltung des Autors benannt, die nur allzu bald in der Resignation und totalen Flucht nach Innen – angesichts des reglementierten grauen Alltags einer sozialistischen Republik – enden sollte.
Der Mann, dem Arendt noch zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution 1937 aus Spanien den langen vierteiligen Zyklus „Wir haben im Rücken einen Freund“ widmete, der für ihn damals „der Inbegriff der Weisheit und Kraft, der Unbestechlichkeit und Güte“ war, erwies sich als der größte Verräter aller Zeiten an seinem Volk, vor allem aber an den Ideen, für die Erich Arendt bisher gekämpft hatte. Noch waren die Verbrechen Stalins in ihrem Ausmaß nicht bekannt, doch täglich stellte in der großen wie der kleinen Politik die andauernde Ausübung von Gewalt den Einzelnen, insbesondere wenn er einstmals vom Kommunismus die Befreiung erhoffte, vor die Gewissensfrage: Anpassung oder Widerstand. Erich Arendt ging den dritten Weg, den der Verweigerung und der Beharrung zugleich auf seinen Prinzipien. Als ehemaliger Spanienkämpfer und alteingeschriebenes, jedoch nicht wieder bestätigtes (!) Mitglied der Partei hatte er berechtigten Anspruch auf Privilegien. Man hofiert ihn, und er läßt sich hofieren. Er kann und darf publizieren, er erhält 1955 aufgrund der Bodenreform von 1945 ein Häuschen (Haus Muthesius) mit einem 7000 qm großen Grundstück in Kloster / Hiddensee zugewiesen und darf schon bald reisen. Zunächst veröffentlicht er die lyrischen Ergebnisse der letzten beiden Jahrzehnte, soweit er sie vertreten mag und was davon erhalten blieb. Der erste, zur Frühjahrsmesse 1951 herausgegebene Band Trug doch die Nacht den Albatros ist in 5 Abteilungen unterteilt und enthält Gedichte aus den ersten Tagen der Emigration 1933 bis zur Heimkehr 1950. Die Stationen Italien, Marokko, Frankreich, Kolumbien (mit dem Gedichtzyklus „Tolú“), New York und Berlin nach der Rückkehr sind mit insgesamt 83 Gedichten belegt, Spanien folgt 1952 mit einem eigenen Band Bergwindballade – Gedichte des spanischen Freiheitskampfes, dargestellt in 44 Gedichten. Die titelgebende, 28strophige „Bergwindballade“ entstand erst 1950 mit weiteren Gedichten unter dem bezeichnenden Zwischentitel „Das Lied des Widerstands“. Das Schlußgedicht „Rückblickend singe ich…“ enthält – wenn auch auf die rückblickende Situation bezogen – bedenkenswerte Zeilen zur gegenwärtigen Lage: „Die Heimat ist weit…, Uns zerbrach in den Händen der Mut…, Risse der Angst in die Herzen gesprengt… Wir kehrten ins Vaterland wieder. / Berührt vom Tag dem verwandelten… und singen das Lied, das härter heut tönt im siegenden Fels…“
Der 17. Juni 1953 warf seine Schatten voraus. Erich Arendt erkennt die Unmöglichkeit, jetzt erneut mit eigenen politischen Gedichten zu der bedrohlich sich verschlechternden wirtschaftlichen und geistigen Situation Stellung zu nehmen. Nach der Veröffentlichung seiner Gedichte aus dem Exil nimmt er zunächst die Übersetzertätigkeit auf, die er bereits in Kolumbien mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau begonnen hatte. „Körperlich heimgekehrt, wendet er sich geistig in die glücklichere Zone zurück, die er verlassen hat.“ Die erste Auswahl südamerikanischer Freiheitsdichtungen erschien 1951 unter dem Titel: Die Indios steigen von Mixco nieder mit Gedichten von Rafael Alberti, Jorge Artel, Miguel Angel Asturias, Alejandro Carrion, Gonzalo Carnevali, Jorge Gaitan Duran, Nicolás Guillén, José Ramon Heredia, Francisco Mendez, Gabriela Mistral, Pablo Neruda, Alejandro Peralta, Miguel Otero Silva, Dario Samper, Luis Vidales u.a. Die Übersetzungen sind teilweise bereits im Exil begonnen, konnten dort freilich als eindeutig antifaschistisch-antikolonialistische Literatur nicht erscheinen.

