Paul Celan: Sprachgitter

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Paul Celan: Sprachgitter

Celan-Sprachgitter

EIN HOLZSTERN, blau,
aus kleinen Rauten gebaut. Heute, von
der jüngsten unserer Hände.

Das Wort, während
du Salz aus der Nacht fällst, der Blick
wieder die Windgalle sucht:

– Ein Stern, tu ihn
tu den Stern in die Nacht.

(– In meine, in
meine.)

 

 

 

Nur ein so unvergleichlicher Artist

wie Celan darf es wagen, sich dem Sog der Bilder anzuvertrauen. Seine Nüchternheit, sein untrüglicher Sinn für die magische Wirkung, bewahrt ihn davor, den Raum der Kunst auch nur in einer einzigen Zeile zu verlassen.
Wer sonst könnte das von sich sagen? Wem anders möchte man jene dunkle Schlichtheit, die Simplizität des Nächtlichen, zuschreiben, deren apodiktische Kälte den großen Gedichten unseres Jahrhunderts, von „Grodek“ bis zu den „Pisaner Gesängen“, von der „Jungen Parze“ bis „Burnt Norton“, zukommt.

Walter Jens, S. Fischer Verlag, Klappentext, 1974

 

Die unterkühlte Romantik des Lyrikers Paul Celan

Es gibt heute wenige Lyriker, deren Neupublikationen man mit Spannung erwartet, und es sind meist jene Poeten, die sich rar machen und der breiteren Öffentlichkeit versagen. Es ist jener Typus, dessen Namen man nicht allenthalben Beiläufiges unterzeichnen sieht und der, außer im Gedicht, eigentlich kaum öffentlich wird. Nicht die Vielseitigen sind es, auf die man setzt, wenn nach dem Konzentrat Gedicht gefragt wird, nicht die Allroundkünstler, sondern gerade die Einseitigen, die Verbissenen, die Stilbilder. Zu ihnen wollen wir Paul Celan rechnen, der jetzt sein drittes Gedichtbuch vorlegte.
Es ist Celans konsequentestes Buch, wenn man so will – wenn man nicht so will: etwas besonders Schmalspuriges, strotzend oder besser starrend von Programmatik. Das will meinen, daß wir eine Art lyrischen Manifestes vor uns haben, in dem die Kunst bestimmt wird als eine Welt außer der Welt, als ein Reich von eigenem Geist und besonderen Gnaden. Die Kunst, der Celan ihren Kontur ritzt, hat mit unserer Natur- oder Geschichtswirklichkeit nur noch so viel zu tun, daß sie sich der lebendigen Erscheinungswelt als entgegengesetzt empfindet, daß sich ihre Umrisse dort bilden, wo das Leben aufhört oder erstarrt, daß sie ihre Negativposition bezieht jenseits von Tag und Werden, von Licht und Bewegung.
„Wirklichkeitswund“, diese Formel hält der Klappentext für uns parat, und so belegen uns auch die lyrischen Dokumente eine Kunsthaltung, die die strömende, bewegte und der Veränderung unterworfene Wirklichkeit als widrig und beunruhigend empfindet; die sich verschließt gegenüber dem ganzen sensorischen Reizapparat der Realität und sich auf die kalte Ordnung des Bizarren, Versteinerten, Abgestorbenen und Mustergewordenen zurückzieht.
Celan überträgt die Erfahrung des Isoliertseins und einer glaubens- und hoffnungslosen Einsamkeit ins Bild. So plakatiert er seine Bescheidung in einem kühlen und stolzen Nihilismus, der jeder gemütlichen Anteilnahme am Leben enträt und dessen Reich, ausgespart aus dem Wandel und den Wallungen der Zeitlichkeit, sich durch eine Vielfalt von Negativbegriffen definiert. Er ruft das Nichts an: „Ich stürze alles in niemandes Hand“ – beschwört die Stummheit: „Mundvoll Schweigen“, „Lippe schweigt es zu Ende“ – besingt das Blinde und Leere in einem: „Wir schöpfen die Finsternis leer“ – sieht das Absolute in der Erstarrung: „Vogelflug, Steinflug“ – aber erstaunlich, was bei anderen zeitflüchterischen Poeten unserer Gegenwart nur noch als modische Maske und mondänes Make-up wirkt, gewinnt bei Celan noch einmal den eisigen Glanz des Erlesenen und überzeugt durch seine mit dem Glasschneider geritzten, farbarmen Bilder.
Celan ist also als Ausnahme nicht nur unter lyrikschreibenden Zeit-, sondern auch unter Artgenossen anzusprechen, und wenn man gleich allerhand gegen jene unterkühlte Romantik einzuwenden hat, wie sie heut bereits ins Geläufige heckt, so wird man doch in dem Fall seine Hochachtung nicht versagen, wo ein wirklicher Dichter die gegebenen Strukturen, die fixierten Kunstphilosopheme mit Elektrizität auflädt und über das bloß Symptomatische hinaus zu einem „New-Sound“ kommt.
Es stößt ja, wer zeitgenössische Gedichte in ihren strukturellen Eigenschaften untersucht, immer wieder auf die Tat- oder Kunstsache, daß das bloße Vorhandensein gewisser moderner Mechanismen (Denaturalisation, Deshumanisation, absolutes Bild usw.) bereits als Erfüllung gelten möchte und Grob-Prinzipielles schon als Qualität angesprochen werden will.
Welch ein Wunder, so ist man geneigt zu bemerken, daß hier ein einzelner eine bereits ins Breite und Unaparte getretene Mode noch künstlerisch rechtfertigt. Und das, obwohl der Autor Celan mitnichten jenen metaphorischen Abgegriffenheiten entsagt, die wir seit Mallarmé bis zum Überdruß kennen und die immer noch und überall den Erweis dichterischen Up-to-dates erbringen sollen: die Reduzierung der Natur auf ein geometrisches Muster, auf ein abstraktes Liniengefüge und die Umsetzung der Erscheinungswelt ins Steinerne, Metallene, Gläserne, Hürnene, Lederne und schließlich – Papierene.
Diese Tendenz aufs Unpersönliche, diese Gefahr des metaphorischen Allgemeinplatzes ist nun allerdings nicht nur auf das Konto einer mit Hochbegabungen schwach besetzten Generation zu schieben, vielmehr liegen konstitutive Gefährdungen in jenem modernen Prinzip selbst, das vornehmlich und vielleicht zwangshaft mit solchen Gegeninhalten wie der Starre, der Leere, der Stummheit umgeht und das dort seine Ausdrucksgrenze findet, wo eben der bilderarme Bereich des „Nichts“ nur noch wenige stereotype Symbole zuläßt.
Hier nämlich sind wir heute angelangt, daß ein fixer Symbolkanon einem Einzelgänger- und Einzelsängertum schon von sich aus Originalität und Flügel verschneidet und daß eine nachfolgerische Verwerter-Moderne im willkürlichen Gefuchtel und im recht selbstherrlichen, aber im Grunde wahllosen Umgang mit dem gegebenen Material seine Außerordentlichkeit zu retten sucht.
Im krassen Gegenteil Celan. Nun besitzt er allerdings in der Anlage, was dem Großteil seiner Stilgenossen bereits von Haus aus abgeht: die Gabe unverwechselbaren Gesanges, eine ganz eigentümliche Sprachmusik – halb in die Stille gemurmelt und halb vom Podest gesungen.

SOMMERBERICHT

Der nicht mehr beschrittene, der
umgangene Thymianteppich.

Eine Leerzeile, quer
durch die Glockenheide gelegt.
Nichts in den Windbruch getragen.

Wieder Begegnungen mit
vereinzelten Worten wie:
Steinschlag, Hartgräser, Zeit.

Aber doch muß man noch von gewissen Schwächen am Rande sprechen, die sich dort bemerkbar machen, wo eine Beschränkung ins allzu Enge strebt, wo sich Einseitigkeit schließlich ins Monochrome und Monotone ausdünnt. Ist also dem Lob der Einwand nachzutragen, daß gerade das Eisfarbene in der Wiederholung öde wirken kann und daß die kunstvolle Tonlosigkeit, das litaneihafte Raun-Summen in bloße Leerläufigkeit mündet, wenn das Gestaltungsprinzip zum reinen Wiederholungsmechanismus wird.
Wie sich jede humane Tugend durch extreme Zuspitzung zum Manko verkehrt, so bedarf es auch im Umgang mit ästhetischen Werten jenes Maßes, das innerhalb eines bestimmten Spannungssystems optimalen Reiz garantiert. Wobei hervorzuheben ist, daß keineswegs nur Häufung und Überschreitung des Maßes der Intensität Abbruch tun, sondern daß auch ein Zuviel an Enthaltsamkeit das Knappe ins Karge und Dürftige verwandelt.
Da solche Dörrdefekte hier und dort in den Arbeiten Celans sichtbar werden, seien sie verzeichnet. Sie gefährden zwar nicht das Gesamt, lassen aber doch gelegentlich ganze Strophen als versteppt erscheinen.

Peter Rühmkorf, Welt, 16.5.1959

Das Werk und seine Rezeption

Sprachgitter

Während die Rezensenten des Bandes Von Schwelle zu Schwelle zumeist die Fortführung der bereits in Mohn und Gedächtnis beobachteten Tendenzen konstatierten und z.T. als gefährliche Stagnation, Zeichen nachlassender Begabung werteten, waren sie sich über die Neuartigkeit der unter dem Titel Sprachgitter 1959 im S. Fischer Verlag gedruckten 33 Gedichte einig. Der zwischen März 1955 und November 1958 geschriebene Band ist Celans schmalster; sein Entstehungsprozess wurde immer wieder durch längere Schaffenskrisen unterbrochen – dies ist nicht zuletzt deshalb bekannt, weil er der erste Band ist, für dessen Gedichte lückenlose Entstehungsdaten vorliegen. Gerade der geringe Umfang lässt die Sorgfalt besonders deutlich werden, mit der die sechs Zyklen komponiert sind: Zwei gegliederte Langgedichte, „Stimmen“ (Paul Celan: Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band, hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann, Frankfurt a.M., S. 91) und „Engführung“ (Paul Celan: Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band, hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann, Frankfurt a.M., 2003, S. 113), bilden den Rahmen für vier knappe Binnenzyklen mit jeweils weniger als zehn Gedichten. Sowohl die neue Häufigkeit des Wortes „Schweigen“ als auch die Funktion von Pausen und Aussparungen in den eher kurzen, überwiegend verbannen Versen wurden von der Kritik wahrgenommen, aber sehr unterschiedlich bewertet. Die Charakterisierung reichte von Schmalspurigkeit (Rühmkorf 1959) bis zu Porosität, die allein Garant sei für Wahrheitsaussage (Schmied 1959). Auf der einen Seite wurden bereits wichtige Kennzeichen von Celans Dichtung überhaupt festgestellt – wie die Multivalenz der Bilder, durch die gerade Präzision möglich werde (Gruenter 1959) – und Celans Lyrik zumindest indirekt eine spürbare Wirklichkeitsnähe (Schmied 1959) zuerkannt. Als durchaus politischen Zugang zur Welt mochte dies – etwa in „Ein Auge, offen“ aus den Tagen der Algerienkrise 1958 – allerdings niemand deuten. Auf der anderen Seite wurde der Wirklichkeitsbezug selbst von Gedichten wie „Tenebrae“ oder „Engführung“ (Paul Celan: Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band, hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann, Frankfurt a.M., S. 113) von vielen Kritikern übersehen – von den gleichen Kritikern, die ihrerseits dem Dichter unterstellten, sich mit Wirklichkeit nicht auseinander setzen zu wollen und im gleichen Atemzug den Dichter als Ausnahme unter den „Artgenossen“ (Rühmkorf 1959) bezeichneten oder die „Bildersprache […] von eigenen Gnaden“ durch Celans Herkunft begründeten (Blöcker 1959). Derartige Beurteilungen setzten die bereits aus der Mitte der 50er Jahre bekannten Schemata fort, deren antisemitischer Grundton auch von der politischen Linken nicht reflektiert wurde und wird. Sie gehörten zudem in ein neues politisches Klima, in dem es – seit Ende 1959 – wieder zu Drohungen und Handgreiflichkeiten gegenüber Juden, jüdischen Firmen und jüdischen Einrichtungen kommen konnte.

Aus Paul Celan: Todesfuge und andere Gedichte. Text und Kommentar, hrsg. von Barbara Wiedemann, Suhrkamp Verlag, 2004

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Dietger Bansberg: Paul Celans Sprachgitter: eine Interpretation
Seminar, 12. 1976

Hans Bender: Die Weisheit der unausgesprochenen Worte. Über neue Lyrik-Bände
Merkur, Heft 156, Februar 1961

Horst Bienek: Narben unserer Zeit
Frankfurter Hefte, 14. 1959
Auch in: Über Paul Celan. Hrsg. v. D. Meinecke, 1973

Stewart Corbet: Paul Celan’s Modes of Silence: Same Observations on Sprachgitter
The Modern Language Review, 67. 1972

Petru Dumitriu: Möglichkeiten der Lyrik. (Dort zu Paul Celan, Mohn und Gedächtnis, Sprachgitter)
Der Tagesspiegel, 21.7.1963

Rainer Gruenter: Meister der Dunkelheit (Paul Celan, Sprachgitter]
Neue Deutsche Hefte, 6. 1959/60
Auch in: Über Paul Celan. Hrsg. v. D. Meinecke, 1973

Alfred Hoelzel: The suicidal rhetoric of silence
The Jerusalem Post Magazine. Lit. Page, 2.6.1972

Alfred Kelletat: Accessus zu Celans Sprachgitter
Der Deutschunterricht, 18. 1966
Auch in: Über Paul Celan. Hrsg. v. D. Meinecke, 1973

Karl Krolow: Das Wort als konkrete Materie
Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, 8.4.1959
Auch in: Über Paul Celan. Hrsg. v. D. Meinecke, 1973

J. Christopher Middleton: (Zu: Sprachgitter)
German Life and Letters, 13. 1959

Poetic reorientation: Return to a sense of wonder. (Über: Mohn und Gedächtnis, Von Schwelle zu Schwelle, Sprachgitter)
The Times Literary Supplement, 23.9.1960

Wieland Schmied: (Zu: Sprachgitter)
Wort in der Zeit, 5. 1959

Joachim Stave: „Hüpfgesunde“ Lyrik? Das Sprachbarometer 61. (Beziehungen der Werbesprache zur Sprache Paul Celans, Sprachgitter)
Muttersprache, 72. 1962

 

Bobrowski kontra Celan

– Eine literarische Kontroverse. Johannes Bobrowski und Paul Celan gehören, jeder auf seine unnachahmliche Weise, zu den bedeutendsten deutschen Lyrikern der zweiten Jahrhunderthälfte. Bei aller grundsätzlichen Verschiedenheit des lyrischen Ansatzes lässt sich durchaus Gemeinsames im Werk beider finden – und dennoch: Bobrowski (gestorben 1965) und Celan (gestorben 1970) standen sich fremd gegenüber, reagierten mit wechselnder Schärfe abweisend auf das Werk des jeweils anderen.
Der in Linz am Rhein lebende Schriftsteller Peter Jokostra hat über Jahre hinaus mit Johannes Bobrowski und Paul Celan in brieflichem Verkehr gestanden. Zum erstenmal enthüllt er hier anhand dieser Korrespondenz das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Lyrikern – ein faszinierend-tragisches Kapitel der jüngsten deutschen Literaturgeschichte. –

Natur. Die Teilnahme anderer ist Zufall, Glücksfall oder Irrtum. Im Grunde gehen sie nur den Erzeuger selbst an. Aber das ist etwas gänzlich anderes als die Konstruktion von Spezialgeräten oder -formen für Hochspezialisierte. Du siehst, ich bin nicht weiter als letztens. Und es tut mir leid… (21. Mai 1959)

Was Bobrowski vom Gedicht erwartete, die Vorbilder, an denen er sich und seinen Vers orientierte, erhellt ein kurzer, aber gewichtiger Brief vom 15.6.1959, der, ohne Celan zu erwähnen, aus der ergebnislosen Beschäftigung mit dem Sprachgitter entstanden und nur in diesem Zusammenhang gelesen werden kann. Bobrowski stellt dort kategorisch fest:

Ein in Mode stehendes Vorurteil: Gedichte müssten Bildkonzentrate sein, magische Konzentrate – aber das ist wohl keine Rezeptur. Bei solcher Art Dichterei kommen die blanken Kümmerlichkeiten zustande, aber kein Gedicht von Saint-John Perse. Gedicht – das fängt an, wo das Interessante, der Kitzel aufhört. Ich meine das nicht nur in eigener Sache…

Saint-John Perse, der Inseldichter aus Guadeloupe, bedeutete für den sarmatischen Regionalisten Bobrowski den Massstab für Qualität, er ist ein Teil des „Neuen, Anderen, Dazugekommenen“, er steht für die Welt. Dieser Dichter der Weltmeere – wie Klopstock, den Bobrowski als seinen Lehrmeister bezeichnete, ein Hymniker – hat mit seinen „See-Marken“ ebenfalls das Modell eines Universums entworfen, ohne sein Vorhaben allerdings werktheoretisch zu begründen, ohne Manifest. Es ist aufschlussreich und typisch, dass der Regionalist Bobrowski gerade bei Saint-John Perse anknüpfte, ihn zum Massstab seiner künstlerischen Relevanz machte.
Saint-John Perse, dessen Universum Guadeloupe heisst – es ist die Heimatinsel des Antillen-Dichters –, wird als Zeuge aufgerufen, dass der Weg nach Sarmatien der einzig gangbare ist, der Weg, der eben aus der eigenen Herkunft heraus in die Welt führt, zu Tutuola, Césaire, Senghor. Bemerkungen über Paul Celan und meine Freundschaft zu ihm finden sich fast in allen Briefen Bobrowskis verstreut, manchmal als Invektive, oft aber im Zusammenhang mit anderen Sujets, mit denen er sich gerade beschäftigte oder auf die er Bezug nahm. Erstmalig erwähnt er ihn in einem Doppelbrief am 19. und 20.12.1958:

Deine Bekanntschaft mit Celan gefällt mir sehr. Die Andeutungen über seine neuen Dinge versprechen, was ich mir für ihn gewünscht habe: dass er sich aus der Zuneigung der Snobs zurückziehen möchte.

Am 12.1.1959 bemerkt Bobrowski:

Auf den neuen Celan-Band werd ich aufpassen. Wahrscheinlich hat er recht, aber das hilft uns nichts.

