Giorgos Seferis: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Giorgos Seferis: Gedichte

Seferis/Böhmer-Gedichte

UNSER LAND IST VERSCHLOSSEN

Unser Land ist verschlossen, nichts als Berge
auf denen Tag und Nacht die niedrige Decke des
aaaaaHimmels liegt.
Wir haben keine Flüsse wir haben keine Brunnen wir
aaaaahaben keine Quellen,
einzig ein paar Zisternen, leer auch sie, in denen es
aaaaawiderhallt und zu denen wir beten.
Ein abgestandener Widerhall, hohl, er gleicht unserer Einsamkeit
gleicht unserer Liebe, gleicht unseren Leibern.
Es scheint uns seltsam daß wir einst bauen konnten
unsre Häuser unsre Hütten und Pferche.
Und unsere Hochzeiten, die frischen Kränze und Brotkringel
werden unsere Seele zu unauflöslichen Rätseln.
Wie kamen unsere Kinder zustand? wie wuchsen sie groß?

Unser Land ist verschlossen. die zwei schwarzen Symplegaden
schließen es zu. Wenn wir am Sonntag
zu den Häfen hinabgehn um Luft zu holen
sehen wir im Abendrot leuchten
Holzstücke in Splittern von einer Fahrt die sie nicht vollendeten
Leiber die keine Weise mehr wissen zu lieben.

 

 

 