Gedichte, die das Dunkel, in dem der Indio verkümmerte, erhellen, die gegen seine Verachtung den Vers stellen, der sich zu ihm bekennt (sei es auch in mythologischer Verbundenheit noch oder in romantischer Betrachtung), bedeuten schon Aufruf zur Empörung.

Mit dieser Anthologie setzt eine Übersetzertätigkeit ein, die an Umfang und geistiger Anstrengung einmalig und hinsichtlich des eigenen Werkes unvergleichlich genannt werden darf. Dabei soll die tätige und immer wieder antreibende Hilfe von Katja Hayek-Arendt nicht unbeachtet bleiben. Offiziell tritt ihr Name hinter dem Erich Arendts zurück, doch es ist davon auszugehen, daß die gelernte Philologin die Rohübersetzungen machte und bei der Endfassung entscheidende Korrekturen einbrachte. Bereits 1953 erscheint Pablo Nerudas opus magnum Der große Gesang (688 Seiten), dem 1955 Die Trauben und der Wind (356 Seiten), 1957 die Elementaren Oden (321 Seiten), 1958 die Liebesgedichte, 1960 Aufenthalt auf Erden (220 Seiten), 1961 eine ums Doppelte erweiterte Fassung der Elementaren Oden (628 Seiten), 1967 das Extravaganzenbrevier (173 Seiten) u.a. folgen. Dieses 1967 auch in der Bundesrepublik erschienene Gesamtwerk Nerudas macht jedoch nur einen Teil seines unermüdlichen Fleißes aus. So erscheint 1957 im Jahr des Wiederauftauchens als Dichter im Gewand des kosmischen Vogels Ikarus, zeit-, geschichts- und konkretem Raum enthoben, zusammen mit dem Gedicht-Band Gesang der sieben Inseln der Bildband mit Einleitung Tropenland Kolumbien (zugleich in Englisch und Spanisch) und die Übersetzung Tödliche Satiren auf die Diktatur der Unmenschlichkeit, die der „bedeutendste Essayist und einer seiner besten Stilisten Kolumbiens“, Jorge Zalamea 1952 unter dem Titel Der Große Burundún-Burundá ist tot im argentinischen Exil drucken ließ. (Kein Geringerer als Kazantzakis hat das kleine Opus kurz vor seinem Tod 1957 ins Griechische übersetzt.)
Inzwischen (1952) hatte Erich Arendt bereits für die bei den ersten Gedichtbände den angesehensten Literaturpreis der DDR, den Nationalpreis 3. Klasse, und im Dezember 1956 für sein Übersetzerwerk den Übersetzerpreis erhalten. 1959 schließlich, als es – zumindest in Berlin – noch immer die Möglichkeit für eine gemeinsame Plattform deutsch-deutscher Kultur gab, erschien im Inselverlag Leipzig der 88seitige Gedichtband Flug-Oden in 3000 Exemplaren, zugleich aber auch in der bescheidenen Auflage von 500 Exemplaren im gleichnamigen Verlag in Wiesbaden. Es sind dies die Raumschaffenden und zu ihrer Entfaltung des Raums bedürfenden Anrufungen der Vergangenheit inmitten unserer Tagesgegenwart, wie sie z.B. in der „Flug-Ode VI“ als beschwörendes Erinnern an die Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes von 1943 vierzig Jahre danach im Zeichen des Verbots der polnischen Gewerkschaft Solidarnocz anklagender nicht hätten geschrieben werden können.

Und in der Tages-Mitte,
hohl, über Warschau stand
das eiserne Auge.
Da färbten
auf dem Marktplatz sich
die Gebete alt und grau.