Eine etwas mysteriöse Bemerkung. Denn es fehlt jeder Hinweis, inwiefern Celan „uns“ helfen könnte. Im März 1959 wendet sich Bobrowski zum erstenmal gegen ein bestimmtes Gedicht Paul Celans, dessen Aussage ihn zu einer langen Entgegnung veranlasste, die bereits die Umrisse von Bobrowskis Poetologie erkennen lässt. Es ist das in dem Band Von Schwelle zu Schwelle abgedruckte Gedicht „Nächtlich geschürzt“, mit dessen letzter Passage „Ein Wort – du weisst: eine Leiche…“ Bobrowski nicht einverstanden war. Dieser Brief eröffnet die eigentliche Kontroverse, er ist darüber hinaus ein literarisches Dokument von höchstem Rang. Bobrowski wendet sich zornig, aggressiv und programmatisch an ein Publikum, das ihm damals noch fehlte. Er war ja im Gegensatz zu Celan 1959 noch ein absolut unbekannter Autor ohne jede eigene Buchveröffentlichung:

Ein Wort – eine Leiche: wer das sagt und auch nur einen Satz nachfolgen lässt, treibt Reliquienkult. Ich hab schon ein Vierteljahr nichts mehr geschrieben, weiss auch nicht, ob und wann es wieder einmal damit etwas wird, aber ich hab ein ungebrochenes Vertrauen zur Wirksamkeit des Gedichts – vielleicht nicht „des Gedichts“, sondern des Verses, der wahrscheinlich wieder mehr Zauberspruch, Beschwörungsformel wird werden müssen. Die Klarstellung von Sachverhalten, Lehrgedicht und sonst etwas, damit ist’s aus. Ballade usw. ist heute Karnevalslied, Schnulze. Schiller wird nie mehr möglich sein, auch G. Hauptmann, Zola, Balzac nicht. Die Literatur wird entvölkert werden, geschichtslos sein müssen. Die Geschütze der Zukunft werden mit geweihten Kugeln geladen, ihre Bahnen mit Beschwörungszauber gelenkt.
Das ist ziemlich grausig, aber es spricht alles gegen ein Aufgebenkönnen. Wir müssen unsere Litaneien in die grässlichen Prospekte hineinsagen, ganz einfach sagen, nicht lautstärker als vorher. Das muss so sein – zwischen allen Stühlen, das ist eine Position. (4. März 1959)

Da ich überzeugt war, dass Bobrowski Celans Gedicht missverstanden hatte und ich selbst Klärung und Gewissheit suchte, schrieb ich an Celan nach Paris. Er war ein äusserst schwieriger und auch schweigsamer Dialogpartner, ehe er in den letzten Jahren vor seinem Freitod ganz verstummte. Aber schon 1959 kommentierte er sein Gedicht, zu dem er sich nach wie vor bekannte. Beide unterschieden sich in ihren Reaktionen. Während sich Bobrowski gern und oft korrigierte, da er Bestätigung brauchte und auf Verständnis und Freundschaft geradezu angewiesen war, nahm Celan niemals ein geschriebenes oder gesprochenes Wort zurück. Er antwortete auf Bobrowskis Vorwürfe in einem verschlüsselten Text:

Worthimmel finster, ja. Worthagel. Aber dann, über die Schütte Hagel hin –: Ozon, atembar, rein; erhobenen Hauptes gehst du übers Land neben (nahen-fernen) Brüdern. (Zuversicht: Als Titel, als Anfang – dazu als „Endwort“ Brüder)
Das Wort – eine Leiche, aber: lass uns sie waschen, lass uns sie kämmen, lass uns ihr Aug himmelwärts wenden!
Welche Zuversicht? Von Kafka her, mit ihm weiterdenken. „Die Tatsache, dass es nichts gibt als eine geistige Welt, nimmt uns die Hoffnung und gibt uns die Gewissheit!“ Ich habe das immer so gelesen, als wäre es ein Grund, dazusein, zu leben, zu atmen.
(6. April 1959)

Celan interpretierte das berühmte Zitat aus Kafkas „Er“-Betrachtungen im Sinne seines Gedichts, das er durchaus nicht als Absage an das Leben aufgefasst wissen wollte. Er holte sich Zuversicht und auch Bestätigung im Werk des Prager Juden Franz Kafka, dessen brüderliche Nähe er zu spüren glaubte.
Bobrowski schwächte bald darauf sein hartes Urteil über Celans Gedichte ab und gab zu:

Und der Celan – ich weiss schon, dass er Gutes gemacht hat, wenn ich auch über Mohn und Gedächtnis hinaus nur weniges von ihm kenne, und ich bin auch nicht so sehr überheblich. Allerdings werd ich nie ganz den Eindruck los, dass er alles recht praktikabel sagt, soll heissen: melodisch, mit edlem Parfüm und gängigem Sentiment. Kurs gesagt: der liebe Celan wird schon mit Anstand durchkommen. Verzeih, wenn das zu bösartig klingt. Ich meine es nicht so. (5. Mai 1959)

Der Brief vom 21.5. dagegen enthält neben der scharfen Kritik an Celans Sprachgitter das seltsame Eingeständnis:

Ich schick Dir wieder ein paar alte Sachen mit: mein sozusagen ältestes Gedicht, die Elegie; die von Celan beeindruckte „Spur im Sand“.

Zum erstenmal gibt Bobrowski zu, sich dem starken Eindruck, den die Gedichte seines Widersachers auf ihn machen, nicht entziehen zu können. Aber am 27.7.59 bemerkt er böse und kategorisch:

Ueber Celan werd ich mich nicht mehr äussern. Ich glaub, es ist gar nichts.

Und in einem Nachtrag zu diesem Brief wiederholt er:

Wie gesagt Celan ist gar nichts – sone Art Geibel.

Und um ein Beispiel zu geben, was er für wirklich grosse Literatur hält, zitiert er eine Passage von dem Maler Kandinsky und bekennt sich zu dem ermordeten spanischen Dichter Federico García Lorca.

Am 14.8.59 fährt er in seiner unaufhörlichen Replik fort

Nochmal zu Celan! Lass mich doch toben, lieber Mann, dem Celan fällt davon kein Stein aus der Krone. Ich kann Dir sagen, ich gebe mir redliche Mühe mit ihm. Es wird aber doch an ihm liegen, wenn mir Sprachgitter wie eine Destillieranstalt vorkommt, wie eine elegant aufgemachte Alchimistenküche. Und eben dahinein trau ich mich nicht.

Und dann am 5.10.59:

Noch einmal: Celan ist nichts, bestenfalls eine Parfümfabrik, die jetzt Juchten liefert und früher Veilchen. Aber das sag ich, ohne den Beweis anzutreten Ich hab nur das gleiche Magenweh bei ihm wie bei Rilke.

Aber am 27.10.59 folgt das überraschende Eingeständnis:

Wegen Celan: Ich war doch nicht so grämlich, wenn ich ihn nicht von Herzen liebte, er kann heute an der Tür stehen und bei uns bleiben natürlich. Nun bist Du wohl beruhigt.

Am 23. November 1959 bemüht er sich weiter um positive Kontaktaufnahme und berichtete von einem Besuch des in der DDR lebenden Dichters Erich Arendt bei Celan in Paris:

Mit Celan bin ich ausgesöhnt. Er hat mir seine Mandelstam-Gedichte geschickt. Ich habe mich bedankt ohne literarisches Gespräch, nur mit der Versicherung der Genossenschaft. Unaufdringlich, versteht sich.

Am 12. Januar 1969 teilte er anlässlich seiner Lesung im Schutzverband Deutscher Schriftsteller in Berlin mit, dass „Celan seine Rimbaud-Uebertragung schickte, sie ist grossartig“. Im November 1960 äusserte sich Bobrowski zu Gerüchten, die über Celans Verhalten in Umlauf waren. Es waren nicht nur Gerüchte. Keine Legendenbildung kann die Tatsache aus der Welt schaffen, dass Celan oft, von seinen echten oder falschen Freunden enttäuscht, rigoros mit ihnen umging, dass er Claire Goll, die Frau seines einstigen Gefährten und Mentors Iwan Goll, mit unversöhnlichem Hass verfolgte, dass seine Ehe mit Gisèle spannungs- und krisenreich verlief, dass sie schliesslich ebenso zerbrach wie die Freundschaft mit dem Dichter der Résistance, René Char, und vielen anderen Zeitgenossen. Bobrowski schrieb dazu:

Mein Gott! Celan – ich hab so einiges gehört. Sicher beträgt er sich unmöglich allen Leuten gegenüber – von Bachmann bis zur selbsteigenen Gisèle –, aber das ist nicht so wichtig. Ich hau allen Leuten aufs Maul, die ihn ärgern wollen, mir selbst hab ich’s damals auch getan, als ich fast verzweifelte, durch sein „Sprachgitter“ hindurchzufinden. (17. November 1960)

Bobrowskis Gerechtigkeitssinn liess es nicht zu, dass Unbefugte über den Gegner von einst urteilten. Das Wiederaufleben der Goll-Affäre alarmierte auch ihn. Er assistierte dem Beschuldigten am 2.1.1964:

Aber was ist mit Celan? Plagiat-Skandal? Sein neuer Gedichtband macht mir’s so schwer wie der letzte. Aber ich geb’s ja nicht auf, das ist das mindeste, was er von mir erwarten kann; und zuletzt schaff’s ich’s ja dann noch immer.

Ende Januar 1964 äusserte sich Bobrowski zum letztenmal zu Celan und seinem Werk, das ihm bis zum Ende fremd blieb. Sein Brief war mehr als nur eine Geste der Versöhnung, er war ein echtes Zeichen der Freundschaft, oder sagen wir richtiger: der Bereitschaft zur Freundschaft. Denn Bobrowski hatte ein grosses Gedicht „Wiedererweckung“ geschrieben (es wurde im Nachlassband Wetterzeichen veröffentlicht), das er Paul Celan widmen wollte. Die Thematik dieses sehr eigenwilligen und dunklen Gedichts betraf das jüdische Schicksal der Verfolgung, Vernichtung und Wiedergeburt. Es war von Celans Erfahrungen inspiriert und sollte Bobrowskis dichterisches Bekenntnis zu dem so lange und schmerzlich missverstandenen und Angriffen ausgesetzten Lyriker im Pariser Exil sein.
Traurig und unkonziliant war dann Celans Reaktion auf die beabsichtigte Widmung. Auf meine Anfrage wies er Bobrowskis Wunsch brüsk zurück:

Was jedoch das Gedicht angeht, das Sie als mir ,gewidmet‘ bezeichnen, so muss ich es ausdrücklich ablehnen, dass mir ein solches Gedicht gewidmet, zugedacht oder auch nur zugeschickt wird. (2. November 1965)

Bobrowski war zwei Monate zuvor in Berlin gestorben. Jahre hindurch hörte ich nichts mehr von dem eigensinnigen Freund aus Paris. Er hatte sich von allen Freunden zurückgezogen, von seiner Familie getrennt und lebte in absoluter Isolierung. Aber eines Tages stand er, ohne vorher eine Nachricht zu geben, vor meiner Tür. Warum hatte er die weite Reise von Paris nach Linz am Rhein unternommen? Er gab vor, auf dem Weg nach Hamburg zu sein, wo er seine Uebertragung der Shakespeare-Sonette im Rundfunk vortragen wollte. Aber er gab zuerst nicht zu erkennen, was ihn nach Jahren des Schweigens zu mir getrieben hatte. Denn als Getriebener trat er mir entgegen. Noch im Flur fragte er bereits hastig und – wie mir dann schien – unmotiviert:

Woran arbeiten Sie zurzeit?

Dann sassen wir uns gegenüber. Er kauerte zusammengesunken im Sessel und suchte wohl ebenso vergeblich nach Worten wie ich. Wir warteten auf den Augenblick, da der Kontaktfunke überspringen würde, der Dialog beginnen konnte.
Celan – das war das äusserlich Ueberraschende für mich – rauchte nicht mehr. Er war breiter geworden, aber gleichzeitig gebeugter. Sein Gesicht war grau und schwammig. Ich berichtete schliesslich, um das Schweigen zu überwinden, von den alltäglichen Schwierigkeiten meiner Literatenexistenz, aber auch von der Familie, den Kindern. Celans wie erloschenes Gesicht hellte sich auf, er lächelte, als er dazu feststellte:

Dann geht es Ihnen also gut, das freut mich.

Was aber dachte er wirklich? Ich führte ihn dann in meine Mansarde. Er betrachtete die mit Stierkampfplakaten und Fotos der Matadore beklebten Wände und blieb dann vor einem Bild Gottfried Benns stehen.

Das ist Benn, nicht wahr?

Er nickte und lächelte gequält. Ich zeigte ihm Bobrowskis Gedicht „Wiedererweckung“. Er lehnte es ab, das Gedicht zu lesen, betrachtete indessen weiterhin die Wand mit den bunten Plakaten. Doch dann besann er sich plötzlich anders, wollte das Gedicht sehen, sogar eine Abschrift mitnehmen. Ich gab es ihm, er warf einen flüchtigen Blick auf das Blatt, schüttelte resigniert den Kopf, gab es mir zurück und sagte dazu:

Das betrifft mich nicht. Das geht mich nichts an.

Er drohte sogar: „Das darf nicht veröffentlicht werden!“ und wiederholte kategorisch:

Es geht mich nichts an.

Dieses Gedicht, das in seinem verschlüsselten Text, wie Strömungen unter dem Eis, diese seltsam verschlungen und heillose, jahrelange Kontroverse abschliesst, ist datiert vom 12. Januar 1964. Es lautet:

Das
Land
leer,
durch ausgebreitete Tücher
heraufgrünt das andre, darunter-
gelegte, das ein Verdacht
war
früher. Es kommt
aus der Pestzeit, weiss
von Knochen, Rippen, Wirbeln,
Speichen, vom Kalk.

Zähl
die Gräser
und zähl
Fäden aus Regenwasser,
und Licht, die Blättchen
zähl, und zeichne ein
deine Schritte, Wildspuren,
und Stimmen, beleb
mit Worten
das Blut in den Bäumen und
den Lungen, den Rost
schlag von Wänden
und Stufen,
an deinen Händen
bleibt er, dort mag er sich
nähren
mit deinen Nägeln.

Es ist nicht die Zeit, ihn zu fragen
Es ist die Zeit für das Wasser
an Halmen, für die erneute
Fügung der Blätter, und Augen
öffne das Laub.

Peter Jokostra, Die Tat, 29.4.1972

Eine Begegnung, die keine war

– Anmerkungen zu einem Stück Literaturgeschichte. –

Zu einer Kontroverse gehören zwei aktive Partner, also Gegner, die einen mehr oder minder heftigen Streit ausfechten. So muss man auch die Situation nach Peter Jokostras Untertitel „eine literarische Kontroverse“ (Literarische Tat vom 29. April 1972) ansehen. Der Haupttitel dagegen spricht eindeutig von „Bobrowski kontra Celan“. Beim näheren Zusehen ergibt sich denn auch, dass Bobrowski scharfe Angriffe gegen Celan richtet, allerdings nur indirekt an Jokostra. – Mit einigen halbwegs unmittelbaren, persönlichen Aeusserungen Celans (d.h. von Jokostra veranlasst bzw. übermittelt) kann somit wohl kaum ein lebendiger produktiver Kontakt zwischen Celan und Bobrowski nachgewiesen werden. Wenn überhaupt, so reagiert Celan wenig menschlich interessiert, kühl und gegenüber dem ihm von der anderen Seite her gewidmeten Gedicht sogar schroff ablehnend. Von einem „faszinierend-tragischen Kapitel der jüngsten, deutschen Literaturgeschichte“ (gemäss der redaktionellen Vorbemerkung) wäre demnach nicht zu reden. Die für derartige erforderliche Spannung und Resonanz fehlt fast völlig. –
Immerhin lassen sich an diesem Fall zur Kennzeichnung der literarischen Situation in der westdeutschen Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg mancherlei nicht unwichtige Feststellungen machen. – Beginnen wir mit Johannes Bobrowski, – eine leider allzu früh dahingegangene, grosse Begabung. Da erschienen in der 1961 von Cornelius Streiter herausgegebenen, verdienstvollen Anthologie Tau im Drahtgeflecht (Philosemitische Lyrik nichtjüdischer Autoren) acht Gedichte von ihm, gestaltet aus der Erinnerung an seine Begegnung mit dem Judentum seiner ostpreussischen Heimat, mit dem dieser „von Celans Lyrik irritierte Sarmate“ eine starke bewusstseins- und wesensmässige Bindung empfand. Es gab für ihn zu keiner Zeit und unter keinen Umständen ein Paktieren mit den Verfolgern und Vernichtern der jüdischen Bevölkerung des ehemals deutschen Ostens an der Dreiländergrenze.
Dies Zeugnis seiner innigen Verbundenheit, seiner Solidarisierung, ja Identifizierung mit den Händlern, Rabbinern und Chassiden ist gesinnungsmässig vorbildlich, fast einzigartig zu einer Zeit, da man vergebens von der deutschen, literarischen Prominenz und ihrem Publikum eine überzeugende, allgemeine Solidaritätskundgebung gegenüber den vom nazistischen Terrorregime verfolgten und vertriebenen Dichtern und Schriftstellern erwartet hatte. Die Verantwortung für Deutschlands verfemte Künstler allgemein ging im Goldrausch des Wirtschaftswunders unter, die Bedeutung ihres schöpferischen Beitrages zur deutschen Kunst wurde nicht in dem ihr entsprechenden Masse gewürdigt. Insofern ist Bobrowskis mutiges Bekenntnis zu seinen jüdischen Freunden ein Beweis geistiger Unabhängigkeit, Wie sie auch heute noch gerade in vielen Kreisen leider selten ist.
Umso merkwürdiger ist es, dass er keinen Zugang zu Celans Werk, zu seiner Dichtung fand. Sie blieb ihm trotz aller Bemühungen verschlossen, reizte ihn sogar zu heftigen Widersprüchen, worunter er sehr gelitten hat. Jokostra spricht einmal von der „simplifizierenden Feststellung einer Hassliebe“, womit die Unvereinbarkeit der „beiden Gegner“ nicht einfach abgetan oder erklärt werden könne. Der Begriff „Gegner“ ist nicht vollwertig, denn wie er berichtet, war diese Auseinandersetzung mit Celan in Wirklichkeit „lange ein vertraulicher Dialog zwischen Bobrowski und mir“, ist es wohl auch vorwiegend geblieben. Mit einem beinahe missionarischen Eifer hat Jokostra als Mittler zwischen beiden zu wirken versucht. Aber der eigentliche Gegner war und blieb nach seiner Darstellung Bobrowski. Aus Gründen literarhistorischer Genauigkeit ist diese Gewichtsverteilung wohl nicht, anders zu sehen, vor allem im Hinblick auf die Passivität und Uninteressiertheit Celans dem ihm offenbar doch sehr fernstehenden Bobrowski gegenüber.
Was Jokostra als „tragisches Missverständnis“ zu erklären versucht, reicht noch weniger zu einer Klärung, der die Formulierung näher kommt.

Das Problem lag tiefer. Es war existentieller Natur. Es war fast ein strukturelles Phänomen und somit unaufhebbar.

