Wulf Kirsten: Zu Karl Schnogs Gedicht „Der Steinbruch“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Karl Schnogs Gedicht „Der Steinbruch“ aus Karl Schnog: Jedem das Seine. 

 

 

 

 

KARL SCHNOG

Der Steinbruch

Eine Landschaft wie am Schöpfungstage:
Sand und Steine, Büsche. Und sonst nichts.
Graue Gräser. Schreie wilder Klage.
Ort des Grauens, Tal des Weltgerichts.

Müde Füße, abgewetzte Treppen.
Alles jagt und hastet, keucht und rennt.
Schleppen – Schleppen – Schleppen – Schleppen.
Und erbarmungslos die Sonne brennt.

Schläge klatschen, Menschen fallen nieder.
Wolken Staubes und dazwischen Blut.
Fallen – Tragen. Immer, immer wieder.
Schmerzensschreie, Schreie wilder Wut.

Doch der Tag der Freiheit kommt für jeden.
Kamerad im Steinbruch, bist noch Knecht.
Einmal werden Steine für dich reden.
Wird der Steinbruch einst an dir gerächt?…

Buchenwald 1944

 

Eine Landschaft wie am Schöpfungstage

Das im KZ Buchenwald 1944 entstandene Gedicht kontrastiert den Ort des härtesten Arbeitskommandos, der den Häftlingen als die Hölle galt, mit der landschaftlichen Umgebung und der Sicht vom Ettersberg auf weite Teile Thüringens. Historisches Wissen und die heutige eingegrünte, blumige Friedfertigkeit haben den Kontrast um ein Vielfaches potenziert. Im Steinbruch kommandierten die schlimmsten Sadisten unter den SS-Chargen. Selbst der Kapo, ein ehemaliger Fremdenlegionär namens Johann Herzog, war ein brutaler Schläger. Oft wurden Häftlinge in dieses Arbeitskommando geschickt, um sie „auf der Flucht“ zu erschießen. Ein Schicksal, daß unter anderen der ehemalige Kommunist Werner Schalem und der ehemalige österreichische Justizminister Dr. Robert Winterstein erlitten. Der schweren körperlichen Arbeit waren die ausgemergelten Gestalten nicht gewachsen. Unfälle, Verstümmelungen, Erschießungen waren an der Tagesordnung.
Der aus Köln stammende Theaterregisseur, Schauspieler, Rezitator, Kabarettist, Hörspielautor, Mitarbeiter zahlreicher Zeitschriften wie Die Weltbühne, Das Stachelschwein, Lachen links mußte als Jude im April 1933 fliehen und gelangte über Belgien, die Schweiz nach Luxemburg, wo er im Mai 1940 verhaftet und ins KZ Dachau deportiert wurde. Am 12. Juli 1941 gelangte er mit einem Häftlingstransport nach Buchenwald. Zeitweilig(?) war er dort dem Strumpfstopfer-Kommando zugeteilt. Bugen Kogon berichtete, daß er bei illegalen Kulturveranstaltungen seine im KZ entstandenen Gedichte vortrug. Darunter dürfte wohl auch das 1944 entstandene, in seiner Bündigkeit den versierten Lyriker bezeugende Gedicht vom Steinbruch gehört worden sein.
Die Steine reden sehr wohl für alle Häftlinge, die an diesem Ort unter unmenschlichen Bedingungen schuften mußten. An den Gedenkveranstaltungen sollte mit dem Gedicht auch an seinen Autor erinnert werden, der 1946 Redakteur des Ulenspiegel wurde, 1948–1951 als Redakteur am Berliner Rundfunk wirkte. Seine satirischen und zeitkritischen Gedichte erschienen in den beiden Nachkriegssammlungen Jedem das Seine (1947) und Zeitgedichte – Zeitgeschichte (1949). Was schon vor Jahren beklagt wurde, gilt noch immer:

Eine umfassende Ausgabe der Arbeiten des engagierten Zeitkritikers ist überfällig.

Wulf Kirstenaus Jens Kirsten und Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Thüringer Anthologie. Weimarer Verlagsgesellschaft, 2018

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