Arendt baute um die Mittelachse von vier Elegien seine zehn Flugoden, die den Menschen „inmitten von Zeit und Raum“ wie der Untertitel des Bandes lautet, in das Koordinatennetz des Ikarus einspannen: Höhenflug und Absturz. Den göttergleichen Selbstverwirklichungen des Menschen in den letzten Erkenntnissen eines Max Planck oder Albert Einstein stehen Auschwitz und Hiroshima als letzte Selbstzerstörungen gegenüber. Die Flugoden erscheinen im gleichen Jahr wie der 5. Gedichtband von Nelly Sachs Flucht und Verwandlung, Paul Celans Schritt an die Grenze der Sprachlosigkeit Sprachgitter und schließlich die deutsche Ausgabe von Saint John Perse’ Seemarken. Drei vergleichbare Dichtwerke. Die nachträgliche Einordnung auf die Höhe des Zeitgeistes vermochte dennoch nicht, ihm über die DDR hinaus Reputation zu verschaffen. Obgleich er mit dem Eintritt in die dichterische Spätphase – die sich nach den verschiedenen Exkursen in die exotischen Kulturen Afrikas, Spaniens und Kolumbiens poetologisch der ältesten Muster klassischer Meister (Hölderlin, Klopstock u.a.), der Oden, Elegien und des freien Rhythmus bedient-existenzielle Grundmuster des Menschen als kosmisches, mythisches, soziales, aber auch sich einzig selbst gehörendes Wesen entwirft, dauert es weitere sieben Jahre bis die erste eingangs erwähnte Gedichtsammlung Unter den Hufen des Winds in der Bundesrepublik erscheint. Übersetzerarbeit und eigene Produktion laufen fortan parallel. Im Jahr der Flugoden, 1959 erscheint der Auswahlband von Rafael Alberti Stimme aus Nesselerde und Gitarre. 1960, als Ergebnis mehrerer Mittelmeerreisen nach Italien, Sizilien, Korsika, Mallorca gibt er den umfänglichen Bild-Prosaband Inseln des Mittelmeers im Brockhaus Verlag Leipzig und 1962, aufgrund einer 1960 durchgeführten einige Monate dauernden Reise nach Griechenland, Kreta und Zypern den Band Griechische Inselwelt heraus. 1963 wird der Rowohlt-Verlag Hamburg den umfangreichen Lyrikauswahlband des Nobelpreisträgers von 1974 Vincente Alexandre Nackt wie der glühende Stein vorlegen. Es folgen 1965 ein Gedichtband von Miguel Hernańdez, 1966 der Prosa-Bildband Säule Kubus Gesicht – Bauen und Gestalten auf Mittelmeerinseln und die Nachdichtung des umfangreichen lyrischen Werkes von Walt Whitman als dichterische Nachübertragung vorhandener Vorlagen.
Einen kurzen Moment sollte man innehalten, um sich des Horizonts zu vergewissern, in den in diesen Jahren Erich Arendts geistige Welt als Ort der Identifikation und Anverwandlung gespannt ist. Einerseits ist da die vulkanische Welt Nerudas, die monströs, ebenso zarte wie gewalttätige Schönheit seiner Verse, die gedanken- und phantasieüberladenen Metaphernschübe, „eine leidenschaftliche, denkende, handelnde Dichtung wie ein weithinlagerndes Gebirgsmassiv, mit gangbaren ausgedehnten Hochplateaus, mit abgrundtiefen Schluchten und steilen Gipfeln“, zum anderen entdeckt Arendt in der alt jungen Landschaft der kretischen Frühkultur das Maß des Menschen. „Alles ursprünglich Wilde, Elementare, triebhaft Dunkle verschmolz hier ganz mit einer menschlich hellen Geistigkeit.“ Die Erfahrung Griechenlands und der griechischen Inseln findet ihren konkret nachvollziehbaren Niederschlag in dem 1967 erschienenen Gedichtzyklus Ägäis. Es ist als ob eine jahrzehntelange Suche nach den ungetrübten Quellen der menschlichen Existenz ans Ziel gelangt sei. In den archaischen Kouroi findet er die lebendige Einheit von Mensch und Gott, in der Architektur die Einheit von Raum, Form und Plastik, in einem frühäolischen Kapitell das Sinnbild der Zeitlosigkeit.

Diese Überzeitlichkeit und Gegenwärtigkeit der Vergangenheiten hat ihren Niederschlag auch in der Psyche des Menschen gefunden, sie durchsetzt und geformt. Seine Gelassenheit und Ruhe, sein Weitblick stammen daher. Wie auch sein Daseinsrhythmus, der alles Natur werden läßt, alles ihm einordnet, sogar die allmächtige Technik und den menschenfremden Rhythmus der Maschine.