Kleine Geschichte der Zuerkennung des Nobelpreises 

an Giorgos Seferis

Daß Griechenland, die Wiege unserer westlichen Kultur, mehr als sechzig Jahre warten mußte, ehe einer seiner Söhne auf der Liste der Nobelpreisträger erschien, wurde lange Zeit als eine schwer auf dem Gewissen der verantwortlichen Jury lastende Ungerechtigkeit empfunden. Das Hellas von heute kennt in der Tat mehrere Schriftsteller, die eine glänzende, nie ganz erloschene Tradition auf bemerkenswerte Weise weiterführten. Schon seit dreißig oder vierzig Jahren waren ihre Namen unter den Kandidaten aufgetaucht, bis 1963 die Heimat Homers endlich mit Giorgos Seferis geehrt wurde, dem einzigen Überlebenden einer ruhmreichen Kette von Dichtern, an deren Spitze Kostis Palamas und Angelos Sikelianos standen. Beide hatten begeisterte Anhänger auch in der Schwedischen Akademie selbst gefunden, ebenso wie der hoch angesehene Romanschriftsteller Nikos Kazantzakis, der leider starb, bevor ihm die höchste Auszeichnung verliehen werden konnte.
Der Nachfolger und Schüler dieses letzteren, Elias Venesis, Autor eines Epos über die jüngste Tragödie des griechischen Volkes, den erzwungenen Auszug von den Küsten Kleinasiens nach dem Mutterland, war der einzige von seinen Landsleuten Giorgos Seferis an die Seite gestellte Kandidat. Übrigens war die Zahl der Anwärter auf den Nobelpreis noch nie so groß gewesen; nicht weniger als achtzig gegenüber den sechsundsechzig Kandidaten vom vorhergehenden Jahr. Man kann daher vermuten, daß sich unter diesen vielen Kandidaten fast sämtliche Schriftsteller der Welt befanden, die – wenn nicht überall, so doch wenigstens in ihrem eigenen Land – als berühmt gelten konnten und die ersehnte Ehrung bis jetzt noch nicht erhalten hatten.
Giorgos Seferis war das erste Mal im Jahre 1955 vorgeschlagen worden. Damals war gerade eine erste Sammlung seiner Gedichte in schwedischer Sprache erschienen; ein Mitglied der Schwedischen Akademie, Hjalmar Gullberg, dem das alte wie das neue Griechisch gleich vertraut waren, hatte sein vielleicht berühmtestes Werk „Der König von Asine”“ meisterhaft übersetzt. Dieses Gedicht besitzt eine eng mit Schweden verbundene Geschichte, die Seferis nach der Verleihung des Preises anläßlich seines Besuches in Stockholm erzählte. Schwedische Ausgrabungen von Professor Axel Persson hatten der Welt die Ruinen der alten Stadt Asine, von der ein Vers Homers im zweiten Gesang der Ilias spricht, wieder zugänglich gemacht. Während einer mit den schwedischen Archäologen am Ufer der Argolis, nahe bei Mykenae, verbrachten Woche war Seferis mit der Entdeckung der schönen goldenen Maske bekannt geworden, die Anlaß zu seinem Gedicht gab.
Dies geschah einige Jahre vor dem letzten Weltkrieg. Bald darauf trat Seferis in eine dauerhafte Verbindung mit Archäologen und französischen und englischen Schriftstellern, die er auf seinen Irrfahrten während und nach den Jahren der Besetzung Griechenlands kennenlernte. In der Schriftensammlung des Französischen Instituts in Athen erschien 1945 eine erste Auswahl seiner ins Französische übersetzten Gedichte mit einem überaus schmeichelhaften Vorwort von Robert Levesque. Drei Jahre später wurde er zum ersten Mal dem englischen Publikum vorgestellt und fand freundliche Aufnahme unter anderem auch bei T.S. Eliot, dem Nobelpreisträger des Jahres 1948, dessen Werke Seferis selbst ins Griechische übersetzt hatte. Man verglich ihn mit Hesiod, ja sogar mit Pindar, und als er griechischer Botschafter in London geworden war, verlieh ihm die Universität Cambridge 1960 den Ehrendoktor. Dreißig Jahre nach Beginn seiner Laufbahn wurde Seferis 1961 eine öffentliche Ehrung zuteil, zu der etwa zwanzig zur Elite des Landes gehörende Persönlichkeiten beitrugen. 1962 erschienen seine Werke endlich auch in deutscher Sprache. So war er in literarischen Kreisen kein Unbekannter mehr, als sich die Schwedische Akademie am 24. Oktober 1963 entschloß, ihm den Nobelpreis für Literatur zu verleihen, vor allem „für sein bemerkenswertes lyrisches Werk, das von einem tief empfundenen Sinn für das hellenistische Kulturgut getragen wird“.
Dieser Wahl scheinen nicht allzu viele Schwierigkeiten im Wege gestanden zu haben. Man war sich ziemlich schnell einig, daß es an der Zeit sei, nun auch Griechenland in der Person eines seiner verdienten Söhne zu ehren.