Das klingt zwar einleuchtend, bleibt aber dann ohne Analyse, die jetzt fällig wäre. – Bobrowski hat selbst einmal fast hellseherisch ausgesprochen, was ihm wohl den Zugang zur Erkenntnis Celan’scher Dichtung versperrt haben könnte. Mit einem Satz, der wahrscheinlich von den meisten überlesen wird, weil sie damit nichts anfangen können. „Ein Jude“, so heisst es in einem Brief, „der dichtet, ist eben nicht einfach nur ein Dichter.“ Diese Aeusserung knüpft an eine wenige Sätze vorher ausgesprochene Loyalitätserklärung „Du wirst wie ich dich immer vor die Juden stellen, ganz gleich, woher der Angriff gegen sie erfolgen sollte“ und weiter „… ich habe es ja bei mir erfahren – im Fall Celan – dass es keine Möglichkeit gibt, sich auf künstlerische Dinge einzuschränken…“
Das dürfte doch bedeuten, der Jude als Künstler ist auch immer Künder seines Schicksals, das letzten Endes den Rahmen aller Kunst sprengen muss. Das trifft insofern zu, als ein dichtender Jude auch vom Erbe der Psalmen, der Propheten ausgeht bewusst oder unbewusst (Dostojewski: Ich kann mir keinen Juden vorstellen, der nicht von Gott weiss). – Einer Begegnung mit Celans Dichtungen auf dieser Grundlage geht aber Bobrowski konsequent aus dem Wege, jedenfalls ist in Jokostras Briefzitaten an keiner Stelle davon die Rede. Seine Urteile gehen von einer analytischen Stilkritik, einer eigenen Poetologie aus, die mit spirituellen Aspekten jüdischen Glaubens oder Denkens nicht das geringste zu tun haben. Da heisst es z.B.: „Ueber Celan werde ich mich nicht mehr äussern…“, dann ganz salopp etwa „… wie gesagt, Celan ist gar nichts, sone Art Geibel…“ Eine augenscheinliche Ambivalenz tritt immerzu in die Erscheinung, ein Schwanken zwischen Ablehnung und Anerkennung in den zitierten Briefstellen, in denen z.B. der Band Sprachgitter besonders scharf unter die Lupe genommen wird „… ich bin oft versucht, ihn in die Ecke zu feuern…“ heisst es da temperamentvoll, er erklärt sich „ganz ratlos, weigert sich aber, diesen Band „schlicht für belanglos zu halten, für armselig… so kommt er mir bis jetzt vor…“ Eine psychologisch schwer zu definierende Bewusstseinslage, die Jokostra als „Selbstverständigung des lyrischen Ichs“ versteht. –
Vielleicht kämpft der Dichter um ein heimlich bewundertes Idol, das er, um sich selbst davon zu distanzieren, seinem Briefpartner gegenüber mit aller Gewalt durch keineswegs sehr treffende Vergleiche herabzusetzen bemüht ist. So kommt ihm Sprachgitter wie eine „Destillieranstalt, eine elegant aufgemachte Alchimistenküche“ vor – und weiter „… allerdings werde ich nie den Eindruck los, dass er alles recht praktikabel sagt, soll heissen melodisch, mit edlem Parfüm und gängigem Sentiment…“, schliesslich von oben herab:

der liebe Celan wird schon mit Anstand durchkommen, verzeih, wenn das zu bösartig klingt, ich meine es nicht so…

Spricht er auf der einen Seite von der Parfümfabrik, die jetzt „Juchten liefert wie früher Veilchen“, so entschlüpft ihm auf der anderen Seite auch das Geständnis von dem starken Einfluss, den Celans Gedichte auf ihn machen. Wie z.B. sein sozusagen ältestes Gedicht, die Elegie „Spur im Sand“ von Celan beeinflusst ist. Ob hier nicht im tiefsten Herzen versteckte Konkurrenzgefühle eine Rolle spielen, gegen die Erfolge des anerkannten Könners, – zu einer Zeit, als Bobrowski noch ein unbekannter Autor ohne eigene Buchveröffentlichung war?
Um welchen Pol Celans Dichtung kreiste, kreisen musste, hat er offenbar nicht begriffen, trotz seiner bemerkenswerten Einsicht in die schicksalhaften Zusammenhänge. Gerade aber in dem von ihm erfolglos umkämpften Sprachgitter hätte er durch das Gedicht „Tenebrae“ Zugang finden können zu dem, was Celan als Prägung durch seine Herkunft in sich trug. Hier findet man eine seiner zahlreichen Christusanspielungen, in denen die Juden als Leidensvolk der Leidensgestalt Christi verglichen werden. Er ruft den Gott Israels an in dem für dieses Volk und dadurch auch für die Welt dargebrachten Opfer „Bete, Herr, zu uns, wir sind nah…“ und „… ineinander verkrallt, als war der Leib eines jeden von uns dein Leib, Herr…“, als Hinweis auf die messianische Bedeutung jüdischen Leidens. Aehnlich wie etwa Margarete Susmann in ihrem „Hiob“ ihrem Volk diese Entsprechung als Leidensvolk, als Ankündigung der Erlösung vor Augen stellt. Es ist jene visionäre Schau, die der Dichterin den Ausruf entreisst: „Es ist herrlich, Jude zu sein“, und ihr am Vorabend der geplanten Taufe den Entschluss zum Rücktritt eingibt. –
Nichts von alledem wird in Bobrowskis Aeusserungen angerührt, wie auch Jokostra nur im Bereich literarischer Analyse bleibt. In seinem Nachwort zu Celans ausgewählten Gedichten in der Edition Suhrkamp tönt Beda Allemann zwar manches an, wie z.B. des Dichters frühere Vertrautheit mit der mystischen Tradition der Chassidim. Die wesentlichste Deutung dieser Art gibt jedoch Peter Mayer mit seinem Beitrag in Emuna / Horizonte Nr. 3, Juni 1970: „Paul Celan als jüdischer Dichter“, wo in wenigen knappen und konzentrierten Seiten die eigentliche, dichterische Welt Celans im jüdisch-spirituellen Sinne eindrucksvoll charakterisiert wird. –
Die Gewalttat des Dichters gegen sich selbst steht am Ende einer jüdisch-deutschen Rückkehr zu einer Kulturwelt und ihrer Sprache, die ihn schliesslich wie ungezählte andere unerbittlich als ihr Opfer forderte. Aber schon in ruhigeren, friedlicheren Zeiten hatte diese Begegnung ihren Blutzoll verlangt. So schied im Jahre 1904 in Berlin ein hochbegabter, junger Dichter im Alter von 23 Jahren freiwillig aus dem Leben, Walter Calé, von dem das ergreifende Gedicht stammt „Und keine Brücke ist von Mensch zu Mensch“. In der trauervollen Stimmung hoffnungslosen Alleinseins gibt es den Grundton seines nachgelassenen Werkes an. – Schon 1811, ungefähr ein halbes Jahrhundert nach der Begegnung Lessings mit Moses Mendelssohn, hatte die Rahel in einem Brief an Alexander v. d. Marwitz in der Erkenntnis ihres gescheiterten Versuches, sich als Jüdin der deutschen Kultur- und Geisteswelt in der Euphorie der Aufklärung zu assimilieren, ihre Enttäuschung mit den schmerzlich-melancholischen Worten ausgesprochen „… einsam steht jeder… auch liebt jeder allein… und helfen kann niemand dem andern…“
Calé, in diesem Sinne ein Nachfahre der Rahel, hat radikaler als sie und somit als eine Art Vorgänger von Celan die Konsequenzen aus der inneren Einsamkeit gezogen, obwohl in jener Zeit das jüdische Schicksal fast ganz an den Rand des äusseren Geschehens gerückt zu sein schien. Nach langen Jahrzehnten friedlicher Entwicklung stand das Wilhelminische Kaiserreich auf dem Gipfel politisch-militärischer Machtentfaltung, das Wirtschaftsleben und damit auch Kunst und Wissenschaften befanden sich in einem aussergewöhnlichen Aufschwung. – Einem jungen, aufgeschlossenen Menschen, auch wenn er Jude war, bot sich eine Fülle verlockender Zukunftsmöglichkeiten. Warum verliess er aber diese scheinbar noch heile Welt, die Celan gar nicht mehr kennen gelernt hatte? – Anders als die leise Klage seines Vorgängers über die ihn zutiefst enttäuschende, unerklärliche Welt steht in seinen dichterischen Anfängen ein greller Aufschrei, die „Todesfuge“ die klassische, dichterische Gestaltung des „Planeten Auschwitz“, hervorgegangen aus schwerstem, persönlichem Erleben, das ihn schon in jungen Jahren mit grausamer Unerbittlichkeit über die Stationen Arbeitslager, SS, Ghetto, Flucht in das totale Verlorensein „ohne Brücke von Mensch zu Mensch“ trieb. Dennoch hielt ihn das Leben, sein dichterischer Auftrag, der ihn herausforderte zu Gestaltung und Aussage.
Seine Laufbahn beweist, dass trotz der fast totalen Zertrümmerung der deutsch-jüdischen Symbiose durch den Nationalsozialismus diese Bindung bis auf den heutigen Tag, wenn auch in wesentlich geringerem Umfange, erhalten geblieben ist. Celan wird, trotz allem, was geschehen, vom weit entfernten Rand des deutschen Sprachgebietes in dessen Bann als ein politisch-volklich Fremdstämmiger magnetisch hineingezogen, statt – was durchaus nahegelegen hätte – irgendein anderes Idiom wie etwa Jiddisch, Russisch, Rumänisch als seine Heimatsprache zu wählen, um eben nicht die Sprache der Verfolger, der Bedrücker sprechen zu müssen. Nach seiner Befreiung am Ende des Krieges ist der Dichter, abgesehen von einem etwa halbjährigen Aufenthalt in Wien, im deutschen Sprachraum nicht sesshaft geworden. Aber er nahm die deutsche Sprache mit nach Frankreich ins selbstgewählte Exil.
Eine rätselhafte Erscheinung ist dieses Phänomen der gegenseitigen Anziehung von Juden und Deutschen, über die sich bekanntlich auch Goethe schon seine Gedanken gemacht hat. Heute stehen wir noch unter dem Eindruck der verzweifelten Emigration deutsch-jüdischer Dichter, die vor der brutalen Vertreibung 1933 aus Deutschland flüchteten und doch wie Heinrich Heine das Vaterland „an den Schuhsohlen“ mit in die Fremde nahmen. Es war das „düstere Märtyrerlied“ der Heimatlosigkeit, das mit ihnen ging und das auch dem grossen Deutschen und Juden Karl Wolfskehl nicht erspart blieb, wenn gleich er den Verfolgern zum Abschied das stolze Wort zurief „… und dennoch sind wir da und müssen bleiben… saugend am Drangsal wie an Honigscheiben…“ Aber er kehrte nach dem Krieg doch nicht mehr zurück, wagte keine neue Verwurzelung in dem für immer verlorenen Heimatboden.
Jenes „Dennoch“ lebte auch in Celan, und er blieb bis zum bewussten Auslöschen im Schutzheiligtum der deutschen Sprache, aus der seit der Bibelübersetzung Moses Mendelssohns deutsche Juden immer wieder die Herausforderung der Dichtung bis auf den heutigen Tag erfahren haben. Während aber Walter Cale diesen ihm durch Geburt geschenkten Lebensraum als eine Belastung empfand, die er in der angstvollen Verlorenheit vielversprechender Jugend nicht zu ertragen vermochte, handelte Celan, ausgestattet mit tiefgegründeter Erfahrung, anders als jener, erst auf der Höhe des reifen Mannesalters (er wäre in seinem Todesjahr 1970 fünfzig Jahre alt geworden), als einer, der den Abgrund schon hinter sich hatte oder auch zu haben glaubt, als ein „Ueberlebender“, während der jung Voraufgegangene in einer visionären Ahnung das Kommende vor sich sehen mochte und ihm nur auf diese Weise zu entfliehen meinte.
Den Abgrund sucht Celan unter dem Schleier einer hermetisch verschlossenen Dichtung zu verhüllen, die ihm aber das pessimistische Geständnis entlockt:

Welches der Worte du sprichst… du dankst dem Verderben.

Es ist die Suche nach dem verlorenen Ursprung, ein unentrinnbares Gefängnis, dessen Last er eines Tages abschütteln wird, da auf die Dauer die Bitternis der Vergangenheit nicht zu ertragen ist. Sie ist ihm „Steinhaube Zeit. Und üppiger quellen die Locken des Schmerzes ums Antlitz der Erde…“ Doch schafft er, seinem Auftrag folgend, weiter in der wachsenden Erkenntnis, dass für ihn die banale, nur zu wahre Redensart von der Zeit, die Wunden heilt, nicht gilt. Eines Tages wird er sich gleich seinem Vorgänger, der sich auf das fragwürdige Experiment mit der Zelt erst gar nicht einliess, in eine andere, hellere Bewusstseinssphäre hinüberretten. Bis zu dieser Zeit schliesst er sich innerlich und äusserlich immer mehr ab, nicht achtend des Vorwurfs, seine Dichtung sei in ihrer artistischen Einengung Beweis dafür, dass mit dem Dichten allgemein ein Ende sei. Was er in seiner Darmstädter Rede vom Jahr 1960 mit der Feststellung, das Gedicht heute behaupte sich „am Rande seiner selbst, ja es zeige eine starke Neigung zum Verstummen“ auch zu bestätigen schien. Später spricht er von der Einsamkeit des Gedichts als von seiner eigenen:

Es ist einsam und unterwegs, wer es schreibt bleibt ihm mitgegeben.

Inzwischen wirft er den Ballast der Form immer mehr ab, hilft so ihre „Diktatur“ stürzen, meisselt mit äusserster Konzentration den lyrischen Kern heraus, der mit unerbittlichen Hammerschlägen skelettiert wird. (Bobrowski kritisiert ironisch: Konzentration – besser Verknappung – gewiss, aber wo bleibt das Gedicht und erinnert an eine Brechtsche Geschichte vom Kugelschneiden an einem zuletzt völlig verschnittenen Lorbeerbaum?) So legt der Dichter konsequent den Weg zum Verstummen im physischen Verlöschen frei, weil er sich nur noch auf diese Weise der Herausforderung der Dichtung, deutschsprachiger Dichtung, zu entziehen vermag.
Diese Tragödie menschlicher Einsamkeit ist freilich keineswegs ausreichend, um die Frage nach dem eigentlichen Grund zu beantworten, der die Katastrophe ausgelöst hat. Dazu bedarf es eines Rückblickes um einige Jahrzehnte auf eine kultur- und geistesgeschichtliche Bewegung, die wir allgemein als Expressionismus zu bezeichnen pflegen. – Der Zusammenbruch der bürgerlichen Welt In Deutschland mit ihrem veralteten Feudalgefüge nach dem Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 war für das künstlerisch-intellektuelle Judentum ein Signal, nicht nur zur Entbindung politischer und freiheitlicher Gestaltungskräfte, sondern auch spiritueller, schöpferischer Impulse besonderer Art. In seinem vor wenigen Jahren, noch kurz vor seinem Tode erschienenen Bericht über jene Zeit „Schofar“ hat Karl Otten als ehemaliger Mitkämpfer seiner jüdischen Freunde Wesentliches zu dieser Entwicklung gesagt Vor allem spricht er hier über den bedeutsamen Anteil des religiös-geistigen Elementes, der von den deutsch-jüdischen Dichtern jener Epoche beigesteuert worden ist.
Die Tendenz zu einer revolutionären Haltung gegenüber den traditionellen Formen der Kunst, wie sie damals vor allem bei nichtjüdischen Künstlern im Vordergrund stand, ist aber nach Otten bei den jüdischen Dichtern nicht ausschlaggebend gewesen. Den meisten von ihnen war der Expressionismus zum Höhepunkt der sprachlich-kulturellen Verflechtung zwischen Juden und Nichtjuden geworden. Nicht das Verarbeiten des Abenteuerlichen, des Exotischen, des Erotischen wie bei vielen anderen Kunstschaffenden jener bewegten Zeit hatte bei ihnen den Vorrang. Es war, wie Otten es einmal bei dem jüdischen Dichter Arno Nadel ausdrückt, „das Phänomen der Sichtbarwerdung Gottes im deutschen Wort, das unmittelbar das Schöpferische, den Kampf des Geistes mit seinem Schöpfer enthüllt. Diese Dichter jüdischen Glaubens und deutscher Sprache waren die letzten, die ihre Stimme warnend, beschwörend und anklagend erhobend. Und nie wieder wird dem deutschen Volke in seiner Sprache diese Art des Bekenntnisses, des Aufrufs zur Menschlichkeit ertönen. Diese Stimme ist verstummt für immer.“ –
So hatte in jener um die Jahrhundertwende beginnenden Epoche, besonders im Aufschwung der zwanziger Jahre, die jüdische Dichtung in Deutschland als einheitliche Bewegung einen nie wieder erlebten Höhepunkt erreicht. Von hier gingen Impulse aus, die mit ihrer spirituellen Kraft dem deutschen Volk in der gefährlichen Verworrenheit jener Jahre nach dem Ersten Weltkrieg hilfreichen Beistand zu einer inneren Klärung zu leisten vermocht hätten. Mit seinem ursprünglichen Gefühl für Ekstase hätte das Judentum die im deutschen Charakter verankerte Fähigkeit zu Pathos und Begeisterung in einer idealen Verbindung auffangen und zu einer hohen Bestimmung führen können. Leider hat das deutsche Volk diese beschwörende Stimme nicht hören wollen, sondern den Weg in die kulturlose Barbarei vorgezogen.
Es hat nicht unter diesem Einfluss den Kampf mit dem Engel gewagt, wie auch Walter Rathenau in dem materialistischen Chaos nach dem Ersten Weltkrieg – zwar von einer anderen Seite her, doch in derselben Gesinnung – dem deutschen Volk vergeblich den Weg zu seiner eigentlichen Aufgabe, nämlich dem Geist zu dienen, zu weisen suchte und dabei als Opfer fiel. Aus dieser Situation heraus ist es nur zu begreiflich, dass die Bindung führender deutsch-jüdischer Dichter an den in manchem überschwänglichen Expressionismus zu einer bedenklichen Entwicklung führen musste. Da sie selbst noch nicht die entschiedene Harmonisierung im Dienst an der deutsch-jüdischen Gemeinschaft zu finden vermochten, gerieten sie, allzu leicht in die Gefahr, sich in einer abstrakt-idealistischen und zugleich politisch-ideologischen Fantasiewelt zu verlieren. –
An jener Bewegung hat Celan nicht mehr aktiv teilgehabt, da er 1920 geboren wurde. Aber auch er hat, wie auch Nelly Sachs und viele andere, von ihrem Erbe gelebt, das bei aller Problematik einen geistig bedeutsamen Aufbruch mit sich bringen sollte. Auch Bobrowski ist sicher nicht unberührt davon geblieben. Hat er doch Else Lasker-Schüler, einer der führenden literarischen Vertreterinnen der Bewegung von ihren Anfängen her, in der erwähnten Anthologie, (die leider über die erste Auflage nicht herausgekommen ist) ein Gedicht gewidmet, worin er sie sogar Schwester nennt. Und gerade sie ist es, die in aller Fantastik und äusseren Verworrenheit ihres unstäten Lebens den Typ des mit Gott in einer für den Aussenstehenden unfasslichen Wirklichkeit lebenden Juden dichterisch mit am eindrucksvollsten verwirklicht hat. Deshalb ist es umso weniger verständlich, dass Bobrowski sich gegen die letzte Passage des Celan’schen Gedichtes „Nächtlich geschürzt“… „Ein Wort – du weisst: eine Leiche…“ geradezu aufbäumt, was Jokostra mit einem „sichtbar werdenden Umriss eigener Poetologie“ zu erklären versucht.
Bobrowski – und das bleibt ein Rätsel – ist offenbar blind dafür, dass nach der Ermordung der Eltern und der Millionen anderen, die diesen Namen trugen (ein Wort „von Sensen gesprochen“), die Leichenfelder an den einen Uebriggebliebenen erneut die quälende Frage stellen „Wer bist du unter uns?“ und zwar im Sinne der Vision des Propheten Hesekiel von den noch leblosen Gebeinen in jenem Tal des Todes. Der Dichter musste sich hier als solchen verstehen lernen, eine „Leiche, nach dem Wort“, – also ein Jude. Die ihm geläufige Sprache, der er sich auf Gedeih und Verderb verbunden fühlte, konnte ihm nur so antworten, – und die Erinnerungen, die schweren Erlebnisse konnten nur noch von dem Ende des Namenträgers künden. Eine Schicksalslinie, die sich mit einer fast logischen Notwendigkeit fortsetzt… ein Gesetz der Serie etwa?… In dem ein Jahr nach Celans Freitod erfolgten, freiwillig herbeigeführten Ende eines anderen Emigrantenschicksals, von Peter Szondi, 43 Jahre alt, der ebenfalls die Möglichkeiten hoher, wissenschaftlich-literarischer Begabung bewusst zerstörte, indem er wie von dämonischer Gewalt gezogen sogar dieselbe Todesart im Wasser, im Berliner Grunewaldsee, suchte.
Die Kette reisst nicht ab. Resümieren wir: Seit der Emanzipation setzt dieser neue Leidensweg des Judentums ein, durch den sein Versuch, in die Völkerwelt seine Botschaft hineinzutragen, radikal abgewiesen wurde. Die erste Hälfte unseres Jahrhunderts hat als Höhepunkt die brutale Zerstörung dieses aufklärerischen Optimismus mit sich gebracht. Die furchtbarste Enttäuschung war dabei die Erkenntnis, dass auch die scheinbare „Gedankenfreiheit“ der Völker auf diesem Gebiet nicht bestand. Die nach dem Grauen jener Jahre oft zitierte, dem Dichter Grillparzer zugeschriebene Stufenfolge – von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität – hat sich in unheimlicher Weise verwirklicht. Die Bedeutung des Fehlens einer spirituellen Grundlage angesichts dieser Zusammenhänge wird durch eine Variante verdeutlicht, wonach Humanität ohne Divinität notwendigerweise zur Bestialität führen muss. Der aus dem idealistisch-transzendenten Humanismus der Renaissance vorwiegend genährte Humanismus der deutschen Klassik kam eben aus anderen Quellen als die vom Judentum als göttlicher Auftrag am Sinai empfangene Botschaft der Menschenliebe. Diese aber konnte von den Heiden, den Gojim, in ihrer Bedeutung als eine reale Funktion menschlicher Gemeinschaft nicht begriffen werden. Ihre Vorstellung von Humanität blieb im Abstrakt-Begrifflichen (die „theoretische Energie der Deutschen“, wie J.J. Bodmer diese Geisteshaltung schon im 18. Jahrhundert genannt hat), in Pathos und Wirklichkeitsferne gebunden. Sie musste logischerweise vor dem rücksichtslosen Zugriff materieller Mächte kapitulieren.
Die eigentliche Ursache für Celans Entscheidung ist wohl hier zu suchen. Unüberwindliche Enttäuschung über die weitgehende Materialisierung deutscher Dichtung heute, vor allem ihre politische Radikalisierung mögen dabei mitgewirkt haben. Bei einem sensiblen Menschen mit diesen Erlebnissen ist ein solcher Schritt nur zu begreiflich. Freilich sucht er andererseits, (man weiss nicht, ob sein Entschluss schon feststeht) zu sein wie die anderen, nicht nur mit ihrer Sprache zu sprechen, sondern auch mit ihrem Denken zu denken. Was ihm – wenn auch nur äusserlich – in vollendetem Masse gelingt. Er identifiziert sich mit Lenz, mit Woyzeck und versucht noch, so lange es eben geht, vor dem Eingeständnis seiner eigentlichen Identität zu fliehen, vor dem Bekenntnis zu dem „Wort – du weisst: eine Leiche.“ Das Verhängnis ist nicht mehr hinauszuschieben, der Bruch ist unvermeidlich.
Eine Hoffnung bleibt: es gibt Jugend, die ihn heute als einen der ihren anerkennt. Auf der verzweifelten Suche nach der „Rehumanisierung des Menschen im Atomzeitalter“ haben sich junge Menschen zu einem literarischen Kreis in Innsbruck zusammengefunden, in der Forderung nach einer substanziellen Lyrik in einer Neugestaltung nach Wort, Geist und Wesen. Hermann Kuprian ist der Urheber dieses Zusammenschlusses, der im Zeichen einer von ihm als schöpferische Aufgabe bezeichneten „spirituellen Poesie“ steht. Unter dem Titel Brennpunkte (Oesterreichische Verlagsanstalt) hat er kürzlich ein Buch mit einer Anzahl von Arbeiten junger Autoren aus diesem Kreis veröffentlicht. Besonders bemerkenswert daran ist die Tatsache, dass ihnen darin auch die Möglichkeit einer gleichzeitigen Standortbestimmung gegenüber dem Generalthema gegeben ist, was sich als ausserordentlich aufschlussreich erweist, zumal auch einige Vertreter der älteren Generation zum Wort kommen.
An dieser Stelle bekennt Michael Zielonka, Jahrgang 1942, unter anderem:

Würde man uns fragen, welchen Dichter wir als Referenzpunkt für die spirituelle Poesie angeben würden, dann würden wir ohne Umschweife Paul Celan nennen.

Diese Jugend würde gewiss nicht Bobrowskis Forderung verstehen, dass „er sich aus der Zuneigung der Snobs zurückziehen möchte“. Auch würde sie gewiss Celan nicht nur deshalb suchen, um nicht als Banausen zu gelten. Nein, sie hat die echten, ethischen Werte erkannt, die ihr von diesem Dichter als Lebens- und Erkenntnishilfen im Chaos zufliessen. Was noch über den – berechtigten – Teilaspekt eines Nachrufs hinausgeht, dass seine Gedichte „zu den kostbarsten und eigenwilligsten Zeugnissen deutscher Sprachkunst nach 1945“ gehören. Es geht hier um eine Spiritualität, deren Zeugnis über Jahrtausende den zersetzenden Mächten des Materialismus standgehalten hat.

Walter Maas, Die Tat, 22.7.1972

Am Sprachgitter: Paul Celan und Edith Stein

– Versuch über einen exklusiven Sprechort. –

In der Abgeschiedenheit der klösterlichen Welt, die sich eine freiwillige Segregation von den Bezirken des Säkularen auferlegt, gibt es ein besonderes Medium, in dem die Verständigung zwischen den Nonnen im Kloster und der Außenwelt möglich ist. Es ist das sogenannte Sprechgitter oder auch „Sprachgitter“, das man entweder im „Parlatorium“, einem eigenen Sprechzimmer oder auch im sakralen Raum des Klosters findet. Durch dieses Sprachgitter, das in den betreffenden Klöstern ganz unterschiedlich gestaltet sein kann, vollzieht sich die Kommunikation der Nonne, die in ihrem Klosteralltag ihre Arbeiten meist schweigend verrichtet, mit der profanen Welt.
„Sprachgitter“, so schreibt Paul Celan am 4. August 19 58 in einem Brief an seinen Verleger Rudolf Hirsch vom S. Fischer Verlag, „dieser Titel kam seinerzeit unüberhörbar auf mich zu.“ Er verweist damit auf den Gedichtband Sprachgitter, der dann 1959 im Fischer Verlag erschien, der sich in der äußeren Gestaltung ganz asketisch präsentiert: Ein Buchumschlag in strengem Weiß, darauf eingetragen sind nur die Buchstaben des Autorennamens, des Titels und – getrennt durch eine feine Linie – des Verlags.
„Sprachgitter – dieser Titel kam seinerzeit unüberhörbar auf mich zu“: Es war – in diesem Fall – eine Postkarte des Verlegers Günther Neske, die er im Juni 1957 an Paul Celan gerichtet hatte. Auf dieser Postkarte war das Sprechgitter im ehemaligen Klarissenkloster im schwäbischen Pfullingen abgebildet, das 1252 gegründet wurde und dann im Zuge der Reformation 1592 wieder aufgelöst wurde. Später, bis in die neunziger Jahre hinein war das Areal des ehemaligen Klarissenklosters der Sitz des Neske Verlags.
Das Bild des Pfullinger Klosters, das die Blech-Stäbe des Sprachgitters festhält, veranlasste Paul Celan jedenfalls zum Schreiben eines Gedichts, das er dann zum Titelgedicht seines 1959 publizierten Bandes erhob. Über diesen unmittelbaren Entstehungshintergrund des „Sprachgitter“-Gedichts hat die Celan-Forscherin Barbara Wiedemann einen kleinen Essay verfasst,
1 der auch das poetologische Credo Celans auslotet. Angemerkt sei, dass der amerikanische Literaturwissenschaftler und Celan-Biograf John Felstiner das „Sprachgitter“-Bild aus einer anderen biografischen Konstellation hergeleitet hat. Celans verwitwete Schwiegermutter ging 1955 in ein Kloster in der Bretagne. Als sie Paul und Gisèle Celan dort besuchten, traf der jüdische Dichter die vormals französische Gräfin, mit der er sich bis dahin nie recht verstanden hatte, als Nonne am Sprachgitter wieder.2
Bei der Verteidigung seines „Sprachgitter“-Gedichts hat Celan jedenfalls darauf hingewiesen, dass im Wort „Sprachgitter“ auch das Existenzielle, „die Schwierigkeit alles Zueinander-Sprechens und zugleich auch dessen Struktur des Sprechens mitspricht“.
3 Das Sprachgitter bedeutet – auf den ersten Blick – eine Begrenzung, Behinderung und Einschränkung, aber es ermöglicht zugleich das Sprechen. Die Sprache selbst – so Celans Vorstellung – ist ein Gitter, durch sie hindurch spricht anderes als sie selbst, spricht ,es‘.
Welcher Weg führt nun von dieser Sprachauffassung, die gleich noch weiter erläutert wird, zu Edith Stein, zu jener Philosophin aus der phänomenologischen Schule Edmund Husserls, die auch nach ihrer Konversion vom Judentum zum Katholizismus und auch in der Klosterzelle immer Phänomenologin blieb? Edith Stein blieb bekanntlich durch ihre Lebensentscheidung, in den Karmel-Orden einzutreten, nicht nur biografisch, sondern auch religionsphilosophisch auf das Sprachgitter als Ort des Sprechens angewiesen.
Edith Stein hat in ihrer Geschichte als Karmelitin auch den Schock der Vergeblichkeit des Sprechens erfahren müssen. Am 7. August des Jahres 1942 waren die Karmelitinnen des Klosters im niederländischen Echt – zugleich dem letzten Zufluchtsort Edith Steins – zur Betrachtung im Chor versammelt, als es an der Klosterpforte läutete. Schwester Benedicta – so lautete der Schwesternname Edith Steins – las gerade den zur Meditation ausgesuchten Text vor, als sie von der Priorin ans Sprachgitter geschickt wurde, in der freudigen Annahme, nun sei der von den Nazis bedrohten Schwester endlich die Ausreisegenehmigung in die Schweiz erteilt worden. Draußen am Sprachgitter warteten allerdings zwei Gestapo-Offiziere und verlangten nach „Fräulein Dr. Edith Stein“. Sie wurde aufgefordert, binnen fünf Minuten das Kloster zu verlassen. Kurz darauf wurde sie mit 1.200 weiteren Verhafteten in ein Durchgangslager gesperrt und dann am 7. August nach Auschwitz deportiert.
4
„Sprachgitter – dieser Titel kam seinerzeit unüberhörbar auf mich zu.“ So also Paul Celan. Aber es kam 1959 auch etwas anderes auf ihn zu: Edith Stein und ihr Werk. Von John Felstiner wissen wir, dass Celan sich im März 1959 eine Biografie über Edith Stein gekauft und sich eingehend mit diesem Buch beschäftigt hat. In der Edith Stein-Biografie markierte er zum Beispiel folgenden Satz der Philosophin und Karmelitin:

Ich sprach mit dem Heiland und sagte ihm, ich wüsste, dass es sein Kreuz sei, das jetzt auf das jüdische Volk gelegt würde.5

Der aus Czernowitz in der Bukowina stammende Jude Celan war gerade in den Jahren 1959/1960 erneut mit dem Kreuz konfrontiert worden, das auf das jüdische Volk gelegt wurde. Von der Lebenskünstlerin und Dichterin Claire Goll war in dieser Zeit der denunziatorische Vorwurf lanciert worden, Celan sei nur ein „perfekter Heuchler“ und „Meisterplagiator“, der seine Bilder und Motive aus dem Werk ihres Mannes, des Surrealisten Yvan Goll, zusammengestohlen habe. Als Celan, der Überlebende der Shoah, dessen Eltern von den Nazis ermordet wurden, erkennt, dass Claire Goll in einem Rundbrief an Verleger, Kritiker und Zeitschriftenherausgeber seine dichterische Integrität in Frage stellt, erlebt er diese Diffamierung als Versuch, ihn als Dichter, als Mensch und als Jude zu vernichten. Die „Goll-Affäre“ diese folgenreichste Plagiats-Affäre im literarischen Leben der fünfziger und sechziger Jahre, geriet zur traumatischen Urszene im Leben Celans, sie führte zu einer bleibenden Beschädigung seiner Psyche und seines Lebenswillens.
So erschien 1959 der Satz Edith Steins als kleiner Rettungsanker für Celan:

Ich sprach mit dem Heiland und sagte ihm, dass es sein Kreuz sei, das jetzt auf das jüdische Volk gelegt würde.

Auf jeden Fall ist als Subtext im Gedicht „Sprachgitter“ auch die Geschichte und die Philosophie Edith Steins mitzulesen.
„Augenrund zwischen den Stäben“: So beginnt das Gedicht „Sprachgitter“ und ruft zunächst den Aspekt der visuellen Kommunikation auf, der ja vom herkömmlichen Sprachgitter eher behindert wird. Und auf welcher Seite das Auge zu lokalisieren ist, und wer wen anschaut, bleibt zunächst offen.

Augenrund zwischen den Stäben.

Flimmertier Lid
rudert nach oben,
gibt einen Blick frei.

Die Stäbe des Sprachgitters bilden hier den Rahmen für einen Wahrnehmungsprozess. Am Ende des Gedichts steht die paradoxe Erfüllung der Kommunikation:

zwei
Mundvoll Schweigen.

Es gibt also, in den letzten Versen des Gedichts, eine Verbindung zum Konzept eines Schweigeklosters. Im Bild des klösterlichen Sprachgitters (so resümiert auch der Celan-Exeget Alfred Kelletat) entdeckt Celan eine Formel für das ihm gemäße Bild des poetischen Sprechens. Das Gedicht ist selbst ein „Sprachgitter“ – eine „Darstellungsstruktur, welche im Auslassen, Überspringen, Verdecken und Vertauschen nur die durchbrochene Mitteilung von einem nicht mitteil- und nicht darstellbaren Ganzen zu geben vermag…“6
Das Gedicht ist ein „Sprachgitter“, durch das, wie es Celan in seiner Bremer Rede von 1958 sagt, „ein Ich unter dem besonderen Neigungswinkel seiner Existenz“ spricht. Denn das Wort „Gitter“ enthält nicht nur den Aspekt des Trennenden, Ausschließenden, sondern auch, wenn man es vom indogermanischen Wortstamm „ghodh“ herleitet, die Konnotation des Vereinigens, des eng Verbundenen und fest Zusammengehaltenen. Es gibt sie also, die Verbindungslinien zwischen den Sprachgittern des Klosters Pfullingen, der Karmelklöster in Köln und Echt, in denen Edith Stein ihr Philosophieren fortsetzte, und dem „Sprachgitter“ Paul Celans.
,Engführung‘, ein aus der Musikwissenschaft vertrauter Begriff, ist das letzte Gedicht im Band Sprachgitter überschrieben. Poesie spricht also durch das „Sprachgitter“ und vollzieht eine „Engführung“. In seiner Büchnerpreis-Rede Der Meridian hat Celan 1960 noch einmal diese Selbstbeschränkung bekräftigt. „Die Kunst erweitern?“, fragt Celan an einer Stelle.

Nein. Sondern geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei.7

Michael Braun, Park, Heft 66, November 2013

Celan und kein Ende?

– Möglichkeiten und Grenzen des „Umgangs“ mit Person und Werk. –

„Celan und kein Ende“ mag sich mancher Beobachter des sogenannten Literatur- oder Wissenschaftsbetriebs sagen angesichts der kaum mehr zu überschauenden und offensichtlich immer noch zunehmenden Flut an Veröffentlichungen, die Paul Celan gewidmet sind. Nicht wenige geben damit ihrem Mißmut wo nicht ihrem Unverständnis für die Intensität der Bemühungen um dessen Werk Ausdruck. Der stille Vorwurf „Celan und kein Ende“ steht mit dem nicht immer offen ausgesprochenen Wunsch in Verbindung, mit einem bestimmten Bereich der deutschen Geschichte endlich abzuschließen. Gerade in dieser Hinsicht jedoch kann es, darf es, zumindest vorläufig, kein Ende der Beschäftigung mit Celan geben. Gleichwohl scheint ein kritisches Überdenken des in diesem Jahr bereits ein halbes Jahrhundert andauernden öffentlichen „Umgangs“ mit seinem Werk wie mit seiner Person durchaus angebracht. Vor die interpretatorischen Bemühungen von Lesern, Kritikern und Wissenschaftlern haben sich nämlich immer wieder Interessen geschoben – und schieben sich nach wie vor –, die mir nicht legitim und dem Werk angemessen erscheinen und die auf eigentümliche Weise Person und Werk Paul Celans zu einem besonderen Phänomen innerhalb der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur erhoben haben, an dem weit mehr verhandelt wird als dessen literarischer Kern ausmacht – und weit weniger als dessen historische Begründung es verlangte. Daß der Mensch Paul Celan letztlich an solcherart „Umgang“ zugrunde ging, scheint manchem heute geradezu nebensächlich. An diesem – im Kontext wissenschaftlich-textorientierter Argumentation eher ungewöhnlichen – Begriff läßt sich jedoch zumindest ein Teil des Problems festmachen. Es ist eine im alltagssprachlichen Gebrauch allerdings ganz konventionelle Metapher; hier geht es um die Art und Weise, wie beide – Person und Werk – in der Öffentlichkeit wahrgenommen und behandelt worden sind und werden. Als Metapher bezeichnet der Begriff „Umgang“ weit mehr als die in wissenschaftlicher Perspektive relevanten Aspekte Kritik, Edition und wissenschaftliche Analyse. Mit der Metapher wird immer ein über das eigentliche Bezeichnete hinausweisender Bedeutungsüberschuß markiert, wird ein affektives Moment, eine leichte Färbung wahrnehmbar. Im vorliegenden Fall verweist sie darauf, dass wir es in den zu besprechenden Rezeptionsvorgängen nicht nur mit Texten und ihrem Autor, sondern zugleich auch noch mit jenen Personen zu tun haben, welche mit „Celan“ Umgang pflegen. „Umgang“ kann, wie wir alle wissen, freundschaftlich-wohlwollend, aber auch bewusst verletzend ablaufen; der Begriff schließt also eine vorgängige Neigung und ein entsprechend vorgeprägtes Verhalten mit ein. Dieses – ganz und gar nicht einfach hermeneutisch zu erfassende – Vorverständnis entpuppt sich bei der Diskussion um Person und Werk Celans leider immer wieder als ein schlichtes Vorurteil, welches die Konzentration auf den Text nicht selten ablenkt und den Blick für die Analyse trübt.
Merkwürdigerweise findet der Begriff des „Umgangs“ eine nicht unbeachtliche wörtliche Erwähnung im Werk Celans selbst. Das Gedicht „Dein Hinübersein“, das 1963 im Gedichtband Die Niemandsrose erschienen ist, endet mit den Versen:

Gott, das lasen wir, ist
ein Teil und ein zweiter, zerstreuter:
im Tod
all der Gemähten
wächst er sich zu.

Dorthin
führt uns der Blick,
mit dieser
Hälfte
haben wir Umgang.