Im historischen Essay steht freilich die Betroffenheit über den lebendig weiterwirkenden Mythos, der sich „eben in Gesten von Fischern, von Weinbauern ausdrückt, die ähnliche Handbewegungen wie ihre uralten Götter machen:“ bewundernd, Vorbild setzend, gemahnend an das Verlorene dadurch wiederum für uns Heutige unverbindlich im Raum stehend. Im Gedicht, das Erlebnis und Gedächtnis, Stoff und Struktur, Geschichtserfahrung und Prinzip Hoffnung zur Einheit bringen soll, bleibt als Destillat nur der „Schmerz: du stetes Vergebens.“ Man hat Arendts „Kosmos geschichtslos, ja geschichtspessimistisch genannt, tief ernst gemeinte Resignation“, doch man muß noch weiter gehen und jede Form von actio vergessen. „Wendungen von erlesener Schönheit können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Dichter nichts mitzuteilen hat, vielleicht auch nichts mehr mitteilen will.“
Je konsequenter der Rückzug ins Private, um so mehr suchen Vertreter der Öffentlichkeit, sich seiner zu erinnern. In Gedenken an den 75. Geburtstag von Johannes R. Becher verleiht ihm Alexander Abusch in dankbarer Erinnerung an Arendts Fluchthilfe 1940 am 21. Mai 1966 den J.R. Becher-Preis, da sein poetisches Werk sich völlig anders darbietet als das von J.R. Becher und durchdrungen sei von der Möglichkeit des Menschen, den ,Zirkelschlag der Geschichte‘ selbst zu bestimmen.“ Mit der 1956 gestifteten Hans Bäumler-Medaille würdigt die DDR 1968 Arendts Verdienste im Kampf gegen den Faschismus. Am 1. Juni 1969 wird er in die Deutsche Akademie der Künste in Ost-Berlin aufgenommen und erhält somit – wie alle anderen Mitglieder – ein Monatssalär von 1000 Ost-Mark; zum 40. Jahrestag der Gründung des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller wird dem seinerzeit heftigst attackierten Erich Arendt am 1.11.1968 die Gedenkmünze als Dank für die literarische und politische Arbeit im Bund überreicht und er erhält in „Würdigung seiner hohen Verdienste bei der Entwicklung einer sozialistischen Nationalkultur“ als Kämpfer der Verfolgten des Naziregimes (VVN) eine Ehrenpension.
Das eigene sowie das Übersetzerwerk wächst stetig. An einer Gedichtauswahl von Miguel Angel Asturias im Luchterhand Verlag beteiligt er sich 1968. Im gleichen Jahr wendet er sich nochmals dem Freund der spanischen und kolumbianischen Jahre, Nicolás Guillén zu. Seine weniger ausschweifige, gefaßtere, dennoch musikalische Sprache entspricht der gegenwärtigen eigenen Schwingung. Zusammen mit H.O. Dill und F.R. Fries gibt er 1969 im Reclam Verlag Leipzig eine umfangreiche zweisprachige Gedichtauswahl heraus, die 1982(!) von 336 auf 157 Seiten gekürzt bei Suhrkamp erscheint. Ebenfalls 1969 vermag er den Henschelverlag zum Druck eines Bühnenmanuskriptes von Rafael Albertis Antifaschismusstück Kriegsnacht im Prado zu überreden. Der DDR-Verlag Volk und Welt übernimmt die von Erich und Katja Arendt 1965 für den Kiepenheuer und Witsch Verlag in Köln besorgte Gedichtauswahl von Miguel Hernandez mit neuen Übertragungen unter dem Titel Der Ölbaum.schmeckt nach Zeit. Und schließlich wächst ein absolut ehrgeiziges und für die Literaturszene der DDR revolutionäres Unternehmen heran mit der Übertragung des 979 Zeilen umfassenden philosophischen Dichtwerkes Soledades von Luis de Góngora. In folgerichtiger Einschätzung der Bedeutung Góngoras für die von Arendt bereits übersetzten Alberti, Hernández, Vallejo und Neruda brachte er die von der gesamten Moderne reklamierte hermetische Dichtung des Urvaters der spanischen Literatur 1973 in einer zweisprachigen Ausgabe im Reclam Verlag Leipzig heraus, den Claassen Düsseldorf 1974 übernahm. Mit der 1978 erfolgten Übersetzung und der Herausgabe einer zweisprachigen umfangreichen Lyrikauswahl Das Wirkliche und das Verlangen Luis Cernudas, des andalusischen, im mexikanischen Exil verstorbenen Dichterfreundes von Alberti und Lorca, beendete 1980 Erich Arendt sein Vermittlerwerk nicht nur der spanisch-sprachigen Dichtung, sondern der machtvollen Sprache der Freiheit und des um ein neues Menschenbild wirkenden Wortes. Sollten die lateinamerikanischen Völker einstmals zur Demokratie finden, so werden sie Erich Arendt für seine Leistungen als ihrem Kulturboten viel zu danken wissen, sowie das heute bereits demokratisch gewordene Spanien gut daran täte, sich dessen gebührend zu entsinnen.
Der Ausschreitung der geistigen Welt so zahlreicher Schriftstellerkollegen entsprach in den Jahren seit 1958 die produktive Rezeption von Begegnungen mit anderen europäischen Kulturen. Mehrfache Reisen u.a. auch nach Frankreich, Holland, Italien und ein im August als Mitglied des PEN 1968 erfolgter Besuch Warschaus finden ihren Niederschlag in den Gedichten. Das eigene Werk tritt seit den Ägäis-Gedichten wieder in den Vordergrund. 1968 erscheint der von Heinz Czechowski ausgewählte und mit einem Nachwort versehene, erste repräsentative Sammelband Aus fünf Jahreszeiten mit der erstmals gedruckten Folge von 14, den Band abschließenden Gedichten „Von blinder zu blinder Luft geschliffen“. Bernd Jentzsch hat darauf aufmerksam gemacht, daß diese Gedichte eine neuerliche Zäsur im Schaffen Arendts darstellen, insofern er „buchstäblich die Welt in das Gedicht zitiere…: Keine geringere als die Welt-Geschichte selbst ist der bodenlose Grund für Arendts späte Dichtungen.“ Bodenlos meint dabei auch ganz wörtlich, daß es keinen Boden für Anekdotisches, Erzählbares, für Um- oder Beschreibungen von Menschenschicksalen mehr gibt. Die Sprache bleibt einzige Bausubstanz, sie kann sich auf sich selbst beschränken, auf Einzelworte, Chiffren, Evokationen reduzieren und somit eine Aussage Hugo von HofmannsthaIs über die Gegenwart von Gedichten aus dem Jahre 1903 bestätigen:

Die Landschaften der Seele sind wunderbarer als die Landschaften des gestirnten Himmels!

Arendts Gedichte der 60er und 70er Jahre, die in den Bänden Feuerhalm 1973, Memento und Bild 1976, Zeitsaum 1978 und entgrenzen 1982 (letztere drei erstmals zugleich in der DDR und der Bundesrepublik erschienen) gesammelt sind, haben inhaltlich nichts mehr von einem tätigen, lernenden und lehrenden, für eine bessere Zukunft kämpferisch sich einsetzenden Leben zu berichten, worüber an anderer Stelle eingehender nachgedacht und reflektiert wird.

Wo denn ist Wahrheit…
Du gehst, im Arm kein Hoffen
hinab zum Fluß…

(„Leba“)

Stein, Staub, Starre; Wüste, Grab, Tod; verlorene Jahre, das Entsterben im Wort, grenzenloser Pessimismus und schließlich als vorerst letzte Zeile im letzten Gedichtband: „die große Leere Gott“ – das ist die Verkündung, die übriggeblieben. Aufgehoben bleibt im Sinne Hegels die angewandte Sprache in der Form des Gedichts.

Manfred Schlösser

 

Inhaltsverzeichnis

− Erich Arendt: Neue Gedichte

− Manfred Schlösser: „Offen die Maske des Worts“. Erich Arendt – Exul poeta

− Wolfgang Emmerich: Mit rebellischem Auge. Die Exillyrik Erich Arendts

− Michael von Engelhardt: „Was konkret und anders ist“. Zu Erich Arendts Nordafrika-Gedichten

− Horst Domdey: Verlust des Geschichtsoptimismus. Bilder historischer Zeit und geologischer Zeit in Erich Arendts Lyrik

− Ernest Wichner: Homer, Odysseus und der „Engel der Geschichte“

− Gregor Laschen, Peter Wessels: Vom rebellischen Auge der Dichtung. Lese-Notizen zum Augen-Motiv in den Gedichten Erich Arendts

− Erich Arendt: Der Tänzer

− Ton Naaijkens: Arendts Tänzer. Zum Verhältnis von Körperbild und Identität in Arendts Spätwerk

− Elke Erb: „Vergegenwärtigung des Einzelnen“

 