Der Bericht über Seferis wurde einem bedeutenden Hellenisten anvertraut, einem persönlichen Freund des Preisträgers, Sture Linnér, Professor an der Universität Upsala. Dieser hatte den Dichter in Athen kennengelernt während der langen Jahre, die er den von mehreren Staaten nach dem Krieg ins Leben gerufenen Hilfsorganisationen für Griechenland widmete. Nachdem er den Vereinten Nationen als Vertreter des Generalsekretärs Dag Hammarskjöld in dem durch innere Wirren gespaltenen Kongo gedient hatte, war er wieder nach Griechenland zurückgekehrt, um eine umfangreiche Schrift über seinen Freund Seferis in englischer Sprache vorzubereiten. Ein Auszug dieses Werkes, ins Schwedische übersetzt, konnte noch rechtzeitig zur Preisverleihung erscheinen. Dieser gut informierte Kenner der Dinge hält Seferis – nach dem Tod der beiden Erneuerer der griechischen Literatur, Palamas und Sikelianos – für den von seiner Heimat wirklich als Nationaldichter betrachteten Berufenen. Er beschreibt ihn als einen tief mit der Scholle verbundenen, von Homer und Aischylos begeisterten, aber auch mit den Modernen wie VaIéry und Eliot vertrauten Mann. Nebenbei erfährt man, daß Seferis, wie Saint-John Perse und Ivo Andrić, die Nobelpreisträger für Literatur von 1960 und 1961, eine diplomatische Laufbahn hinter sich hat, zu deren Abschluß er schließlich an die Spitze der griechischen Gesandtschaft in London getreten war.
In seiner Rundfunkansprache über den Preisträger, die Anders Österling sofort nach der öffentlichen Bekanntgabe der Entscheidung hielt, ging er kurz auf die wichtigsten Merkmale seines poetischen Werkes ein, das nicht sehr umfangreich sei, aber „seine Bedeutung der Eigenart von Gedanken und Stil und der Schönheit seiner Sprache“ zu verdanken habe. Der Redner erinnert daran, daß man nach dem Tod von Sikelianos Seferis als den eigentlichen hellenistischen Lyriker ansprechen könne, als modernen Dichter, der das klassische Erbe übernommen habe, als einen auch vom Ausland anerkannten Volksdichter, wenigstens soweit seine Werke in andere Sprachen übersetzt wurden. Anders Österling fährt fort, das Werk von Seferis mache besonders deutlich, daß Griechenland geographisch nicht nur eine Halbinsel, sondern auch ein kleines, vom schäumenden Meer umgebenes und aus Myriaden sturmumtobter Inseln bestehendes Universum sei, ein unvergängliches Meeresreich, eine von Gefahren umlauerte und von Stürmen umtobte Seefahrerheimat. Dieses Griechenland sei in Seferis’ Werk immer gegenwärtig. Man könne von ihm auch sagen, er habe besser als irgend jemand sonst das Geheimnis der Steine selbst den Glanz des leblosen Marmors und der verschwiegen lächelnden Statuen gedeutet. Oft lege er seinen Schmerz und seine Bitterkeit einem mystischen odysseeischen Erzähler in den Mund, dem er gewisse, alten Seeleuten seiner verlorenen smyrnischen Heimat entnommene Züge aufgeprägt habe.
In ähnlichen Tönen sprach der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie in seiner Verleihungsrede bei der feierlichen Überreichung des Preises. Am Schluß seiner Ansprache betonte er, es sei für die Akademie eine große Genugtuung, durch die Auszeichnung von Giorgos Seferis ihren Tribut an das heutige GriechenIand entrichten zu können, dessen wertvolle und reiche Literatur vielleicht allzu lange auf diese verdiente Ehrung habe warten müssen.
Eigentlich hätte dieser erste einem griechischen Schriftsteller verliehene Nobelpreis in seinem Heimatland hohe Befriedigung auslösen müssen. Um so erstaunlicher ist es, daß keine allgemeine Begeisterung herrschte. Allerdings hatte die Kritik einiger links und extremlinks gerichteter Zeitungen ihren Ursprung eindeutig im Politischen, wo man Seferis unter anderem vorwarf, er habe den Engländern als Botschafter in London während der langen Krise, die der Unabhängigkeitserklärung von Zypern vorausging, ein allzu starkes Entgegenkommen gezeigt. Diese Haltung des Dichterdiplomaten erkläre zur Genüge den lauten Beifall, den die Nachricht von seiner Ehrung in England hervorrief, dessen Rundfunk sein Werk besonders hervorgehoben habe.
Wie dem auch sei, kein anderer noch lebender griechischer Schriftsteller war vorgeschlagen worden, der dieser höchsten Ehrung, würdiger gewesen wäre, obwohl man beiläufig und ohne großen Nachdruck auch von Venesis und MyriviIis gesprochen hatte. Doch dürfen die drei oder vier „Großen“ nicht vergessen werden, die ohne den verdienten Nobelpreis gestorben waren: Palamas, Kazantzakis, Konstantinos Kavafis, der Alexandriner, und vor allem Sikelianos, der eigentliche wiedergeborene Pindar. Im Hinblick auf ihn verstieg sich eine linksoppositionelle Zeitung zu dem Vorwurf, die Schwedische Akademie habe sich 1946 unter dem Druck der Regierung zur Ausscheidung seiner Kandidatur bewegen lassen. In diesem Stadium des Bürgerkrieges befand sich Sikelianos, der als militanter Kommunist galt, im freiwilligen Exil. Sicher ist, daß er in jenem Jahr vorgeschlagen wurde, nicht von griechischer Seite, vielmehr – wenn ich nicht irre – von Anders Österling, dem Ständigen Sekretär der Schwedischen Akademie, der seine Werke übersetzt hatte und zweifellos alle diese politischen Hintergründe gar nicht kannte.