Aus der Lektüre, so rekonstruiert das Gedicht, ergab sich eine Erkenntnis, die lebensgeschichtliche Relevanz hat. Die Absage an die positiv affirmierbare Hälfte Gottes wird eingebunden in einen ästhetischen Prozeß – Wahrnehmung durch die Lektüre und daraus gefolgerte Zu-Wendung des Blickes –, welcher in das – nicht ohne blasphemischen Unterton formulierte – Statement mündet:

mit dieser
Hälfte
haben wir Umgang.

Dem Zu-Wachsen des Göttlichen korrespondiert der menschliche Um-gang. Er resultiert aber aus dem menschlichen Untergang.
Die bewußte Entscheidung für den Umgang mit Gottes zerstreutem Teil ist unverkennbar historisch begründet. Hier scheint eine Bedeutungsdimension auf, welche mit dem landläufigen Sprachgebrauch nicht einfach zu kongruieren scheint. Sie erhellt ein wenig mehr, wenn man sich vom Begriff „Umgang“ weiterführen läßt in das Wortfeld von „gehen“, welches Celan in seiner 1960 anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises gehaltenen Ansprache reich entfaltet hat. Dort ist vom Weg des Gedichts die Rede, ein Weg, den das Gedicht zum Anderen, zu einem Gegenüber zu gehen hat und der – im besten Falle – zur Begegnung führen kann. Das Sprechen des Gedichts wird dabei als Ansprache eines ihm gegenüberstehenden Du offenbar, es wird zum Gespräch. Celan findet in seiner Preisrede schließlich für diesen bewusst dialogisch entworfenen Zusammenhang von Gehen und Sprechen die Figur des Meridians: die den Erdball umgehende Umgangs-Linie, auf der sich verschiedene Linien berühren, begegnen, und deren Verlauf schließlich wieder zum Ausgangspunkt zurückführt. Der „meridianhafte Umgang“ ist in der Poetik Celans das zentrale Bild für die schicksalhafte Begegnung, welche das Gedicht ausmacht.
Ihr nachzugehen wird aber nicht weniger zur Aufgabe auch für den Leser. Es muß im „Umgang“ mit den Gedichten Celans deren „Umwege“ selbst gehen und selbst sprechend mitvollziehen. Die Ausführungen der Büchner-Preis-Rede zeigen damit auch, in welchem Maße der Sprechende dem Gedicht mitgegeben bleibt. Person und Werk in der Lektüre wie in der wissenschaftlichen Analyse voneinander zu trennen, erscheint von hier aus gesehen geradezu unmöglich; gleichwohl darf die Differenz zwischen dem Sprechenden im Gedicht und der realen Person Paul Celan nicht übersehen werden, darf eine Fixierung auf die biographischen Konstanten im Leben des Autors die Auseinandersetzung mit der ästhetischen Konzeption des Textes nicht überdecken.
An die Stelle einer Rekonstruktion des Bodensatzes der Lebensgeschichte von Paul Celan – die niemals ohne Zuschreibungen wie „jüdischer Dichter“, „Ostjude“, „Bukowiner Autor“ oder „der Fremde“, „der Erkrankte“ auskommt – sollte eine Perspektivierung seiner historischen Erfahrung wie der Erfahrung seines Denkens als Grundlage seines Dichtens überhaupt treten. Das „traurige Schicksal“ dieses Dichters, der nur wenige Jahre nach Kriegesende aus einer längst dem Vergessen anheimgefallenen Kulturlandschaft in die alles absorbierende Hauptstadt der europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts, nach Paris, gekommen war, und der sich von dort aus mit der Nachgeschichte des europäischen Faschismus und der Gegenwart einer sich mit militanter Härte neu formierenden europäischen Nachkriegsgesellschaft konfrontiert sah, dieses „Schicksal“ ist untrennbar vor allem von den Widrigkeiten der deutschen Geschichte. Von Celan zu sprechen, heißt, sich mit Kontexten zu konfrontieren, deren Erkenntnismöglichkeit sich nicht nur durch die eingeschränkte Kompetenz der germanistischen Philologie beschränkt sieht; von Celans Texten werden andere Anforderungen an die Erkenntnisfähigkeit seiner Leser gestellt. Sie schließen den während der in Bukarest verbrachten ersten Jahre nach Kriegsende versuchten Sprachwechsel zum Rumänischen ebenso ein wie eine umfangreiche übersetzerische Auseinandersetzung mit Poesie aus mehreren Jahrhunderten und sieben Sprachen. Zu den historischen wie kulturellen Kontexten treten noch überaus enge Bezüge zum Werk einiger ,Dichterfreunde‘ hinzu, von diesen möchte ich hier nur stellvertretend Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs und Ossip Mandelstam eigens erwähnen. Ein voraussetzungsloser einfacher „Umgang“ mit den Gedichten Celans scheint also von vornherein ausgeschlossen. Ihre Lektüre ist untrennbar von einer umfangreichen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte überhaupt; die Gedichte fordern ebenso nachhaltig wie unabweisbar eben jene nie abzuschließende Trauerarbeit, deren Ausbleiben Alexander Mitscherlich der bundesdeutschen Gesellschaft vorgehalten hat. Und sie finden von derselben Seite her ihre Ablehnung, ja oft unverhohlene Aggression.
Diese zunächst eher verhalten zum Ausdruck kommende Tendenz kulminierte im Verlauf der fünfziger Jahre mit dem wahnwitzigen Versuch der Witwe Yvan Golls, Celan des Plagiats am Werk ihres Mannes zu bezichtigen. Celan hatte Goll Ende der vierziger Jahre in Paris kennengelernt. Enthusiasmiert von der Erscheinung des jungen Dichters, hatte Yvan Goll, der damals fast schon im Sterben lag, Celan mit der Übersetzung seiner in französischer Sprache abgefaßten Gedichte betraut. Aus diesem nach dem Tod Yvan Golls abgeschlossenen Auftrag erwuchs Celan die zweite Katastrophe seines Lebens. Die Witwe Goll strickte ihm daraus einen die Öffentlichkeit bis Anfang der sechziger Jahre beschäftigenden Plagiatsvorwurf, der ebenso unhaltbar wie folgenreich blieb. Claire Goll rühmte sich später, in ihrem Leben drei Menschen umgebracht zu haben, darunter ihre Mutter und Paul Celan. Deutlicher, als man das in der seriösen Forschung zu erfassen vermochte, hat sie damit selbst die Konsequenzen ihres Handelns für Celan formuliert. Hier nun verknüpfen sich aufs engste – beängstigend und beengend zugleich – Werkgeschichte und Lebensgeschichte mit der Geschichte eines öffentlichen „Umgangs“ mit Person und Werk, über dessen Qualitäten und hintergründige Motivationen sich dieselbe Öffentlichkeit erst noch Rechenschaft ablegen muß.
Bezogen auf die Werkgeschichte Celans erweist sich die Diskussion geradezu als Zerrbild seines Bemühens um die deutsche Sprache nach dem Holocaust. Dem verleumderischen Wort, von dem eine gewisse Initialwirkung auf weitere Kritiker ausging, die sich den Vorwürfen anschlossen, suchte Celan selbst das in zunehmender Verzweiflung gesprochene Wort seines Gedichts entgegenzuhalten. Mit dem Plagiatsvorwurf sah er die Integrität seines Gedichts und seiner Person in Frage gestellt. Die Negation der Authentizität des Sprechens seines Gedichts erfaßte er als symbolische Auslöschung der eigenen Existenz. Er erkannte hierin die Reaktion gerade jener, welche sich der Erfassung von Celans Verfahren der Aufdeckung der tötenden Kräfte der deutschen Sprache gleichzeitig verschlossen. Denn gerade dem Bemühen von Celans Dichtung, das katastrophale Geschehen des Holocaust in seiner sprachlichen Dimension zu erfassen und in derselben deutschen Sprache jenes aufhebende, weil in die Erinnerung rettende, Gegenwort aufzuspüren, diesem Bemühen wird als komplementäres Gegenstück eine sprachlich vollzogene Extermination Celans entgegengehalten, an der weit mehr Sprecher beteiligt waren als die Witwe Goll. Die dadurch zum „Fall Celan“ gewordene Diskussion schwankte zwischen oft klar antisemitisch grundierten Invektiven und einem meist hilflosen Plädoyer für den diffamierten jüdischen Dichter, der dadurch erst recht auf die Anklagebank gerückt wurde. Gerade seinen Verteidigern blieb der Vorwurf Celans nicht erspart, ihn dadurch erst eigentlich zum Juden, zum Außenseiter, zum Schuldigen gemacht zu haben. Eine eigens eingesetzte Untersuchungskommission der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung suchte schließlich eine Klärung herbeizuführen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die tiefe innere Zerrüttung des Menschen Paul Celan jedoch schon einen katastrophalen Verlauf genommen.
Von Anfang an und bis zu seinem durch den Freitod im Jahr 1970 herbeigeführten bitteren Abbruch sind Person und Werk Celans über das gewöhnliche Maß hinaus aufs engste miteinander verknüpft. Beide unterliegen (im wahrsten Sinne des Wortes) schon früh – seit der Lesung Celans beim Treffen der Gruppe 47 in Niendorf 1951 – spezifischen Umgangsformen, welche die weitere Rezeption prägten und welche nicht wenig in den Gedichtentstehungsprozeß hineinwirkten. Celan reagiert in seinen Gedichten meist verdeckt, aber doch dezidiert auf diesen „Umgang“ mit seiner Person wie mit seinem Werk. Wie die historische Erfahrung des Holocaust schreibt er diesen am eigenen Leibe wie am Körper seines Gedichts erfahrenen Tötungsversuch durch eine verleumderisch mißbrauchte Sprache diesem seinem Werk wieder ein. Beide Erfahrungen scheinen sich komplementär zueinander zu verhalten, es sind Kehrseiten einer Medaille. Celan versucht sie – zugleich mit seiner Wunde – offenzulegen und daraus dennoch ein anderes Sprechen innerhalb derselben Sprache zu konstituieren. Es gehört mit zur Tragik dieses Dichters, dass entgegen der von ihm gesuchten Offenheit in der Rezeption seines Werkes Stereotypen der Dunkelheit, der Hermetik, der Artikulation unüberwindbarer Verständnisschwierigkeiten dominieren. Dieser abweisenden Lektüreerfahrung der Mehrheit seiner Leser steht eine erstaunlich große Resonanz auf dem Buchmarkt und im sogenannten Literaturbetrieb gegenüber, eine Resonanz, die angesichts der Schwierigkeiten, die seine Gedichte dem Verständnis entgegensetzen, keineswegs einfach zu erklären ist.
Kaum ein deutschsprachiger Autor des 20. Jahrhunderts kann eine solche Vielzahl an Werkausgaben und wissenschaftlichen Untersuchungen vorweisen wie Paul Celan. Sein Œuvre umfaßt fast ausschließlich Lyrik; dazu kommen wenige kleinere poetologische Texte sowie ein umfangreiches Übersetzungswerk. Es handelt sich also um ein Werk für die schmale Klientel von Liebhabern moderner Lyrik, ein Werk, dem zwar europäischer Rang weit über die Grenzen der deutschen Sprache hinaus beschieden wird, dessen Präsenz im deutschen kulturellen Bewußtsein gleichwohl als äußerst begrenzt eingeschätzt werden muß. Untrennbar mit Celans Namen verbunden ist lediglich die „schulbuchreif gedroschene“ Wendung „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“; Celan hat dies später mit Bitterkeit vermerkt. Ob er glücklicher gewesen wäre zu erfahren, dass die „Todesfuge“ unterdessen im schmalen Lektürehaushalt der jüngeren Generationen überhaupt nicht mehr vorkommt, mag dahingestellt bleiben.
Trotz der überaus intensiven Editionstätigkeit und einer breit angelegten wissenschaftlichen Erarbeitung seines Gesamtwerkes, wie sie sonst nur Klassikern zuteil wird, ist die Lyrik Paul Celans weit davon entfernt, wie etwa das wohl kaum weniger komplexe Werk Goethes als Allgemeingut deutschsprachiger Bildung gelten zu können. Celan-Lesern haftet der haut gout eines esoterischen Lyrikverständnisses an. Die Beschäftigung mit dem zum Dichter des Holocaust gestempelten jüdischen Autor trägt zudem den für viele unangenehmen Beigeschmack des schlechten historischen Gewissens; nicht selten wird die Berufung auf Celan zum Schutzschild für eine nicht vollzogene historische Reflexion. Dabei schlägt die eigene innere Befremdung auf seiten der Leser nicht selten um in die Stilisierung Celans zum Fremden, der niemals in Deutschland gelebt und doch ausschließlich in deutscher Sprache gedichtet hat; der Begriff des Fremden wird zum Leitbegriff noch in Wolfgang Emmerichs Ende der neunziger Jahre in einer bekannten Reihe erschienenen Monographie. Indem er Autor und Werk damit erneut in die Ferne rückt, zementiert er einmal mehr die Unmöglichkeit Celan zu verstehen; es ist dies ein fest ansitzendes Klischee, welches die Diskussion seiner Gedichte von Anbeginn unausweichlich begleitet hat, ein Klischee, welches, ohne daß Emmerich dies intendiert hätte, einmal mehr mit einem der stereotypen Bilder vom Juden konvergiert. Mißverständlich wirkt auch, wenn Bertrand Badiou, der Herausgeber des erst im letzten Jahr erschienenen Briefwechsels Celans mit seiner Frau, im Vorwort dieser Ausgabe in offensichtlicher Verkennung einer Briefstelle schreibt, Celan habe „seine in einer Gegensprache geschriebenen Gedichte ganz bewusst gegen das Publikum gerichtet“. In einem Brief Celans an seine Frau heißt es dagegen anläßlich einer bevorstehenden Lesung in Stuttgart am 31.1.1955 präziser:

Heute abend werde ich ihnen die Gedichte vorlesen, über ihre Köpfe hinweg, und es wird ein wenig so sein, als wollte ich meinen Hörern jenseits ihrer selbst begegnen, in einer zweiten Wirklichkeit, die mein Geschenk an sie sein wird.

Fast klingt dies schon wie eine Vorwegnahme des später von ihm in seiner Büchner-Preis-Rede formulierten Credos:

Das Gedicht will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Es sucht es auf, es spricht sich ihm zu.