Zeitschriftenlese

Es gehört wohl zu den stärksten Passionen junger, selbstbewusster Zeitschriftenmacher, die jeweils amtierenden Literaturpäpste zu grimmigen Bannflüchen zu reizen. Auch im Falle von Heinz Ludwig Arnold, dem Erfinder der Zeitschrift Text + Kritik, kam es zu Verwerfungen, als der junge Germanistikstudent im November 1962 den großen Friedrich Sieburg, seines Zeichens Chefkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, um ein existenzsicherndes Inserat für seine neue Zeitschrift anging. „Sie scheinen nachgerade an einem hoffnungslos gewordenen Qualitätsbegriff festhalten zu wollen“, so komplimentierte Sieburg artig den jungen Editor, um anschließend die Peitsche zu zücken: „Sie nennen für die erste Nummer drei Namen, die mir alle drei gleich widerwärtig sind, nämlich Günter Grass, Hans-Henny Jahnn und Heinrich Böll. Das ist … eine trübe Gesellschaft, dem deutschen Waschküchentalent entstiegen und gegen alles gerade Gewachsene feindselig gesinnt.“ Zwei Jahrzehnte später, so behauptet die Legende, war es Sieburgs Nachfolger Marcel Reich-Ranicki, der mit derben Beschimpfungen der „Schweine-Bande“ um „Arnold-Dittberner-Kinder“ nicht geizte.
Der so Attackierte ließ sich nicht einschüchtern. Der damals 22-jährige Arnold setzte in seinen ersten beiden Heften unverdrossen auf seine Hausgötter Grass und Jahnn – und es gelang ihm scheinbar mühelos das, was bei Rainer Maria Gerhardt, dem heute vergessenen Literaturgenie der Nachkriegszeit, noch in astronomisch hohen Schulden und einem tragischen Freitod geendet hatte. Unter dem ursprünglich von Arnold gewünschten Zeitschriftentitel fragmente hatte Gerhardt schon 1951/52 in seinem großartigen literarischen Journal dem restaurativen Nachkriegsdeutschland die Leviten gelesen, war aber an notorischem Geldmangel und ästhetischer Kompromisslosigkeit schon früh gescheitert.
Heinz Ludwig Arnold und seine frühen Mitstreiter Gerd Hemmerich, Lothar Baier und Joachim Schweikart hatten mit Text + Kritik mehr Glück. Das Konzept, sich in kritischen Aufsätzen immer nur einem wichtigen Gegenwartautor zu widmen, schien zunächst nur auf ein germanistisches Fachpublikum zu zielen. Nachdem er aber auf listige Weise beim Chefmanager von HAPAG-Lloyd eine Spende von 1000 DM rekrutiert hatte, begann Arnold mit seinem neuen Literaturblatt von Göttingen aus die literarische Welt zu erobern. Das Debütheft über Günter Grass, ein 32 Seiten-Heftchen, ist noch heute, in stark erweiterter und aktualisierter Fassung, zu haben. Für den Eröffnungsbeitrag, eine „Verteidigung der Blechtrommel“, hatte Arnold den Brüsseler Germanisten Henri Plard gewinnen können, den er während seiner literarischen Lehrjahre als Sekretär Ernst Jüngers kennen gelernt hatte. Auf sein literarisches Adjutantentum bei Ernst Jünger, das von 1961 bis 1963 währte, blickte Arnold später mit einigem Ingrimm zurück, zuletzt in seinem Text + Kritik-Heft zu Jünger, das die schärfste Kritik am Anarchen aus Wilflingen enthält, die jemals aus literaturwissenschaftlicher Perspektive geübt wurde.
Die Lust an der literaturkritischen Auseinandersetzung zeichnet ja nicht nur das Jünger-Heft, sondern viele andere Projekte der edition text + kritik aus, die 1969 im juristischen Fachverlag Richard Boorberg ein festes verlegerisches Fundament gefunden hatte und dort ab 1975 als selbständiger Verlag agieren konnte. Text + Kritik war nie ein Forum für urteilsschwache Germanisten, die jede interpretative Wendung mit einem Überangebot an Fußnoten absichern, sondern ist bis heute die bevorzugte Schaubühne für philologische Feuerköpfe, die cum ira et studio für oder gegen einen Autor und sein Werk eintreten. So muss jeder Autor, dem die Ehre zukommt, in einem Text + Kritik-Heft analysiert und seziert zu werden, mit kritischen Dekonstruktionen des eigenen Werks rechnen.
Mittlerweile hat die öffentliche Aufmerksamkeit nachgelassen, aber die angriffslustige Essayistik ist auch nach insgesamt 157 Heften das Markenzeichen von Text + Kritik geblieben. In Neuauflagen und Aktualisierungen wurden veraltete Urteile revidiert, beim Wechsel der Denkschulen und Interpretationsmethoden aber auch so mancher Purzelbaum geschlagen. In der 5. Auflage des Ingeborg Bachmann-Heft exponierte sich z.B. eine schrille feministische Literaturwissenschaft, der Sonderband Nr. 100 über „Literaturkritik“ publizierte massive Attacken auf Marcel Reich-Ranicki. Einem euphorischen Sonderheft über „die andere Sprache“ der „Prenzlauer-Berg-Connection“ folgte mit der Nummer 120 alsbald die Selbstkorrektur im desillusionierten Blick auf den Zusammenhang von „Literatur und Staatssicherheitsdienst“. Die subtilsten, stilistisch funkelndsten Schriftsteller-Entzauberungen haben in den letzten Jahren Hermann Korte und Hugo Dittberner verfasst. Über Sarah Kirsch, in der Nummer 101, findet man z.B. die wunderbare Sentenz, die Dichterin schreibe „Gedichte, die durch forcierte intellektuelle Unterbeanspruchung langweilen“. Diesen Königsweg literaturkritischer Unruhestiftung will Text + Kritik nicht mehr verlassen.