Dafür anerkannte Athinaiki, die konservative und am meisten gelesene Tageszeitung der griechischen Hauptstadt, sofort „die ungeheure Geltung, die sich die Akademie durch ihre guten Entscheidungen im Laufe der Jahre errungen hat“, und bezeichnete den an Seferis verliehenen Preis als „einen ebenso persönlichen wie nationalen Triumph“. Immerhin wird auch hier die große Unterlassungssünde der Vergangenheit nicht völlig vergessen und angestaute Bitterkeit nicht ganz verschwiegen. Doch wirkte die Tatsache, daß so viele maßgebende Stimmen des Auslands die Wahl der Akademie guthießen und die Verdienste des Preisträgers rühmten, wesentlich zur Bewertung dieser Ehre und des Ruhmes mit, der auf Seferis und auf Griechenland fiel.
Tatsächlich begrüßte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die gesamte Weltpresse in Seferis einen der großen Vertreter der modernen griechischen Literatur. „Bemerkenswert“, schreibt die Times in London, „durch die Verknüpfung der Gedanken und Gefühle, die unter einer Oberfläche scheinbarer Schlichtheit schlummern“. Der Berichterstatter dieser Zeitung hebt hervor, man habe oft den Eindruck, daß alle die gesammelten Erfahrungen zu schwer auf Seferis lasten; man glaube bei ihm zu erleben, wie einer dieser in Marmor gehauenen Köpfe, die der klassische Boden von Hellas birgt, ans Licht gehoben und geborgen werde.
Die New York Herald Tribune anerkennt die Umsicht der Schwedischen Akademie und schreibt ihr hoch an, daß sie Seferis für sein kleines, doch erwähltes Werk und Griechenland für die Bewahrung seines poetischen Genies durch alle Stürme einer langen und bewegten Geschichte hindurch geehrt hat. Die New York Times, die Saturday Review und andere bekannte, von einem kultivierten Publikum gelesene amerikanische Zeitungen sprachen sich nicht weniger positiv aus.
Nur die Washington Post macht bestimmte Vorbehalte und läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, heftig Kritik an der Schwedischen Akademie zu üben, über die sich diese aber wie gewöhnlich mit olympischer Gelassenheit hinwegsetzte. Die Zeitung schreibt, diese Akademie habe während der letzten fünf Jahre die Welt immer wieder mit ihrer ausgefallenen Wahl der Preisträger verblüfft und auch heuer mit ihrer Entscheidung für einen griechischen Dichter von großartiger Unbedeutendheit vor den Kopf gestoßen. Wenn die Akademie Griechenland hätte ehren wollen, warum ließ sie dann alle diese Jahre verstreichen, ohne Kazantzakis zu würdigen, einen in der ganzen Welt bekannten und geschätzten Schriftsteller? Nun habe er sich im Tod zur Schar der großen Schriftsteller gesellt, die von den in ihrer Psyche schwer durchschaubaren Schweden zu leicht befunden worden seien: Proust, Tolstoj, Zola, Ibsen, Tschechow, Hardy, Conrad, Meredith, Joyce, Rilke und Lorca. Man darf allerdings nicht übersehen: Die Mitglieder der Schwedischen Akademie könnten sich immerhin damit rechtfertigen, daß Proust, Joyce oder Rilke auch in ihren eigenen Ländern erst nach ihrem Tode zu Ruhm und Ansehen gelangt seien. Der strenge Kritiker läßt die allerletzten Preisträger noch einmal Revue passieren, von Quasimodo – „einzig und allein durch die Verleihung des Nobelpreises bekannt“ – bis zu Steinbeck, „der sich selbst ehrte, indem er den Preis nicht zu verdienen behauptete“, und stellte fest, daß die Schwedische Akademie es in dieser ganzen Zeit fertigbrachte, Schriftsteller von der Bedeutung eines André Malraux, Robert Graves, Alberto Moravia und Jean-Paul Sartre zu übergehen, ganz zu schweigen von den Autoren aus Lateinamerika, Asien und Afrika. „Sicherlich“, schließt er, „braucht ein literarisches Genie keinen schwedischen Lorbeerkranz, aber da der Preis nun einmal existiert, sollte er doch vernünftiger verteilt werden“.
Aber zunächst zum alten Kontinent, nach Frankreich, wo der Figaro Littéraire als erster bereits 1956 den Namen Seferis in die Liste der möglichen Nobelpreisträger aufnahm. Gaëtan Picon, der persönliche Freund und enge Mitarbeiter des Kultusministers André MaIraux, würdigt in einem Artikel dieser Zeitung den neuen Preisträger und sein Werk auf überaus liebenswürdige Weise:

Vergoldet wie die Steine seiner Heimat, wie diese seit ewigen Zeiten verbrannten Felsen, durchtränkt vom Saft, vom Salz und von den Strahlen des Raums, durchfurcht wie die ockerfarbene Erde, von Trockenheit zerrissen – ist sein Antlitz das eines Mannes, der sich der Sonne aussetzt und dem Leben stellt. Seine Dichtung, von so schlichter Sprache, der Alltagssprache nah, dem Gebet des Morgens und des Abends, aber immer geweiht durch die dichterische Feierlichkeit, gleicht von Anfang bis Ende der von Baudelaire, Gesang, der jenen Stunden entspringt, in denen das Leben eines Menschen, eines besonderen Einzelwesens, sich hier und heute seines Gewichts bewußt wird.

Seferis kam in Begleitung von Sture Linner und dem Schwedischen Botschafter in Athen nach Stockholm, um seinen Preis entgegenzunehmen. Sein erster, nicht offizieller Besuch galt dem Grabe Dag Hammarskjölds in Upsala. Auf die liebenswürdige Ansprache, die Anders Österling bei der Übergabe des Preises hielt, antwortete er mit gleich beredter Würde, er erklärte, einem kleinen Lande anzugehören, dessen durch Jahrhunderte unverändert weitergereichte Tradition aber unermeßlich reich und fortdauernd sei. Dann sprach er französisch von der Poesie, die Schweden habe hervorheben wollen, selbst wenn sie einem kleinen Volk entsprungen sei; diese Dichtung, „die nur der reine Ausdruck der menschlichen Stimme ist und deren Urgrund im menschlichen Atem liegt. Für sie gibt es keine großen oder kleinen Nationen. Ihr Raum ist im Herzen der ganzen Menschheit beschlossen.“ Zum Schluß seiner Rede nützte er den Anlaß, nicht nur die Schwedische Akademie, sondern auch Alfred Nobel durch einen Vers von Shelley zu ehren, dem Lieblingsdichter des großen Stifters. „Ich schulde der Schwedischen Akademie Dank für die Einsicht, daß eine weniger verbreitete Sprache kein Hindernis bilden darf, an dem sich der menschliche Herzschlag bricht, und daß sie ein hohes Forum bildet, fähig, to judge with solemn truth life’s ill-appointed lot. Shelley soll es gewesen sein, durch den Alfred Nobel inspiriert wurde, ein Dichter, der verstand, die unabwendbare Grausamkeit des Daseins mit der Größe seines Herzens zu überwinden.“ Aber über dem entfesselten englischen Prometheus konnte Seferis auch seinen Sophokles nicht vergessen. „Als Ödipus auf dem Wege nach Theben der Sphinx begegnete und sie ihm ihr Rätsel aufgab, war seine Antwort: der Mensch. Dieses einfache Wort bannte das Ungeheuer. Wir müssen mit vielen Ungeheuern fertigwerden, vergessen wir deshalb nicht die Antwort des Ödipus.“
Mit König Gustaf-Adolf von Schweden, dem gelehrten Archäologen, der schon an den Ausgrabungen in Asine teilgenommen hatte, konnte der Dichter sich wie mit einem Kollegen über den Fürsten dieses Ortes im hohen Altertum unterhalten.