Celan betont in seiner Rede: „es  s p r i c h t  sich ihm zu“, nicht „es  s c h r e i b t  sich ihm zu“; einmal mehr Zeichen seiner Poetik eines kreatürlichen, eines jeweils aktuellen Sprechens des Gedichts, das weit davon entfernt ist, in der Schrift zu erstarren, sich dem Gegenüber zu entziehen.
Angesichts der hohen dichterischen Evidenz seines Werkes hat sich im Zuge eines anhaltenden intensiven Verstehensbemühens nach Celans Tod seit Anfang der siebziger Jahre eine ganze ,Industrie‘ der wissenschaftlichen Celan-Edition wie der Celan-Forschung herausgebildet, die ihren Höhepunkt noch keineswegs überschritten hat. Nur für bestimmte Themenbereiche oder für begrenzte Zeiträume – etwa die zu Lebzeiten erschienenen Kritiken – ist darüberhinaus der Umgang der Medien mit Person und Werk Celans dokumentiert oder analysiert worden. Solche Untersuchungen, wie die von Barbara Wiedemann vor zwei Jahren vorgelegte neunhundertseitige Dokumentation zur Goll-Affäre belegen unterdessen auf erschütternde Weise die weitreichende Bedeutung, welche Presseurteile, Rezensionen oder wissenschaftliche Kritiken für Paul Celan hatten, wie einschneidend spontane Leserreaktionen, mit welchen er bei öffentlichen Lesungen immer wieder konfrontiert war, auf ihn wirken und welche Spuren sie in seinem Werk, und nicht weniger in seinem Leben hinterlassen konnten.
Indes haben mißhellige Darstellungen seiner Person keineswegs mit Celans Tod ihr Ende gefunden. Nach wie vor interessieren sich auch weit verbreitete Zeitschriften oder Magazine wie der Spiegel oder Focus für diesen Autor; nur selten sind ihre Beiträge frei von diffamierenden Wendungen.
Fast schon unübersehbar ist schließlich die wissenschaftliche Forschungsliteratur, deren Zahl heute mehrere tausend Titel umfaßt. Da die ersten Forschungsansätze zumindest teilweise an die Tendenzen der frühen Rezensionen anknüpften, etablierten sie zunächst ein im heutigen Rückblick geradezu fatal anmutendes Celan-Bild, dessen Konsequenzen für den Autor selbst tragisch wirkten, aus dessen hermeneutischen Zirkelschlüssen aber offensichtlich nur schwer zu entkommen ist. Das vom Autor immer wieder angemahnte Augenmerk auf die Referentialität seiner Gedichte auf die historische Wirklichkeit verkehrte sich zumindest teilweise zum Mythos von der „traurigen Geschichte“ des armen, im Exil lebenden Ostjuden und Überlebenden des Holocaust. Lebensgeschichte und Textbestand wurden dabei zu einem trüben Amalgam verschmolzen, das Alibifunktion für eine Gesellschaft übernehmen mußte, die ihre Geschichte im Grunde nie wirklich aufgearbeitet hat; die Rezeption des „Dichters des Holocaust“ aber droht mancherorts im Klischee zu erstarren. Immer noch und immer wieder wird Celans Werk als ganzes eher in den Kontext von Hermetik oder Manierismus, mithin einer esoterisch anmutenden Sprachkunst gerückt, als konsequent auf jene deutschen wie französischen Kontexte bezogen, welche den Lebenshintergrund seiner Texte bilden. Weder die politische Dimension noch der nahezu durchgehend erotische Grundzug seiner Gedichte, weder die eigentliche ästhetische Innovation seiner Gedichte (auch und gerade im Hinblick auf die Möglichkeiten eines Sprechens nach Auschwitz) noch seine Partizipation an Weltliteratur im Goetheschen Sinne, welche Celans Dichtung wie kaum einer anderen seiner Generation europäischen Rang verleiht, sind ins Bewußtsein seiner breiteren Leserschaft gedrungen und haben jene Stereotypen verdrängen können.
Aus dem Dilemma der offensichtlichen Differenz in der Erfahrung von Evidenz großer Dichtung und gleichzeitiger Unmöglichkeit unmittelbaren Verständnisses mag sich das Bedürfnis erklären lassen, immer mehr Texte von und über Celan zu publizieren in der Hoffnung, durch einen Überschuß an Information oder durch gesteigerte Textfülle ein Mehr an Einsicht gewinnen zu können. Die bisherige Leseerfahrung hat diese Hoffnung jedoch als trügerisch erwiesen. Der heuristische Wert der rein faktischen Information mag in Details aufschlußreich sein; für das Gesamtverständnis, für den poetologischen Zusammenhang, für die Auseinandersetzung mit einzelnen Texten ist diese nur in Ausnahmefällen von entscheidender Bedeutung. Nicht die biographische Information allein, die Sensation von Einzelheiten seiner Lebensgeschichte, wie sie anläßlich des Briefwechsels mit seiner Frau, Gisèle Lestrange-Celan, bekannt geworden sind, vermag unser Verständnis seiner Texte zu vertiefen. Die hermeneutische Abarbeitung am einzelnen Gedicht bleibt dem nicht erspart, dem der Text mehr gilt als der um die Gestalt des Autors geschlungene Mythos. In Celans Befragung der versehrten Sprache scheint nämlich zugleich die nicht geringere Aufgabe auch für den Interpreten auf, diese Suche für sich selbst als Prozeß einer eigenen Sprachfindung nachzuvollziehen. Wenn Celan nahezu ausnahmslos seine Gedichte in der Sprache der Mörder seiner Mutter verfaßt hat, so darf nicht vergessen werden, daß sich dieser selben Sprache auch die Mehrheit seiner Interpreten bedient. Der für Celan aus der katastrophalen historischen Erfahrung resultierende poetologische Imperativ fordert um nichts weniger die Reflexion des Rezipienten auch auf die von ihm selbst gesprochene deutsche Sprache. Dies aber ist im eigentlichen Sinne die Aufgabe, welche sein Werk an den Interpreten stellt.
Den ebenso häufig berufenen wie in die Phrase entglittenen Zusammenhang von „Mutter- und Mördersprache“ als Grundkonstituens von Celans Dichtung möchte ich im folgenden anhand der Analyse eines Beispiels aus jenem Teil des Celanschen Œuvres darzustellen versuchen, der vom Autor gerade nicht – und zwar mit Emphase nicht – zur Veröffentlichung bestimmt gewesen ist. Hatte sich Celan im Hinblick auf den von ihm hoch geschätzten russischen Dichter Ossip Mandelstam bereits Mitte der sechziger Jahre dafür ausgesprochen, dessen Werk durch eine restriktive Editionshaltung gerade nicht dem „allesverschleißenden Buchmarkt“ auszuliefern, so ist ihm selbst dieses Schicksal leider nicht erspart geblieben. Was Celan damit meinte, läßt sich an der Editionsgeschichte seines eigenen Werkes deutlich genug erkennen.
1983, dreizehn Jahre nach Celans Tod, erschien die erste vollständige Ausgabe seines autorisierten Werkes, das in fünf Bänden auch die Mehrzahl der von ihm publizierten Übersetzungen enthielt. Sechs Jahre später folgte eine dieser Edition angeglichene, allerdings um einen wissenschaftlichen Apparat erweiterte Ausgabe der frühen Gedichte. 1997 kamen, nach längerer Editionspause, die Gedichte aus dem Nachlaß heraus; auch diese Ausgabe wurde in Stil und Präsentationsform der ersten Werkausgabe angeglichen. Diese ist nun im vergangenen Jahr im Textbestand unverändert, wenn auch geringfügig korrigiert als siebenbändige Taschenbuchedition neu aufgelegt worden. In der Integration der beiden Werkteile sind die Grenzen zwischen dem vom Autor zur Veröffentlichung vorgesehenen und dem in den Beständen des Nachlasses (bzw. im Besitz dritter) erhaltenen Werkes aufgehoben worden; separat erscheinen demgegenüber nur noch die bislang drei edierten Bände aus dem umfangreichen Briefwechsel Celans, die ebenfalls aus dem Nachlaß ediert wurden. Wegen seines intimen Charakters soll hier nur der jüngst erschienene dritte Band, der bereits erwähnte Briefwechsel Celans mit seiner Frau einbezogen werden.
Die Werkgenese, insbesondere die Zusammenstellung der Einzelgedichte zu Zyklen, konnte in den letzten Jahren verstärkt in die wissenschaftliche Untersuchung miteinbezogen werden; dazu hat insbesondere die Veröffentlichung von Vorstufen und Notizen zur Gedichtentstehung bzw. zur Konzeption der Gedichtbände beigetragen, wie sie in den beiden von einer Bonner und einer Tübinger Arbeitsgruppe separat erarbeiteten und nebeneinander im selben Verlag erscheinenden Ausgaben publiziert wurden. Daß die Varianten der kontextuellen Zuordnung einzelner Gedichte Celans, ihre Integration oder ihr Ausscheiden aus einem Gedichtband interpretatorische Relevanz für den jeweiligen Einzeltext wie für den Band als ganzes haben können, konnte bereits mehrfach nachgewiesen werden. Insbesondere für den Band Sprachgitter hat Joachim Seng in seiner Frankfurter Dissertation aufs genaueste Kompositionsweise und zyklische Gebundenheit der Gedichte herausarbeiten können.
Das autorisierte Werk von Celan besteht also aus neun streng komponierten, in sich abgeschlossenen und sukzessive ineinander verwobenen Einzelzyklen, welche im Verlauf der Entstehung des Gesamtwerks zunehmend aufeinander bezogen wurden. Bei den ersten Bänden Mohn und Gedächtnis und Von Schwelle zu Schwelle erscheint der Titel des folgenden Bands bereits im vorausgehenden Zyklus. In den letzten Lebensjahren, die von eruptiven Schaffensphasen begleitet waren, gibt Celan erst dann einen Band in Druck, wenn das Manuskript des darauf folgenden Zyklus bereits abgeschlossen vorliegt. Dies erklärt auch die nach seinem Tod vorgefunden Konvolute Schneepart und Zeitgehöft, deren Druckvorlage von Celan selbst noch erstellt wurde und die daher dem autorisierten Werk zugerechnet werden können. Ebenso deutlich wie ungewöhnlich genug tritt damit die für die Interpretation grundlegende Struktur einer Bewegung auf einen dichterischen Gesamttext hervor, den Celan auch dadurch gestaltete, dass er einzelne bereits abgeschlossene Gedichte aus dem zunächst erwogenen zyklischen Kontext wieder entband und sie damit von der Veröffentlichung ausschloß.
Diesem, von Celan derart autorisierten ,Gesamttext‘ seiner Dichtung, steht nun ein in sich heterogenes Nachlaßwerk gegenüber. Es umfaßt außer weiteren Gedichten auch zahlreiche Prosaentwürfe, Aphorismen, Notizen und persönliche Aufzeichnungen. Dazu kommt noch ein umfangreiches Briefwerk, dessen Publikation in den nächsten Jahren ansteht. Unter den nachgelassenen Gedichten ist das in Bukarest im Nachlaß von Alfred Margul-Sperber erhaltene Frühwerk zu unterscheiden von den später in Paris parallel zu den publizierten Gedichtzyklen entstandenen, teilweise in diese zunächst integrierten, teilweise auch separat gebliebenen Gedichten. Im Unterschied zum Frühwerk, aus dem nur abgeschlossene Texte überliefert sind, haben wir es mit dem im Nachlaßband veröffentlichten Texten gelegentlich auch mit fragmentarisch gebliebenen Entwürfen zu tun. Beide Bände vereinigen also entstehungsgeschichtlich wie in Bezug auf ihre Autorisation divergierende Konvolute.
Celan hatte die ganz frühen Gedichte der Bukowiner Zeit bei der Freundin Ruth Kraft hinterlegt, der er 1944 eine Abschrift anfertigte. Später entstanden weitere Gedichte in Bukarest und in Wien. Einen Teil dieser Texte übernahm Celan in den Band Der Sand aus den Urnen, den er 1948 in Wien drucken ließ. Ein anderer Teil des Frühwerks, dessen Manuskripte in Rumänien verblieben waren, gelangte bis zu seinem Tod nicht mehr in seine Hände. Von einer Publikation gerade der in rumänischer Sprache abgefaßten Texte hat Celan immer abgesehen. Mit einem expliziten Publikationsverbot versah er später einige der Pariser Gedichte; trotz entsprechender Notierungen auf den Manuskripten wie „Nicht veröffentlichen!“, „Niemals veröffentlichen!“ oder „Unveröffentlichbar!“ sind auch solche Texte zum Teil in die Nachlaßpublikation aufgenommen worden.
Neben den Gedichten sind unterdessen, wie bereits erwähnt, auch schon Teile des Briefwechsels publiziert worden, zunächst die Korrespondenz mit Nelly Sachs und mit Franz Wurm, einem aus Prag gebürtigen und während seiner Freundschaft mit Celan in Zürich und später wieder in Prag lebenden Dichter und Übersetzer, mit welchem Celan zeitweise intensiv zusammengearbeitet hat, schließlich, jüngst, die Korrespondenz mit Hanne und Hermann Lenz. Die Publikation dieser Briefwechsel legitimiert sich durch deren Relevanz für die Werkgeschichte Celans; das Gespräch in Briefen, das Celan mit Nelly Sachs führte, korrespondiert ihrem Gespräch in den Gedichten. Der zweite in Verbindung mit Franz Wurm von Barbara Wiedemann edierte Briefband vermittelt punktuell wichtige Aufschlüsse im Bereich des Spätwerks.
Einen ganz anderen Status hat demgegenüber der sogenannte ,Ehebriefwechsel‘, der im vergangenen Jahr gleichzeitig in einer französischen Edition in Paris und in deutscher Übersetzung in Frankfurt erschienen ist. Hier interessierten vor allem biographische Hintergründe, welche die umfängliche, seit 1950 anhaltend geführte Korrespondenz Celans mit seiner Frau zu vermitteln vermögen. Es war das ganz besondere Anliegen des gemeinsamen Sohnes, durch die Herausgabe der Korrespondenz auch dem künstlerischen Werk seiner Mutter angemessene Würdigung zuteil werden zu lassen. Nicht zuletzt diese Edition führt gegenwärtig vor allem in Frankreich zu einer erneuten Intensivierung der Auseinandersetzung mit Celan, den man hier – da die Briefe durchgängig in französischer Sprache verfaßt worden sind – durchaus auch als einen dem Französischen zugehörigen Autor neu zu entdecken sucht. Im Anhang zum Kommentar des Ehebriefwechsels findet sich als Ergebnis jahrelanger Rekonstruktionsbemühungen die von Bertrand Badiou verantwortete gegenwärtig umfassendste Darstellung wichtiger biographischer Daten Celans. Was vermag nun diese immer noch expandierende und, mit Rücksicht auf ihren Aufwand, kaum mehr angemessen zu würdigende Editionsarbeit im Hinblick auf ein zu vertiefendes Verständnis des Gedichtwerks von Celan zu leisten?
Celan wird, so scheint es mir, immer mehr der Obhut einer (gar nicht so kleinen) Gruppe von Spezialisten übergeben, die akribisch allen Äußerungen nachspüren und Leben und Werk ins kleinste zu rekonstruieren und zu dokumentieren suchen. Dazu gehören die ebenso langwierigen wie umfangreichen Editionsbemühungen zweier unabhängig voneinander arbeitender Arbeitsgruppen in Bonn und Tübingen ebenso wie die internationale Forschergruppe, welche derzeit eine Kommentierung einzelner Gedichtbände erarbeitet. Solche Arbeit wird in der Regel nur bei jenen Autoren geleistet, denen man den Status des Klassikers zuerkennt und deren Werk als fundamentales kulturelles Erbe erachtet wird. Dem enormen wissenschaftlichen wie editorischen Aufwand steht allerdings ein Rezeptionsverhältnis in geradezu extremer Schieflage gegenüber. Zum einen ist Celan als Autor fast ausschließlich lyrischer Texte einer breiteren Öffentlichkeit so gut wie unbekannt geblieben. Selbst im Schulunterricht wird sein Werk – die „Todesfuge“ eingeschlossen – zunehmend marginalisiert, d.h. an die kommenden Leser per Kulturisation immer weniger vermittelt. Dies hängt auch mit dem zentralen Gegenstand seiner Gedichte zusammen, mit dem sich die Vertreter jüngerer Generationen immer weniger auseinandersetzen (wollen oder sollen?). Zum Teil ist dies auch bedingt durch die enormen Leseanforderungen, welche die Texte Celans stellen, deren Grundlagen immer weniger vorauszusetzen sind (dies allerdings legitimiert einmal mehr die Kommentierungsarbeit). Im Gegensatz zur weitreichenden Non-Präsenz ist die ausgesprochene Schieflage in der Rezeption zum anderen dadurch bedingt, dass „Celan“ als Inbegriff für eine lyrische ,Verarbeitung‘ des Holocaust weitgehend klischeehaft rezipiert wird; die hierbei in Anschlag gebrachten Stereotypen erweisen sich oft als nur allzu wenig entfernt von Zuschreibungen nationalsozialistischer Couleur. Celan-Lektüre und Celan-Aneignung finden also statt zwischen einer betont einseitig affirmierenden Praxis (Bukowiner Autor, jüdischer Dichter, Dichter des Holocaust) einerseits, einer nicht nur latent diffamierenden ,Problematisierung‘ andererseits, welche stereotyp signifikante Momente der Lebensgeschichte und des Werks zu diskreditieren sucht. Dies begann schon früh mit der leider immer wieder aufgegriffenen Unterstellung, Celan habe „die traurige Geschichte“ vom Tod seiner Eltern so mitleiderregend zu erzählen gewußt; es mündet heute in der durch die letzte Briefedition möglich gewordene öffentliche Diskussion um die schwere psychische Erkrankung Celans, welche ihn seit dem Jahreswechsel 1962/63 immer wieder zu längeren Klinikaufenthalten zwang. Nicht völlig unähnlich dem ,Fall‘ Hölderlins scheint auch bei Celan durchaus die Bereitschaft zu bestehen, das äußerst komplexe Spätwerk als Produkt des Wahns und den Dichter als unzurechnungsfähig zu erklären. Die von Peter Szondi schon früh erhobene und von Peter Horst Neumann in den neunziger Jahren noch einmal aufgegriffene Frage „Was muß ich wissen, um zu verstehen?“ läßt sich angesichts der Edition des Ehebriefwechsels pointieren in die Frage „Muß ich das wissen, um zu verstehen?“ oder sogar „Will ich das wissen?“. Manch einer möchte die Vielzahl jener Briefstellen nie gelesen haben, durch deren Publikation die ansonsten geschützten Grenzen der Intimität, die Unangreifbarkeit der Person längst überschritten worden sind. Dass die Lektüre des Ehebriefwechsels beim Leser dennoch nicht den Eindruck eines schamlosen Voyeurismus hinterlässt, zu dem er sich durch die Lektüre unwillentlich geleitet sieht, ist nur der Tatsache geschuldet, dass Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange in ihren Briefen fast durchgehend den hohen Ton wahren. So wird die Lektüre gerettet in einen überaus bewegenden Einblick in den verzweifelten Überlebenskampf zweier großer Liebender, die den zweifelhaften äußeren Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sahen, letztlich nicht gewachsen waren. Insbesondere die Gattin Celans gewinnt hier erstmals für den sonst nur an Paul Celan interessierten Leser die Kontur menschlicher Integrität und künstlerischer Größe, wie sie bisher der Einsicht nicht zugänglich war.
Nach Abschluss der in den nächsten Jahren zu erwartenden vollständigen Edition aller von Celan hinterlassener Schriften wird sich das Gesamtwerk des Dichters teilen lassen in die Bereiche Gedichte – Prosatexte – Übersetzungen – Briefe. Sie unterscheiden sich nicht nur von der Gattung her. Die bei der Lektüre immer einzubeziehende Entscheidung des Autors für oder gegen eine Publikation läßt sich m.E. auch hermeneutisch im Hinblick auf ein noch zu erweiterndes Verständnis des Gesamtwerkes nutzbar machen. Sie erzeugt eine Differenz, welche sich angesichts der strengen zyklischen Komposition seines Gedichtwerks gerade im Hinblick auf die Poetik als aufschlußreich erweist. Zum anderen vermag sich der Ausschluß bestimmter Texte von der Veröffentlichung als brauchbares Kriterium erweisen für die Erkenntnis jener auch vom Interpreten zu wahrenden Grenze zwischen der unantastbaren Person Celans und seinem, einem lesenden Gegenüber zugewandten Gedicht. Um diesen Zusammenhang ein wenig zu veranschaulichen, habe ich ein Beispiel aus dem Frühwerk gewählt.
Das Gedicht „Schwarze Flocken“, dessen genaues Entstehungsdatum unbekannt ist, gehört vermutlich zu den letzten der in der Bukowina entstandenen Gedichte, welche die Herausgeberin Barbara Wiedemann in ihrer Edition chronologisch anzuordnen versucht hat. Von den 135 aus dieser Zeit erhaltenen Gedichten ist nur eine kleine Anzahl in die ersten Gedichtpublikationen Celans in den Zeitschriften Plan (Wien 1947) und Die Tat (Zürich, ebenfalls 1947) aufgenommen worden. In Wien bereitet Celan seinen ersten Gedichtband in Buchform zur Publikation vor; er erscheint 1948 nach seinem Weggang nach Paris unter dem Titel Der Sand aus den Urnen, wird von ihm aber wegen der zahlreichen Druckfehler schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Verkauf zurückgezogen. Erst vier Jahre später (1952) erscheint mit Mohn und Gedächtnis in der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart der eigentliche Debütband Celans. War das Gedicht „Schwarze Flocken“ im Band Der Sand aus den Urnen noch enthalten, so wird es in Mohn und Gedächtnis nicht mehr aufgenommen. Dieses Buch enthält nun nur noch wenige der frühen Gedichte und weist eine grundsätzlich andere Komposition auf. So enthielt der erste Band, Der Sand aus den Urnen, nur zwei Zyklen („An den Toren“ und „Mohn und Gedächtnis“); ihnen ist das Gedicht „Todesfuge“ als Abschluss des Bandes wie ein dritter Zyklus angefügt. Im Band Mohn und Gedächtnis steht die „Todesfuge“ gleichfalls separat in der Bandmitte; sie ist dem ersten Binnenzyklus „Der Sand aus den Urnen“ nachgeordnet und wird gefolgt von zwei weiteren Zyklen („Gegenlicht“ und „Halme der Nacht“). Die beiden Gedichte „Corona“ und „Auf Reisen“, welche als Schlußgedichte im Band Der Sand aus den Urnen der „Todesfuge“ vorangestellt waren, rahmen diese nun im Band Mohn und Gedächtnis als letztes Gedicht des ersten und als erstes Gedicht des zweiten Zyklus. Beide Gedichte markieren den letzten Moment in Wien mit dem anschließenden Weggang Celans nach Paris. Dem Gedicht „Todesfuge“ kommt durch die Positionierung in beiden Fällen eine Schlüsselfunktion zu: den ersten Band (Der Sand aus den Urnen) schließt das Gedicht ab, im zweiten, aus der veränderten lebensgeschichtlichen Perspektive vier Jahre später komponiert, wirkt es dagegen wie ein Schwellengedicht und markiert den Übergang von Ost nach West, die Grenze zwischen dem Leben Celans in Czernowitz, Bukarest und Wien einerseits, der Zeit in Paris andererseits. Obwohl, wie die Frühwerkedition belegt, das bis 1949 entstandene lyrische Œuvre etwa zweihundert abgeschlossene Texte umfaßte, stehen im ersten Gedichtband Celans 25 Gedichten aus der Zeit bis Wien (die „Todesfuge“ nicht eingerechnet) 30 Gedichte gegenüber, die erst in den vier Pariser Jahren entstanden sind (einer Phase, in der sich Celan übrigens mehrfach brieflich darüber beklagt, nicht mehr schreiben zu können). Diese Akzentverschiebung bedarf einer interpretatorischen Analyse; sie läßt sich mit der zunehmenden Reife des immer noch jungen Dichters (1952 ist Celan 32 Jahre alt) nicht befriedigend erklären. Auch können viele der frühen, in Mohn und Gedächtnis nicht aufgenommenen Gedichte keineswegs als Anfängertexte abgetan werden, wie sich unschwer erkennen läßt:

SCHWARZE FLOCKEN

Schnee ist gefallen, lichtlos. Ein Mond
ist es schon oder zwei, daß der Herbst unter mönchischer Kutte
Botschaft brachte auch mir, ein Blatt aus ukrainischen Halden:

„Denk, daß es wintert auch hier, zum tausendstenmal nun
im Land, wo der breiteste Strom fließt:
Jaakobs himmlisches Blut, benedeiet von Äxten…
O Eis von unirdischer Röte – es watet ihr Hetmann mit allem
Troß in die finsternden Sonnen… Kind, ach ein Tuch,
mich zu hüllen darein, wenn es blinket von Helmen,
wenn die Scholle, die rosige birst, wenn schneeig stäubt das Gebein
deines Vaters, unter den Hufen zerknirscht
das Lied von der Zeder…
Ein Tuch, ein Tüchlein nur schmal, daß ich wahre
nun, da zu weinen du lernst, mir zur Seite
die Enge der Welt, die nie grünt, mein Kind, deinem Kinde!“

Blutete, Mutter, der Herbst mir hinweg, brannte der Schnee mich:
sucht ich mein Herz, daß es weinte, fand ich den Hauch, ach des Sommers,
war er wie du.
Kam mir die Träne. Webt ich das Tüchlein.