Michael Braun, Saarländischer Rundfunk, April 2003

 

Fakten und Vermutungen zu TEXT+KRITIK

 

Zum 50. Geburtstag des Autors:

Uwe Berger: Zwei Dichter unserer Zeit. Zum 50. Geburtstag von Peter Huchel und Erich Arendt
Aufbau, Heft 4, 1953

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Helmut Ullrich: Lobpreis irdischer Schönheit. Zum 60. Geburtstag des Schriftstellers Erich Arendt
Neue Zeit, 13.4.1963

Georg Maurer: Erich Arendt zu seinem 60. Geburtstag
Sonntag, 15.4.1963
Nachgedruckt in: G. M., Essay I. Halle: Mitteldeutscher Verlag 1968

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Günther Deicke: Dichter und Weltfahrer. Erich Arendt zum 65. Geburtstag
Berliner Zeitung, 16.4.1968

Elke Erb: Erich Arendt zum 65. Geburtstag
Sonntag Nr. 16, 1968

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Günther Deicke: Poetische Sprache unserer Solidarität. Erich Arendt zum 70. Geburtstag
Neues Deutschland, 15.4.1973

Günter Gerstmann: Der geistigen Welt der Väter verpflichtet
Neue Zeit, 15.4.1973

Hinstorff gratuliert seinem Autor Erich Arendt zum 70. Geburtstag
trajekt 7, VEB Hinstorff Verlag, 1973

Zum 75. Geburtstag des Autors:

J(ürgen) Sch(midt): Ein lähmendes Gefühl ist das. Dem Dichter und Übersetzer Erich Arendt, fünfundsiebzig Jahre alt, zu Ehren
Stuttgarter Zeitung, 16.9.1978

Gregor Laschen/Manfred Schlösser (Hg.): Der zerstückte Traum. Für Erich Arendt zum 75. Geburtstag
Agora, 1978

H. U.: Kunde von Siegen und Niederlagen durch die Poesie
Neue Zeit, 15.4.1978

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Hubert Witt: Der flutharte Traum. Erich Arendt zum 80. Geburtstag
Sinn und Form, Heft 2, 1983

Hans Marquardt/Hubert Witt: Himmel und Erde. Erich Arendt zum 80. Geburtstag
Sonntag, 17.4.1983

Zum 85. Geburtstag des Autors:

Uta Kolbow: In Raum und Zeit
Berliner Zeitung, 15.4.1988

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Uwe Grüning: Erinnerungen an Erich Arendt
Ostragehege, Heft 30, II/2003

Fakten und Vermutungen zum Autor + Archiv 12 + KLG + UeLEX +
Kalliope
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum +
Brigitte Friedrich Autorenfotos
Nachrufe auf Erich Arendt: Grabrede ✝ Neue Zeit ✝ ndl ✝
Neues Deutschland ✝ LITFASS ✝ Sinn und Form

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