Unbekannt, von allen vergessen, selbst von Homer,
Ein einziges Wort in der Ilias und dieses unsicher
Hingeworfen wie eine goldene Maske im Grab,
Du berührst sie, erinnerst du dich ihres Widerscheins.

Kjell Strömberg

Verleihungsrede

anläßlich der feierlichen Überreichung des Nobelpreises für Literatur an Giorgos Seferis

Majestät, Exzellenzen, meine Damen und Herren,

der Nobelpreis für Literatur wurde dieses Jahr dem griechischen Dichter Giorgos Seferis zuerkannt. Er ist 1900 in Smyrna geboren, einer Stadt, die er bald mit der ganzen Familie verlassen sollte, um von da an in Athen zu leben. Die Griechen wurden aus Kleinasien vertrieben und die Stadt seiner Ahnen eingeäschert. Noch auf andere Weise sollte die Entwurzelung – das traurige Los aller verfolgten Völker – in seinem Leben eine entscheidende Rolle spielen. Seferis studierte in Paris, trat danach in den diplomatischen Dienst ein und ging mit der freien griechischen Regierung 1941 ins Exil, um der Besetzung zu entgehen. Während des Zweiten Weltkrieges diente er seiner Heimat in verschiedenen Ländern, in Kreta, Kairo, Südafrika; der Türkei und dem Mittleren Osten. Nachdem er sechs Jahre lang Botschafter in London gewesen war, nahm er letztes Jahr seinen Abschied und kehrte nach Athen zurück, um sich von nun an ganz seiner literarischen Arbeit zu widmen.
Das im Umfang kleine poetische Werk von Seferis verdankt seine Bedeutung der Eigenart von Gedanken und Stil, der Schönheit seiner Sprache. Sie sind ein unwiderlegbares Symbol dessen, was in der Antwort des hellenistischen Gemüts auf das Leben unvergänglich ist. Nach dem Tode von Palamas und Sikelianos steht er heute da als der griechische Lyriker, der, ein moderner Dichter, dennoch das klassische Erbe weiterführt, eine große nationale Persönlichkeit, die, soweit ihre Dichtungen übersetzt sind, überall anerkannt wird. Uns hat ihn schon vor vielen Jahren Hjalmar Gullberg bekannt gemacht, vor allem mit dem berühmten Gedicht: „Der König von Asine“. Der Inhalt dieses Werkes mahnt uns daran, daß unsere Archäologen mit ihren Ausgrabungen ebenda Glück hatten, wo Seferis heute selbst dank seiner Phantasie versucht, das Geheimnis zu enthüllen, das sich hinter dem Namen verbirgt, auf den ein Vers der Ilias flüchtig anspielt.
Das Werk von Seferis erinnert besonders lebhaft an die manchmal in Vergessenheit geratene Tatsache, daß Griechenland geographisch nicht nur eine Halbinsel ist, sondern auch ein kleines, vom schäumenden Meer umgebenes und aus Myriaden sturmumtobter Inseln bestehendes Universum. In der Dichtung von Seferis ist dieses Griechenland ständig gegenwärtig, und die Visionen, die er heraufbeschwört, sind von ebenso herber wie sanfter Größe. Diese Schönheit seines Werkes wird von einer ungewöhnlichen Verfeinerung des rhythmischen und metaphorischen Elements getragen. Man könnte auch von ihm sagen, er habe besser als alle das Geheimnis der Steine selbst, den Glanz des leblosen Marmors und der verschwiegen lächelnden Statuen gedeutet. Diese anregende Gedichtfolge, in der aus der griechischen Mythologie wiedererstandene Figuren den neuen Kriegsereignissen im Mittelmeerraum begegnen, ist manchmal schwierig zu erklären. Und dies vor allem, weil der Dichter nicht gerne sein Inneres preisgibt: er zieht vor, sich hinter der Maske der Anonymität zu verstecken. Schmerz und Bitterkeit legt er oft einem mystischen odysseeischen Erzähler in den Mund, und ihm prägt er gern gewisse, den alten Seeleuten seiner smyrnischen Heimat entnommene Züge auf. Aber diese gedämpfte Stimme läßt ein gut Stück des historischen Schicksals und der Tragödie Griechenlands wieder lebendig werden, alles Scheitern, alle Rettung, Unglück und Heldentum. Im Stilbereich hat Seferis manches T.S. Eliot zu verdanken, aber über die Eigenständigkeit und Ursprünglichkeit des Tones, den oft die gebrochenen Stimmen der antiken Chöre tragen, gibt es keinen Zweifel.
Seferis hat sich selbst einmal folgendermaßen beschrieben: „Ich bin ein eintöniger und eigensinniger Mensch, der seit zwanzig Jahren immer wieder die gleichen Dinge sagt.“ In diesem Bekenntnis ist vielleicht etwas Wahres enthalten. Aber man darf auch nicht außer acht lassen, daß die ihm auferlegte Botschaft nicht von jener intellektuellen Entwicklung zu trennen ist, die eng mit der alten griechischen Zivilisation zusammenhängt, einem Erbe, das dem nicht vorgebildeten Empfänger eine schwer zu bewältigende Aufgabe stellt. In einem seiner aufschlußreichen Gedichte spricht er von einem Kopf aus Marmor, der im Traum auf ihn herabfällt, zu schwer für seine Arme, aber unausweichlich. In dieser Geistesverfassung singt er Hymnen auf die Toten; nur der Umgang mit den Schatten der Asphodeloswiesen kann den Lebenden noch Hoffnung auf Frieden, Vertrauen und Gerechtigkeit schenken. In seiner Deutung wird die Legende der Argonauten zu einer Parabel zwischen Mythos und Geschichte, Parabel der Ruderer, die ertrinken, bevor das Ziel erreicht ist.
Aber dieser von melancholischem Verzicht getrübte Hintergrund wird bei Seferis durch die sprachgewaltige Freude aufgehellt, die ihm die gebirgigen Inseln seiner Heimat und die weißgetünchten, terrassenförmig über ein blaues Meer emporsteigenden Häuser einflößen – eine Harmonie von zwei reinen Tönen, die sich auch in der griechischen Flagge wiederzufinden scheinen.
Nach dieser kurzen Einführung darf ich hervorheben, daß die Verleihung des Preises an Seferis folgendermaßen gerechtfertigt wurde:

Für sein bemerkenswertes lyrisches Werk, das von einem tief empfundenen Sinn für den hellenistischen Kulturkreis getragen wurde.