Schwarze Flocken ist vermutlich das erste Gedicht, in welchem Celan auf die tief einschneidende Erfahrung des Holocaust reflektiert. Zugleich ist es ein überraschend dezidiertes frühes poetologisches Gedicht, in welchem Celan das problematische Verhältnis zwischen der Sprache seiner Mutter und der Sprache ihrer Mörder thematisiert im Hinblick auf die ihm von hier aus zugetragene Aufgabe als deutschsprachiger Dichter. Das genaue Entstehungsdatum ist unbekannt, der Zusammenhang mit dem Tod des Vaters im Herbst 1942 und der Erschießung der Mutter im darauf folgenden Winter ist jedoch evident. Ich möchte dies Gedicht, das schon mehrfach umfangreich interpretiert worden ist, im Kontext meiner bisher vorgetragenen Überlegungen vor allem im Hinblick auf vier Fragekomplexe untersuchen. Es geht mir dabei

  1. um die Frage nach dem Verhältnis von gesprochener und vermittelter Sprache;
  2. um die Frage danach, wie Celan hier die Versehrung der deutschen Sprache durch die Mörder der Mutter und gleichzeitig das Sprechen der Mutter in dieser selben Sprache zum Ausdruck bringt;
  3. um die Frage nach den im Gedicht angesprochenen Zeitstufen, also dem Verhältnis von Gleichzeitigkeit und Präsenz einerseits, historischer Abfolge andererseits; und
  4. um den Zusammenhang von Wahrnehmung und Vermittlung, welche einen spezifischen Affekt beim sprechenden Ich wie beim Leser bewirken und die schließlich in die poetologische Metapher vom Tuch münden.

Schon auf den ersten Blick wird an der Dreiteilung des Gedichts sichtbar, dass hier unterschiedliche Redeformen aufeinander treffen: Im ersten Abschnitt berichtet ein sprechendes Ich von einer Botschaft, die es erhalten hat. Der zweite Abschnitt gibt nun – angezeigt durch Doppelpunkt und Anführungszeichen – den Inhalt dieser Botschaft in wörtlicher Rede wieder. Der dritte Abschnitt fällt dann wieder zurück in den Berichtston, so dass erste und dritte Einheit eine Art Rahmen um die ausführliche mittlere Partie legen. Im Gegensatz zum ersten wird der Berichtston im dritten Abschnitt jedoch nicht korrekt fortgeführt. Hat es zunächst den Anschein, als berichte das sprechende Ich einer dritten Person, so ist hier nun die Rede deutlich als Antwort an die Mutter formuliert; gleichwohl bewahrt sie wie zu Beginn das Tempus der Vergangenheit. Die dem Mittelteil entlehnte direkte Ansprache an die Mutter verschmilzt also mit dem Bericht. Das Gedicht affirmiert somit in seinem Sprechen das dialogische Prinzip im Gespräch von Mutter und Kind und verwandelt dieses zugleich in ein erzähltes Geschehen. Die Gedichtrede kehrt über die im Wechsel von Rede und Gegenrede inszenierte Begegnung mit der Mutter an ihren Ausgangspunkt zurück. In diesen gleichzeitig inszenierten und referierten Redewechsel sind schließlich noch weitere Formen vermittelter wie aktueller Rede eingelassen: die Botschaft, die das Kind „unter mönchischer Kutte“ empfängt, kündet vom zu erwartenden Tod der Mutter. Dies bedeutet die genaue Umkehrung – eine Inversion – der Verkündigung Mariä. Mit der „mönchischen Kutte“ stellt sich implizit ein brauner Farbton ein. Die frohe Botschaft ist in die Todesnachricht verkehrt wie auch das Verhältnis von Mutter und Kind nun umgekehrt aufgefaßt wird. Die als aktuelles Sprechen vom Gedicht referierte Botschaft der Mutter bedient sich dann weiterer Hinweise auf den Status vermittelter Rede, indem sich diese nämlich aus Elementen konkurrierender Diskurse zusammengesetzt erweist, welche der Mutter zur Umschreibung des Unbeschreibbaren dienen: „Hetmann“, „Troß“, „Helme“, „knirschende Hufe“ berufen eine auf fatale Weise falsch aufgefaßte germanische Heldenepik; wenn es zu Anfang heißt, dass es wintert „auch hier zu tausendstenmale“ sind eben jene chiliastischen Vorstellungen aufgerufen, deren Verkehrung die Ideologie des Dritten – des tausendjährigen Reiches – mitbegründen halfen. Die Figur der Umkehrung, die strukturell in der Inversion der Verkündigung bereits sichtbar wurde, kehrt hier also im Hinblick auf die geschichtliche Umdeutung des chiliastischen Denkens wieder. Sie wird fortgesetzt in der für dieses Gedicht zentralen rhetorischen Figur des Oxymorons – der Negation innerhalb einer sprachlichen Wendung. Das Oxymoron prägt die Beschreibungen der Mutter, die so die im Anrufen von Namen oder Begriffen angesprochenen komplexen Kontexte als verkehrte Geschichte, als verkehrte Botschaft, als verkehrte Utopie zu decouvrieren vermag: der „breiteste Strom“ ist ein Blutstrom, gestockt zum „Eis von unirdischer Röte“; „Jaakobs himmlisches Blut“ ist „benedeiet von Äxten“, die Sonnen werden als „finsternde“ charakterisiert etc. Auch das „Lied von der Zeder“, das der Vater als Symbol der zionistischen Wendung nach Palästina gesungen hat, wird diesem Prozeß unterworfen: der grünende Baum des Liedes erscheint unter den Hufen des Trosses zerknirscht. Celan gelingt es also in der Rede der Mutter sprachliche Signifikanten des nationalsozialistischen Wahns aufzurufen und deren tötende Macht in Bezug auf Vater und Mutter als sprachlich vollzogene Akte der Verkehrung darzustellen. Die Sprache der Mutter bedient sich der Sprache ihrer Mörder, legt aber gleichzeitig damit deren mörderische Strategie offen. Ihre appellativ in großer Intensität mehrfach vorgebrachte Bitte an das Kind um „ein Tuch, mich zu hüllen darein“, zielt auf eine andere Verhüllung als die Hülle der von ihr zitierten sprachlichen Versatzstücke. Sie wird begründet als ein Bewahrungsversuch:

Ein Tuch, ein Tüchlein nur schmal, dass ich wahre
… die Enge der Welt

Dieses Tuch ist zunächst das Tuch, mit welchem die Mutter ihr trauerndes Antlitz angesichts des ermordeten Vaters verhüllt; es wird dann ihr eigenes Leichentuch. In der Diminuisierung ist es schließlich das „Tränentüchlein“ als Zeichen der Trauer ihres Kindes. Diesem obliegt nun Trauerarbeit im doppelten Sinne: nicht nur im Akt der Beweinung, sondern – erkennt man im Tuch eine der ältesten Textmetaphern überhaupt – zugleich als Botschaft, als Kunde, die es von nun an von dieser Trauer zu geben hat. Sie wird im Gedicht Gestalt annehmen.
Dem allein zurückgebliebenen Kind ist mit der Rede der Mutter schließlich auch ein besonderes Reflektieren auf Zeit – mithin auf Geschichte – aufgegeben. Denn ihre Rede unterscheidet sich von der Zeitstufe des Gedichtrahmens durch ihre durchgehend präsentische Form. Gleichwohl gelingt es ihr, alle drei möglichen Zeitstufen im Präsens zu aktualisieren: indem sie das hic et nunc des Winters als Vorgang aktivisch wiedergibt – „Denk, dass es wintert auch hier“ – und diesen Vorgang zugleich in die geschichtliche Abfolge eingliedert – „zum tausendstenmal nun“. In ihre Beschreibung des gegenwärtigen Schreckens versenkt sie anschließend die zurückliegende Ermordung des Vaters ebenso wie sie am Schluß ihrer Rede die zukünftige Generationenfolge einholt, indem sie auf „die Enge der Welt, die nie grünt, mein Kind, deinem Kinde“ verweist. Mit dem ebenfalls aktivisch gebrauchten „Grünen“ verknüpft sie diese Perspektive mit dem zu Beginn erwähnten „Wintern“ und führt hier abschließend auch noch die Hoffnung auf eine Überwindung der Katastrophe der Geschichte, die Utopie von einer besseren Zukunft ad absurdum. Das Kind erkennt in dieser Botschaft die historische Vernichtung als Generationen übergreifendes, sich perpetuierendes Geschehen. Angesichts dessen wendet sich dieses nun in seiner Antwort von der eigenen Jetztzeit aus regressiv zurück in die Suche nach dem verlorenen Glück, dem für immer vergangenen Hauch des Sommers. In ihm findet es schließlich die Seele der Mutter wieder.
Celan hat in diesem Gedicht in elaborierter Art und Weise die persönliche Trauer um die gemordeten Eltern zu erfassen versucht. Er tut dies aber gerade nicht in poetisch beschönigenden Metaphern ohne jeden Wirklichkeitsbezug, wie ihm dies immer wieder vorgeworfen wurde. Er tut dies im hoch kalkulierten Bezug auf eben jene sprachlichen Bilder, deren Wirkung existentieller Art gewesen ist. Mit dem Gedicht stellt er den Begründungszusammenhang seiner Dichtung dar als ein Aufdecken eben jener – sprachlich vermittelten – Strukturen, welche die reale Vernichtung ermöglicht und getragen haben. Er sucht den Schrecken in seinem sprachlichen Zentrum selbst auf und gewinnt aus ihm die Träne, das Tüchlein seiner Antwort, wie sie das Gedicht „Schwarze Flocken“ formuliert hat. Diesen Titel erhält der Text Celans erst in der Buchpublikation. Er erscheint aus den Worten des ersten Verses – „Schnee ist gefallen, lichtlos.“ – gewonnen und zeigt noch einmal die Figur des Oxymorons. Er weist in seiner spezifischen Umkehrung des Reinen, Weißen in das Versehrte, Vernichtende bereits voraus auf die zentrale Metapher der späteren „Todesfuge“. Ein Vergleich der beiden Gedichte läßt nun noch weitere Ähnlichkeiten im sprachlichen Verfahren erkennen.

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Im Unterschied zu „Schwarze Flocken“ wird die persönliche Betroffenheit des sprechenden Ichs, das den Verlust der eigenen Eltern beklagen muß, hier überführt in kollektive Rede. Den Sprechenden steht nun ihr Mörder, der eine Mann gegenüber, dessen Anweisungen sie unterliegen. Auch dieser Text changiert zwischen Bericht und persönlicher Ansprache, zwischen vermittelter Rede und aktuellem Sprechen. Dabei führt auch dieses Gedicht die Auslöschung der sprechenden Subjekte sprachlich vor, nun aber nicht, wie in „Schwarze Flocken“, auf der Bildebene, sondern verstärkt auf der strukturellen Ebene. In der „Todesfuge“ überwiegt die Thema und Variation systematisch engführende Struktur über die Entfaltung der Bilder; „Die Enge der Welt“ – wobei Enge etymologisch mit Angst verknüpft ist –, von der bereits in „Schwarze Flocken“ die Rede war, kehrt hier leitmotivisch wieder („da liegt man nicht eng“). Die formelhaft reduzierte Sprache verweist auf die Wiederholbarkeit des dargestellten Geschehens, das Stereotyp hebt die Individualität auf. Gleichwohl sind auch hier signifikante Begriffe oder Wendungen nationalsozialistisch gebundenen Sprechens enthalten. Was in „Schwarze Flocken“ als Oxymoron auf der Bildebene durchgeführt wurde, erscheint hier als verlogener Euphemismus eingelassen in die syntaktische Strukturierung der Rede. Dies beginnt mit der bereits zitierten Wendung „da liegt man nicht eng“; es setzt sich fort im „Spiel“ mit den Schlangen, jenem klassischen Symbol für die – vorgeblich – gerechte göttliche Strafe, und kulminiert in der Rede des Mannes, der den schaufelnden Juden sagt „spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Dieser Tod wird am Ende des Gedichts schließlich als Geschenk bezeichnet, Traumprodukt jenes sich selbst verklärenden verblendeten Deutschtums, dessen Anfänge weit hinter die Zeit des Nationalsozialismus zurückreichen. Was die „Todesfuge“ nun aber auf der strukturellen Ebene mit dem Gedicht „Schwarze Flocken“ verbindet, ist nicht nur dasselbe oxymorale Verfahren. Es ist die Art und Weise, wie das falsche Sprechen von den Angesprochenen affirmiert und dabei im Akt der Inversion entlarvt wird. Dieses Verfahren betrifft wiederum den Knotenpunkt zwischen vermittelter und aktueller Rede. Zu Beginn heißt es von dem Mann, „der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete“. Diese Wendung wird im Gedicht den Kompositionsregeln der Fuge entsprechend mehrfach wiederholt. Ihr antwortet aber beim zweitenmal die Gegenrede „Dein aschenes Haar Sulamith“. Diese – aussichtslose – Antwort ist kein Aufschrei, kein Widerspruch. Sie markiert die steigende Affirmation des Befohlenen („stecht tiefer ins Erdreich“) und dessen gleichzeitig damit gesteigerte Wirksamkeit. Gegen Ende verdichten sich die Sprachformeln der „Todesfuge“ zunehmend und erreichen ihren Höhepunkt im einzigen Reimpaar des Gedichts:

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau.

Der daran nochmals anschließende Refrain „ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete“ bleibt dann ohne das Gegenwort Sulamiths. Die Auslöschung ist nun ganz gegenwärtig:

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Der Nachklang der beiden das Gedicht beendenden Anrufungen kann den Tod jüdischen Geliebten des Hohen Lieds Salomons weder aufhalten noch aufheben; die sprachliche Erinnerung muß ihn jedoch aushalten. Dies sind keine Metaphern mehr, dies war Realität.
Celan hat das Gedicht letztlich, wie bereits erwähnt, nach den ersten Publikationen ins Zentrum seines Gedichtbands Mohn und Gedächtnis gestellt. Über die zentrale Bedeutung des Textes für sein Gesamtwerk wie für die deutschsprachige Lyrik nach 1945, ja für den lyrischen Diskurs über den Holocaust überhaupt besteht kein Zweifel. Aus dem Vergleich mit dem Gedicht „Schwarze Flocken“ erscheint mir die Frage überlegenswert, warum Celan das frühere Gedicht in den Band Mohn und Gedächtnis nicht mehr aufgenommen hat. Daß auch dieses einen überzeugenden Entwurf darstellt, scheint außer Frage. Den tiefen Eindruck, den es beim Leser hinterlässt, hat als erste Ingeborg Bachmann bezeugt, die sich 1952, im Erscheinungsjahr von Mohn und Gedächtnis einem eigenen lyrischen Text mit dem Titel „Wie Orpheus spiel ich eine Hommage an Paul Celan“ eingeschrieben hat. Hier findet sich auch in den Versen: „der Finsternis schwarze Flocken / beschneiten dein Antlitz,“ eine direkte Anspielung auf das Gedicht.
Celans Entscheidung, „Schwarze Flocken“ nicht mehr zu publizieren, läßt sich aus dem Vergleich der beiden Zyklen Sand aus den Urnen und Mohn und Gedächtnis erhellen. In letzterem sprechen im Gegensatz zu den weitaus zahlreicheren früheren Beispielen nur noch die Gedichte „Espenbaum“ im ersten Zyklus und „Der Reisekamerad“ im vierten Zyklus explizit von der Mutter; keines der beiden weist eine vergleichbare poetologisch relevante Gesprächsstruktur auf. Dem Ausscheiden der auf die Mutter bezogenen Gedichte korrespondiert umgekehrt die Zunahme von Gedichten, mit denen Celan gerade in Mohn und Gedächtnis einen neuen Liebesdiskurs als poetologisch grundlegendes Paradigma konstituiert. Er geht zum einen auf die eigenen Erfahrungen aus der Zeit vor dem Holocaust zurück und greift hierbei eine nicht nur innerhalb der europäischen Lyrik zentrale Tradition dichterischen Sprechens auf. Wie bei Dante oder Petrarca wird gerade die Erinnerung an die tote Geliebte zum Auftrag der Dichtung. Angesichts der historischen Erfahrung Celans aber verschmelzen bei ihm in der Evokation der Geliebten Mutter, Frau, Schechina, jüdisches Volk, alle Geächteten und Vernichteten. Celan entzieht das Totengedenken dem – wie von Orpheus schmerzhaft erfahren – im zweiten Rückblick erst gestifteten eigentlichen Tod, dem völligen Erstarren und hält es statt dessen im Akt des Eingedenkens selbst gleichsam lebendig. Als solches kann es nämlich eine neue Möglichkeit des Sprechens eröffnen: das aus dem Verlust des Gegenübers erwachsene Zu-sich-selbst-Kommen. Verweist der Bezug auf die Mutter psychologisch gesehen auf eine regressive persönliche Entwicklung, so läßt er sich historisch umbiegen in das Paradigma eines um nichts weniger regressiven Geschichtsbildes: indem Geschichte als das Vergangene bezeichnet und letztlich der Realität der Gegenwart entzogen wird. Im Gegensatz dazu ermöglicht der Rekurs auf die tote Geliebte ein stark gegenwartsbezogenes Geschichtsbild: spätestens seit Petrarca vergewissert sich der Dichter immer wieder der Präsenz der Geliebten gerade in der Nichtanerkennung ihrer Unerreichbarkeit, durch welche das unwiederbringlich Vergangene im Ansprechen präsent gehalten wird. Damit erscheint auch das historische Geschehen als immer wieder aktualisierte, unüberwindliche Gegenwart, als Präsenz in der trauernd eingestandenen Anwesenheit der Abwesenheit.
Celan hat in der Neugestaltung des Bandes Mohn und Gedächtnis einen entscheidenden Schritt vollzogen, der in der Rezeption weitgehend unbeachtet geblieben ist, der für den Erinnerungsauftrag seiner Dichtung wie für deren poetologische Begründung jedoch von weitreichender Bedeutung gewesen ist. Die in der Diskussion um das Gedicht Celans immer wieder vorgenommene Konfrontation der Begriffe Muttersprache/Mördersprache erweist sich demgegenüber als ein Konstrukt, welche die vielschichtigen ebenso gegenwarts- wie realitätsbezogenen Dimensionen von Celans Sprechen einseitig verkürzt. Der Überlebende des Holocaust wird zurückgeworfen auf den regressiven Gestus; er übernimmt als „Alibijude“ – wie Celan in großer Bitterkeit von sich selbst sagte – die Rolle des sprechenden schlechten Gewissens jener, welche nach wie vor die Mördersprache ihrer Mütter ungebrochen sprechen und schreiben. Indirekt erscheint er damit aber auch als unabweisbarer Ankläger und wird deshalb ebenso gehasst wie das schlechte Gewissen selbst. Die Akklamation enthält implizit auch die Abwehr gegenüber solcher Anklage. Weder am Gedicht „Schwarze Flocken“ noch an der „Todesfuge“ ist m.E. bisher ausreichend untersucht worden, wie Celan das historische Geschehen als ein sprachlich vermitteltes Geschehen zu analysieren und in aktuelle Rede zu überführen vermag: in eine Rede, die sich der Spuren der Geschichte im eigenen Sprechen immer wieder von neuem bewusst wird. Celan mußte das Gedicht „Schwarze Flocken“ eben deshalb aus dem Band Mohn und Gedächtnis ausscheiden, weil der zu persönlich zu lesende Dialog zwischen Mutter und Kind eben allzu sehr auf seine Person zu beziehen war, weil er zu sehr affektiv besetzt, weil er Mitleid heischend war. Diesen Affekt nimmt die „Todesfuge“ bewusst zurück in die kalte Sprache der perfekten Struktur, welche der ,Meisterschaft‘ der nationalsozialistischen Todesindustrie gleichwohl angemessen erscheint.
Celans Gedicht hat nicht das Verständnis gefunden, das er sich erhofft hat. Noch Ende 1959 nennt Günter Blöcker in einer Rezension die „Todesfuge“ „kontrapunktische Exerzitien auf dem Notenpapier fern von jedem Wirklichkeitsbezug“. Über diese Formulierung war Celan zutiefst verletzt; als Reaktion darauf entstand das umfangreiche Gedicht „Wolfsbohne“. Es steht unüberhörbar in Verbindung mit den beiden soeben besprochenen Gedichten, indem es das Gespräch mit der Mutter aus der späteren historischen Perspektive wieder aufnimmt. Hier ist der Kontext nun aber auch die selbst erlebte Anfeindung, der „Umgang“, den Celan persönlich und mit seinem Werk in den fünfziger und sechziger Jahren erfahren mußte. Auch dieses Gedicht hatte er zunächst zur Veröffentlichung vorgesehen; die Druckfahnen lagen schon vor, als die Entscheidung fiel, es doch nicht zu publizieren. In einem Brief an den damaligen Lektor des Fischer Verlages schreibt Celan:

[…] dieses Gedicht […] bleibt also privat, und nun bitte ich Sie, es ganz ins Private zurückkehren zu lassen und es bei Gelegenheit zurückzuschicken.