Anders Österling, 10.12.1963

Rede in Stockholm

In dieser Stunde empfinde ich mich selbst als einen Widerspruch. Es ist wahr, die Schwedische Akademie hat entschieden, daß meine Schreibversuche in einer über Jahrhunderte berühmten, aber in ihrer gegenwärtigen Gestalt ausgegrenzten Sprache dieser hohen Auszeichnung würdig sei. Sie wollte meine Sprache ehren, und siehe – ich drücke jetzt meinen Dank in einer fremden Sprache aus. Ich bitte Sie, mir zu verzeihen, so wie ich mir zuallererst selbst zu verzeihen habe.
Ich komme aus einem kleinen Land. Einem Felsenriff im Mittelmeer, das als einziges Gut den Kampf seines Volkes, das Meer und das Licht der Sonne besitzt. Unser Land ist klein, verfügt aber über eine gewaltige Tradition, die ungebrochen bis in unsere Zeit weiterwirkt. Griechisch ist zu allen Zeiten gesprochen worden. Unsere Sprache hat sich verändert, wie sich alles Lebendige ändert, aber Brüche sind ihr erspart geblieben. Ein anderes Merkmal dieser Tradition ist ihre Hinwendung zur Humanität; ihr Kanon ist die Gerechtigkeit. In der streng strukturierten antiken Tragödie wird der Mensch, der das Maß überschreitet, unerbittlich von den Erinnyen bestraft. Dasselbe Gesetz gilt auch für die Natur: „Die Sonne wird ihre Bahn nicht überschreiten“ erklärt Heraklit, „und wenn, so werden sie die Erinnyen, der Dike Helferinnen, zu finden wissen“ (Frgm. 94).
Ich halte es für durchaus möglich, daß ein Wissenschaftler heute aus dem Nachdenken über diesen Satz des ionischen Philosophen Nutzen zieht. Mich beeindruckt es immer wieder, zu sehen, daß der Gerechtigkeitssinn die griechische Seele so sehr durchdrungen hat, daß er sogar der Natur als Gesetz zugeschrieben wird. Auch einer meiner Lehrer schrieb Anfang des vergangenen Jahrhunderts: „… Wir werden zugrunde gehen, weil wir anderen Unrecht angetan haben.“ Der das notierte, war ein ungebildeter Mensch; er lernte im Alter von fünfunddreißig Jahren schreiben. Aber in unserem heutigen Griechenland reichen die mündliche ebenso wie die schriftliche Überlieferung weit in die Vergangenheit zurück. Dasselbe gilt für die Dichtung. Für mich ist es ein bedeutendes Ereignis, daß Schweden die griechische Dichtung und somit die Dichtung überhaupt ehren wollte, auch wenn sie die eines kleinen Volkes ist. Denn ich glaube, daß die von Angst und Unruhe beherrschte moderne Welt, in der wir leben, die Dichtung braucht. Die Dichtung hat ihren Ursprung im menschlichen Atem – und was würde geschehen, wenn uns die Luft ausginge? Dichten ist ein Akt des Vertrauens – und Gott allein weiß, ob an unserem Leid nicht mangelndes Vertrauen schuld ist.
Im vergangenen Jahr wurde an dieser Tafel über Unterschied zwischen den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und der Literatur diskutiert; es wurde festgestellt, daß der Unterschied zwischen einem antiken griechischen und einem zeitgenössischen Drama gering ist. Ja, das Verhalten des Menschen scheint sich nicht grundlegend geändert zu haben. Und ich muß hinzufügen, daß der Mensch zu allen Zeiten das Bedürfnis verspürte, diese Stimme, die jeden Augenblick Gefahr läuft aus Mangel an Liebe zu verstummen und immer wieder geboren wird. Sie, die Gejagte, weiß, wo sie Unterschlupf finden kann; sie, die Verleugnete, sucht sich instinktiv die verborgensten Orte, um wurzeln zu können. Darum gibt es für sie keine großen oder kleinen Regionen der Welt. Sie hat ihr Reich in den Herzen aller Menschen dieser Erde. Sie hat die Gabe, immer aufs neue, der Gewöhnung, diesem Lebensmechanismus, aus dem Weg zu gehen. Ich schulde der Schwedischen Akademie Dank, weil sie das alles bei ihrer Entscheidung mitbedacht hat; weil sie gefühlt hat, daß die sogenannten kleinen Sprachen nicht in eine Randzone gedrängt werden dürfen, in der der Schlag des menschlichen Herzens stockt; weil sie zu einem Tribunal wurde, das fähig ist:

durch objektive Wahrheitsfindung über das
aaaaaaaaaaungerechte Schicksal des Lebens zu befinden,

um an Shelley zu erinnern, den – wie es heißt – Inspirator Alfred Nobels, dieses Menschen, der sich von dem allmächtigen Götzen der Gewalt durch die Großmut seines Herzens freikaufen konnte.
In dieser Welt, die immer enger wird, braucht jeder von uns den anderen. Wir müssen den Menschen suchen, wo immer er ist.
Als Ödipus auf seinem Weg nach Theben der Sphinx begegnete und sie ihm ihr Rätsel aufgab, lautete seine Antwort: der Mensch. Dieses einfache Wort vernichtete das Ungeheuer. Wir haben noch viele Ungeheuer zu vernichten. Erinnern wir uns der Antwort des Ödipus.

Giorgos Seferis, Nobelpreisrede, 10.12.1963

 

Ein schöner Tribut an Hellas

– Warum der Lyriker Giorgos Seferis im Jahr 1963 den Literaturnobelpreis bekam. –

Fünfzig Jahre lang werden die Protokolle der Schwedischen Akademie, die den Nobelpreis für Literatur vergibt, unter Verschluss gehalten. Dann sind sie öffentlich, und es lässt sich nachlesen, wie ausgedehnte und zuweilen sogar gründliche Diskussionen zu Entscheidungen führten, die am Ende wohl doch immer auch willkürlich wirken müssen. Zugänglich wurden zu Beginn des neuen Jahres die Unterlagen für das Jahr 1963: Damals erhielt der griechische Lyriker und Diplomat Giorgos Seferis die Auszeichnung, ein Mann, der schon seit 1955 zu den Kandidaten gehört hatte, obwohl seine Werke kaum ins Schwedische übersetzt worden waren.
Und wenn die Wahl auch einmütig getroffen wurde, mit einer tiefen Verbeugung vor einem klassizistischen Ideal namens „Hellas“, dem nun endlich und zum ersten Mal der „schöne Tribut“ und „Ehrenkranz“ zuerkannt werde, so ist doch, wie jedesmal, die Liste der Zurückgewiesenen interessanter: Zu ihnen gehörten Samuel Beckett, Pablo Neruda, Michail Scholochow und Vladimir Nabokov.
Sprecher der Akademie war damals, in seinem letzten Amtsjahr, Anders Österling, ein Literaturkritiker aus Schonen, der Naturlyrik verfasste und mit einigen seiner Gedichte sogar populär geworden war. Entschieden wandte er sich vor allem gegen Samuel Beckett, dessen Werk er für „negativistisch“, „nihilistisch“ und „in vielerlei Hinsicht deprimierend“ hielt. Becketts Prosa und Theaterstücke lieferten, so Österlin, „den geringsten möglichen Stimulus“, um dem „bedrohten Lebensgefühl unserer Zeit“ zu begegnen.
„Ich sehe mich unter allen Umständen daran gehindert, ihm meine Stimme zu geben, und würde wohl einen Nobelpreis für ihn als eine Absurdität betrachten, die seinem Werk entspräche.“ So viel Furor legte Anders Österling in seine Ablehnung, dass der Regisseur und Übersetzer Karl Ragnar Gierow, ein Neuling im Komitee, gegen die Ausführungen ausdrücklich Vorbehalt anmeldete.
Kaum weniger entschlossen widersetzte Anders Österling sich indessen auch einer Entscheidung für Vladimir Nabokov: wegen des „unmoralischen Erfolgsromans Lolita“, aber auch, weil „Virtuosität mit den ideellen Absichten des Nobelpreises“ nichts zu schaffen habe. Während Samuel Beckett den Nobelpreis im Jahr 1969 erhielt, gehört Vladimir Nabokov zu den Autoren von Weltrang, die ihn, wie W.H. Auden (der auch für 1963 im Gespräch war) oder Jorge Luis Borges, nie bekamen.
Milder urteilte Anders Österling über Pablo Neruda, auch wenn er sich öffentlich fragte, ob dessen „kommunistische Tendenz mit dem Zweck des Nobelpreises vereinbar sei“, und über Michail Scholochow, den Autor des „stillen Don“, der indessen erst einmal beweisen sollte, dass seine jüngeren Werke nicht der Propaganda dienten – was die Jury des Nobelpreises später nicht daran hinderte, unter anders gesonnenen Sprechern zuerst Michail Scholochow (1965) und dann Pablo Neruda den Preis zuzuerkennen.
Im Jahr 1963 waren achtzig Kandidaten für den Nobelpreis vorgeschlagen worden, darunter der Memoirenschreiber Charles de Gaulle, der allerdings wohl nie in eine engere Wahl kam. Und während es heute bei jedem Durchgang um drei- bis viermal so viele Kandidaten geht, so war die Liste vor fünfzig Jahren offenbar schon lang genug, um Anders Österling klagen zu lassen:

Die lange Vorschlagsliste dieses Jahres stellt so hohe Anforderungen an die Aufnahmefähigkeit des Komitees, dass gewisse Lücken im Ergebnis des Entscheidungsverfahrens als unausweichlich betrachtet werden müssen.

Giorgos Seferis erklärte in einem Interview einige Jahre später den Nobelpreis für ein „Unglück“, das man so schnell wie möglich vergessen müsse.

Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung, 7.1.2014

 

 

Asteris Kutulas über Seferis

Kuno Raeber: Giorgos Seferis in Athen
DU, Heft 3, März 1964

Zum 1. Todestag des Autors:

Hans-Jürgen Heise: Zur ersten Wiederkehr des Todestages von Seferis
Die Tat, 16.9.1972

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Ulrich M. Schmidt: Die schwierige Suche nach Griechenland
Neue Zürcher Zeitung, 19.2.2000

Zum 50. Todestag des Autors:

Philipp Haibach: Alles voller Götter
der Freitag, 20.9.2021

Christoph Schmitz-Scholemann: Giorgos Seferis – Griechenlands Diplomat der Poesie
Deutschlandfunk, 20.9.2021

Fakten und Vermutungen zum Autor + KLfGIMDb +
Internet Archive + Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Giorgos Seferis liest To Fos.

 

Giorgos Seferis – Kurzer griechischer Dokumentarfilm.

 

Vorschau auf den griechischen Dokumentarfilm Log books: George Seferis.

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