Nun ist das Gedicht in der Nachlaßedition aus dem versunkenen Privaten des Menschen Celan in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. Es ist das wohl bedrückendste Zeugnis über den „Umgang“ mit Person und Werk eines Dichters, der wie kaum ein anderer das persönliche Leid vieler Einzelner in einer uns alle betreffenden Sprache erfaßt hat.

Christine Ivanovic, glossen, Heft 16, 2002

Erinnerung an meine Freundschaft mit Paul Celan

Sooft ich an meinen einstigen Freund Paul Celan zurückdenke, verfolgt mich das Bild eines etwa zwanzigjährigen jungen Mannes, der mit der Grazie eines Ballerinos einsam vor sich hintanzte, ein mit seiner Dichtung und seinem Schicksal ganz unvereinbares Bild. Aber so habe ich ihn kennengelernt: Im ersten Jahr nach dem Kriege brachte ihn jemand in den Kreis meiner Freunde zu jenen geselligen Abenden mit, wo viel diskutiert wurde, wo man zu Witzen und Späßen aufgelegt war und Musik hörte oder tanzte. Es war ein Kreis junger Leute, die glücklich darüber waren, dem Greuel des Krieges entkommen zu sein, die alle am Anfang ihres Berufsweges standen und voller Eifer und Lebenslust der Zukunft vertrauten. Mit einer Ausnahme: Paul Celan. Er war skeptischer, umsichtiger, zurückhaltender. Unserem Frohsinn und Optimismus begegnete er mit nachsichtigem Lächeln, stets darauf bedacht, sich ihm nicht ganz hinzugeben, ihn aber auch nicht zu trüben. Vielleicht ahnte er, was wir später noch erleben sollten: Der Weg, den wir damals antraten, war nicht mit Rosen geschmückt, war nicht eben und auch nicht gleichmäßig ansteigend, wie versprochen, so dass wir oft die Zähne zusammenbeißen, stöhnen, ja sogar aufschreien mussten; es war in der Tat ein Weg, auf dem wir nicht nur Erfolge, sondern auch Enttäuschungen und Niederlagen erleben sollten.
Wir alle schätzten Celans sprühenden Witz und seine Intelligenz. Wir liebten ihn für die Zuneigung, die er uns entgegenbrachte. Wir wussten, dass er sich mit uns wohl fühlte. Er fand zahlreiche Berührungspunkte mit den jungen Leuten, die gleich ihm ihr Glück in der Kunst versuchen wollten. Es war ein Zufall, dass ich ihm näherkommen konnte als andere und ihn dadurch auch besser kennenlernte. Ich verhalf ihm zu seiner Anstellung als Lektor in dem Verlag, in dem ich damals tätig war: Cartea Rusă. Er hatte einen Vorsprung anderen Lektoren gegenüber, weil er sehr gut Russisch konnte. (Er hatte unter anderem bereits eine Novelle von Tschechow, Die Bauern, übersetzt, die 1946 als Taschenbuch im Staatsverlag erschien.) Bis 1947, als er Rumänien verließ, waren wir Kollegen im selben Verlag.
Von den vielen Gesprächen, die wir führten, möchte ich nur die erwähnen, in denen es um Literatur und Kunst ging. Vor allem muss ich sein Interesse für den Surrealismus hervorheben. Das war in einer Zeit dogmatischer und proletkultistischer Verirrung, als auch diese künstlerische Richtung verfemt wurde. Obwohl der Surrealismus eine vielfältige Erneuerung auf dem Gebiet der literarischen Ausdrucksmittel erbrachte, wurde er als eine bürgerlich-dekadente Strömung geächtet. Celan war darüber empört und plädierte begeistert für die Surrealisten, konnte mich aber nicht von allen ihren Mitteln überzeugen. So war ich zum Beispiel vom sprachlichen „dictée“ zur Darstellung des Bewusstseinsstroms als Stilmittel oder von einzelnen surrealistischen Texten, die dem Bedürfnis entsprangen, den kleinbürgerlich-konformistischen Geist zu schockieren, gar nicht begeistert. Eines seiner wichtigsten Argumente war sein Gedicht „à la manière surréaliste“, das er mir zum Namenstag gewidmet hat. Zu meinem größten Bedauern muss ich bekennen, dass ich es verlegt habe oder dass es auf einem meiner zahlreichen Wohnungswechsel in den letzten dreißig Jahren verlorengegangen ist. Hätte ich dieses Gedicht hier vorlesen können, wäre es der wichtigste Beitrag gewesen, den ich zu diesem Kolloquium hätte bringen können.
1947, als Paul sich entschlossen hatte, Rumänien zu verlassen, war er davon überzeugt, dass er in dem damaligen Kulturklima seine Gedichte nicht hätte schreiben und veröffentlichen können. Als er sich von mir verabschiedete, umarmte er mich und versicherte mir, dass ich eines Tages besser verstehen würde, warum er ging, warum er gehen musste. Ich habe Paul Celan nie wieder getroffen. Das Leben und die Umstände haben es mir nicht erlaubt, vor seinem tragischen Ende in den Westen zu fahren. Wir tauschten Grüße über unseren gemeinsamen Freund Petre Solomon, der das Glück hatte, ihn noch einige Male bei seinen Durchreisen in Paris zu treffen. Paul Celan war mir einer der liebsten und mit Sicherheit der glänzendste Freund, den ich hatte.

Marcel Aderca, in Zeitschrift für Kulturaustausch 3, 32. Jg., 1982
Aus dem Rumänischen übersetzt von Kurt Andrae

 

Hans Ulrich Gumbrecht: Am Rand des Verstummens. Paul Celans poetisches Werk kam aus der Katastrophe – und mündete in sie
Neue Zürcher Zeitung, 10.9.2022

Zwischen „Grabschändern“ und „Linksnibelungen“ – Wolfgang Emmerich im Gespräch mit Michael Braun über Paul Celans Verhältnis zu Deutschland und seinen deutschen Kritikern.

Hans Mayer: Erinnerung an Paul Celan, Merkur, Heft 272, Dezember 1970

 

 

IMPROMTU III
In memoriam
Paul Celan

Den blauen Scherben
Leben
weg-
aaaage-
aaaaaaaworfen.

Ich höre deine Schritte,
nachts,
auf den Wassern der
Seine.

Hanns Cibulka

 

„DER TOD IST EIN MEISTER AUS DEUTSCHLAND“
in memoriam Paul Celan

Wozu den Dichter in dürftiger Zeit?

die götter verließen die welt
beließen auf ihr die dichter
aber die quelle
trank uns den mund weg
nahm uns die sprache

wir reisen und wohnen
unterwegs
mal hier mal da

Anczel der Jude der herumirrende
wanderte lange
aus Bukowina nach Paris
sammelte unterwegs kräuter
zu worten wie Heidekraut
Erika Arnika
bettete die worte in schlaf
tat sie ins dunkel

„in der Hütte“
begegnete Celan
Martin Heidegger

betrat
eine lichtung
stand dort unter den sternen
trat aus der nacht
Der Tod ist ein Meister
aus Deutschland

stand im morgengrauen
mit einer handvoll gräsern blumen

doch die wasser der Seine
fluteten unter steinernen brücken

die schöne Unbekannte
wartete unsäglich lächelnd

Totenmaske

und er reifte heran
stürzte in den offenen schoß
des flusses des todes des vergessens

in einer welt
von göttern verlassen
hat lebende poesie ihn berührt
und er war den göttern gefolgt

welche fragen hat der dichter
dem philosophen gestellt

welcher stein der weisen
liegt am weg
zur waldhütte

der Tod
ist ein Meister
aus Deutschland

In der zeit die gekommen war
nach der dürftigen zeit

nach dem weggang der götter
gehn die dichter

Ich weiß ich sterbe ganz

daher rührt
dieser schwache trost
der die kraft verleiht
außerhalb der poesie fortzudauern.

Tadeusz Różewicz
Übersetzung Henryk Bereska

 

 

Paul Celan: Dichter ist, wer menschlich spricht. Ein Film von Ulrich H. Kasten und Hans-Dieter Schütt mit Eric Celan und Bertrand Badiou.

 

Gerhart Baumann hielt seinen Vortrag Paul Celan: Um-Wege zu sich und die offene Frage des Gedichts auf der Tagung Vom Sinn moderner Lyrik am 23. Januar 1971 im Haus der Katholischen Akademie in Freiburg.

 

 

Niemand zeugt für den Zeugen. 100 Jahre Paul Celan. Literarische Soirée am 30.9.2020 im Haus am Dom Limburg.

 

„wir wissen ja nicht, was gilt“ – Paul Celan zum 100. Geburtstag

 

Ein Abend zu Paul Celan am 18.5.2020 im Literaturhaus Berlin mit Hans-Peter Kunisch und Thomas Sparr. Es moderiert Eveline Goodman-Thau.

 

Paul Celan, Czernowitz & die „Todesfuge“. Helmut Böttiger berichtet.

 

Erreichbar, nah und unverloren. Reisen zu Paul Celan. Teil 1. Gespräch mit Helmut Böttiger.

 

Todesfuge – Biographie eines Gedichts. Alexander Suckel im Gespräch mit Thomas Sparr am 17.4.2020 im Literaturhaus Halle.

 

„Ästhetik und politische Dimension der Dichtung Paul Celans“. Mit Helmut Böttiger, Thomas Sparr und Monika Rinck; Moderation: Dieter Stolz am 23.11.2020 im Literaturforum im Brecht Haus.

 

Paul Celan in Europa – Videogespräch am 22.9.2020 im Rahmen der trilateralen Forschungskonferenzen 2020–2023 in der Villa Vigoni.

 

Paul Celan übersetzen – Gabriel Horatiu Decuble im Gespräch mit Ton Naaijkens und Alexandru Bulucz, Moderation Ernest Wichner am 6.11.2021 im Literaturhaus Halle im Rahmen der Tagung „Was setzt über, wenn Gedichte übersetzt werden“.

 

Clément Fradin, Julia Maas und Michael Woll stellen Paul Celans Bibliothek im Deutschen Literaturarchiv Marbach vor.

 

„Die Todesfuge. Zur Biographie eines Gedichts im Archiv“ – Thomas Sparr im Gespräch mit Jan Bürger, Kai Uwe Peter und Michael Woll

 

Michael Woll stellt Paul Celans Nachlass im Deutschen Literaturarchiv Marbach vor. Im Mittelpunkt stehen dabei die Hölderlin-Bezüge in Celans Texten.

Zwischen „Grabschändern“ und „Linksnibelungen“. Wolfgang Emmerich im Gespräch mit Michael Braun über Paul Celans Verhältnis zu Deutschland und seinen deutschen Kritikern.

Carolin Callies, Ann Cotten, Daniela Danz, Aris Fioretos, Norbert Hummelt und Rainer René Mueller kommentieren Paul Celans Gedicht „Was es an Sternen bedarf“.

 

 

Paul Celan liest Gedichte in Jerusalem am 9.10.1969

Zum 50. Todestag des Autors:

Daniel Jurjew / Klaus Reichert: Paul Celan: Ich sehe seine Hellsichtigkeit, bei anderem denke ich einfach: er übertreibt
Frankfurter Rundschau, 19.4.2020

Gregor Dotzauer: Das Eigene und das Andere
Der Tagesspiegel, 19.4.2020

Susanne Ayoub: Es ist Zeit, dass es Zeit ist
Der Standart, 19.4.2020

Sandro Zanetti: Akute Dichtung: Celans Zumutungen
Geschichte der Gegenwart, 19.4.2020

Friederike Invernizzi: Sprechen zwischen Wunde und Narbe
Forschung & Lehre, 19.4.2020

Frank Trende: Die bewegende Geschichte der Todesfuge
shz.de, 19.4.2020

Dunja Welke: Paul Celan – Ein zerrissener Dichter
RBB, 18.4.2020

Stefan Lüddemann: Paul Celan, Dichter des Holocaust, starb vor 50 Jahren
Neue Osnabrücker Zeitung, 19.4.2020

Shmuel Thomas Huppert: Erinnerungen an Paul Celan
SR 2, 26.2.2020

Christoph Bartmann: Ein Riss, der nicht zu heilen war
Süddeutsche Zeitung, 20.4.2020

Christine Richard: Ein Leben, immer nahe am Untergang
Tages-Anzeiger, 20.4.2020

Anton Thuswaldner: „Die Welt ist gegen mich losgezogen“
Salzburger Nachrichten, 19.4.2020

Klaus Reichert im Gespräch mit Niels Beintker: Erinnerungen an Begegnungen und Gespräche mit Paul Celan
BR24, 20.4.2020

Rüdiger Görner: Asche atmen: Zu Paul Celan
Die Presse, 23.4.2020

Marko Martin: Paul Celan und die „Linksnibelungen“
Welt, 27.4.2020

Evelyne Polt-Heinzl: Paul Celan Ein Migrant in Wien
Die Furche, 8.4.2020

 

 

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Andreas Wirthensohn: Todesklage für die Überlebenden
Wiener Zeitung, 21.11.2020

Klaus Demus: „Eine sehr große Freundschaft“
literaturoutdoors.com, 22.11.2020

Claus Löser: Fünf Filme für Paul Celan
Berliner Zeitung, 21.11.2020

Krisha Kops: Paul Celan: Dichter, Überlebender, Heimatloser
Deutsche Welle, 22.11.2020

Ulf Heise: Lyrik als Flaschenpost
Freie Presse, 22.11.2020

Susanne Ayoub: Paul Celan: Verlust der Heimat, Trauer um die Eltern
Der Standart, 22.11.2020

Wolf Scheller: Was nicht gesagt, nur angedeutet werden kann
Der Standart, 23.11.2020

Andreas Montag: Dichter Paul Celan – Der Schleier des Herbstes
Mitteldeutsche Zeitung, 23.11.2020

Andreas Müller: Paul Celan – zum 100. Geburtstag
Wiesbadener Kurier, 23.11.2020

Stefan Kister: Unter die Deutschen gefallen
Stuttgarter Zeitung, 22.11.2020

Paul Jandl: Vielleicht war Paul Celan einmal ganz er selbst. Da spielte er die Dürrenmatts beim Tischtennis in Grund und Boden
Neue Zürcher Zeitung, 23.11.2020

Sabine Glaubitz: Er schrieb das Unsagbare auf: Nachkriegsdichter Paul Celan wäre heute 100 Jahre alt geworden
stern, 23.11.2020

Volker Weidermann: Ein Grab in den Lüften
Der Spiegel, 20.11.2020

Jochen Hieber: Im Höhenrausch mit Ingeborg Bachmann
Der Spiegel, 23.11.2020

Stefan Brams: Interview mit Thomas Sparr – Paul Celan stiftet zur Erinnerung an
Neue Westfälische, 23.11.2020

Helmut Böttiger: Die graue Sprache
Süddeutsche Zeitung, 22.11.2020

Helmut Böttiger: Auf der Suche nach einer graueren Sprache
Jüdische Allgemeine, 21.11.2020

Albrecht Dümling: Die Todesfuge in Tönen
Deutschlandfunk Kultur, 20.11.2020

Nikolaus Halmer im Gespräch mit Barbara Wiedemann: Paul Celan: „Es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen“
Die Furche, 11.11.2020

Harald Seubert: Lieder jenseits der Menschen und kodierte Zeit: Paul Celan (1920–1970). Zum Gedenken
youtube.com, 15.6.2020

Celebrating Paul Celan: An Evening with Pierre Joris and Paul Auster
youtube.com, 21.11.2020

Stadtführung „Auf den Spuren von Paul Celan“
youtube.com, 10.9.2020

Paul-Celan-Literaturtage 2020. Videopräsentation vom Paul Celan Literaturzentrum Czernowitz

Ausstellung Paul Celan 100 – Unter den Wörtern

 

 

West-östliche Konstellationen. Internationale Tagung als hybride Veranstaltung im Lyrik Kabinett, München, sowie online.
Tagungskonzeption und -organisation: Prof. Markus May und PD Dr. Erik Schilling (Institut für deutsche Philologie der LMU München)
8.–9.10.2020

Eröffnung

 

Ambivalente Topographien. Rilkes Dritte Duineser Elegie und Celans „Walliser Elegie“

 

„West-östliche“ Lesarten im Jahrhundert nach Celan

 

Das Schweigen über Brücken. Orte Celans bei Robert Schindel

 

Abendvortrag: Todesfuge. Biographie eines Gedichts

 

„Wortaufschüttung“. Materialität als Indexikalität bei Paul Celan

 

Betreten. Zum Anfang von Engführung

 

Celans Draußen. Über reale und sprachliche Räume in seiner Dichtung

 

„Stimmen vom Galgenbaum“. Celans west-östliches Rotwelsch

 

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Georg-Büchner-Preis 1 & 2
Porträtgalerie: Keystone-SDA
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Nachrufe auf Paul Celan: Neue Literatur ✝︎ NZN



Paul Celans Todesfuge interpretiert von Diamanda Galas im Teatro Albeniz, Madrid, 15.10.2008.

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